von Nick Lüthi

Grösser! Schneller! Newsnetz!

Tamedia baut sein Newsnetz aus. Ab dem kommenden Jahr werden die Online-Ausgaben der drei Tageszeitungen von Edipresse in die Nachrichtenplattform integriert. Damit soll «das reichweitenstärkste Nachrichtennetzwerk der Schweiz» entstehen, schreibt Tamedia. Den «schnellsten Qualitätsjournalismus im Netz» hat man sich schon bisher auf die Fahne geschrieben. Wobei die Betonunng stärker auf «schnell» und weniger auf «Qualität» liegt. Dem Geschäft ist das nicht abträglich. Im Gegenteil.

Sieben Schweizer Tageszeitungen werden ab Anfang 2012 ihre Online-Aktivitäten unter dem Dach des Newsnetz von Tamedia gemeinsam bestreiten. Das Newsnetz wird national, teilte Tamedia gestern mit. Neben den vier Gründungstiteln Tages-Anzeiger, Bund, Berner Zeitung und Basler Zeitung stossen neu die französischsprachigen Zeitungen Tribune de Genève, 24 Heures und Le Matin dazu. Im Laufe des nächsten halben Jahres werden die drei Edipresse-Titel die Plattform des Newsnetz übernehmen.

Auf der Basis der Juni-Zahlen von Net Metrix wird dieser Verbund mit 3.2 Millionen Unique Clients pro Monat zur rechweitenstärksten Nachrichtenplattform. Eine Zahl, die vor allem Werbekunden interessieren dürfte. Mit dem vergrösserten Newsnetz schafft Tamedia bereits die zweite Online-Plattform mit einer nationalen Abdeckung. 20 Minuten ist seit fünf Jahren in Deutsch- und Westschweiz präsent und wird mit der kürzlich angekündigten Expansion ins Tessin als erste Medienmarke drei Sprachregionen der Schweiz abdecken. Kein anderes Schweizer Medienunternehmen kann online Werbefläche in vergleichbarem Ausmass anbieten. Kein Zweifel: Kommerziell hat Tamedia die Nase vorn.

Mit der Expansion des Newsnetz gibt es auch Veränderungen bei den redaktionellen Abläufen. Wie Tamedia gestern mitteilte, arbeiten die Bundeshaus-Korrespondenten der sieben Newsnetz-Titel künftig an einem gemeinsamen Newsdesk und die Mantelredaktion in Zürich wird die neu dazugestossenen Westschweizer Zeitungen mit Nachrichten beliefern. Ausserdem werden die Online-Redaktionen personell verstärkt. Ein vergleichbarer Ausbau (Tamedia will in den nächsten Jahren 200 neue Stellen für seine Online-Medien schaffen) der Zeitungsredaktionen steht nicht an. Damit nehmen die Leserinnen und Leser die Traditionsmarken der Zeitungen immer stärker über ihre Ableger im Newsnetz wahr: tagesanzeiger.ch gleich Tages-Anzeiger, bernerzeitung.ch gleich Berner Zeitung und bald gilt das ebenso für die Zeitungen in der Romandie. Was auch heisst: der schnellere, lautere, knalligere und bisweilen auch flüchtigere Online-Journalismus wird zum Nennwert dessen, was das Publikum als Journalismus versteht. In der Eigenwerbung spricht Tamedia vom «schnellsten Qualitätsjournalismus im Netz», den das Newsnetz biete. Dem «schnellsten» mag man gerne zustimmen, der behaupteten Qualität dann doch eher weniger. Häufig zielen tagesanzeiger.ch & Co. unter die Gürtellinie (wenn auch dezenter als der traditionelle Boulevard), bedienen Voyeurismus, oder forcieren Reizthemen, im Wissen darum, dass diese Art der Berichterstattung Publikumskommentare en masse und damit kommerziell verwertbare Zugriffe generiert.

Weshalb das mit der Qualität im Netz nicht so recht will (und auch gar nicht muss), analysierte unlängst Stefan Gärtner für einmal ganz unsatirisch in der Titanic: «Denn Netzjournalismus, sofern er aus wirtschaftlichen Gründen und mit Blick auf Breitestwirkung betrieben wird, ist nicht irgendein Abfallprodukt für die Generation Smartphone, für das ihn der soignierte Qualitätszeitungsleser immer noch halten mag: Er ist, ganz im Gegenteil, Destillat, die Essenz von Journalismus als Geschäft, dessen Prinzip Hermann L. Gremliza vor dreissig Jahren so beschrieben hat: ‚Der Wettbewerb um die Gunst der Konsumenten zwingt die privatwirtschaftlichen Medien, alles zu unterlassen, was die Instinkte und Vorurteile der Leser, Hörer und Seher stören könnte.’» Vor dreissig Jahren war das auf Zeitungen gemünzt, heute trifft es genauso auf Online-Medien zu.