von Stephanie Rebonati

Das Frischfleisch bilanziert

Am 14. Oktober erhielten 99 junge Menschen in Winterthur ein weisses Couvert in die Hand gedrückt. Es wurde gelächelt, geknipst und geklatscht. Im Umschlag eine Diplomurkunde: «Bachelor of Arts ZFH in Kommunikation».
45 Studierende des Instituts für Angewandte Medienwissenschaft IAM schlossen mit der Vertiefung Journalismus und 54 in Organisationskommunikation ab. Dann wurde das Frischfleisch auf den Markt geworfen. Und jetzt? Neun Absolventinnen und Absolventen schauen auf die Ausbildung zurück – mit gemischten Gefühlen. Zwei würden das Studium nicht mehr wählen.

Moritz Kaufmann (25), Basel-Stadt Redaktor Basellandschaftliche Zeitung

«Das IAM ist in der Praxis sehr gut vernetzt und bietet deshalb spannenden Unterricht mit kompetenten Coaches. Es fördert auch den Austausch mit Hochschulen im Ausland. In gewissen Punkten besteht aber auch Verbesserungspotential. Das IAM bemüht sich, am Puls der Zeit zu bleiben, aber schafft es nicht ganz. Etwa im Online-Bereich. Ich hätte gerne gelernt, wie man Infografiken programmiert und Websites bearbeitet. Stichwort Social Media. Warum haben wir nie Blogs geführt? Das IAM ist ausserdem zu nett zu den Studenten. Französisch kann man mit Englisch kompensieren, was man dann wieder mit Deutsch kompensieren kann. So kommen trotz Assessment und vielen Prüfungen einige Studenten durch, die den Ansprüchen nicht gerecht werden. Es müsste so sein: Besteht man eine Prüfung nicht, schreibt man die Nachprüfung. Besteht man diese, kommt man weiter. Wenn nicht, dann halt basta.»

Noemi Fraefel (24) Beraterin, Werbeagentur Hochspannung

«Dank dem IAM kann ich Konzepte schreiben, kenne spezifische Begriffe und die Hintergründe und Funktionsweisen von Kommunikation, Zielgruppen, Botschaften, Message Design. Die Praktika im zweiten Studienjahr ermöglichen den praktischen Einblick und die Chance, Profis und Firmen kennenzulernen. Das haben viele strategisch genutzt, Networking halt. Vieles lerne ich aber erst on the job: Projekte planen, umsetzen und koordinieren. Mein Verdikt lautet so: Das IAM bietet eine gute Basis für das Berufsfeld Kommunikation, der Sprachunterricht muss revidiert und in einigen Vorlesungen muss ein Computerverbot eingeführt werden. Ausserdem hätte ich mir von Seiten der Dozenten gewünscht, dass stärker zur Diskussion und Partizipation aufgerufen worden wäre.»

Lukas Langhart (22), Bachelor-Student, Betriebswirtschaft Universität Bern

«Noch vor dem Abschluss entschied ich mich gegen den Einstieg in den Journalismus. Zumindest für den Moment. Im September begann ich ein zweites Bachelor-Studium: Wirtschaft mit Schwerpunkt Betriebswirtschaft, im Nebenfach Germanistik. Wieso? Weil es in meinem Kopf noch Platz hat. Stünde ich mit dem heutigen Wissen nochmals vor der Wahl, würde ich mich nicht mehr für das IAM entscheiden, sondern direkt an die Universität gehen. Das IAM sollte meiner Meinung nach von Beginn weg rigoroser filtern und dürfte Leuten, denen es an Sprach- und Kommunikationskompetenz mangelt, keinen «BA in Kommunikation» verleihen. Mindestens zehn Prozent der Absolventen sind nicht für diese Branche gemacht und werden dies – trotz Diplom – irgendwann frustriert feststellen. Oder noch schlimmer: genau das von ihren Vorgesetzten hören. Ein grosses Manko der Ausbildung ist das Fehlen eines Fachs «Journalismusgeschichte». Ich behaupte, dass vier von fünf IAM-Absolventen nicht wissen, worum es beim Watergate-Skandal ging, wer Günter Wallraff ist oder welchen politischen Zickzackkurs die grösste Schweizer Abonnementszeitung «Blick» in den vergangenen Jahrzehnten erlebt hat. Kurz: Wo eine Begabung vorhanden ist, wird diese vom IAM entdeckt und gefördert. Aber: Fachwissen und Berufsverständnis vermittelt das IAM praktisch keines.»

Martina Zürcher (31), Geschäftsführerin, Hilfswerk Bayasgalant

«Nach meiner Lehre zur Floristin und sechs Jahren beim Radio Canal3 entschied ich mich, zu studieren – mit Erfolg: Was ich am IAM gelernt habe, kann ich heute anwenden. Ich bin Geschäftsführerin von Bayasgalant, meiner selbst aufgebauten Hilfsorganisation für Strassenkinder in der Mongolei. Ich habe die Vertiefung Organisationskommunikation gewählt, um in Sachen Kommunikationsmassnahmen und Medienarbeit selbstständig für Bayasgalant arbeiten zu können. Und das mache ich jetzt zu etwa 80 Prozent, verdiene aber nur 40 Prozent, weswegen ich nebenbei noch in einer Bar jobbe. Rückblickend muss ich feststellen, dass das IAM im Fremdsprachenunterricht versagt hat. Kläglich irgendwie. Es wäre besser, wenn man innerhalb des Studiums Sprachdiplome absolvieren müsste. Nicht nur Prüfungen, die man mit anderen Fächern bis zum Umfallen kompensieren kann. Das macht den Menschen berechnend und faul. Und solche Leute braucht die Kommunikationsbranche nicht»

Stephan Liniger (25) Sportredaktor, Teleclub

«Vor und während dem Studium habe ich regelmässig fürs Radio und Fernsehen gearbeitet. Zuerst für Radio Energy Zürich und für das Schweizer Sporfernsehen, danach beim Pay-TV-Sender Teleclub Sport. Als ich mich im fünften Semester zwischen den Vertiefungen Journalismus und Organisationskommunikation entscheiden musste, wählte ich Letzteres, die PR. Ein strategischer Schachzug. Mit den Inhalten der Journalismusvorlesungen konnte ich ohnehin wenig anfangen, die Kommunikation interessierte mich mehr. Ich legte mir folgenden Plan zurecht: Journalismus auf die praktische Art on the job erlernen und PR theoretisch am IAM. So habe ich beides. Doppelt gemoppelt. Das Studium würde ich aber trotzdem nicht wieder machen. Eher ein themenspezifisches wie Jura oder Wirtschaft. Auch so kommt man in den Journalismus, und erst noch mit zusätzlichem Fachwissen.»

Jennifer Zimmermann (25) Praktikantin, Migros Genossenschaftsbund

«Ich habe am IAM studiert, da ich mit dem Gedanken spielte, Journalistin zu werden. Nebenher habe ich als Freie in verschiedenen Print-Medien publiziert. Abgeschlossen habe ich denn auch mit der Vertiefung Journalismus. Und jetzt mache ich ein achtmonatiges Praktikum in der Kommunikation. Dies, weil mich die PR sehr reizt und ich mehr erfahren möchte – auf dem praktischen Weg halt. Was mir noch Mühe bereitet, ist das werberische Schreiben. Was ich aber gut anwenden kann, ist die Schreibroutine, die ich mir durch das IAM angeeignet habe. Was das IAM jedoch unter Englisch- und Französischunterricht versteht, reicht für den Arbeitsmarkt nicht aus. Der Fremdsprachenunterricht sollte in Niveauklassen unterteilt werden, sodass alle was vom Kuchen abbekommen.»

Daniel Ochs (25), Praktikant, Kommunikation Soziale Dienste der Stadt Zürich

«Theorien, die mir im Studium als trockene Materie erschienen, machen nun plötzlich Sinn. Das ist befriedigend und beruhigend. Schreibstrategien, die uns in der Medienlinguistik vermittelt wurden, sind goldig. Auch die Vertiefung in der Organisationskommunikation war ergiebig: Fachwissen und Übungen zu Corporate Identity, Corporate Design und Medienarbeit haben meinen Werkzeugkasten gut ausgestattet. Am IAM habe ich gelernt, Prioritäten zu setzen und diese einzuhalten. Was ich nicht gelernt habe: IT und Online-Kommunikation. Wer heute in der Kommunikation arbeiten will, muss ein CMS beherrschen oder zumindest gängige Standardprogramme wie Typo 3 oder CQ5 kennen. Auch im Bereich der graphischen Grundlagen und Fotografie sollte sich das IAM verbessern. Ausserdem sollten unnötige Fächer gekürzt oder gar weglassen werden – Kultur, Englisch und Französisch etwa.»

Florence Fischer (27), Nachrichtenmoderatorin, Tele Top und Redaktorin, DRS 3

«Ich würde das Studium wieder machen. Ich würde es gar bewusster machen. Nur allzu oft habe ich mir den Stoff kurzum in den Kopf gedrückt, um ihn nach der Prüfung wieder zu vergessen. So ist das als Student. Dies bedeutet aber nicht, dass das Studium nicht nachhaltig war. Ich habe viel Anwendbares puncto Präsentationen, Präsenz, Stimme, Körpersprache und Feedback-Kultur gelernt. Das kann ich heute als Moderatorin nutzen. Dank Vorlesungen wie Journalistik und Medienlinguistik wird man sich der Verantwortung bewusst, die man als Journalistin hat. Doch die vielen Seminararbeiten waren für die Katz. Da musste man sich um zig Themen kümmern, sodass eine Vertiefung unmöglich war. Ähnlich bedauerlich ist das: Innert kürzester Zeit bedeutende Theorien und Philosophien abhandeln, content droping quasi. Darf man das?»

Stephanie Rebonati (23), Master-Studentin, Zürcher Hochschule der Künste

«Journalistin zu werden, war schon immer mein Plan. So absolvierte ich nach dem Gymnasium ein Praktikum bei einem Magazin. Dort hatten wir mal eine Praktikantin, die im Praxissemester des IAM bei uns war. Cool, dachte ich mir. Ein Studium, das seine Leute ein Semester lang in die reale Welt schickt. Da will ich hin und da ging ich hin. Am IAM habe ich gelernt wie Journalismus und Public Relations in Wechselwirkung zueinander stehen und wie das Schweizer Mediensystem funktioniert – theoretisch, wirtschaftlich und juristisch. Historisch wurde zu wenig vermittelt und für wissenschaftliche Abstrakta zu viel Zeit vergeudet. Doch die Workshops mit namhaften Journalisten wie Barbara Lukesch, Kurt Brandenberger und andere waren für mich wegweisend. Derart wegweisend, dass ich noch vor Abschluss wusste, dass ich mehr lernen wollte, um meine Ziele zu erreichen. Ich erfuhr vom Master of Arts in Art Education mit der Vertiefung publizieren und vermitteln an der Zürcher Hochschule der Künste. Ich las Kunst, Kultur, Reflexion, Manfred Papst und ich kreischte: Ja, ich will! Nun bin ich glücklich an der ZHDK und schätze die Ausbildung, die ich am IAM erhalten habe. Sie ist solider Boden, auf dem ich jetzt meine Kunst-Kultur-Schlösser bauen kann.»

Leserbeiträge

bugsierer 01. Dezember 2011, 18:45

spannende insights, danke. mich wuerde noch wunder nehmen, was die ZFH dazu sagt.

bedenklich und irgendwie typisch finde ich die klage ueber das offensichtlich mangelhafte „online“ angebot in dieser ausbildung. zumindest in den bildungsinstitutionen haette man schon vor jahren auf die online entwicklung reagieren sollen. warum das nicht geschehen ist, gaebe stoff fuer buecher, diplomarbeiten und andere studien… -;)

Fabian Vogt 02. Dezember 2011, 12:55

Danke für den Artikel, geiler Titel 😀
Schliesse mich besonders der Aussage von Lukas bzgl. fehlender JO-Geschichte an.

Aber auffallend ist doch, dass hier einige den Sinn der Fremdsprachenkurse scheinbar nicht verstanden haben: Weder im Fach Franz noch im Englisch ging es darum, aus den Studierenden Bi- oder Trilingualisten zu machen und das waren deshalb auch nicht die Anforderungen an die Studenten. Denn wer nicht mit den Fremdsprachen aufgewachsen ist oder sich andersweitig auf ein sehr hohes Level gebracht hat, wird ohnehin nie für französische oder englische Medien schreiben oder internationalen Unternehmen den Sprecher geben. Der Sinn der Sprachfächer war vielmehr, dass die Journalisten in der Lage sein sollten, Interviews zu führen und die Antworten zu verstehen und die OK-Leute ihre paar Standardsätze fehlerfrei vortragen können – und diese Aufgabe hat der Lehrplan meiner Meinung nach erfüllt – sogar ich bin dank dem IAM in der Lage, Interviews auf französisch oder franz. Recherchen durchzuführen, dann schaffen es wohl alle. Wer sprachaffiner werden wollte, hätte Übersetzer studieren sollen (oder halt, was viele getan haben, einen Sprachaufenthalt belegen sollen).

Dass die Kompensation in den Sprachfächern vielen Sprachschwachen den Abschluss erst ermöglichte, ist, wenn wir ehrlich sind, für diejenigen die in den Fremdsprachen stärker sind ja auch nur ein Problem, weil dadurch die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt grösser wird. Aber hey, wenn die Fremdsprachen wirklich so wichtig sind, stecht ihr die anderen ja sowieso alle aus..

Wesentlich problematischer finde ich allerdings, dass Leute, die ausgewiesenermassen über eher schwache Sozialkompetenzen verfügen, das Studium abschliessen konnten, ist dieser Skill in Kommunikationsberufen doch noch wichtiger als die Sprache selbst. Man sieht also: Jeder versucht immer in den Bereichen Profit herauszuholen, wo er ohnehin schon gut ist, um sich selbst in ein besseres Licht zu rücken. Aber das ist wohl nur menschlich, darum sollte man es auch nicht zu eng sehen und leben und leben lassen – aber nicht das IAM verantwortlich machen 🙂

Wünsche auf diesem Weg nochmals allen JO08lern einen guten Einstieg ins Berufsleben oder viel Spass beim Weiterstudieren. Und möged ihr alle erfolgreich sein auf eurem weiteren Lebensweg, es sei euch gegönnt!

M. 02. Dezember 2011, 17:59

Lukas‘ Kommentar entspricht am ehesten meinem Eindruck. Zufügen würde ich dem, dass auch der Wirtschaftsunterricht – wenngleich von einem hervorragenden Dozenten gehalten – auf einem derart tiefen Niveau war, dass es mir Angst und Bange wird, wenn solche Leute mich über das Weltgeschehen informieren sollten. Das tiefe Klassenniveau war wohlgemerkt nicht das Problem des Dozenten, sonder der Studierenden. Schade, dass auch gute Schüler gezwungen wurden, den für sie nichtsbringenden Fremdsprachenunterricht zu besuchen.

Die Frage an Florence – wann wurden Philosophien jeglicher Art behandelt? Da habe ich nichts davon mitbekommen. Ein Diskurs über ethische oder moralische Gesichtspunkte fand – zumindest während meiner Anwesenheit – nicht statt. Ein geradliniges Denken das keinerlei Kreativität fördert wird vom IAM bevorzugt.

Interessieren würden mich ja nach wie vor die Aufnahmekriterien… Werden diese wenigstens mit den Abschlüssen verglichen?

Oliver B. 03. Dezember 2011, 12:04

Gewisse Studis hier haben ihr Organisationskommunikations-Studium wohl ganz klar mit einem Übersetzungs-Studium verwechselt – oder haben schlichtweg Angst, durch die so grössere Konkurrenz sich selbst nicht mehr behaupten zu können…

Desi 19. Dezember 2011, 13:53

Ich werde nächsten Sommer mein Studium mit Vertiefung OK abschliessen.
Aktuell mache ich ein Auslandsemester und bin wurde dafür vom IAM wunderbar unterstützt. Jedoch muss ich auchganz klar sagen, dass der Fremdsprachenuterricht Verbesserungspotential hat. Mein Niveau hat sich in den letzten 2.5 Jahren deutlich verschlechtert, insbesondere im Englisch. Aber es würde mir und jedem aderen Studenten ja freistehen, mein Wissen selbstständig zu vertiefen oder erweitern.
Ausserdem sind sie deutlich zu viele inkompetente Studenten im Studiengang, die schon nach dem ersten Jahr hätten durchfallen sollen. Dies schmälert das Unterrichtsniveau in den kommenden Semestern und das Ansehen des Abschlusses.
Dennoch bin ich überzeugt, dass das IAM eine gute Kombination aus Praxis, Journalismus, Organisationskommunikation und Medienwelt bietet.

Stephan Pruss 30. März 2012, 17:07

Von den Zürcher Publizistik- und Medienstudenten gibt es jetzt auch neue Erkenntnisse über ihren Weg nach dem Studium.