von Pascal Claude

Distanzlos gegen Fangewalt

«Es sollte eigentlich die schönste Nebensache der Welt sein», sagt Urs Leuthard in der «Rundschau» vom 5. Oktober. «Es sollte eigentlich eine gewisse journalistische Nüchternheit gewahrt werden», möchte man entgegnen. Geht es um Fussball in den Medien, geht gar nichts mehr. Die Berichterstattung über «Fussballfans ausser Rand und Band» (Blick) gerät zunehmend selber ausser Kontrolle.

Wenn aus randalierenden oder Feuerwerk zündenden Fans «Fussball-Chaoten» (AZ) und «Hooligan-Idioten» (Blick) werden und aus Schweizer Stadien «Kriegsschauplätze» (SF Sportpanorama), geht mit dem Fussball auch die Sachlichkeit schweren Zeiten entgegen.

Jüngstes Opfer einer medial-emotionalen Eskalation ist GC-Torhüter Roman Bürki, der es mit einer saloppen Aussage im Jugend-TV-Sender Joiz am 1. November auf den schwarz-gelben Blick-Aushang geschafft hat: «Schleglä gehört zum Fussball!» Bürki hatte im Interview gesagt, Pyro in geordnetem Rahmen störe ihn nicht und zu den Schlägerein unter Fans käme es wohl, weil die sich emotional so stark mit dem Klub verbunden fühlten. Das gehöre für ihn zum Fussball, solange keine Unbeteiligten zu Schaden kommen.

Der 20-jährige Fussballer musste sich noch am selben Tag für seine «unglaubliche Provokation» (Blick) entschuldigen und nahm auf der GC-Homepage all seine Aussagen zurück – was ihm postwendend zum Vorwurf gemacht wurde: «Bürki sorgt für Kopfschütteln. Zuerst verherrlicht er Pyros und Schlägereien, nun sagt er sorry.» (20min.ch). Dass der GC-Torhüter nichts verherrlicht, sondern in seiner Naivität vielmehr die Mechanismen in der Fanszene beschreibt, wird den Journalisten dann in den Kommentarspalten erklärt.

Im Zusammenhang mit Fan-Gewalt, und dazu wird in praktisch allen Medien auch das blosse Abbrennen von Feuerwerk gezählt, kommt als neues journalistisches Gebot die Empörung hinzu: Empörung über die Vorfälle, Empörung über das Versagen der Sicherheitskonzepte, Empörung über das Zögern der Verantwortlichen, Empörung über jede Art der Relativierung. Daniela Lager attackierte in 10vor10 vom 3. Oktober ihren Studiogast, den Generalsekretär des Schweizerischen Fussballverbandes Alex Miescher, als gehöre sie selber einem Fan-Lager an, jenem der schwer Betroffenen. An selber Stelle hatte Susanne Wille ein Jahr zuvor behauptet, Schweizer Fussballfans würden «ganze Lokomotiven zertrümmern». Womit, blieb leider unerwähnt.

Geschichten über Fussballfans steigen seit rund zehn Jahren im Agenda-Setting der Medien immer höher, und sie fallen dabei in aller Regel negativ aus. Die zunehmende Bewirtschaftung des Themas geht einher mit einer Sensationalisierung der Berichterstattung, für die es verschiedene Gründe gibt. Einer der wichtigsten ist die Verfügbarkeit: Wenn es auch selten zu gravierenden Vorfällen kommt, so liefern diese doch jedes Mal spektakuläres Bildmaterial, komponiert aus den Skandalfaktoren Menschenmassen, Feuerwerk, Vermummung und physische Gewalt.

Berichte über Ausschreitungen werden heute meist mit denselben wenigen Archivaufnahmen aus den Jahren 2006, 2008 und neu 2011 (FCZ-FCB vom 11. Mai, GC-FCZ vom 2. Oktober) illustriert. Sie reichen aus, um den Eindruck einer zunehmenden Bedrohung friedliebender Fussballfans durch Horden junger Gewalttäter aufrecht zu erhalten. Nüchterne Zahlen, die das Gegenteil beweisen und die der Beobachter am 26. Oktober 2011 veröffentlicht hat, werden nur in Fan-Foren, nicht aber in Leitartikeln diskutiert.

Die Bilder verbreiten Angst und Schrecken und ermöglichen Abgrenzung. Das macht die Fans zum medialen Dauerthema und verleitet nicht nur Blick oder 20 Minuten, sondern auch die auf Ausgewogenheit und Neutralität verpflichteten SRG-Programme Sportpanorama, Rundschau und 10vor10 zu hysterischer Rhetorik: Widerspruch ist nicht zu befürchten, Gewalt und Chaos finden alle schlimm. Fans haben keine Lobby, und so gefallen sich Journalisten in der Rolle der Botschafter gegen Pyro und Gewalt, statt ihrer Arbeit nachzugehen.

«Rund 50 FCZ-Hooligans, die Pyro-Fackeln zündeten», habe die Münchner Polizei beim Spiel Bayern-FCZ direkt aus dem Block heraus verhaftet, behauptete etwa 10vor10 am 3. Oktober. An der Aussage ist nichts wahr: weder waren es Hooligans, noch waren es rund 50, noch wurde auch nur einer der Zündenden erwischt.

Zur Zuspitzung bei gleichzeitiger Unschärfe trägt bei, dass sich die organisierten Fans aus der Kurve seit Jahren den Medien verweigern: aus Prinzip, aber auch aus Frustration über unausgewogene Berichterstattung und Boulevard-Manieren. Ob das klug ist, sei dahingestellt. Ein Freipass für Medienschaffende, jegliche professionelle Distanz zu verlieren, ist es nicht.

Leserbeiträge

Andy Lehmann 05. November 2011, 14:51

Grossartige Analyse.

Marc 07. November 2011, 23:58

Merci viel mal. Endlich mal ein vernünftiger Bericht. Weiter so

amade.ch 08. November 2011, 00:06

cool, dass in zeiten grassierender „nulltoleranz“ noch einige wenige eine prise vernunft in sich tragen und das in den medien transportierte zu interpretieren und analysieren wissen.

R3D2 08. November 2011, 13:00

treffende einschätzung. vielleicht noch nett zu wissen: es ist ja nicht, dass man in den redaktionsstuben der erwähnten boulevardportale z.b. nicht um die differenzierung hooligans/ultras wüsste oder intern darauf hingewiesen worden wäre. es wird halt einfach geflissentlich ignoriert. und nun darf jeder seine eigenen schlüsse ziehen.

Chris 08. November 2011, 13:07

Die Analyse Ihrerseits wie auch der Beitrag im Beobachter zeigen gut auf, dass es leider Einzelszenen sind, die zu stark bewertet werden.
Ärgerlich bleiben aber die hohen Kosten, die Woche für Woche für Sicherheitskräfte um die Stadien anfallen – damit es eben bei diesen Einzelszenen bleibt.

Generell wäre es schön, in Zukunft wieder alle Zäune abzubauen – wirklich alle – ein Minimum an Sicherheitskräften einsetzen und dann mal schauen, ob es bei diesen Einzelfällen bliebe oder ob alle zur Vernunft kämen (auch durch fehlende Provokation) und man sich wieder auf den Sport und echten Support des eigenen Teams (anstatt ständiges Anfeinden der Fanblocks und auspfeiffen des Gegners) konzentrieren könnte.

P. Claude 08. November 2011, 16:41

Hallo Chris

Mir gefällt Ihre Vision, doch lese ich zwischen den Zeilen („wieder“), dass man zu einem Zustand des respektvollen Gegeneinander zurückkehren sollte. Seit ich oberklassigen Fussball im Stadion schaue, habe ich ich etwas in der Art jedoch kaum je erlebt. Es wurden im Gegenteil in den 90er Jahren zum Teil antisemitische und rassistische Schmähgesänge ausgetauscht, die heute undenkbar sind.

P. Claude

Chris 09. November 2011, 12:42

Das «wieder» ist in dem Fall eine utopische Hoffnung an jenes Bild, das mit Aktionen wie «Fair Play», «mit Sport gegen Rassismus» etc. erzeugt wird – das Sport nichts mit Gewalt zu tun hat, diese nicht benötigt (ausser natürlich auf dem Spielfeld in reglementiertem Ausmass). Es ist die Hoffnung, dass der Mensch als solcher wieder zur Vernunft kommt…
– ja das geht weit vom Kernthema weg, aber von genauso weit her kommen auch die Ursachen, die zu diesem Thema führen.

Die 90er-Jahre habe ich leider nur aus der Froschperspektive erlebt (will heissen, ich war da noch klein und jung). Aus welchen Gründen sind diese antisemitischen/rassistischen Schmähgesänge wieder verschwunden? Gäbe es da Parallelen? Ich hoffe, auch diese Schmähgesänge waren nur vereinzelte Schandflecken?

lex 08. November 2011, 13:58

Grande Pascal!! danke!

Renald Bruchez 08. November 2011, 15:52

Danke!
Endlich mal ein Bericht, welcher sich differenziert und sachlich mit diesem Thema beschäftigt. Die allgemeine Medien-Hysterie ist nicht mehr auszuhalten!

nico 08. November 2011, 16:12

danke für den artikel! danke! eine richtige wohltat zum lesen, bei all der scheisse, die einem zu dem thema aufgezwungen wird

Rem Bürk 08. November 2011, 16:15

Vielen Dank dass Sie sich die Mühe gemacht haben, dass Thema mal von seiner unpopulären Seite zu belichten.

Hans-Peter Hagen 09. November 2011, 11:06

… für diesen Artikel. Es ist eine Wohltat ihn zu lesen und er lässt die Hoffnung am leben, dass nicht alle Journalisten der hysterischen Panikmache gegen Fussballfans verfallen sind.

Daniel Züfle 09. November 2011, 11:23

Sehr guter Artikel

Für solche die es Interessiert, hier noch ein Artikel aus dem Grossen Kanton:

http://www.taz.de/!81249/

Fanprojektleiter über Gewalt
„Man muss den Ultras vertrauen“

Matthias Stein, Leiter des Fanprojektes in Jena, über den repressiven Kurs von Fußball-Funktionären und Polizei. Er warnt vor einer Eskalation der Gewalt.

Gruss

D. Züfle

Andi 09. November 2011, 12:52

Super geschrieben und vielen Dank für diesen echt guten Bericht!!
Wir können wohl nur hoffen dass die ganze Hysterie langsam abnimmt und vermehrt Journalisten so schreiben, wie das hier getan wurde: Sachlich und korrekt!

Barbaea Siegrist 09. November 2011, 19:08

Bravo!

Martin 09. November 2011, 22:06

Grandioser Artikel! Vielen Dank! Das beste was ich seit langem gelesen habe!

Daniel Blickenstorfer 10. November 2011, 11:24

Ich pflichte allen bei, die Pascal Claudes Text bereits gelobt haben. Fatal ist in der ganzen Dynamik, dass Stunden bevor dieser Text online ging, mit dem sog. „Pyro-Unfall“ in Rom eine weitere Eskalationsstufe erreicht worden ist – und zwar sowohl auf den Tribünen wie auf dem Boulevard. Die Verletzten im Olimpico lassen sich definitiv nicht mehr irgendwie in „Fankultur“ einordnen, der Verein und sein Umfeld haben selbst für einen FCZ-Fan inwzischen einen abstossenden Beigeschmack.

Fatal daran ist insbesondere, dass die Adressaten von P.C.s Text, also die Journalisten glauben, die Ereignisse von Rom machten eine Auseinandersetzung mit der eigenen Berichterstattung über Ausschreitungen gewissermassen „hinfällig“. Im Sinne von: man kann noch so disqualifizierend über Ultras schreiben, die Realität übertrifft jede vorweggenommene Empörung.

Dennoch wünschte ich diesem Text eine viel grössere Beachtung bei jenen, welche die Fanszene aus verglasten Studios und von gepolsterten Pressetribünen verfolgen. Es hat schlicht zuviele Berufskollegen, denen selbst ein Tagi-Text wie der heutige von Thomas Schifferle und Fredy Wettstein „zu ausführlich“ ist. Dabei ist es der beste, sachlichste Bericht im TA seit dem Derbyabbruch vom 2. Oktober.

Kain Journalist 11. November 2011, 19:14

Die Lokomotiven, das weiss doch jedes Kind, werden durch fliegende Büros zertrümmert. Yeah.

Christian Vetsch 11. November 2011, 19:39

Pascal Claude ist einer der ganz wenigen Journalisten, der sich wirklich mit dem Thema auskennt. Und der sich mit Recht auch als Journalist bezeichnen darf. Gott sei Dank gibt es noch solche Stimmen in einer Zeit in der man als jugendlicher Fussballfan zum Abschuss freigegeben ist, von Leuten die man als Medien-Hooligans bezeichnen muss und eine Schande für ihrem Berufstand darstellen. Auch in anderen Bereichen schreiben mittlerweile Leute bei denen man sich ernsthaft fragen muss, was sie als Journalisten qualifiziert.