von Nick Lüthi

Der digitale Vollversorger

Mit einer neuen Unternehmensstrategie unterstreicht die SRG ihre umfassenden Ambitionen als Multimediahaus. Von einer vergrösserten Gesamtreichweite bis zur starken Präsenz in sozialen Netzwerken schreibt das Dokument zahlreiche strategische Ziele bis ins Detail fest. Wenig Freude daran dürften die Verleger haben, die wohl vergeblich hoffen, die SRG im Internet zurückbinden zu können.

Mit der neuen Unternehmensstrategie dokumentiert die SRG erstmals umfassend ihr Selbstverständnis in einem veränderten Medienumfeld: Der gebührenfinanzierte Rundfunk versteht sich als digitaler Vollversorger für die gesamte Bevölkerung, wobei auch künftig der Schwerpunkt auf einem audiovisuellen Angebot liegen soll. Doch Radio und Fernsehen lassen sich heute nicht mehr ohne das Internet denken. Deshalb «mutiert die SRG vom herkömmlichen Radio- und Fernsehhaus zum Service-public-Multimediahaus».

Ganz neu ist das alles freilich nicht. Vieles davon hat sich in den letzten Jahren bereits als Praxis bei Programm und Personal etabliert: Sei es der Anspruch, eine «qualité populaire» mit hohem Schweizbezug zu bieten, oder konvergent zu arbeiten in den Redaktionen; der haushälterische Ressourceneinsatz gehört zu den betriebswirtschaftlichen Selbstverständlichkeiten.

Was auf den ersten Blick banal und bekannt erscheint, zeigt in den Details eine neue Qualität. Die SRG setzt zwar nicht zum grossen Sprung nach vorn an, aber sie geht in die Offensive. Am deutlichsten manifestiert sich das im strategischen Ziel, das Publikum zu vergrössern und so die Gesamtreichweite auszudehnen. Für ein Service-public-Unternehmen, das von den Gebührenzahlern lebt, ist das ein legitimer und lebensnotwendiger Anspruch. Allerdings bedeutet das zwangsläufig eine forcierte Konkurrenz mit privaten Medienunternehmen. Denn die Umsetzung der Strategie bedeutet letztendlich einen massiven Ausbau im Netz. Und dort stehen sich die öffentlichen und privaten Konkurrenten im Abstand eines Mausklicks gegenüber. Hier steckt medienpolitischer Zündstoff in der Unternehmensstrategie.

Hintergrund ist der nach wie vor ungelöste Streit mit den Verlegern um die Grenzen der Online-Aktivitäten SRG. Iso Rechsteiner versucht zu beruhigen: «Die Strategie entspricht genau dem, was die privaten Medienhäuser sich wünschen: Dass der Schuster bei seinem Leisten bleibt.» Der Leiter Unternehmenskommunikation und als Verantwortlicher Public Affairs so etwas wie der Chefdiplomat der SRG, präzisiert das so: «Zeitungsähnliche Produkte im Internet interessieren die SRG nicht. Deshalb hält die Strategie auch fest, dass Texte ’sinn- und massvoll eingesetzt‘ werden sollen.»

Diese Formulierung reiht sich in die Tradition der bewusst schwammig gehaltenen Selbstbeschränkungen für die Online-Aktivitäten ein. In schlechter Erinnerung bleiben der legendäre «Added Value» und ebenso die aktuelle Leerformel mit dem geforderten «Sendungsbezug» für Beiträge auf den Websites. Neu kommt der «sinn- und massvolle» Einsatz von Textbeiträgen im Netz dazu. Sinnvoll ist schliesslich immer das, was die SRG für sinnvoll hält und massvoll ebenfalls.

Wenn die SRG keine «zeitungsähnlichen Produkte» anbieten will, dann klingt das zuerst einmal nach Verzicht; ist es aber nicht. Selbstverständlich wird die SRG nie eine elektronische Zeitung herausgeben. Bild, Ton, Bewegtbild spielen bei einem audio-visuellen Medium immer eine zentrale Rolle. Ob die Texte nun 1000 oder 5000 Zeichen lang sind, macht keinen Unterschied. Der Attraktivität eines Nachrichtenangebots tut es keinen Abbruch, wenn die Texte kurz sind.

Für die Verleger ist die Zeichenbeschränkung weiterhin eine der zentralen Forderungen an die SRG im Online-Streit. Doch damit wird nichts gelöst und die SRG deshalb im Netz nicht weniger attraktiv. Wie man es dreht und wendet: Mit der forcierten Online-Strategie geht die SRG auf Konfliktkurs, nicht willentlich, aber unvermeidlich. Wenn zudem die «Erschliessung neuer Einnahmequellen» als strategisches Ziel definiert wird, dann müsse bei den Verlegern die Alarmglocken schrillen: Neben der Forderung nach Online-Werbung will die SRG nun auch noch in weiteren Marktfeldern der privaten Konkurrenz nahe treten. SRG-Generaldirektor Roger de Weck scheint sich der Brisanz dieser Forderung bewusst zu sein. Im Interview mit der NZZ versucht er zu beschwichtigen, wenn er sagt, man habe nichts «Spektakuläres» vor.

Die SRG hat im Konflikt mit den Verlegern wieder vorgelegt und als erste Partei ihr Gewicht in die Waagschale geworfen. Nun sind die Verleger am Zug. Doch diese halten sich noch bedeckt. Urs F. Meyer, Geschäftsführer des Verbands Schweizer Medien, sagt auf Anfrage, er habe noch keine Zeit gefunden, die Unternehmensstrategie der SRG zu analysieren. Er wolle sich deshalb jetzt noch nicht öffentlich dazu äussern. Das Verbandspräsidium trifft sich das nächste Mal Mitte November und werde dann «seine Beurteilung festhalten», teilt Meyer mit.

Wenn Private und SRG keine Einigung finden, wovon auszugehen ist, muss die Politik wieder regulierend eingreifen. Der jüngste Bundesratsentscheid zur Online-Werbung stützt den Kurs der SRG und kommt den Verlegern nur wenig entgegen. Vor diesem Hintergrund kann die neue Unternehmensstrategie der SRG auch als Ausdruck einer politisch gewollten Medienordnung gesehen werden, mit einem multimedialen Service-public, der sich nahezu nach Belieben ausbreiten darf und soll.

Leserbeiträge

Vinzenz Wyss 20. Oktober 2012, 11:50

Gute Analyse! Die SRG Strategie wird den Konflikt mit den Verlegern noch verschärfen. Dass jedoch die SRG nicht ausserhalb vom Netz operieren kann, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Sie tut es schon. Drum muss die Frage lauten, was der Schweizer Gesellschaft dient. Vom Bürger und Publikum aus gedacht, ist die Koperation mit den Verlegern ein sinnvoller Weg. Davon solten die privaten Medienorganisationen profitieren können. Sie sollten diesbezügliche Anforderungen formulieren und sich nicht auf der Position versteifen, selbstmörderische Zurückhaltung des öffentlichen Rundfunks zu fordern.