von René Worni

Die Medien sind schlecht – und nun?

568 Seiten Analyse und Kritik der Schweizer Medien: Auch in diesem Jahr haben die Forscher um Kurt Imhof ihr Jahrbuch «Qualität der Medien» veröffentlicht. Die nicht eben schmeichelhaften Befunde haben bereits erste heftige Reaktionen ausgelöst. Die MEDIENWOCHE hat Kurt Imhof gefragt: Was bringt die Debatte? Wird sie zum alljährlichen  Ritual für Theoretiker und Praktiker, um Dampf abzulassen? Oder sind konkrete Qualitätsverbesserungen in Sicht?

Das erste Jahrbuch, das im August vor einem Jahr erschien, war fast um ein Drittel dünner als die am letzten Donnerstag veröffentlichte zweite Ausgabe. Doch der Befund war annähernd derselbe: Bezahlter Qualitätsjournalismus verliert weiter an Boden, Gratisinhalte zerstören das (Kosten-)Bewusstsein für professionellen Journalismus, der demokratische Diskurs droht zu verebben. Die wissenschaftlichen Befunde stossen vor allem bei den Vertretern der Online-Medien auf zum Teil heftige Ablehnung. Man kann die Debatte (vor allem) auf medienspiegel.ch verfolgen, wir wollen sie hier nicht nachzeichnen. Doch wir wollten von Medienprofessor Kurt Imhof wissen, was sie letztendlich bringt.

MEDIENWOCHE: Was folgern Sie aus der letztjährigen Debatte zur ersten Ausgabe des Jahrbuchs zur Qualität der Schweizer Medien? Was hat sie gebracht, bzw. was nicht?
Kurt Imhof: Wir waren von Anfang an überzeugt, dass es einen langen Atem, Medienskandale und eine neue Medienpolitik braucht, damit die breit abgestützte Qualitätsdebatte tatsächlich greift. Die letztjährige Debatte hat bis auf wenige Ausnahmen die Analysen vollauf bestätigt. Sie hat aber auch gezeigt, dass sich die Verleger lieber mit der SRG anlegen, statt die Medienqualität zu fördern. Es hat ausserdem eine neue und nun breit aufgenommene Debatte ausgelöst über die Qualitätsdefizite und die den qualitätsorientierten Informationsjournalismus schwächenden Effekte der Gratismedien, sowohl on- als auch offline. Und – nicht zuletzt auf Anregung des Tamedia-Verlegers Pietro Supino – brachte sie eine Analyse des massiven PR-Einflusses auf die Unternehmensberichterstattung sowie eine Analyse zur Problematisierung des Fremden in den Medien.

Die Befunde im neuen Jahrbuch ist praktisch die Fortschreibung derer vom letzten Jahr. Was bringt die laufende Diskussion Neues?
Das Jahrbuch verweist auf stark gesunkene Einordnungsleistungen quer durch die Gattungen, ebenso wie auf die Zunahme von Softnews. Man kann eben nicht mit massiv weniger Mitteln bessere Produkte machen. Es zeigt die ebenso beeindruckende wie bedrückende Wirkung von provokativen Paid-Media-Kampagnen auf die redaktionellen Inhalte. Es zeigt, dass sehr viele Agenturmeldungen als Eigenleistungen verkauft werden. Es zeigt, dass die Unternehmensberichterstattung massiv PR-getrieben ist. Es zeigt die Fehlerhäufigkeiten bei wichtigen Abonnementszeitungen. Es zeigt, dass die Schweiz anno 2010 publizistisch in erster Linie über Sport zusammengehalten wird. Und es zeigt die gratisinduzierte Flucht aus den Bezahlmedien, obwohl wir alle in Zukunft lernen müssen, mehr für Journalismus auszugeben. Es gibt also genug Gründe für eine ausgiebige Debatte. Es ist allerdings zu befürchten, dass diese wieder bei der Huhn-Ei-Frage stecken bleibt (wird Trash nachfrageseitig oder angebotsseitig gefördert?).

Die Debatte scheint zu einem jährlichen Ritual zu werden: Auf den schlechten Befund der Schweizer Medien schiessen vor allem Onliner scharf zurück, touchieren aber nur Einzelaspekte. Und niemand (mich eingeschlossen) hat wohl die 568 Seiten von A bis Z gelesen. Die Diskussion findet also unter Halbinformierten und Ignoranten statt und nach zwei, drei Wochen ist der Spuk vorbei. Was bringt das alles?
Steter Tropfen höhlt den Stein. Ausserdem sind die Vertiefungsanalysen durchaus lesefreundlich, kurz und knackig. Von zentraler Bedeutung aber wäre die Medienkompetenz bei Jugendlichen zu fördern. Hier brechen ganze Kohorten von den qualitätsorientierten Informationsmedien weg und bedienen sich gratis on- und offline. Bezüglich der Kurzfristigkeit der Perspektiven kann es nur die Finanzindustrie mit der Informationsbranche aufnehmen.

Welche konkreten Veränderungen hoffen Sie mit Ihrer Kritik anzustossen bzw. gibt es irgendwelche Anzeichen dafür?
20Minuten.ch wurde redaktionell ausgebaut und erreicht nun zumindest vergleichbare – allerdings nach wie vor tiefe – Einordnungsraten wie NZZ online und Tagesanzeiger.ch. Ausserdem verdichten sich die Qualitätsdebatten bei den Blogs der Journalisten, die politischen Parteien kümmern sich stärker um die Medienpolitik und die Studierenden bringen etwas weniger Gratiszeitungen in die Vorlesungen. Das ist ihnen nun doch etwas peinlich geworden.

Die Verleger haben, anders als im letzten Jahr, bisher geschwiegen. Wie erklären Sie sich diese Zurückhaltung?
Ihnen ist klar geworden, dass ihre Intervention die Beachtung des Jahrbuches erhöht hat und die SRG hält sich diesmal wohl aufgrund der laufenden Verhandlungen mit den Verlegern zurück. Es gibt noch Hoffende auf eine friedliche Regelung des Onlinestreits.

Kurt Imhof ist Leiter des fög – Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft des Instituts für Publizistikwissenschaft und Medienforschung und des Instituts für Soziologie der Universität Zürich. Er ist Mitherausgeber des Jahrbuchs «Qualität der Medien – Schweiz Suisse Svizzera». Das Interview wurde schriftlich geführt.