von Nick Lüthi

Die Zeit(ung) ist reif für Experimente

Zusammen mit Swisscom und der Schweizerischen Post suchen Verlage nach neuen Absatzkanälen für ihre Zeitungen. Während die digitale Plattform «Codex» auf Eis gelegt wurde, startet im Sommer mit «MyNewspaper» ein zweiter Versuch mit einer personalisierbaren Tageszeitung.

Es war von Anfang an als Projekt mit offenem Ausgang angelegt. Inzwischen weiss man, dass aus der Plattform «Codex» für den elektronischen Vertrieb von Zeitungsinhalten vorerst nichts wird. Ende März hat Swisscom zusammen mit Tamedia und Ringier, sowie dem Buch- und Verlagshaus Orell Füssli den Stecker gezogen. Die NZZ hatte sich, wie erst jetzt bekannt wurde, bereits einige Monate vor dem offiziellen Ende von «Codex» verabschiedet.

Während fast zwei Jahren haben die fünf Partner unter der Leitung von Swisscom versucht, eine integrale Lösung für Vertrieb, Abrechnung und Lektüre von Zeitungsinhalten zu entwickeln. Als Kernstück fungierte dabei ein E-Reader, ein Lesegerät ähnlich den elektronischen Büchern, wie sie Sony oder Amazon («Kindle») bereits auf den Markt gebracht haben.

Wegen dem experimentellen Charakter des Projekts wiegt die Enttäuschung nach dem Aus nicht allzu schwer. Auch ist das Tuch zwischen den ehemaligen «Codex»-Partnern nicht zerschnitten. Alle können sie sich weiterhin eine Zusammenarbeit vorstellen. Wie und wann und ob es je dazu kommen wird, bleibt im Moment jedoch ungewiss. Bedarf gäbe es indes alleweil. Schliesslich hat sich an der Ausgangslage, wie sie sich beim Projektstart im Sommer 2009 präsentierte, nicht viel verändert.

Weiterhin dominieren internationale Grosskonzerne wie Apple, Amazon oder Sony den Markt mit elektronischen Lesegeräte, Sie diktieren den Verlagen die Modalitäten, wie sie ihre Inhalte anzubieten haben und kassieren für die Vermittlerdienste kräftig ab. Unter diesen Vorzeichen drängt sich eine eigenständige Lösung von schweizerischen Unternehmen für den heimischen Markt als Alternative zu den Plattformen von Apple und Co. geradezu auf. Davon bleibt Swisscom auch nach dem vorläufigen Ende von «Codex» überzeugt: «Eine Lösung mit sämtlichem lokalen Lesestoff aus einer Hand hat daher in jedem Fall eine Chance, zumal die Partner auch ihre Stärken in Vermarktung und Kundenbeziehung einbringen können.»

Doch Theorie und Praxis sind bekanntlich zwei paar Schuhe. «In einer perfekten Welt könnten die Verlage sicher super zusammenarbeiten», meint dazu Peter Hogenkamp, Leiter digitale Medien der NZZ. Aber die Medienwelt ist nun mal nicht perfekt. Und mit der Konkurrenz kooperiert man eigentlich nur mit angezogener Handbremse. Ausserdem steigt der Komplexitätsgrad, je mehr Partner sich an einem Projekt beteiligen. «Wenn man schon sieht, wie kompliziert es für einen einzigen Verlag ist, sowas auf die Beine zu stellen», teilt Hogenkamp weiter mit, «dann würde ich annehmen, dass die Komplexität geradezu explodiert, wenn man versucht, sowas zu viert anzuschieben.»

Tamedia und Ringier, die beiden anderen Verlage, die an «Codex» beteiligt waren, sehen das Experiment im Rückblick in einem etwas positiveren Licht: «Wir werden die gewonnenen Erfahrungen und Kontakte zu nutzen wissen, um diese zu gegebener Zeit in ein allfälliges Nachfolge-Projekt einfliessen zu lassen», schreibt Ringier-Sprecher Edi Estermann auf Anfrage der MEDIENWOCHE. Auch Tamedia signalisiert Offenheit für eine Zusammenarbeit über die Unternehmensgrenzen hinweg, insbesondere was ein gemeinsames Bezahlsystem angeht. Die mit Abstand positivste Bilanz zieht Orell Füssli: «Wir haben aus dem Projekt sehr wertvolle Informationen über die aktuelle und zukünftige Entwicklung des eBooks-Marktes und der Kundenbedürfnisse bekommen.» Der Buchhändler sieht dementsprechend auch keinen Grund für eine Neuauflage eines Experiments im Stil von «Codex», wie Unternehmenssprecher Andras Németh mitteilt: «Aus den gewonnen Erkenntnissen werden wir nun im Alleingang unser Angebot im Bereich eReading ausbauen und verstärken.»

Es ist die Zeit der Experimente: Für die Herausforderungen des Medienwandels gibt es keine Patentrezepte. Besonders gefordert sind Zeitungsverlage. Ihr traditionelles Geschäft mit bedrucktem Papier stagniert im besten Fall. Neue Absatzkanäle erschliessen, ob im Internet oder auf Papier, lautet deshalb das Gebot der Stunde. Und wie die Swisscom bei «Codex» Pate stand, will die Schweizerische Post mit «My Newspaper» den Verlagen und ihren Zeitungen unter die Arme greifen. Im August startet ein einjähriger Testbetrieb für eine personalisierbare Tageszeitung. Dieser Marktpilot, schreibt die Post, soll unter anderem aufzeigen, ob die Nachfrage zum angebotenen Preis vorhanden ist, und Erkenntnisse dazu liefern, ob eine definitive Markteinführung einer gedruckten personalisierten Tageszeitung erfolgen kann.

Vor zwei Jahren hat die Post auf diesem Feld bereits erste Erfahrungen gesammelt mit dem Pilotprojekt «Personalnews». Wie damals können sich die Abonnenten aus einer Auswahl von schweizerischen und internationalen Titeln ihre Morgenlektüre selbst zusammenstellen. Das Angebot gibt es in gedruckter Form aber auch, als PDF für den PC und als App für Smartphones.

Die Zürcher Tamedia ist einer der Verlage, der an diesem «Marktpilot» teilnimmt. Beim Herausgeber des Tages-Anzeigers ist man sich sehr wohl bewusst, damit selbst im günstigsten Fall nur eine kleine Minderheit anzusprechen. Dennoch sei das Projekt attraktiv, findet Tamedia-Kommunikationschef Christoph Zimmer: «In Zukunft werden Medieninhalte nicht mehr nur auf einem Kanal, sondern gleichzeitig auf einer Vielzahl von Kanälen verbreitet.» Diese Kanäle kennenzulernen, kann dabei allemal hilfreich sein, um ein tragfähiges Geschäftsmodell in der neuen Medienwelt zu entwickeln.

Leserbeiträge

Jenny Zimmermann 08. Juni 2011, 14:16

Die Idee einer personalisierten Zeitung finde ich sehr ansprechend und doch nicht ganz unbedenklich. Wie schon Michael Haller im Klartext-Artikel (http://www.klartext.ch/?p=9472#) angemerkt hat, abonniere er eine Zeitung gerade deshalb, weil er der Selektionsleistung der Redaktion traue. Ich kann mir vorstellen, dass die normative Aufgabe der Medien meinungsbildend und demokratiefördernd zu wirken darunter leidet, wenn sich die Zeitungsleser lediglich nach ihren persönlichen Interessen richten. Für mich ist Zeitungslesen auch deshalb spannend, weil ich immer wieder auf interessante Artikel in Ressorts stosse, die ich sonst nicht beachte. Dieses Vergnügen hätte ich bei einer personalisierten Zeitung nicht mehr.
Ich bin gespannt, wie «MyNewspaper» laufen wird und hoffe, es wird hier im Vergleich zum Pilotprojekt «PersonalNews» die Möglichkeit bestehen, auch aus Zeitungen wie der NZZ oder dem Bund Ressorts auszuwählen.

Ugugu 10. Juni 2011, 09:29

Wieviel dieser furchtbar wertvolle Selbsterfahrungstripp die Verlage wohl gekostet haben mag? Ok, niemand gibt gerne zu, wenn Projekte total absiffen, aber etwas weniger Schönfärberei in eigener Sache täte der Branche manchmal vielleicht eben doch auch gut.

Pascal Schwyn 17. Juni 2011, 10:07

Eine personalisierte Zeitung finde ich grundsätzlich sehr vielversprechend. So können favorisierte Beiträge verschiedener Zeitungen vereint konsumiert werden. Wenn ich an mein Interesse am Sport denke, so bevorzuge ich beispielsweise die Hintergrundberichterstattung der NZZ, die Interviews im Blick und die regionalen Artikel der Schaffhauser Nachrichten. Aber ganz ehrlich, ich lese kaum mehr als zwei Zeitung pro Tag. Den Einwand von Jenny Zimmermann, dass man bei einer personalisierten Zeitung nicht mehr auf Artikel stosse, die man sonst nicht lesen würde, teile ich. Meiner Ansicht nach wäre eine personalisierte Zeitung ein grosser Service an den Leser (wahrscheinlich auch mit den entsprechenden Kosten), aber es würde lediglich eine Ergänzung zur abonnierten Zeitung darstellen.

Tom Mügger 22. Juni 2011, 16:42

Genau das suche ich seit Jahren. Wer etwas seine Sprachen pflegen will, kann ideal einen fremdsprachigen Teil einbauen.
Aktuell habe ich die Regionalzeitung nicht, aber der Regionalteil würde mich interessieren. Dafür will ich aber nicht die ganze Zeitung kaufen. Aber en Regonalteil würde ich in die „My Newspaper“ integrieren.

Die Verlage müssen was tun. Die Jungen lesen die Bezahlzeitungen nicht mehr.