von Nick Lüthi

Verlegers Wunderwelt

Jetzt also auch in der Schweiz: Nachdem deutsche Verleger und Chefredaktoren weitgehend faktenfrei einem Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse das Wort redeten, tun ihnen das die Schweizer Kollegen gleich. Mit Martin Spieler (Chefredaktor Sonntagszeitung) und Marc Walder (CEO Ringier) eröffnen zwei Schwergewichte mit schwachen Argumenten den Reigen.

Da der Text im Ressort «Nachrichten» steht, darf man davon ausgehen, dass es sich nicht um Satire handelt. Martin Spieler, Chefredaktor der Sonntagszeitung, hat in die Tasten gegriffen. Um Grundsätzliches zu festzuhalten. Es geht um Freiheit und Demokratie. Und die sind in Gefahr: wegen Google! Ein Konzern, der sich bei journalistischen Texten bedient und dafür keine Gegenleistung erbringt. Aber es ist noch nicht zu spät und eine Lösung in greifbarer Nähe. Das Zauberwort heisst Leistungsschutzrecht – Simsalabim, Google zahlt und den Zeitungen geht es auf einen Schlag wieder gut. So sieht es im Paralleluniversum aus, in dem sich Chefredaktor Spieler aufhält. Dort ist er nicht alleine, Verleger leisten ihm gute Gesellschaft. Nur ein paar Seiten weiter nach Spielers Traktat legt Ringier-Chef Marc Walder nach: Google betreibe «unlautere Ausbeutung», darf Walder unwidersprochen behaupten. Fernab juristischer Sachkenntnis dilettiert er weiter in der Metaphernhölle: Eine «moderne Art des Diebstahls»» praktiziere Google, zum Schaden für die Demokratie. Wie Spieler kennt natürlich auch Walder ein Allheilmittel gegen Google. Und – welch Wunder – es heisst auch bei ihm: Leistungsschutzrecht.

Es braucht kein besonderes Fachwissen, um diese Argumentation zumindest als unvollständig zu entlarven, deshalb nur kurz:

  • Google erbringt sehr wohl eine «Gegenleistung», was Spieler explizit abstreitet. Ein nicht unwesentlicher Teil der Zugriffe auf Nachrichtenangebote im Netz werden von Suchmaschinen vermittelt.
  • Mit «Diebstahl» hat Googles Geschäftspraxis rein gar nichts zu tun. Wenn Walder Google der illegalen Praxis bezichtigen möchte, dann wäre hier wenn schon der Begriff der «Schwarzkopie» angebracht. Aber das klingt halt viel weniger dramatisch.
  • Gegen eine Indexierung durch Suchdienste gibt es schon lange ein probates Mittel: robots.txt und raus bist du. Wer nicht von der Suche erfasst werden oder nur Teile seines Angebots zugänglich machen will, erreicht das mit einem simplen Programmierbefehl im Handumdrehen.

Wenn zwei erfahrene Medienmacher zentrale Aspekte ausblenden und wider besseren Wissens (so hoffen wir zumindest doch) ein einseitiges Bild zeichnen, dann gehört das zum Spiel und hat Methode; aus Deutschland ist solch faktenfreies Argumentieren für ein Leistungsschutzrecht hinlänglich bekannt. Nach dem gleichen Muster soll nun offenbar auch in der Schweiz Stimmung gemacht werden für eine «Lex Google».

Der martialische Ton, den Walder und Spieler gestern in der Sonntagszeitung angeschlagen haben, soll eine Problemlage in einem möglichst dramatischen Licht erscheinen lassen und letztlich den Gesetzgeber wachrütteln. Eine Gesetzesänderung beschliessen nicht die Verleger, sondern das Parlament. Zuletzt war das Leistungsschutzrecht für Online-Newsangbote 2009 dort ein Thema. Auf eine Interpellation von Kurt Fluri (FDP) antwortete der Bundesrat unmissverständlich: «Ein Leistungsschutzrecht würde somit einzig eine zusätzliche Schicht von Rechten schaffen, ohne dass dafür ein Bedürfnis ausgewiesen ist.»

Wenn in der Schweiz gerade jetzt die Forderung nach einer gesetzlich garantierten Einnahmequelle wieder aufs Tapet kommt, dann hat das nicht nur mit der Dynamik in Deutschland zu tun, sondern auch mit der kommerziellen Entwicklung des Online-Geschäfts. Das bewegt sich zwar stetig aufwärts, zeigt aber strukturelle Schwächen:

  • Um auszugleichen, was an Einnahmen beim Print wegbricht, bringen Einnahmen aus Online-Werbung und Paywall (noch) zu wenig ein.
  • Reichweitenstärke ist nicht mehr das Privileg der Massenmedien. Social Media – wozu auch Google mit seinen Werbeformaten zählt – ist näher am Kunden dran.
  • Der kommerzielle Erfolg von Paywall-Lösungen, die nun sämtliche Grossverlage hochziehen wollen, ist alles andere als gewiss.

Ein Manna wäre in dieser Situation natürlich hochwillkommen.  Mit Google haben die Verleger auch den richtigen Akteur im Visier: Gegen den Goliath anzutreten, macht sich immer gut. Wobei die Verleger als David eine denkbar schlechte Form abgeben. Auch sie wollen als Unternehmen in erster Linie Geld verdienen. Und in Bezug auf das Urheberrecht stehen die Verlage in keinem guten Licht: Mit der umautorisierten Übernahme von fremdem Bild- und Textmaterials, über die grosszügige Auslegung des Zitierrechts (Paraphrasieren) bis zu den Total-Buy-Out-Klauseln in den Arbeitsverträgen ritzen Verlage immer wieder den legalen Rahmen. Die Forderung nach einem zusätzliche Schutzrecht für Zeitungsverlage wirkt angesichts dieser unerledigten Hausaufgaben reichlich dreist.

Immerhin, und das muss man Martin Spieler bei aller Kritik an seinem Plädoyer zugute halten, will er zusätzliche Einnahmen an die Bedingung knüpfen, dass Verlage damit in publizistische Qualität und die Ausbildung von Medienschaffenden investieren. Nur: Das könnten sie schon heute – mit eigenen Mitteln und ohne ein langwieriges Gesetzgebungsverfahren mit ungewissem Ausgang abzuwarten. Insofern klingt die Forderung nach einem Leistungsschutzrecht nach einer billigen Ausrede: Zahlt Google nicht, investieren wir auch nicht in Qualität.

Leserbeiträge

Markus Böniger 04. Dezember 2012, 11:19

Als Verleger hätte ich tatsächlich Angst vor Google. Sollte nämlich Google einmal auf die glorreiche Idee kommen in der Schweiz eine eigene Redaktion zusammen zu stellen können diese Herren ihre Webseiten, mit oder ohne Paywall, runterfahren und entsorgen. Konsolidiert wird in den nächsten Jahren sowieso und wer überleben will muss ich anstrengen um die #1 in Print und Online zu werden. Und bis wir dort sind werden wir noch viele verrückte und protektionistische Ideen dieser Herren besprechen dürfen.

Mark. 04. Dezember 2012, 13:48

Gerade auf Blick.ch werden zahlreiche Beiträge rund um Youtube-Videos geschrieben, bei denen die Rechtefrage völlig unklar ist resp. an denen Blick bestimmt keine Rechte hat. Das geht von gewöhnlichen Home Videos bis hin zu Torszenen bei Fussballspielen.

Matthias Giger 06. Dezember 2012, 22:08

Sehr guter kommentierender Beitrag. Deckt eigentlich alles ab, was es dazu zu sagen gibt.
Ich frage mich, ob den Journalistinnen und Journalisten mit einer allfälligen Einführung des Leistungsschutzrechtes nicht eine niederschwellige Recherchemöglichkeit genommen wird. Schliesslich lässt sich über Google News hervorragend zu einem Thema recherchieren.

In meinen Augen wäre die Einführung des Leistungsschutzrechtes der Versuch, etwas zu trennen, das sich schon vermischt hat.