von Ronnie Grob

«Ich misstraue der Masse»

Weltwoche-Verleger und -Chefredaktor Roger Köppel ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten in den Schweizer Medien. Von der Branche als unverbesserlicher Rechtsausleger abgestempelt, zeigt sich Köppel im grossen Medienwoche-Interview auch von seinen überraschenden Seiten. So erklärt er, weshalb er auch linke und grüne Politiker wählt, wie das genau gemeint war, als er vor elf Jahren das Ende der SVP herbeischrieb und warum er noch nie einen Marathon gelaufen ist.

Herr Köppel, Sie sind jetzt 46 Jahre alt. Sie sind, so sehen das gerade in Deutschland viele, der wichtigste oder wenigstens bekannteste Schweizer Journalist. Sind Sie am Höhepunkt ihres Lebens, ihrer Karriere angelangt? Oder was kommt noch?
Ich stelle mir diese Frage eigentlich nicht, ich habe nie Karriereplanung betrieben. Das Gefühl, ich hätte alles erreicht und könne mich jetzt zurücklehnen, habe ich auf jeden Fall nicht. Im Gegenteil: Ich bin Unternehmer und muss mich behaupten im Konkurrenzkampf gegen starke Mitkonkurrenten. Ob der Zenit überschritten ist, das sieht man dann erst im Rückblick, das weiss ich nicht (lacht).

Die Weltwoche wird immer wieder angegriffen, nun auch mit Mitteln des Cyberkriegs. Die Website Weltwoche.ch war Anfang November von verschiedenen Distributed Denial of Service (DDoS)-Attacken betroffen und fast eine Woche nicht erreichbar. Was ist geschehen?
Ich weiss es nicht genau, ehrlich gesagt. Aber es handelt sich offenbar um eine hinterlistige, gemeine Attacke, die mit grosser Firepower geführt wurde. Unser Provider hat mit viel Einsatz versucht, das Problem zu beheben, doch das hat sich als sehr schwierig herausgestellt. Das Ereignis hat meine Vorurteile gegenüber dem Internet als Tummelfeld von Wahnsinnigen und Anonymen, die aus dem Hinterhalt agieren, verstärkt – womit ich keineswegs alle, die sich im Internet betätigen, in Sippenhaft nehmen möchte. Ich bin bestürzt über den Angriff: Die Weltwoche ist ein Blatt der Meinungsäusserungsfreiheit, und auch wenn man inhaltlich nicht mit uns einverstanden ist, so ist das noch lange kein Grund, uns die Scheiben einzuwerfen.

Der Angriff scheint aber keine grosse Aufregung ausgelöst zu haben. Sie würden doch ganz anders reagieren, wenn die Auslieferung der Printausgabe sabotiert würde, oder?
Das ist richtig. Aber auch wenn wir unser Geld hauptsächlich über die Printausgabe verdienen, so ist es doch ein Angriff auf die Weltwoche, was unsäglich ist.

Für andere Journalisten war es auch kein grosses Thema.
Ich habe mich auch gewundert, dass es nicht grösser aufgegriffen wurde. Handkehrum: Die Weltwoche ist als unabhängiger Kleinverlag ein unangenehmer, da erfolgreicher Konkurrent. Warum sollen uns die Grossen helfen?

Der Axel-Springer-Verlag oder auch 20min.ch verdienen sehr viel Geld im Digitalgeschäft. Macht Sie das neidisch?
Nein. Wir legen den Fokus nach wie vor auf journalistischen Inhalt und Print. Ich konzentriere mich voll auf die Weltwoche und ihren sehr behördenkritischen Journalismus. Das Investitionsvolumen, um einen konkurrenzfähigen Online-News-Webdienst aufzubauen, habe ich derzeit gar nicht. So ein Projekt wäre für mich unternehmerisch ein zu grosses Risiko, eine Verzettelung der Kräfte.

«Ich bin einer der neugierigsten Menschen, die ich kenne», sagten Sie Tagesanzeiger.ch 2009, als sie zum „grössten Intellektuellen der Schweiz“ gekürt wurden. Neue Kommunikationstechnologien wie zum Beispiel Twitter scheinen Sie allerdings nicht zu interessieren. Warum?
Das stimmt, Sie decken da einen blinden Fleck in mir auf. Sagen wir es so: Ich bin sicher ein neugieriger Mensch, aber keiner, der jedem neuen Hype hinterherrennt. Als Historiker bin ich, vielleicht auch zum eigenen Schaden, manchmal etwas sehr skeptisch. Tatsächlich bemerke ich viele Rückmeldungen aus dem Netz, zum Beispiel über Facebook, und ja, vielleicht kann man diesen Kanal kreativer bespielen, als ich das tue. Wiederum bin ein grosser Verfechter der Konzentration der Kräfte: Es geht darum, die Weltwoche als unabhängige und kritische Zeitung immer besser zu machen.

Die Internetstrategie der Weltwoche war bisher zerfahren. Es wurde mal das ausprobiert, dann mal das, inzwischen sind im Prinzip nur noch Eigen-Promo-Hinweise frei verfügbar. Warum?
Ich bin zum Schluss gekommen, nur noch das zu machen, womit ich Geld verdiene. Früher gaben wir zu viele Artikel gratis ab. Das wurde korrigiert. Heute ist das Internet ein Aussenschaufenster, ein Abo-Kanal und ein Service für Abonnenten.

Die junge Generation bewegt sich immer weiter weg von den Printprodukten und nutzt stattdessen das Web, auch mobil. Wie führen Sie die jungen Leute an ihr Produkt heran?
Indem die Weltwoche relevante Missstände aufdeckt und Diskussionen anstösst. Wir haben uns nie besonders bei den jungen Lesern angebiedert, und doch werden wir von vielen gelesen. Ein Blatt wie die Weltwoche lebt von seiner journalistischen Aufdeckungsleistung, seiner journalistischen Brisanz und Intensität. Wenn wir das hinkriegen, haben wir Leser, wenn nicht, dann haben wir weniger Leser. Da nützen mir auch die raffiniertesten Formen der Darreichung nichts.

Sie nennen als Vorbild der Weltwoche den «Spiegel» der 1960er-Jahre unter Verleger Rudolf Augstein. Ich habe 2008 mal eine Ausgabe von 1969 analysiert. Optisch machte die mir einen sehr grauen, inhaltlich einen verschwurbelten Eindruck, Autoren waren kaum als solche gekennzeichnet.
Ich will mich keinesfalls mit Rudolf Augstein gleichsetzen, aber der von ihm geprägte Satz «Schreiben, was ist», auch dann, wenn es anderen nicht passt, prägt mich auch. Der Wille, die andere Seite zu zeigen, den Konsens herauszufordern, die Mächtigen und Beliebten sachlich fundiert zu kritisieren, aus dem Mainstream auszubrechen – da ist für mich Augstein ein grosses Vorbild. Das ist der Massstab, an dem eine Weltwoche gemessen werden muss. Heute ist der «Spiegel» eine mächtigere, eine saturiertere Instanz, aber Augstein musste noch untendurch, der wurde verhaftet aufgrund von Recherchen. Vom Establishment wurde Augstein nicht akzeptiert, Adenauer verfluchte regelrecht den «Spiegel». Wer die Mächtigen herausfordert, muss einstecken können.

Zu «Schreiben, was ist»: Die Geschichte «Etikettenschwindel für die Bauern» in der Weltwoche vom 9. März 2011 musste in praktisch sämtlichen Punkten berichtigt werden. Wie kann sowas passieren?
Das ist ein klarer Managementfehler meinerseits. Eine Autorin, die sonst über andere Themen sehr gut schreibt, hat in dieser Geschichte einen elementaren Rechnungsfehler gemacht, durch eine Verkettung von unglücklichen Umständen geriet der Artikel so ins Blatt. Wir haben unsere Fehlleistung transparent gemacht und uns entschuldigt. Das aber ist ein Nebenschauplatz. Die grossen Enthüllungen der Weltwoche waren und sind wasserdicht.

Wenn wir schon bei den Fehlern sind: Was für Fehler haben Sie bisher gemacht in Ihrer Karriere, ausser einem Verriss von DJ Bobo, den Sie mal öffentlich bedauert haben?
Der Artikel über DJ Bobo ist eine Jugendsünde. Der wurde aus einer falschen Arroganz heraus geschrieben und war auch journalistisch nicht genügend. Es tut mir leid, weil ich Bobo für einen glänzenden Unterhaltungsunternehmer halte.

Was ist mit Tom Kummer? Sie haben in Ihrer Zeit bei «Das Magazin» mehrere, lange, frei erfundene Kummer-Interviews veröffentlicht: Demi Moore, Bruce Willis, David Duchovny, Charlize Theron. Was haben Sie daraus gelernt?
Ich übernahm Tom Kummer von meinem Vorgänger René Bortolani als Bestandteil des Teams. Bei ihm und auch bei Journalisten von anderen Zeitungen, er schrieb ja damals auch für den «Spiegel» und für die Magazine von «Zeit» und «Süddeutsche Zeitung», informierte ich mich über Kummer – und alle legten ihre Hand für ihn ins Feuer; er war ein gefragter Mann. Ich erklärte Kummer mein Konzept beim «Magazin» und wies ihn darauf hin, dass Zuspitzungen nicht nötig seien. Ich setzte auch stärker auf Politik als auf Glamour und Stars. In Los Angeles sah ich zudem Bücher von ihm in der Auslage, Interviews mit Sharon Stone. Da gehen Sie davon aus, dass es nicht frei erfunden sein kann. Tatsächlich konnte ich mir nicht vorstellen, dass jemand so dreist vorgeht.
Nach einem Jahr Zusammenarbeit kam ein Bildredaktor auf mich zu und erzählte, dass er zu einer Kummer-Story über Kampfsport in Los Angeles keine Bilder finde. Nachdem Kummer, konfrontiert mit diesen Fragen, keine klare Antworten geben konnte, beauftragte ich einen Freund, diese Geschichte nachzurecherchieren – es stellte sich heraus, dass es das so gar nicht gab. Darauf beendete ich die Zusammenarbeit und informierte die Kollegen beim Magazin der «Süddeutschen Zeitung».
Kummer erzählte danach gerne, dass er seine Stücke mit Wissen der Chefredaktoren als Kunstform verkaufte – das ist eine dreiste Lüge. Schliesslich verrechnete er dafür Spesen – die waren sehr real und kein artistisches Konzept.

Im Film von Miklos Gimes fragt Tom Kummer nach der Naivität von Ihnen und Ulf Poschardt (und ihren Mitarbeitern). Was antworten Sie?
Miklos Gimes war als Bortolanis Stellvertreter jahrelang Kummers Chef. Es gibt auch ein gewisses Grundvertrauen, das man langjährigen Mitarbeitern entgegenbringt. Dieses Vertrauen hat Tom Kummer leider verletzt, und heute macht er sich über jene lustig, die ihm vertraut haben. Bei mir hat er sich übrigens nie entschuldigt, auch wenn er unter Umständen meine Karriere als damals junger Chefredaktor hätte gefährden können. Ich nehme es als eine Lektion entgegen, heute bin ich skeptischer.

Wenn ich diese Interviews, die definitiv nichts mit Journalismus zu tun haben, heute lese, dann finde ich sie teilweise zum Schreien lustig. Können Sie sich an das Interview mit Rodney King erinnern? Das hatte über 40.000 Zeichen!
Meine damalige, ehrliche Meinung war: Vielleicht haben sich die Interviews nicht immer genau so zugetragen, aber sie wurden so autorisiert vom Interviewten. Das ist ja heute, beispielsweise beim «Spiegel», auch eine legitime Praxis.

In der Weltwoche gibt es keine langen Reportagen. Hat das etwas zu tun mit Tom Kummer?
Nein, aber Journalisten sind keine Schriftsteller. Man soll sich kurz fassen. Die Recherche zählt.

Mir scheint das Leichte etwas verloren gegangen zu sein bei der Weltwoche.
Tatsächlich konzentriere ich mich heute stärker auf die Behandlung relevanter Themen. Wir leben in ernsten Zeiten. Die Leute merken, dass die EU nicht funktioniert. Die frivolen neunziger Jahre sind vorbei. Die linken Illusionen verpuffen endgültig. Grundwerte werden wichtiger. Das prägt auch die Weltwoche.

Sie haben immer wieder George W. Bush verteidigt, auch seine militärischen Interventionen im Irak. Als Vermächtnis hinterlassen hat er mehrere offene Kriegsschausplätze und einen Haufen Schulden. Während Clinton das Haushaltsdefizit reduziert hat, ist es unter Bush (und auch unter Reagan) gestiegen. Warum haben Sie Bush immer wieder gelobt?
Man musste gegen das einseitig-aggressive Bush-Bild in den deutschsprachigen Medien andere Seiten herausheben. Die gewaltige Verteufelung dieses Präsidenten beunruhigte mich. Mit der Weltwoche setzte ich mich für Meinungsvielfalt ein. Ich würde jeden Artikel noch heute genau so drucken. Hier sehen Sie die Bedeutung einer Weltwoche: Man muss Gegensteuer geben, damit nicht die Meinungseinfalt triumphiert. Wenn alle in die gleiche Richtung rennen, wird es gefährlich. Die Demokratie braucht eine möglichst vielschichtige Meinungslandschaft. Grossverlage allerdings tendieren dazu, dem Mainstream zu huldigen und abweichende Meinungen zu diffamieren. Deshalb braucht es mutige Journalisten, die den Konsens mit guten Argumenten aufmischen.

Es fällt auf, dass Sie vom Krieg, von militärischen Auseinandersetzungen sehr fasziniert sind. Kürzlich schrieben Sie im «Persönlich»-Blog: «Es wäre mir eine Ehre und eine Freude gewesen, unter dem grossen Chefredaktor Peter Uebersax zu dienen.» Andere Journalisten hätten wohl von «Spass» statt «Ehre» und von «zusammenarbeiten» statt «unter Übersax dienen» geschrieben. Was hat es auf sich mit diesen militärischen Vergleichen, die auffällig oft ihre Texte durchziehen?
Das ist vielleicht eine Art später Reflex auf den sprachlichen Pazifismus und die sprachliche Korrektheit, die mir vom Kindergarten über alle Schulen bis zu den Universitäten verordnet wurde, ein Aufbegehren gegen sprachliche Konventionen, die durch die politische Korrektheit geprägt sind. Peter Uebersax war eine überragende journalistische Persönlichkeit, auch ein Freund, und ja, ich hätte sehr gerne unter ihm gearbeitet.

Sie machen mir den Eindruck eines feinsinnigen Menschen, der Jazz oder Klassik hört. Warum werden die Weltwoche-Leser eigentlich immer wieder mit AC/DC, Krokus und Chris von Rohr gequält?
Ach, ich muss meine Kultiviertheit nicht an die grosse Glocke hängen. Ich höre sehr gern Jazz, aber neuerdings auch Mozart-Opern. Von der Rockband AC/DC bin ich beeindruckt, ich habe auch mal ein Interview mit Angus Young geführt [siehe dazu auch «Triumph des Banalen», Ausgabe 17/2007]. Chris von Rohr finde ich einen guten Mann, vielleicht sind um seinen 60. Geburtstag etwas viele Artikel erschienen.

Gleiches gilt für die Titelbilder der Weltwoche. Seit Jahren sind rund 30 Prozent aller Cover ästhetisch grauenhaft, zum Teil sind es holzschnittartige, wild zusammenkopierte Collagen.
Finden Sie? Das Weltwoche-Coverblatt muss klar, einfach, leicht verständlich sein. Einige unserer Collagen-Bilder finde ich sehr gelungen, sie erinnern mich an die Ästhetik von Filmplakaten. Andere sind nicht so gelungen.

Eine erste Medienwoche-Anfrage haben Sie abgesagt mit der Begründung, dass sie vor den Parlamentswahlen beruflich zu sehr eingespannt seien. Haben Sie selbst auch mitgekämpft im Wahlkampf? Wenn ja, für was?
Ich habe in diesem Wahlkampf auch mitgekämpft – für die Weltwoche als unbequeme Stimme der Vernunft.

Was haben Sie gewählt?
Ich habe die SVP-Liste eingeworfen, panaschiert mit ein paar Politikern der FDP, die ich gut finde und ein paar intelligenten Kollegen von den Grünen und den Linken, man muss ja schauen, dass von dieser Seite nicht nur die Ideologen nach Bern gehen. Aber ich stehe dazu: Angesichts der heutigen Herausforderungen decken sich viele meiner Positionen mit der SVP, die sich am stärksten für die Unabhängigkeit der Schweiz einsetzt. Was mich journalistisch allerdings nicht daran hindert, diese Partei und ihre Exponenten zu kritisieren im Heft.

Mein Eindruck ist: Sie haben sich von einem Linksliberalen zu einem Rechtsliberalen zu einem Nationalkonservativen gewandelt. Und mit Ihnen die Weltwoche. Stimmen Sie zu?
Wenn man unter «nationalkonservativ» die Erhaltung der freiheitlichen Institutionen der Schweiz versteht, dann stimmt das, dann hat das für mich eine grössere Bedeutung erhalten publizistisch. Ich habe mir bereits 1999 im «Magazin» «Gedanken zur Genialität des Schweizer Mittelmasses» gemacht, das war fast am Höhepunkt der Schweiz-Heimatmüdigkeit und EU-Beitrittseuphorie. Ich verstehe mich als Liberalkonservativer: Das Liberale als das aufbrechende, aufsprengende, freiheitlich-anarchische – das Konservative als das mässigende Element.
Wenn allerdings «nationalkonservativ» heisst: Stacheldraht um die Schweiz, Abschottung gegenüber der Welt, die Schweiz den Schweizern – dann trifft das sicher nicht auf mich zu. Ich setze mich für eine freiheitliche, unabhängige Schweiz ein, die an ihren Erfolgsfaktoren festhält. Dieses Modell ist durch die zunehmend undemokratische EU immer mehr unter Beschuss geraten. Übrigens war die Weltwoche immer ein Titel, der sich für die unabhängige Schweiz engagierte. Denken Sie nur an die Rolle der Zeitung im Zweiten Weltkrieg.

Im Oktober 2000 verkündeten Sie im «Magazin» «das Ende der SVP». Sie schrieben damals: «Wir wagen die Behauptung: Die SVP wird uns als die dominierende Kraft der Schweizer Politik in Zukunft nicht mehr beschäftigen müssen.» Warum lagen Sie mehrfach falsch?
Weil ich als Mitglied der Chefredaktion des linken «Tages-Anzeigers» offenbar noch nicht den Mut hatte, ohne Verrenkungen die SVP zu loben. Das nämlich war der Hauptinhalt des Artikels: Eine von Verteufelungen freie Analyse der SVP. Mit dem Schlusssatz wollte ich wohl meine innerredaktionellen Gegner besänftigen …

Auf mich wirken Sie zwar wie ein unabhängiger Geist, die Weltwoche wirkt aber doch arg verbandelt mit der SVP. Die Wechselwirkungen der Weltwoche-Themen und der «Tele-Blocher»-Themen sind erstaunlich. Ich habe den Eindruck, Sie stehen mit Christoph Blocher in regelmässigem Kontakt.
Wir haben gerade nach den Wahlen die schonungsloseste und härteste Kritik der SVP als Titelstory gebracht. Ich stehe politisch wohl irgendwo zwischen FDP und SVP, aber ich bin selber in keiner Partei. Mit Blocher stehe ich in regelmässigem Kontakt, weil er nach wie vor der Kristallisationspunkt unserer Politik ist und zugleich ein sehr anregender, interessanter Gesprächspartner mit einem grossen Themengespür. Blocher hat vor zwanzig Jahren einsam auf weiter Flur die EU kritisiert. Er hat in allen Punkten recht behalten, aber in der neidischen Schweiz nie die gebührende Anerkennung gefunden.

Sie führen Sie ihre Firma nach dem im Buch „Blocher-Prinzip“ beschriebenen Antragssystem. Warum?
Ich versuche es zumindest. Es ist ein anspruchsvolles Führungssystem, das verhindert, dass Mitarbeiter zu Ja-Sagern werden. Sie nehmen stattdessen Verantwortung wahr und führen die Firma selbst mit, von unten nach oben, indem sie ihre Vorgesetzten mit Anträgen unter Druck setzen.

In zwei Titelgeschichten und mehreren Folgegeschichten äusserte ihr Redaktor Philipp Gut kurz vor den Wahlen gegenüber der St. Galler Regierungsrätin Karin Keller-Sutter einen «Verdacht auf Begünstigung und Amtsmissbrauch» und bezichtigte sie der Lüge. Am 23. Oktober wurde sie mit grosser Mehrheit zur Ständerätin gewählt, mit fast doppelt so vielen Stimmen wie Toni Brunner.
Gut deckte relevante Missstände auf bei einer der beliebtesten Schweizer Politikerinnen. Das löste dann sofort politische Solidarisierungsaktionen aus, weil es sich nicht gehört, eine weithin geschätzte Frau zu kritisieren. Sogar St. Galler SVPler bedrängten mich, mit den Artikeln aufzuhören, es nütze doch nur Keller-Sutter. Solche Überlegungen spielten für mich nie eine Rolle. Wir machten einfach unseren journalistischen Job.

Könnte es sein, dass die Wähler sich aus Trotz gegen die Weltwoche wendeten?
Das glaube ich. Auch andere Medien pflegen einen Anti-Weltwoche-Reflex und greifen gewisse Geschichten nur zögerlich auf. Wir bleiben dran an den Geschichten und exponieren uns. Ich erinnere an unsere Recherchen zum Zürcher Sozialamt, da wurden wir anfänglich auch ausgelacht von der NZZ oder dem Tages-Anzeiger. Am Ende musste die verantwortliche Stadträtin zurücktreten, weil es einfach stimmte, was wir aufdeckten.

Nach eigenen Angaben sind Sie «alleiniger Eigentümer der Weltwoche». Wie erklären Sie sich, dass es trotzdem seit Jahren immer wieder Diskussionen über die Besitzverhältnisse gibt?
Es ist erklärungsbedürftig und nicht a priori verständlich, wenn ein junger Journalist, der nicht einer Milliardärsfamilie entstammt, einen traditionsreichen Titel übernimmt. Ausserdem hätten die anderen Verlage die Weltwoche ebenfalls gern im Portfolio, deshalb ist von dieser Seite wenig Sympathie zu erwarten. Ich habe den Ablauf des Kaufs immer transparent gemacht: Ich habe mein gesamtes Vermögen eingebracht, ich habe Bankkredite aufgenommen und mich hoch verschuldet. Nun bin ich verdammt dazu, Rendite zu produzieren und erfolgreich zu sein. Es gibt niemand, der mir Geld gibt. Vielleicht gäbe mir jemand Geld, wenn ich in Schwierigkeiten geriete, das kann ich nicht sagen. Ich bin ein zu 100 Prozent unabhängiger Unternehmer. Dass das kritisch betrachtet wird, überrascht nicht: Ein Aufstieg eines Newcomers vom angestellten Chefredaktor zum Verleger löst Misstrauen aus. Das einzige, was die alten Verkäufer und ich nicht transparent gemacht haben, ist der Kaufpreis. Was legitim ist.

Meine These ist: Sie haben gemerkt, dass wenn Sie nichts weiter dazu sagen, ständig weiter diskutiert wird und so die Weltwoche im Gespräch bleibt. Darum haben Sie kein Interesse daran, die Diskussion mit Transparenz zu beenden.
Sagen wir mal, ich würde irgendeinen Preis bekannt geben für den Kauf, so und so viele Millionen Franken. Dann würden sofort Folgefragen auftauchen: Von welcher Bank und von welchem Konto wurde dieser Betrag überwiesen? Können Sie beweisen, dass ihr Kreditgeber keine Geheimverträge abgeschlossen hat mit jemandem, der eine Bürgschaft für Sie abgegeben hat?
Leider musste ich vor diesem Hintergrund die NZZ verklagen: Das Blatt sprach mir als Unternehmer die Kreditwürdigkeit ab, indem es ohne Belege andeutete, ich hätte geheime Financiers oder stünde in Abhängigkeit von „Dunkelmännern“. Das stimmt nicht. Und gegen solche Behauptungen eines Mitkonkurrenten muss ich mich wehren, auch wenn ich der NZZ viel verdanke und dort auch meine journalistische Lehre absolviert habe. Ich habe nichts dagegen, wenn ich für meinen Kurs oder meine Inhalte kritisiert werde, aber hier wurde meine Integrität als Geschäftsmann in Frage gestellt.
Anmerkung der Redaktion: Die NZZ bestreitet diese Sichtweise.
Darüber wird in einem laufenden Verfahren gestritten.

Wie solide ist denn Ihr Unternehmen nun? Die einen weisen auf einen Niedergang der Auflage und sprechen von Fremdfinanzierung, die anderen sagen, sie haben sich mit der Weltwoche längst eine goldene Nase verdient.
Die Weltwoche ist ein erfolgreiches Unternehmen, das auch im schwierigen Umfeld immer Gewinn geschrieben hat. Sie muss allerdings auch Gewinne schreiben, sonst könnte ich meine Kredite nicht bedienen. Von einer goldenen Nase kann keine Rede sein. Die Abozahlen steigen, beim Kiosk und den telefonisch erhobenen Leserzahlen leiden wir. Derzeit investiere ich in den Inhalt, wir suchen neue Mitarbeiter.

Was ist eigentlich langweiliger: Politische Korrektheit oder politische Inkorrektheit?
Politische Korrektheit. Ist nicht nur langweilig, sondern auch schädlich.

Ich behaupte: „Roger vs. Roger“ ist doppelte Selbstverliebtheit und halber Erkenntnisgewinn. Und Sie?
In meinem Fall ist es für den Hörer ein klarer Erkenntnisgewinn, im anderen Fall gebe ich Ihnen zu 100 Prozent recht (lacht).

Wer redigiert Ihre Editorials?
Peter Keller und Philipp Gut.

Wie viele Ausländer oder Secondos sind bei der Weltwoche angestellt?
Weiss ich nicht auswendig, aber es sind einige, ich bin selbst ein halber Deutscher.

Was schätzen Sie: Wie viel Prozent aller Journalisten wählen linke Parteien?
93 Prozent.

Joggen Sie immer noch?
Ja, jede Woche dreimal für 45 – 60 Minuten.

Sind Sie schon mal einen Marathon gelaufen?
Nein. Ich misstraue der Masse.

Wann stehen Sie morgens auf?
Zwischen 3:45 Uhr und 7 Uhr.

Haben Sie chronischen Schlafmangel?
Das kann vorkommen, doch lange kann ich das nicht mit mir herumschleppen. Ich gehe eher früh zu Bett, 6 bis 7 Stunden Schlaf sind normal.

Was halten Sie vom dominierenden SVP-Wahlkampfspruch „Schweizer wählen SVP“? Der Spruch ist doch, logisch gesehen, ziemlicher Quatsch, oder nicht?
Nein. Der liberale Schriftsteller Gottfried Keller schrieb im vorletzten Jahrhundert einen Essay, in dem er definierte, was ein Schweizer sei: Ein Schweizer ist gemäss Keller ein Mensch, der die Gesetze der unabhängigen Demokratie Schweiz liebt. Für Keller war ein Deutscher, der die Schweizer Rechtsordnung liebt, ein genau so guter Schweizer wie der Eingeborene, dessen Urahnen am Morgarten gekämpft haben. Kellers Definition der Schweizerischen Identität über die Schweizerische Rechtsordnung ist eine Vorwegnahme des SVP-Slogans, die eben auch darauf abhebt, dass man als Schweizer die Unabhängigkeit unserer Rechtsordnung befürworten muss.

Warum wird die Weltwoche weiter an Abonnenten geschickt, die nach einem Probeabo explizit darauf verzichten?
Das machen alle Zeitungen, weil es offenbar manchmal schwierig ist, das zu stoppen. Ich entschuldige mich präventiv bei allen, die unser Blatt gegen ihren Willen erhalten. Wobei es gerade denen gut tun würde, mal etwas von der anderen Seite zu lesen.

Auf «Journal 21» schreibt Schriftsteller Dante André Franzetti eine Kolumne namens „Roger Rightwing“. Kennen Sie die? Wer könnte damit gemeint sein?
Das ist mir gar noch nicht aufgefallen. Offenbar habe ich Silvio Berlusconi, das bisherige Primär-Feindbild von Dante André Franzetti (den ich übrigens schätze), abgelöst.

Wie viele Bücher lesen Sie im Jahr?
Pro Monat eines, als doppelter Vater habe ich noch weniger Zeit als früher.

Nur Sachbücher oder auch Belletristik?
Sachbücher. Matthias Ackeret konnte mich allerdings kürzlich wieder für Ernest Hemingway begeistern.

Bisher haben Sie noch kein Buch veröffentlicht.
Nein, kein wichtiges. Ich bin offenbar doch eher Mittelstrecken- als Marathonläufer.

Wie viele Stunden pro Tag sind sie persönlich im Netz unterwegs?
Bewusst etwa eine Stunde.

Wie sind Sie kommunikationstechnisch ausgestattet?
Blackberry. iPad. Windows.

Wie ist der Zustand des Schweizer Journalismus?
Gut, könnte obrigkeitsskeptischer sein.

Müsste Ihr Vorbild nicht eher Axel Springer heissen oder wäre das zu simpel? Haben Sie überhaupt Vorbilder?
Axel Springer ist eine grosse Figur, der Augsteinsche Geist ist mir aber vielleicht näher. Grosse Sympathien habe ich für Harold Ross, den Gründer des „New Yorker“: „If you can’t be funny, be interesting.“ Von meiner Natur her bin ich Eklektiker. Obwohl ich als Journalist vieles kritisieren muss, bin ich jemand, der eigentlich alles unter dem Aspekt der Verwertbarkeit für mich anschaut. Ich habe keine festgefügten Schlachtordnungen in meinem Kopf, sondern zapfe alle möglichen Inspirationsquellen an.

Das Gespräch mit Roger Köppel wurde am 9. November in Zürich geführt.

Leserbeiträge

Hans-Joachim Hartgens 25. November 2011, 15:17

Die süffisante und schleimige Art des herrn Köppel sind symptomatisch für die Weltwoche, die ich einst „wirklich geliebt“ habe. Aber auch herr Köppel beugt sich dem Druck des Geldes! Hoffentlich ist nach BR-Wahlen Schluss mit der Präsenz dieses Polit-Schleimers!

Vladimir Sibirien 01. Dezember 2011, 12:18

Herrlicher Kommentar, DANKE!
Ich möchte die Medienwoche-Redaktion einfach bitten, zukünftig Weltwoche-Artikel nicht an einem Freitag einzustellen. Auch Ihre Leser haben ein Recht auf ein ungestörtes Wochenende. 🙂

Berner 25. November 2011, 15:22

Interssantes Interview. Gut geführt. Und ich find den Hr. Köppel ganz ein
faszinierender Wissens- und Lebensmensch.

Philippe Wampfler 25. November 2011, 16:01

Was mich interessiert hätte: Wie sind denn die Verhandlungen zwischen NZZ und Köppel ausgegangen vor dem Friedensrichter?
Auch hätte mich wunder genommen, wie Köppel auf die Recherchen von Konrad Weber reagiert hätte, der bilanzierte:
»Roger Köppel hat einen Preis gezahlt , der deutlich unter dem Marktpreis lag. Oder er muss Konditionen haben, die unter denen liegen, die der Markt sonst fordern würde. Oder er muss eine Bürgschaft oder andere Garantien haben. (Das allerdings hat Köppel nach entsprechenden Behauptungen Roger Schawinskis scharf zurückgewiesen.) Wie auch immer: Der Markt allein reicht für die Finanzierung nicht.« 
[pdf: http://konradweber.ch/pdf/1103_SJ_Finanzierung-Weltwoche.pdf%5D

bugsierer 25. November 2011, 18:47

erfrischendes interview. gut gedacht, gut gemacht.

Köbi Bünzli 25. November 2011, 20:37

Gutes Interview, big up!

Roman Rey 26. November 2011, 11:05

Während die NZZ eine neue, innovative Online-Strategie fährt, hält sich Roger Köppels Weltwoche praktisch ganz aus der digitalen Welt raus. Es sieht ganz so aus, als ob Herr Köppel aus seiner Not eine Tugend macht, gibt er doch zu, von den neuen Medien nichts zu verstehen.

Reto Stauffacher 26. November 2011, 15:04

Was will eine Weltwoche im Netz? Ich finde den Ansatz absolut positiv, vor allem in Zeiten des www-Hypes: Wer uns lesen will, der soll uns kaufen… Das TA-Magazin geht übrigens denselben Weg!

Roman Rey 27. November 2011, 14:08

@Reto Stauffacher: Das Internet ist also ein Hype? In Wahrheit surft kaum jemand im WWW, schon gar auf Newsseiten? Interessante Ansicht. Wäre das nicht eine Titelgeschichte für die Weltwoche? 🙂

Ronnie Grob 26. November 2011, 17:54

@Reto Stauffacher: Das Problem ist aber, dass sich die Gewohnheiten der Menschen ändern und sie mehr und mehr online, auch mobil, lesen. Ausserdem ist der Onlinejournalismus dem Printjournalismus von seinen Möglichkeiten her weit überlegen. Wer glaubt, das www sei ein „Hype“, soll das ruhig glauben. Wir sprechen uns dann in ein paar Jahren wieder.

Reto Stauffacher 28. November 2011, 10:13

Vorab: Ich bin kein WeWo-Journi (das wäre aber sicherlich gut bezahlt ;)) Und: Hype war ein grosses Wort, dafür entschuldige mich, Twitter ist ein Hype… Aber: Was ich eigentlich sagen wollte, ist: Qualitätstitel wie Weltwoche, Magazin oder Spiegel haben keinen Grund, ihre Magazin-Inhalte gratis online zur Verfügung zu stellen. Ich teile in dieser Hinsicht die Meinung von Köppel: Eine Weltwoche tut gut daran, sich auf die „Kernkompetenz“ zu konzentrieren. Und das ist auch in www-Zeiten das Journalistische. Das Internet ist ein Verbreitungskanal, auf den man unter Umständen verzichten kann… Klar ist das mustig und vielleicht etwas naiv, aber sollte nicht gelten: Lieber keinen Web-Auftritt als einen schlechten?

Clyde Burke 26. November 2011, 14:26

Zu diesem Interview kann ich nur sagen: Gut gibt es die Weltwoche.
Köppel muss man nicht lieben, nur lesen.