von Ronnie Grob

Lindenstrasse und Lückenfüller

Der DRS-1-«Treffpunkt»: Moderator Dani Fohrler widmet sich mit Hilfe des Lindenstrassen-Fanclubs, einer Medienwissenschaftlerin, einem Drehbuchautor und drei Zuhörern zwei Stunden lang Fernsehserien, die auch DRS-1-Hörer interessieren könnten.

Noch vor ein paar Jahrzehnten steckten Serien ganz tief in der Trashkiste. Wer etwas auf sich hielt, las ein Buch oder schaute sich Filme an, im Kino. Heute zeigt sich die Begeisterung des Publikums für Serien in den Einschaltquoten, den DVD-Verkäufen, den Up- und Downloads, den Tischgesprächen. Auch wenn sie in der medialen Rezeption kaum vorkommen. Die zweistündige «Treffpunkt»-Sendung zum Thema «Meine liebste Fernsehserie» versuchte herauszufinden, wer Serien schaut und warum.

Nachdem Moderator Dani Fohrler die Medienwissenschaftlerin Ursula Ganz-Blättler ein paar Mal Barbara Ganz-Blättler nennt, muss er kurz vor Ende der zweistündigen Sendung zwei dringende Verkehrsmeldungen verlesen. Und dann will er zu dem kommen, was er den «Höhepunkt» der Sendung nennt: Die Auswertung der Online-Umfrage auf drs1.ch, die eine Antwort auf die Frage «Welches ist Ihre liebste TV-Serie?» einfordert. Fohrler wundert sich, dass «Mein cooler Onkel Charlie», wie die US-Sitcom «Two and a Half Men» in hiesigen Programmen unpassenderweise heisst, beim DRS-1-Publikum auf Rang 3 abgeschnitten hat. Nun ja, es könnte an den drei oder vier Stimmen liegen, die ich trotz eingebauten Cookie-Schutz dafür abgeben konnte. «Gewonnen» hat die sinnlose Umfrage die ARD-Serie Lindenstrasse vor der ZDF-Serie «Ein Fall für zwei». Da half es auch nichts, dass der Serienmontag auf SF2 mit den ebenfalls zur Auswahl stehenden «Grey’s Anatomy» und «Dr. House» mehrfach positiv angesprochen wurde.

Die Umfrage nimmt viel Zeit ein, Fohrler spricht sie in den zwei Stunden mindestens fünf mal an. Vielleicht versteht er darunter die viel gepriesene Konvergenz zwischen Radio und Online. Doch eigentlich ist sie nicht mehr als ein Lückenfüller, wie auch die Marotte, vor jedem Musikstück anzukündigen, was nach dem Musikstück zu hören sein wird, «grad i wenige Augeblick». Diese Zeit könnte man genau so gut mit Musik füllen. Oder noch besser mit Inhalten.

Ein Sender wie Deutschlandfunk hat jedenfalls keine Mühe, sich einem Thema zwei Stunden lang nur mit Worten zu widmen. Dass man das dem gemeinen DRS-1-Hörer nicht zumuten mag, ist verständlich, aber Pseudoinhalte braucht auch der keine. Als Musik zwischen den Textbeiträgen läuft, was vor mehr als 20 Jahren mal hippe Musik auf DRS3 war und heute das Rauschen der sogenannten Evergreens. Nacheinander gespielt werden: Dexys Midnight Runners, Rod Stewart, Bryan Adams, F.R. David.

Dani Fohrler meistert seine Moderationsaufgabe aber sehr gut. Er ist engagiert, fast schon aufgedreht und bringt tatsächlich Schwung in die Sendung. Etwas mühsam ist, wie er mit den Fans der Lindenstrasse, die einen guten Teil der Sendung einnimmt, umgeht. Markus Rickli und Barbara Knoch, zwei Mitglieder aus einem Fanclub zur deutschen Serie (listra-fanclub.ch), werden von ihm mehrfach darauf hingewiesen, was es doch für ein Highlight gewesen sein muss, als sie in Köln den Stars der Sendung nahe sein konnten – was die beiden bedeutend unaufgeregter sehen. Die fahren nämlich alle paar Jahre mal nach Köln. Barbara Knoch fand es zwar schön, die Schauspieler zu sehen und von «Mutter Beimer» Marie-Luise Marjan manchen Schwank aus ihrem Leben erzählt zu kriegen. Allerdings war sie auch etwas enttäuscht, «weil alles sehr klein ist, weil alles nur Attrappe ist und weil so viele Scheinwerfer da sind».

Weiter zu Wort kommt Michael Meisheit, der seit 15 Jahren Lindenstrasse-Drehbücher schreibt («Wir entwickeln das Drehbuch meist ein, eineinhalb Jahre im Voraus»), Werner Messmer, der für SRF Serien einkauft («Das ein Teamwork von Redaktoren und der Programmleitung, ein aufwändiger Aushandlungsprozess, die oberste Geschäftsleitung redet auch ein Wörtchen mit») und eben Ursula Ganz-Blättler, Dozentin für Medienwissenschaft an der Uni St. Gallen («Etwas wie Dexter hätte es vor 20 bis 30 Jahren nicht gegeben»).

Während man sich die Online-Umfrage hätte sparen müssen, ist der Einbezug des Publikums zu Beginn der Sendung ein Gewinn. Drei Hörer sind live in der Sendung: Eine gesteht, wie sie «Wege zum Glück» fast in die Sucht getrieben habe und wie sie sonnige Tage drinnen verbrachte und sich vorzeitig von ihrem Jass-Chränzli verabschiedete, um keine Folge zu verpassen – nun will sie keine neue Serie mehr anfangen. Ein anderer Hörer hat seit «Dallas» und «Denver-Clan» nichts mehr richtig gepackt. Und für einen weiteren wird Lindenstrasse zu einer ungünstigen Zeit gesendet, weil dann nämlich das Abendessen stattfindet.

«Meine liebste Fernsehserie» vom 24. April 2012, 9 bis 11 Uhr, Radio DRS1.