von Marcel Bernet

Die grosse Vertrauenskrise

Fast die Hälfte der US-Amerikaner vertraut den Medien nicht mehr: 44 Prozent der Bevölkerung halten die führenden News-Organisationen für unglaubwürdig. Vor zehn Jahren waren es erst 30 Prozent. Was heisst das für den Journalismus?

Ein Gastbeitrag aus dem bernetblog.ch

Auch wenn in den USA vieles anders ist – und während des Wahlkampfs erst recht Ausnahmezustand herrscht: Der Blick ins grosse Medienland liefert wertvolle Inputs dazu, wie Leser Quellen beurteilen. Das Pew Research Center for the People & the Press hat die jährliche Glaubwürdigkeits-Messung 1996 von Times Mirror übernommen. Im Juli fanden 1001 Telefon-Interviews statt mit einer repräsentativen Stichprobe von über 18-jährigen, auf dem amerikanischen Festland lebenden Personen.

Die Werte wirken wie ein Scherbengericht über die wichtigsten dreizehn US-amerikanischen Medienhäuser. Die Befragten durften ihr Verdikt mit 1 bis 4 Punkten aussprechen. Mit 3 und 4 liegt die Quelle im positiven, glaubwürdigen Bereich, bei 1 und 2 wird sie als negativ, unglaubwürdig eingestuft. Die Kurve zeigt seit 2002 klar nach unten, mit einer leichten Änderungsrichtung vor vier Jahren. Das ist ein hartes Urteil für alle grossen amerikanischen Zeitungen, TV- und Radio-Stationen. Zwölf wurden erfasst, dazu generisch die «Zeitung, die man am besten kennt».

Am positivsten beurteilt werden lokale Fernsehnachrichten, vor der TV-Hintergrundsendung «60 Minutes». Mit etwas Abstand folgen gleichauf ABC News, Wall Street Journal, CNN, CBS News und die persönliche Tageszeitung. Auf den Schlussplatz verwiesen werden MSNBC, New York Times, Fox News und USA Today.

Pew listet auch die Zehnjahres-Entwicklung aller erhobenen Quellen. Abwärts gehts bei allen, etwas flacher wandern die Kurven bei der «Tageszeitung, die man am besten kennt», dem National Public Radio und bei den lokalen TV-News.

Wenn nur noch die Hälfte der US-Amerikaner der New York Times vertrauen – läutet dann schon leise die Totenglocke für den Journalismus? Oder ist es einfach gesunder Menschenverstand, eine abgeklärte kritische Haltung gegenüber jeder Quelle? Ein Vergleich mit der ebenfalls von Pew vor einem Jahr publizierten, breiteren «Views of the News Media» deutet in diese Richtung: Medien sind immer noch am glaubwürdigsten, vor allem im lokalen Bereich. Unternehmens-News schenken gerade 41 Prozent Vertrauen, Wahlkampf-Kandidaten sitzen auf der roten Schlusslaterne. Dort wäre dann in diesem Jahr auch Barack Obama zu finden. Kein Wunder bei der Härte, mit welcher im Wahlkampf angegriffen wird.

Also, wir Leser werden einfach von Jahr zu Jahr abgeklärter und abgebrühter. Wir wissen, dass alle Quellen ihre Informationen mit Eigeninteresse absetzen, verdeckt oder offen. Und trotzdem bleibt Glaubwürdigkeit die stärkste Währung für jede journalistische Marke. Artikel müssen gut recherchiert sein, Korrigenda sind zu vermeiden, Quellen gehören abgesichert. Ausser, man ist ein Meinungsblatt, das von einer einseitig orientierten Anhängerschaft lebt – da kann die tendenziöse Berichterstattung mehr Leser fesseln, als ein breit recherchierter Artikel.

Womit wir beim Grundproblem von Glaubwürdigkeit und Qualität sind: Der Betrachter entscheidet. Medien müssen sich überlegen, wie sie sich positionieren wollen im Kampf um den ersten Klick, mehr Abonnenten oder die höchste Paywall.

Wir PR-Profis leisten unseren Beitrag zu glaubwürdigen Medien, wenn wir keine Hunderternoten in Couverts stecken und Advertorials als solche kennzeichnen lassen. Und von diesem Beitrag werden wir auf lange Sicht selbst profitieren.