von Markus Schär

Vergesst Stilnoten, Trefferpunkte zählen!

Constantin Seibt bot jüngst mit seiner fulminanten Rede gegen Weltwoche und Basler Zeitung bestes Anschauungsmaterial dafür, dass es Journalisten braucht, die mit unbequemen Fakten und Thesen zum Widerspruch herausfordern. Anders als Seibt es wahrhaben will, tragen auch die kritisierten Blätter zum publizistischen Wettbewerb bei. Wer sie als «Anti-Mainstream» abtut, macht es sich zu einfach. – Anmerkungen eines Betroffenen.

«Zwei Standpunkte, zwei Meinungen, zwei Welten» kollidieren jeden Montagabend auf Radio 1: Bei «Roger gegen Roger» duellieren sich Köppel und Schawinski auf Augenhöhe und öfter mal unter der Gürtellinie, sodass es für ein harmoniebedürftiges Thurgauer Gemüt kaum zum Aushalten ist. Wer den Fight gewinnt, kann jeder selber entscheiden; die Funken, die im Clash der Fakten, Argumente und, ja, Welten sprühen, erhellen aber alle mit ein bisschen Erkenntnisgewinn. «Roger gegen Roger» ist deshalb – wie einst die «Arena» mit «Peter (Bodenmann) gegen Christoph (Blocher)» – das derzeit wichtigste und wertvollste Gefäss des Schweizer Politjournalismus.

Zwei Welten prallten auch zusammen, als die Medienvielfalt Holding letzten Freitag zum Podium bat. Über «Die Rolle der Medien in der Demokratie» sprachen der SRF-Direktor, der NZZ-Chefredaktor und der Weltwoche-Verleger; Medienprofessor Vinzenz Wyss höhnte angesichts dieser Top-Besetzung aus Gründen, die sich nur ihm erschliessen, über eine «dubiose Veranstaltung». Und Tito Tettamanti, der für seine Bücher und Tagungen seit je die stärksten Köpfe aus dem ganzen Spektrum sucht, stellte auch den schärfsten Kritiker aufs Podest: Constantin Seibt bot brav, was von ihm zu erwarten war – eine brillante Rede, mit der er die Gastgeber frontal angriff.

Tettamanti, wie ich ihn (flüchtig) kenne, auch Köppel und Somm, wiewohl als «Prediger» verhöhnt, freuten sich vermutlich, dass ihnen der Sohn eines Unternehmensberaters Denkanstösse zur Profitmaximierung in Politik und Publizistik gab: Über die Mittel und die Methoden, wie sie Meinungsvielfalt herstellen oder auch nur ihre Meinung verbreiten wollen, müssen sie wirklich nachdenken. Dass sie ein Problem haben, wissen sie selber wohl am besten.

Dieses Problem zeigten gerade die Reaktionen auf die Provokation. Dass laut Vinzenz Wyss «betretenes Schweigen» und «dicke Luft» herrschten, kann zwar auch an seiner Wahrnehmung liegen: Die Medienprofessoren wünschen sich den demokratischen Streit ja möglichst dezent. Und wer, bitte, hätte spontan bei dieser Breitseite dagegenhalten können? Dass die NZZ den Clash nur als «Hahnenkampf» und als «Gezänk zwischen Selbstgerechten» würdigen konnte, stimmt dagegen nachdenklich. Und was «eine bekannte, politisch und wirtschaftlich gutfreisinnig vernetzte Frau» bei der Rede von Seibt ihrem Tischnachbarn ins Ohr flüsterte, sodass es die Tageswoche mitbekam, beleidigt die Gastgeber in ihrer Liberalität: «Der ist aber wahnsinnig mutig.»

Vor allem: Über diesen wahnsinnigen Mut, dass er es ihnen gesagt hatte, brach auf Twitter und Facebook der Jubel aus – am lautesten von jenen Leuten, die die Weltwoche jüngst als Inquisition verdammten, weil sie zu ein paar unfehlbaren Professoren Fragen zu stellen wagte. Das berührte mich als Fachmann für Denk- und Schreibverbote seit meiner Jugend als rötestes Tuch im Thurgau etwas eigenartig. Darum dieser Text: keine Replik, weil es für mich wenig zu replizieren gibt, einfach Anmerkungen eines Betroffenen. Ich dachte beim Schreiben mit Hochachtung an meinen Vater, der in den Sechzigerjahren als freisinniger Sekundarlehrer die «nonkonformistische» Zürcher Woche von Wollenberger & Co. las, um sich aufzuregen.

Die medialen Parallelwelten, die Seibt in den USA erkennt und in der Schweiz voraussagt, gab es hierzulande seit je – während mehr als drei Vierteln unserer 200-jährigen Mediengeschichte. Im Thurgau, wie fast überall im Land, erklärte jeder Partei, jeder Konfession und jedem Kaff ein eigenes Blättchen die Welt. Aber immerhin kämpften die Exponenten dieser Parallelwelten um die einzig wahre Sicht. So schlug der legendäre AZ-Redaktor Ernst Rodel lustvolle Schlachten mit dem lokalen Kontrahenten Oberthurgauer in Arbon und der kantonalen Konkurrenz Thurgauer Zeitung in Frauenfeld und stürzte, dank Indiskretionen eines Thurgauer SP-Nationalrats, den freisinnigen Nationalbankpräsidenten. Diese Schlachtordnung hielt im Thurgau bis ins 21. Jahrhundert, also bis Tamedia und St. Galler Tagblatt die Thurgauer Blätter übernahmen. Als ich 1975 nach der Matur bei der TZ ein Volontariat machte, sagte mir der SVP-Chefredaktor über den gemeinsamen Schreibtisch hinweg: «Es tut mir Leid – wenn Sie mit der SP sympathisieren, kann ich Sie nicht anstellen.» Ich konnte also im Thurgau nicht als Journalist arbeiten, nur 1984 die Thurgauer AZ beerdigen helfen, weil es die Parallelwelt des roten Arbon nicht mehr gab.

In höher entwickelten Gebieten setzte sich schon damals statt den Parteiblättern die Forumszeitung durch. Sie sollte den Meinungsstreit internalisieren, also in einem Blatt anstreben, was Seibt als die Aufgabe der Presse bezeichnet: «Mal recht, mal schlecht einen Mainstream herzustellen: eine holprige, vage, aber dennoch brauchbare Einigung über Fakten und Einschätzungen, aufgrund derer man debattieren kann.» Dieser Mainstream dümpelte aber nicht in der Mitte, sondern bei immer mehr Blättern links davon. Wenn er noch um Meinungen stritt, dann von NZZ bis WOZ unisono als Anti-Parteiblatt gegen Blochers SVP. Und er erliess dabei seine eigenen Denkverbote.

Deshalb war die Weltwoche von Roger Köppel ab 2002 eine solche Sensation – auch für mich. Ich hatte in den Neunzigerjahren meine Erfahrungen mit Denkverboten vertieft, als Freier mit Redaktionsbeamten beim Tages-Anzeiger und als Provinzpolitiker mit der SPS unter Ursula Koch. Und ich hatte von meiner inzwischen verstorbenen Frau erfahren, was in der realen Welt der Asylantenbetreuer, Amtsvormünder und Fürsorger, aber nicht in den Medien stattfand.

Darüber schrieb ich in der Weltwoche. Eine Geschichte über die Asylindustrie löste 2002 einen Proteststurm aus, samt heute nicht mehr denkbaren Blogkommentaren von Bundesamtsdirektor Jean-Daniel Gerber oder Nationalrätin Regine Aeppli, und brachte mir eine Rüge des Presserates ein, weil ich zwar die Jahresberichte aller Hilfsorganisationen ausgewertet und einen einstündigen Monolog des SRK-Zuständigen erduldet, aber keine Stellungnahme der – gar nicht direkt angegriffenen – Flüchtlingshilfe eingeholt hatte. Inzwischen stellt auch Bundesrätin Sommaruga fest, dass die Anreize im Schweizer Asylwesen kreuzfalsch sind. Eine Geschichte zum Schleudertrauma führte 2005 zu einer Ehrverletzungsklage samt persönlicher Betreibung auf zwei Millionen, die Folgegeschichten in Facts und SonntagsZeitung trugen mir je eine erfolgreiche Presseratsbeschwerde von Anwälten aus der Schleudertrauma-Industrie ein. Die Sicht von Prof. Erwin Murer, der ich zu Publizität verhalf, gilt jetzt am Bundesgericht. Und die Folgen der Geschichten zur Sozialhilfe – auch zum kriminellen 13-jährigen Roma-Mädchen von Rüschlikon, das ich bei mir zuhause kennengelernt hatte –, die Kollege Alex Baur mit noch härteren Fakten weiterführte, sind bekannt.

Schrieb ich also Geschichten, «bei denen man das Gefühl hat, man müsse sie erst persönlich nachrecherchieren», wie Seibt behauptet (der bekanntlich keinen gesteigerten Wert auf Recherche legt)? Blödsinn, die aufwendig recherchierten Fakten missfielen, deshalb musste man sie mit wohlfeilem Protestgeheul wegen der Wertungen übertönen. Die Aufregungen dieses Jahres wegen BaZ und Weltwoche kamen mir als Aussenstehendem denn auch einigermassen vertraut vor: Ging es nur um den untolerierbaren Stil, als die Gutmenschen in Einheitsfront die Verbalattacken von Urs Paul Engeler auf Hildebrand verurteilten, sich über das Titelbild für die Roma-Geschichte erregten oder den Begriff «Irrlehren» wegen seiner historischen Belastung verdammten, auch wenn sie bis dahin «Inquisition» kaum buchstabieren konnten? Die Antwort gab – unfreiwillig – der coole Rechercheur Hansjürg Zumstein: In seinem preisgekrönten Dokfilm zum Fall Hildebrand bestätigte er die Darstellung der Weltwoche vollumfänglich – die distinguierten Kollegen schwiegen ihn tot. Nicht der Stil störte sie also, sondern die Fakten.

Dass der Mainstream nicht zur Meinungsvielfalt, geschweige denn zur Wahrheitssuche im Widerstreit der faktengestützten Argumente führt, kann Seibt im eigenen Blatt besichtigen. Res Strehle – den Köppel als brillanten, auch als Marx-Exeget liberalen Journalisten zum Magazin holte – führte zwar ein, was Ex-TA-Redaktor Richard Aschinger in seinem Büchlein über die Medienlandschaft Schweiz angewidert feststellt: «Auf der Meinungsseite des ‚Tages-Anzeigers’ scheint heute fast alles möglich. Und das Gegenteil auch.» Bei vielen Themen – es folgt nur eine kleine Auswahl, wo ich mich auskenne – ist aber beim TA noch heute nur eine Meinung möglich: Er feiert Studien von Avenir Suisse auf der Frontseite, wenn sie seine Weltsicht bestätigen (Raumplanung), und schweigt sie tot, wenn nicht (PK, Steuern, Service public). Er dient als Sprachrohr für die Schleudertrauma-Industrie und nimmt dabei selbst Bundesgerichtsurteile nicht zur Kenntnis. Oder er gibt ungefiltert wieder, was die Klimaforscher-Kollegen des alleinzuständigen Redaktors predigen – ausser wenn eine ihrer Studien den Konsens infrage stellt.

Die Medien müssten die Meinungsvielfalt «nicht notwendigerweise im eigenen Organ» gewährleisten, sagte Köppel an der Veranstaltung der Medienvielfalt Holding. Während es für einen Anzeiger mit Forum-Anspruch etwas peinlich ist, wenn er Fakten und Argumente ausblendet, könnte es sich die Weltwoche also leisten, wie einst ein Parteiorgan eine Linie durchzuziehen. Die Gefahr, dass Parallelwelten entstehen wie in den USA oder bis 1980 in der Schweiz, erscheint mir klein. Noch löst jedes Provokatiönli zuverlässig landesweit Protestgeheul aus. Und während in der Ära der medialen Parallelwelten nur deren Exponenten debattierten, diskutiert heute dank Social Media mit, wer will (sogar subalternes Personal wie hier, ohne Absprache übrigens). Wie meine persönlichen Beispiele zeigen, lässt sich über die Jahre durchaus etwas bewegen. Gefürchtet ist die Weltwoche nicht wegen ihrer Provokationen oder «wegen des engen Bündnisses mit dem reichsten Politiker des Landes», wie Seibt behauptet, sondern wegen ihrer Fakten – vor allem jener von Urs Paul Engeler, der in seinem Vierteljahrhundert in Bern mehr aufdeckte als alle anderen Bundeshäusler zusammen.

Aber Köppel sagte im selben Satz auch, es brauche die Meinungsvielfalt «mit Blick auf die Öffentlichkeit in einem Land». Deshalb sollte er – und vor allem Markus Somm als Chef eines bisherigen Monopolblatts – es den Protestlern nicht so leicht machen, sein Blatt als langweilig, weil berechenbar abzutun oder wegen seines Stils anzugreifen, um von den Fakten abzulenken. «Roger gegen Roger» genügt nicht als Grundversorgung für das Debattenduell in diesem direktdemokratischen Land. Wir brauchen mehr solchen Catch-as-catch-can, bei dem es nicht um Stilnoten, sondern um Trefferpunkte geht, also mehr Journalisten wie Constantin Seibt, der auch einem Gastgeber seine Meinung zumutet, oder wie NZZ-Inlandchef René Zeller, der sich als «muntere freisinnige Kampfmaschine» (Jean-Martin Büttner) ins Getümmel stürzt.

Obwohl älter als Seibt, habe auch ich 1968 verpasst und das mit der Dialektik nach Hegel und Marx nie richtig gelernt. Aber immerhin so viel begriffen: Evolution geschieht nur im Wettbewerb. Also wenn Thesen auf Antithesen prallen und die Erkenntnisfunken sprühen. Und nicht, wenn sich Mainstream und Anti-Mainstream bockig gegenüberstehen und nichts mehr austauschen ausser Protestgeheul.

Leserbeiträge

Vinzenz Wyss 16. November 2012, 15:28

Der Eindruck der „Dubiosität“ der Veranstaltung, Markus Schär, erschliesst sich einem schon, wenn man nicht nur einen Tweet kontextlos betrachtet, sondern journalistisch motiviert zusammenhängende Tweets wie eins zu eins zusammenzählt. Zudem hätte ich Ihnen bei einer simplen Rechercheanfrage schon gerne direkt meinen persönlichen Eindruck der Zwielichtigkeit der Veranstaltung begründet, bevor Sie enerviert in die Tasten gegriffen haben. Ich bin ja auf Twitter, wie Sie offensichtlich wissen, unter @VinzenzWyss gut erreichbar. Vielleicht gibt es ja wieder mal eine Aussage, die sich Ihnen nicht auf Anhieb erschliesst. Das passiert mir auch ab und zu.

Ronnie Grob 16. November 2012, 15:42

Tweet im Kontext betrachten? Ich weiss ja nicht recht. Betrachtet man Artikel auch im Kontext mit anderen Artikeln? Oder einzelne Taten im Kontext mit der Lebensleistung? Wohl eher nicht. Wer eine Veranstaltung „dubios“ nennt, darf doch mit Reaktionen rechnen. Hier übrigens der Tweet, ganz ohne Kontext:

https://twitter.com/VinzenzWyss/status/268469619365392388

Publikationen stehen mE für sich, und die darf man zitieren. Wer einen Artikel zitiert, ruft ja auch meistens nicht noch mal an und fragt, wie genau das gemeint war. Twitter ist ein öffentlicher Publikationskanal, über den man, anderes als bei vielen etablierten Medien, die volle Kontrolle hat. Dann darf man, offensichtliche Pannen ausgenommen, auch annehmen, dass alles so gemeint ist, wie es dort geschrieben steht.

David Bauer 16. November 2012, 18:15

Interessante Frage, die man mal gesondert diskutieren sollte. Im Kontext dessen, dass immer öfter Institutionen, Firmen und Personen des öffentlichen Lebens direkt via soziale Medien kommunizieren und die Medien sich dort für O-Töne bedienen, wäre tatsächlich wichtig zu erörtern, welche Spielregeln dabei gelten sollen.

Krall 16. November 2012, 16:02

Sie winden sich und winden sich und winden sich.

Beziehen Sie Stellung. Was will die Weltwoche? Ein sachlich argumentierendes Recherchemagazin sein, das ausgewogen alle zu einem Thema vorhandenen Fakten auswertet oder ein Korrektiv zu der selbst als links empfundenen Medienlandschaft der Schweiz? Beides ist zulässig – aber nicht gleichzeitig möglich. $

Wer davon redet, eine Schlagseite korrigieren zu wollen, gibt selbst Objektivität und Sachlichkeit auf. Das ist zulässig, entspricht aber nicht dem von Köppel angestreben knallharten Recherchejournalismus. Wer sich als Korrektiv sieht, startet seinen Artikel mit einer These, mit der Nullhypothese zur Gegenseite. Er will ausgleichen, was bereits geschrieben wurde. Er möchte aufdecken, was die Gegenseite verschwiegen hat. Das war in der Weltwoche nur allzu oft zu beobachten.

Dass zuweilen hart und erfolgreich recherchiert wird, streitet niemand ab. Aber die Tendenz von Einzelfällen auf Systemfehler zu schliessen, zeugt von kurzfristiger und ideologisch verklärter Denke, die einem kritischen Journalismus schlecht ansteht. Der Tonfall erledigt den Rest.

Roger Tinner 16. November 2012, 16:10

Aber nicht mainstream-tauglich, allein schon wegen der Länge.

Philippe Wampfler 16. November 2012, 16:43

Mir gefällt der Schluss sehr gut und ich werde mich bemühen, fortan auf Protestgeheul zu verzichten.
Gleichwohl möchte ich der Aussage widersprechen, die Weltwoche entfalte ihre Wirkung hauptsächlich wegen Fakten. Das mag bei einzelnen Geschichten stimmen. Die Präsentation der Fakten erfolgt aber regelmäßig in Kombination mit Unterschlagung von Fakten, Verzerrungen, Stimmungsmache und Falschdarstellungen – die in Kombination eine Wirkung entfalten. Nehmen wir den von Ihnen zitierte Urs Paul Engeler zur psychiatrischen Klinik Waldau in Bern: Die Kritik an Frau Mader und an ihrer Anstellung von Indira Lütolf enthält viele richtige Fakten – sie wird aber mit einem Bild illustriert, auf dem Frau Lütolf nachweislich verkleidet war – siehe z.B. hier: http://www.bernerzeitung.ch/region/kanton-bern/Neue-Vorwuerfe-gegen-Mader/story/27218051
Das Bild gelangte von einem UPD-Server zur Weltwoche. Das mag ein Detail sein – aber hier wird eine kritisierte Person mit einem bewusst lächerlichen Bild dargestellt – ohne dass das mit einem Wort erwähnt wird.
Ähnliches gilt auch für den Fall Hildebrand: Wir können gerne die Texte aus dem Archiv pflücken und nachzählen, wie viele Aussagen der Weltwoche schlicht falsch waren. Und zwar: Bewusst falsch.
Gerne Thesen und Anti-Thesen. Gerne ohne Rücksicht auf Mainstream, ohne künstliche Meinungsvielfalt im eigenen Blatt. Gerne eine klare Linie. Aber sauberer Journalismus. (Das betrifft auch Ihren eigenen Text: Was sollen denn biographische Spitzen gegen Herrn Seibt? Was trägt der Beruf seines Vaters zur Diskussion bei?)

Christof Moser 16. November 2012, 17:27

Es ist wie immer: bedenkenswerte Überlegungen, aber dann immer mit „Gutmenschentum“ und derlei Quatsch garniert.

Beim „Protestgeheul“ in Sachen Hildebrand-Affäre, aber auch beim Roma-Cover, ging es schlicht um handwerkliche Fehlleistungen, die – und eben genau dies erlaubt die Parallele zu FoxNews – leider (teilweise) bewusst gemacht werden. Wer das kritisiert, gehört dann bereits zu den linken Vertuschern. Hier beginnt quasireligiöse Verblendung, die nichts mehr mit Journalismus zu tun hat und – pardon – reichlich dämlich ist.

Auch für mich war Köppel 2002 übrigens eine Sensation. Ich bekam selber die Abneigung des Mainstreams zu spüren, als ich für Facts ein Mörgeli-Portrait schrieb, was die Kollegen beim „Tages-Anzeiger“ mit Ekel zur Kenntnis nahmen. Köppel begründete seine Öffnung hin zur SVP damals sinngemäss mit den Worten, keine politische Kraft dürfe aus dem Diskurs ausgeschlossen werden. Word! Aber was tat Köppel dann in seiner Zeit als Welt-Chefredaktor? Der damals aufkommenden Linkspartei in Deutschland die Legitimation absprechen. Seither ist sein Credo der Meinungsvielfalt für mich diskreditiert.

Dazu beigetragen hat darüber hinaus Köppels Aussage, nur der Staat müsse von Journalisten kritisch begleitet werden, weil in der Wirtschaft regle „der Markt“ Fehlentwicklungen. Das ist ziemlich grosser Bullshit vom angeblichen No-Bullshiter Köppel.

Aber zurück zum Text: Schär hat da recht, wo Protestgeheul gegen die WW und die BaZ nur davon ablenken soll, dass Konkurrenzmedien profillos geworden sind und den Agitationen keine fundierten, scheuklappenlosen Journalismus entgegen setzen. Wird die journalistische Leidenschaft in umsatzgetriebenen Verlagen (Tamedia) systematisch gekillt, oder aber der PR geopfert (Ringier), zieht irgendwann nur noch meinungsstarke rechte Agitation die Leser in ihren Bann (-> hier habe ich über dieses Problem geschrieben, was mir sehr viel Ärger eingebracht hat: http://www.facebook.com/note.php?saved&&note_id=215248271859341).

Mario Monaro 17. November 2012, 01:36

Diese Replik auf Seibts Rede ist bemitleidenswert.

Fred David 17. November 2012, 12:25

Mich wundert die politische Naivität, die sich hier breitschlägt.

In Basel haben haben Blocher/Tettamanti die BaZ übernommen, wie sie das bei der Wewo gemacht haben, mit den üblichen Strohmänner-Konstruktionen. Noch vor 5 Jahren haben Klugschreiber das als völlig abwegig von sich gewiesen.

Auf der Hand liegend, ist dies kein Investment, sondern eine politische Aktion.

Es geht ihnen doch nicht um Meinungsvielfalt, sondern um Meinungsführerschaft: Sie wollen eine andere Schweiz, eine reaktionär-autoritäre Demokratie. Daran arbeiten sie schon lange, und sie sind schon relativ weitgekommen.

Dafür haben sie sich eine Partei gekauft und dafür kaufen sie sich jetzt strategisch bei Medien ein, und dazu passende Journalisten gleich mit.

Basel interessiert sie nur am Rand. Sie wollen auf diesem Umweg nach Zürich, Alles andere würde keinen Sinn machen.

Eine Zeitlang haben sie versucht, über Wanners kleines Aargau-Imperium weiter zu kommen. Da sind sie offenbar stecken geblieben.

Jetzt haben sie den Fuss in der Tür bei der Tamedia, wie man weiss, eine AG mit handelbaren Aktien, und einer weitläufig verstreuten Eigentümerfamilie, deren Angehörige, einige zumindest, sich durchaus lukrativere – und sicherere – Investments als ein Medienunternehmen vorstellen können.

Was jetzt wirklich auf der Hand liegt: Die potente Milliards-/Millionärs-Gruppe um Blocher/Tettamanti/Frey bieten der Tamedia die notsanierte BaZ auf dem Silbertablett an, wollen dafür aber Anteile an der Tamedia und einen Strohmann- Einsitz im VR undsoweiterundsoweiter.

Der Zeitpunkt ist günstig. Bankkredite zu bekommen, ist für Medienunternehmen aus naheliegenden Gründen immer schwieriger. Nötiger Kapitalzufluss für den unausweichlichen und teuren Umbau muss anderswoher kommen.

Und wieder werden Klugschreiber behaupten: Niemals! So etwas ist nicht denkbar, bei uns, in der freien, basiskontrollierten Schweiz.

Anton Baumann 17. November 2012, 12:57

So viele Sätze für so wenig Erkenntnis. Schade, Herr Schär. Schreiben Sie das nächste Mal doch einfach, dass sie ein Fan der reaktionären Presse sind und den Herrn Seibt irgendwie doof finden, auch wenn Sie ihm mit Argumenten nicht beikommen können. Herr Grob klopft Ihnen dann ermunternd-bloggerisch auf die Schultern und der «linke Mainstream» (was für ein wahnwitziges Oxymoron) wird empört kommentieren. Schönes Wochenende.

Constantin Seibt 18. November 2012, 01:22

Geehrter Herr Schär, merci für Ihre Memoiren, die Blumen und etwas Gift. Im zentralen Punkt bin ich leider nicht Ihrer Meinung: Catch-as-Catch-can ist manchmal amüsant, selten notwendig und meistens so erhellend wie ein Streit zwischen Betrunkenen. (So wie harte Talk-Shows oft an die Eckkneipe erinnern, wo sich Alkoholiker des Viertels zuverlässig treffen, um sich dann Abend für Abend zu verkrachen.)
Die harte Polemik ist – wie auch der Anti-Mainstream-Dreh – schlicht eine Farbe in einem Farbkasten. Sie vorsätzlich dauerzugebrauchen ist, als würde ein Maler sämtliche seiner Portraits in Wutrot oder Ekelgelb malen, egal, wer gegenüber sitzt.
Und die heutige Welt ist nicht so. Probleme wie die Finanzkrise oder die Eurokrise sind faszinierend komplex: Man kann hier nicht einfach irgendwo dafür oder dagegen sein. Oder bei der Frage Staat oder Markt – dies ist keine ausschliessende Alternative, sondern die Frage: Wo, in welchem Markt, wieviel Regulierung, wieviel Freiheit und warum? (Der Finanzmarkt ist völlig verschieden vom Gesundheitsmarkt oder vom Detailhandel.)
Ebenso bei den Energiefragen. Hier stellt sich die Frage: Was bringt wieviel? Oder beim Steuerdossier – welche Anreize beleben eine Gesellschaft, welche schaden ihr?
In all diesen Debatten sind Pro-Contra-Showkämpfe nicht wirklich erhellend. Es geht eher darum, komplexe Gebilde zu verstehen. Und danach im besten Fall zu verstehen, was zu tun ist.
Ich fürchte, die Sehnsucht nach starken Gladiatoren ist Nostalgie. Sie haben die ideologischen Kämpfe der vergangenen Zeit ja sehr eindrücklich in Ihren Memoiren geschildert: Sie sind zwar kein Kind von 1968, aber des Kalten Krieges. Damals gab es noch die Orientierung in zwei Lager: Und die realen wie symbolischen Zweikämpfe zwischen ihnen.
Heute leben wir – ausser in der Partei der nostalgischen Anti-68er – in einer anderen Welt: Und um diese zu begreifen muss der Journalismus eine ganze Menge Farben auf der Palette haben. Natürlich nicht nur das neutrale Grau, das Sie kritisieren. Aber auch nicht das Testosteron pur älterer Herren, die sich in trauter Runde treffen, um sich dort rituell zu ärgern.
Es ist Zeit, neue Segel zu setzen.

Thomas Lüthi 18. November 2012, 14:29

Liest Herr Seibt überhaupt die Basler Zeitung? Vermutlich nicht. Sonst müsste sein Urteil ausgewogener sein. Aber was noch mehr interessieren würde? Hat Herr Seibt zu diesem Thema überhaupt was zu sagen? Ist sein Urteil kompetent? Kommentieren darf man immer. Und wer Herrn Seibt glaubt, muss sich nicht um die Fakten scheren. Hauptsache, Herr Seibt schreibt das, was die BaZ-Basher so gerne hören möchten.

Ugugu 19. November 2012, 10:00

Da fühlt sich ein BaZ-Journi aber mächtig auf den Schlips getreten. Nein, Herr Lüthi, was Herr Seibt schreibt hat schon seine Richtigkeit. Aber wenn Sie schon mal hier sind, und weil mich das schon lange interessiert, wie ist es eigentlich so, über zwei Jahre von der eigenen Chefetage Lügengeschichten aufgetischt zu erhalten? Und jetzt, wo alle Karten auf dem Tisch liegen: Für ein rechtsnationales Kampfblatt im Dienste der SVP „journalistisch“ tätig zu sein?

Und danke einmal mehr an Fred David für seine ungeschminkten Kommentare. Die bereits vollzogene Management-Rochade und die rechtsgedrehten BaZ-Artikel, welche dem Tagi-Online-Publikum schon heute zugemutet werden, lassen leider wenig gutes für die Zukunft des „Tages-Anzeigers“ erwarten. Aber wer weiss, vielleicht kommen ja auch die „Freunde der NZZ“ zum BaZ-Handkuss. Blocher als Stratege würde es bestimmt vorziehen, durch die Hintertüre bei Tamedia einzumarschieren, dem Erzfeind Freisinn eins auszuwischen, dürfte aus psychohygienischen Gründen aber mindestens so reizvoll sein. We’ll see.

Vladimir Sibirien 18. November 2012, 18:46

Ihre Antwort trifft es auf den Punkt. 19 Gaut-Millaut-Punkte.

Mara Meier 19. November 2012, 11:21

Beide Texte gern gelesen: die brillante, unhelvetisch strikt organisierte und geschliffene Rede des feuilletoneleganten und sprachverliebten Constantin Seibt, der aus meiner Sicht analytisch noch einen Zacken zugelegt hat (, was erstaunlich ist – die meisten Schreiber legen irgendwann nicht mehr zu, sie sind im besten Fall solid und damit zufrieden) und die Ausführungen von Markus Schär, den ich bisher als Leserin/Adressatin nicht oder nur marginal, d.h. dem Namen nach wahrgenommen hatte. Aus seinen Ausführungen mit den biographischen Spaziergängen, die nicht besonders gemütlich wirken, spricht dann gerade dies: Ich werde zu wenig wahrgenommen.

Nun, Herr Schär: Ich würde in Zukunft gerne lesen, was Sie zu sagen haben. Aber Sie machen es mir schwer. Als Urs Gehriger die zutiefst antidemokratischen Gedanken eines New-York-Times-Artikels, der das Folterverbot problematisierte, wohlwollend wiedergab, sah ich mich gezwungen, das Weltwoche-Abonnement nach 20 Jahren zu künden. Das, obwohl ich bis zum schockierenden Gehriger-Applaus zähneknirschend weitergelesen hatte. Da war die Weltwoche bereits ein Parteiorgan, das differenzierte bürgerliche Kräfte in jeder einzelnen Ausgabe links und rechts ohrfeigte und Frauen aller Couleur und Haarfarbe mit Tschutt in den Hintern verabschiedete (ausser vielleicht die herausragende Wirtschaftswissenschafterin Xenia Tchoumitcheva und ein paar unbekannte Nackte).

Man musste das Leiden in masochistischer Manier zur Lust erheben und sich Hoffnung vor die Nase halten wie eine Monstranz, um einen passablen Selbstbetrug zusammenzubasteln und beim Öffnen des Briefkastens nicht in Tränen auszubrechen. Ich fühle mich nach wie vor betrogen. Denn es ist unübersehbar, dass das intellektuelle Potential der Weltwocheleute gross ist, denkerisch wären sie anderen Gruppen von Journalisten überlegen (und sie haben mehr Humor), aber leider sind diese Leute ideologisch dermassen erstarrt, sie wirken so peinlich programmiert oder dressiert, ein einziger anthropomorpher Reflex. Die damit verbundenen Fehlleistungen kann ich nicht als spassig empfinden.

Constantin Seibt hat das Unbehangen in einer Rede, die zu Recht Aufsehen erregt, benannt. Mir sind zwei Dinge aufgefallen:

Die Rede irritiert niemanden wirklich. Sie trifft einen Nerv, der eine Mehrheit unmittelbar zustimmen lässt. Der Applaus ist gewaltig, ja er nimmt kein Ende. Und das sei Constantin Seibt herzlich gegönnt. Aber gewaltiger Applaus heisst auch immer: Da wurde keine grosse Idee vorgelegt, nichts Visionäres entfaltet. Alles wahrhaft Neue stört beträchtlich, es ruft Abwehr hervor, Unverständnis, denn es steht ausserhalb der gewohnten Bahnen, die gewisse Zustände ermöglichen oder zementieren.

Der zweite Punkt: mangelnde Selbstreflexion. Constantin Seibt auf einem Bürostuhl, wir sehen, wie er sympathisch die Füsse auf den Tisch legt, mitten im Imperium der Tamedia AG. Ein paar Gedanken zu Masse, Qualität und Standpunkten im eigenen Habitat hätte ich persönlich sehr geschätzt.

Dass auch ein Seibt nicht sein Talent braten und seiner Familie zum Mittagessen servieren kann, ist klar, er muss einer Lohnarbeit nachgehen und ist deshalb Partei, das hätte er niemandem erklären müssen, wenn seine Reflektion zurückhaltend ausgefallen wäre. Wir wissen ja, dass er ein Kind hat, einen Job, einen Blog und eine Liebe. Und wir sehen an dieser Aufzählung, dass sogar Constantin Seibt sich manchmal vom Rhythmus verführen lässt.

Fred David 20. November 2012, 11:11

@) Ich möchte @)Ugugus Anmerkung aufnehmen: sein Hinweis auf den Plan B , was die BaZ betrifft: Nach der Notsanierung bietet die Milliardärs-Millionärs-Gruppe die BaZ auf dem Silbertablett (d.h. zu Vorzugsbedingungen) der NZZ-Gruppe an. Das kann schon in ein, zwei Jahren der Fall sein.

Das würde auch betriebswirtschaftich einen Sinn ergeben. Aus der BaZ wird die Neue Basler Zeitung (gleiche Titelschrift wie NZZ). Sie übernimmt sämtliche Teile bis auf Lokal und Regional (inkl. regionale Kultur) alles von der NZZ.

Dasselbe geschieht mit der Neuen Luzerner Zeitung, dem Neuen St.Galler Tagblatt, der Neuen Thurgauer Zeitung. Dort bleiben nur noch regionale Redaktionen, der Druck wird kostensparend zentralisiert.

Die Lokalteile passen sich den regionalen Bedingungen an: in Basel äs bitzeli mehr linksliberal, in der Ostschweiz stärker Richtungs SVP, jedenfalls stark konservativ fokussiert, in der Innerschweiz auf die CVP und ziemlich stark auf die SVP.

Das alles ergäbe viel Sinn, kostet aber einen Haufen Geld, das die NZZ-Gruppe nicht hat. Da wäre es praktisch, eine potente Milliardärs-Millionärs-Gruppe, die zu sehr Vielem entschlossen ist, an der Seite zu haben.

Die wollen dafür natürlich Mitbeteiligung und Mitbestimmung : eine flotte, stramme neokonservativ-neoliberal antieuropäisch ausgerichtete Mediengruppe mit nationaler Ausstrahlung, alles unter dem „liberalen“ Deckmänteli. Die heutige NZZ AG würde zur Holdings-Stiftung mutieren, den Ton aber gäbe eine neuzugründende, darunter oder daneben angesiedelte AG an.

Das sind natürlich Spekulationen -aber mit ziemlich realistischem Hintergrund: aus der Basler Konstellation sind eigentlich nur Plan A oder Plan B möglich, alles andere ergibt keinen Sinn – und beides mit der gleichen politisch motivierten – Zielrichtung.

Cornelis Bockemühl 20. November 2012, 09:33

Alles schön und gut. Aber dass Weltwoche und BaZ langweilig und immer leicht vorhersehbar sind anstatt provokativ (wie sie selber meinen!) bleibt halt doch als Tatsache bestehen!
Constantin Seibt hat doch weiter nichts getan als hübsch analysiert warum das so ist. Klar, kann man auch bleiben lassen; die beiden Langweiler-Blätter muss man ja trotzdem nicht lesen! 😉

Markus Schär 20. November 2012, 11:03

Ein paar Anmerkungen zu den A. zu den A.:

Tja, Philipp Wampfler, ihr gedämpftes Protestgeheul zeigt, was zu zeigen war. Was UPE an unglaublichen Vorgängen in der Waldau aufgedeckt hat, rechnen Sie dagegen auf, dass die Weltwoche die Hauptakteurin in unvorteilhafter Pose zeigte. Auch abgesehen davon, dass es mir einigermassen adäquat erscheint, eine zwanghafte Titelschwindlerin in Verkleidung zu zeigen, ist diese Rechnung lächerlich. Sie zeigt eben das Muster: Man erregt sich über ein Detail, mit Vorliebe über den Stil, um von der Debatte um die Fakten abzulenken.

Das gilt imho auch für den Fall Hildebrand: Natürlich gab es falsche Details und unnötige Stilübungen in der Berichterstattung der Weltwoche. (Im Gegensatz zu Roger Köppel glaube ich, Fehler zuzugeben stärkt den eigenen Standpunkt.) Aber ohne Weltwoche wäre der Fall vertuscht worden – Sonntagszeitungen schrieben, von Spin-Doktoren angeleitet, auf der Front die Unwahrheit.

(Zur dubiosen Welt von Medienprofessoren, die auch zu diesem Thema gehört, haben Berufenere schon alles gesagt. Nur noch so viel @David Bauer: Es gibt doch nichts zu diskutieren – ein Tweet ist so offiziell wie ein Communiqué, also ist nichts abzuklären. Wer Tweets absetzt, die sich nur im Kontext oder auf Nachfrage erschliessen, sollte wohl an seiner sprachlichen Ausdrucksfähigkeit arbeiten.)

Zu den wirtschaftlichen Hintergründen, also zur Obsession von Fred David, sagte ich bewusst nichts. Ich habe eine Meinung dazu, aber ich äussere sie nicht öffentlich, denn a) ist sie nicht relevant und b) liesse sie sich leicht verdrehen. Es geht ja letztlich um die Frage, wie die Besitzverhältnisse uns Journalisten bei der Annäherung an die Wirklichkeit beeinflussen. Ich erinnerte an die noch nicht so lange vergangenen Zeiten, als in Deutschland das Bonmot umging, die Meinungsfreiheit sei die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten, und als es in der Schweiz parteipolitisch oder konfessionell gefärbte Wirklichkeiten gab. Ich nehme an, Blocher, Tettamanti & Co. wissen besser als ich, dass es nichts bringt, dorthin zurückkehren zu wollen. Und wenn schon? Weshalb sagen jene, die in der Weltwoche ein Parteiblatt sehen, nie etwas zum Beispiel dagegen, dass der SGB Millionen in die „Work“-Zeitung steckt, obwohl die Gewerkschafter lieber niedrigere Beiträge hätten als einäugige Information?

Und damit noch zur Wirklichkeit. Dazu gibt es einen gescheiten Blogbeitrag von Christine Fivian, der mehr Aufmerksamkeit verdient: Constantin Seibt versteht mich falsch, wenn er vom Catch-as-catch-can darauf schliesst, dass es mir um Gladiatoren-Showkämpfe mit reiner Polemik gehe. Ich plädiere ja gerade dafür, nicht um die Form, sondern um den Inhalt zu streiten, also dafür, dass in der Kollision von FAKTENgestützten Argumenten die Erkenntnisfunken sprühen. Ich glaube mit Karl Popper immer noch, dass wir uns so einer gemeinsamen Wirklichkeit annähern können.

Daran können sich alle beteiligen, Mara Meier (oder wie immer Sie heissen): Ich mache, wie Sie schon bisher mit klugen Beiträgen, in diesem Getümmel mit, weil es etwas bringt und weil ich bald vierzig Jahre Erfahrung mit dem Journalismus in der Schweiz habe. Die „biografischen Spaziergänge“ bieten dafür einfach das geeignete Material. (Es ist ja herzig, dass sich einer über meine „Memoiren“ mokiert, der als junger Familienvater einen Blog mit seinen Memoiren bestreitet.)

Ugugu 20. November 2012, 11:27

@MarkusSchär Stimmt es eigentlich, dass Sie demnächst wieder als Fulltime-Tastendrücker für die Weltwoche unterwegs sind? Wenn ja, finde ich, hätte das in ein „Disclosure“ gehört.

Markus Schär 20. November 2012, 11:37

„Lappi, tue d Auge n uuf“, steht am Schaffhauser Schwabentor.

Ugugu 20. November 2012, 13:30

Die Runde geht an Sie. Der Disclaimer in hellgrau ist aber auch leicht zu übersehen. Jedoch erstaunt mich schon sehr, wie man als Journalist Bedenken über die wirtschaftliche Besitzverhältnisse von Zeitungen/Zeitschriften so nonchalant vom Tisch wischen kann. Hat etwa die Gewerkschaft Unia je eine Mördergrube daraus gemacht, dass sie ein Mitgliedermagazin Namens „Work“ herausgibt? Nicht dass ich wüsste. Hingegen verschweigt R. K. bis heute wie genau er für’n Appel und’n Ei an die „Weltwoche“ gekommen ist, und wer allenfalls weiterhin Garantien im Hintergrund leistet. Lappi tue d’Augen uf gilt eben nicht nur für mich.

Michael 20. November 2012, 11:40

Stil ist kein Detail, v.a. nicht dann wenn man damit dauernd die eigenen Argumente runterreisst. Probieren sie’s doch einfach mal, es zahlt sich mittelfristig aus und bringt Ihnen wahrscheinlich sogar (erwachsene) Leser zurück.
Oh wait, die kommen dann wieder eher aus dem Mainstream, Mist…

Wir haben’s doch begriffen, dass sie das Establishment erschüttern wollen.

Wenn sie sich mit der Work-Zeitung vergleichen, dann ist wollen sie ja gar nicht aus der Ecke raus.

Philippe Wampfler 20. November 2012, 15:09

Mein Punkt war nicht, dass die Weltwoche zwar wundervolle Fakten präsentiere, aber das leider in einem Stil, zu dem ich ein wenig Protest heulen möchte. Sondern: Die Wirkung der Weltwoche basiert hauptsächlich auf dem, was Sie Stil nennen, man aber auch Verzerrung, Verfälschung oder Betrug nennen könnte – nämlich Fakten weglassen, Fakten verdrehen, Fakten falsch darstellen.
Von mir aus kann UPE gerne über Frau Lütolfs Titel schreiben und Fakten präsentieren, die Leitung der Waldau hart angehen und die politischen Verantwortlichen kritisieren. Gerne – das ist Journalismus. Aber der Artikel wird so präsentiert, dass das Aussehen der beteiligten Frauen plötzlich im Mittelpunkt steht. Dieses Aussehen wird jetzt aber verfälscht und zwar wissentlich.
Zurückzufragen wäre also: Wenn die Fakten so hart sind und für sich sprechen – warum braucht es dann diesen Stil?

Markus Schär 20. November 2012, 16:48

„nämlich Fakten weglassen, Fakten verdrehen, Fakten falsch darstellen“:

Fakten, bitte, oder zurücknehmen!

Fred David 20. November 2012, 17:47

@) Markus Schär: Zu „meiner Obsession“: Einfach nachlesen, was damals bei der ersten Übernahme der BaZ durch die Strohmänner-Truppe gesäuselt wurde, gleichfalls bei der Übernahme der Wewo. Das klärt den Blick.

Nochmal fallen wir darauf nicht rein.

Die BaZ bleibt der Hebel, und sie werden es weiter versuchen mit dem, was sie „Konservative Revolution“ nennen. Es steckt viel Geld dahinter. Das wirft niemand einfach so zum Redaktionsfenster hinaus. Sowas tun nicht mal Gutmenschen.

Sie werden auch Kreide schlucken, wenn’s sein muss. Sie werden auf gewissen Feldern „freisinnig“, moderat und konziliant auftreten, um akzptabel zu erscheinen. Aber sie behalten ihr Ziel im Auge.

Das müssen sie ja nicht unbedingt erreichen.

Wenn ich die Schweiz wäre, würde ich das sehr genau beobachten.

Fred David 20. November 2012, 18:09

…übrigens wäre es ein grosser Fehler, das alles bloss auf eine Partei, einen Schlossbesitzer oder eine Wochenzeitung zu beziehen. Der Kreis ist deutlich weiter. Man ist nervös.

Markus Schär 21. November 2012, 08:12

Werter Herr Wampfler

Es ist nicht Ihre Art, auf das letzte Wort zu verzichten. Sie können hier schwurbeln, so viel Sie wollen, aber bei strafrechtlich relevanten Vorwürfen ist fertig luschtig. Das lernt jeder Journalist in der ersten Woche Journalistenschule, ein Erzieher unserer Jugend offenbar nicht. Schweigen gilt nicht als Entschuldigung. Ich harre also Ihrer rechtsgenügenden Belege, dass die Weltwoche betrügt, indem sie Fakten verdreht und Fakten falsch darstellt.

Philippe Wampfler 21. November 2012, 17:32

Werter Herr Schär
Mich erstaunt, wie überrascht Sie sich geben. Gerne spiele ich mit Ihnen Fact-Checking einer beliebigen Weltwoche-Ausgabe durch und belege Ihnen, dass »Fakten weggelassen, Fakten verdreht, Fakten falsch dargestellt« werden. Nur um beim Waldau-Beispiel zu bleiben: Da wird doch weggelassen, woher das Bild stammt, was es zeigt – und damit wird das Bild (als Faktum, das das Aussehen einer Person dokumentiert) verdreht: Es zeigt nicht das, was es zu zeigen behauptet.
Ich habe das zudem mal bei einem Hildebrand-Editorial gemacht: https://docs.google.com/document/d/12nmE9Ci2r88YxxnFmXiIBDpnhCDpQ4pMB-_TCpGBXPQ/edit
Nehmen wir auch noch die Kritik an den Professorinnen und Professoren: Da publiziert die Weltwoche mit nicht aufzuschlüsselnden Autoren-Angaben und stellt offenbar falsche Angabe in SMD ein, sie publiziert nachweislich falsche Angaben über die Zahl der Studierenden im Fach Rätoromanische Sprachwissenschaften und unterstellt, Professor Fischlin habe sich im IPCC-Report über das Schmelzen der Himalaja-Gletscher geäußert – obwohl er, das schreiben Sie richtig, nur an der »Zusammenfassung beteiligt« war. (Ganz präzise: Sie unterschlagen hier die Tatsache, dass für die Übernahme der WWF-Prognose explizit nicht Fischlin verantwortlich war.)
(Meine Aussage ist zudem nicht, dass Sie selbst in Ihrer journalistischen Arbeit das tun, sondern dass das, was Sie Stil nennen und was viel Kritik auf sich zieht, aus solchen Manipulationen von Fakten beruht.)

Markus Schär 21. November 2012, 21:01

Nur noch so viel zum Fall Fischlin: Da verdrehten Sie alles, um mir auf Twitter – wo sich keine differenzierte Debatte führen lässt, weshalb ich den Austausch mit Ihnen einstellte – Unehrlichkeit und Unredlichkeit vorzuwerfen. (Auch da: Sie meinen, Sie könnten sich alles erlauben.) Andreas Fischlin trug als Leadautor Verantwortung für mehrere IPCC-Berichte; dafür liess er sich – zu Unrecht – als Friedensnobelpreisträger feiern. So auch für den Teil des Reports von 2007 mit den absurden Aussagen zu den Himalaya-Gletschern. Als das Debakel aufflog, behauptete er aber, er habe die Passage, für die er als Leadautor dieses Teils mit seinem Namen stand, nicht gelesen, und entblödete sich nicht, zu beteuern, er hätte den Fehler erkannt. Eine erbärmliche Haltung für einen Wissenschafter, der am angeblich wichtigsten Dokument für die Menschheit mitarbeitet – dafür und nur dafür kritisierte ich ihn.

Das Urteil über Ihre anderen Argumente überlasse ich dem Publikum. Für mich gilt immer noch: qed.

Philippe Wampfler 21. November 2012, 22:26

Ja, überlassen wir das dem Publikum.
Sie haben Recht: Die Art, wie Fischlin mit dem Nobelpreis umging, war unredlich. (Das ist ja mittlerweile deutlich geklärt worden.) Und er hat unsorgfältig gearbeitet, weil er Verantwortung trug. Aber handelt es sich hier um eine »Irrlehre«, wie das Cover mit Bild von Fischlin versprach? Wäre es nicht redlich, seine eigene Forschung und Lehre zumindest zu erwähnen?

Tschuldigung 26. November 2012, 16:10

Das ist ja wohl hochgradig absurd. Man kann doch nicht nach Fakten, Fakten, Fakten schreien und dann, wenn solche geliefert werden, einfach den Kopf einziehen. Damit machen sie sich ja lächerlich. Hatt Herr Köppel in diesem Editorial nun wie von Herr Wampfler diverse Irrlehren verbreitet (im Volksmund gibt es dafür ein eindeutigeres Wort ) oder nicht? Ihre Argumentation fällt komplett in sich zusammen, wenn sie nicht einmal solche Fehler eingestehen können. Fehler, die ja nicht mal die ihrigen sind.

Vladimir Sibirien 28. November 2012, 08:08

Aber „Tschuldigung“, das ist doch immer so. Poltern, Empörung über die Kritik, der Schrei nach Fakten (optional kombiniert mit Theatralik wie Schmollen oder Rechtsmittelhinweis), dann ist plötzlich Stille. Es läuft jedesmal nach diesem Schema.

Die Themen, mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben, sind viel zu komplex für ein solches Marktgeschrei. Herr Seibt hat das wunderbar dargelegt. Es verhindert eine substantielle Behandlung eines Sachverhaltes und bindet nur Ressourcen. Letztlich hat es einzig zur Folge, dass im Status Quo verharrt wird. Für mich ist das die ultimative Perversion der Pressefreiheit.

Matthias Vogelsanger 20. November 2012, 15:36

Der Artikel illustriert schön, dass das Anliegen der – selbstdeklarierten – Medienvielfaltindustrie nicht Journalismus sondern Politik (aka Propaganda) ist. Wie Seibt richtig feststellt, bleibt Propaganda für den Nichtgläubigen öde, auch wenn sie sich in journalistische Reizwäsche wirft.

ugugu 24. November 2012, 00:05

@MarkusSchär: Fakten verdreht, weggelassen, falsch (und rassistisch) dargestellt? Nobrainer: Das Roma-Cover. Der Schweizer Presserat ist mein Zeuge.

Fred David 24. November 2012, 13:13

…und „La crise n’éxiste pas“, die Frontschlagzeile samt verquerer Faktendarstellung und Kommentierung am Tag, als die UBS unter den Staatsschirm floh, wollen wir auch nicht so schnell vergessen. Schliesslich war das der Goldene Medienschuss des Jahrzehnts.