von Nick Lüthi

Das Lokale kommt zu kurz

Zwar werden nahezu im Wochentakt Nachrichtenmedien im Netz gegründet. Aber keines der neuen Online-Angebote richtet seinen Blick aufs Lokale. Der Raum für Alternativen zum bestehenden Lokaljournalismus wäre aber durchaus vorhanden.

Ins Jammern und Lamentieren über den Zustand der Medien mischen sich langsam aber sicher optimistische Zwischentöne. Zumindest bei denjenigen, die in der Krise eine Chance sehen und selbst das Heft in die Hand nehmen. Lang ist die Liste der Neugründungen von Informationsmedien in der Schweiz, und sie wird immer länger. Vor einer Woche hat das Magazin Infosperber das Licht der Medienwelt erblickt. Zu aktuellen Brennpunkten des Weltgeschehens, wie der Atomkatastrophe in Japan oder den gesellschaftlichen Umschichtungen in Nordafrika, liefert das neue Magazin kompetent und tagesaktuell Hintergrundbeiträge. Ein ähnliches Konzept verfolgt auch Journal 21. Das vor einem halben Jahr gegründete Online-Magazin aus dem Umfeld ehemaliger und inzwischen pensionierter Radio- und Fernsehmitarbeiter hat ein starkes aussenpolitisches Profil.

Bei aller Kompetenz der Autoren und der thematischen Vielfalt ihrer Beiträge sticht doch bei beiden Neugründungen ein Mangel ins Auge: Regionale Themen finden sich weder bei Infosperber noch im Journal 21. Damit sind sie nicht alleine. Sämtliche neu lancierten journalistischen Plattformen und Projekte im Netz – und es sind nicht wenige – lassen das Lokale links liegen. Zwar gibt es inzwischen eine reichhaltige Palette an jungen und (verlags)unabhängigen Alternativmedien, vom digitalen Feuilleton namens Neuland, über das Lifestyle- und Frauenmagazin clack.ch bis zur Finanzplattform finews.ch.

Worauf Medienkonsumenten aber weiterhin warten, die mit den Leistungen ihrer Leibblätter nicht mehr zufrieden sind, sind Alternativen zur Regionalzeitung. Ausser der löblichen Ausnahme des Einmannbetriebs onlinereports.ch in Basel, die aber nicht mehr als die Regel bestätigt, existieren keinerlei vergleichbare Angebote in anderen Städten oder Regionen der Schweiz.

Raum für Alternativen und ergänzende Angebote zu den bestehenden Regionalzeitungen besteht durchaus, wie auch die Forschung bestätigt. «Für die Regionalberichterstattung gibt es in der Regeln nebst der Regionalzeitung keine valable Alternative», heisst es in der aktuellen Studie «Pluralismus und Vielfalt in Regionalzeitungen». Über die Gründe für das Fehlen solcher Angebote, schweigen sich die Medienwissenschaftler aber aus.

Erklärungen für die Absenz des Lokaljournalismus im aktuellen Gründungsboom von Online-Medien gibt es aber durchaus. Praktisch alle neuen Magazine und Plattformen werden ehrenamtlich und ohne Geschäftsmodell betreiben, das diesen Namen verdient. Journalismus wird hier weitgehend als Hobby praktiziert: Die Vorlieben der Autoren und das im Berufsleben erworbene Fachwissen stehen im Vordergrund. Nun gibt es Expertinnen für Stilfragen, Fachleute für Fussball, Kennerinnen der Aussen- und Innenpolitik, die in den neuen Medien ihrer Leidenschaft frönen und endlich das tun können, was in ihrem Beruf als angestellte Medienschaffende im besten Fall als Kür gefragt ist. Lokaljournalismus dagegen ist eine Querschnittsaufgabe. Er beobachtet Politik, Kultur, Gesellschaft, ja das ganze Leben, das sich in einem Mikrokosmos abspielt. Eine Spezialisierung ist im Lokalen höchstens handwerklich möglich, nicht aber thematisch. Ausserdem geniesst der Lokaljournalismus, obwohl er zurecht als eine der härtesten Disziplinen in den Medien gilt, weiterhin den Ruf als Tummelfeld für Einsteigerinnen und Anfänger. Die meisten Journalisten, die im «Lokalen» beginnen, streben irgendwann einmal nach Höherem. Wer sich erst einmal in die Dossiers der grossen Politik eingearbeitet hat, kehrt nicht mehr als Berichterstatterin an die Gemeindeversammlung zurück. Auch nicht für unabhängige Online-Medien.

Dieser Artikel ist zuerst in der Wochenzeitung WoZ erschienen.

Leserbeiträge

Christof 08. April 2011, 13:22

Das Regionale ist doch die Strategie von Tamedia, und wenn die Leser mit diesem Content for People nicht zufrieden sind, ist es zuallererst einmal ein Problem dieses Konzerns. Natürlich kann man mit Start-ups ins Regionale vorstossen. Aber dann hat man automatisch einen mächtigen Gegner. Tamedia wird in Zukunft gar nichts mehr anderes übrig bleiben, als irgend einen Weg im Lokaljournalismus zu finden. In der Auslandberichterstattung ist der point of no return längst überschritten und der Schaden angerichtet. Die mobilen, mehrsprachigen Leser lesen längst internationale Presse oder deutsche Titel, wenn sie kompetent über die Welt informiert werden wollen. Oder dann eben Start-ups wie Journal21 oder Infosperber.

Hardy Prothmann 08. April 2011, 15:02

Guten Tag!

Sie sprechen eine schweizerische Perspektive an – in Deutschland gibt es durchaus schon viele lokaljournalistische Angebote im Internet.

Es gründet sich zur Zeit sogar der Verband: http://istlokal.de

Ich selbst bin mit meinen Blogs ein Beispiel dafür, dass ich nach dem Start im Lokalen, den „Weihen“ im Überregionalen (1994-2009) wieder in die „Niederungen des Lokalen abgestiegen bin.
Siehe: http://heddesheimblog.de

Wenn Schweizer Kollegen ähnliches vorhaben, können diese sich gerne bei istlokal.de melden.

Beste Grüße
Hardy Prothmann

Barbara Stöckli 09. April 2011, 12:00

Es muss ja nicht gleich eine Plattform sein. Die Sindelfinger/Böblinger Zeitung, eine Lokalzeitung südlich von Stuttgart, nutzt Facebook und erreicht so junge Menschen mit ihren lokalen Nachrichten und Nicht-AbonnentInnen. Pragmatisch und erfolgreich. Das Referat des Chefredaktors Hans-Jörg Zürn war zu hören am 1. Schweizer Forum für Lokaljournalismus in Bern am 8. April. Organisiert vom maz – Die Schweizer Journalistenschule. Mehr auf http://www.maz.ch – demnächst.