von Marc Reichwein

Do it yourself: Nachrichten!

Welcher Jugendliche schaut eigentlich noch Tagesschau? Die Schüler von heute klicken millionenfach LeFloid bei YouTube. Ein Blick hinter die Kulissen einer neuen Generation von Nachrichtenformaten.

Klassische Fernsehnachrichten haben ein Problem. Ihre Zuschauerschaft altert, und zwar massiv. Egal ob in den USA, der Schweiz oder in Deutschland: Verschiedene Studien weisen aus, dass das Durchschnittsalter der ARD-«Tagesschau» oder der ZDF-«heute»-Sendung bei 60 Jahren und darüber liegt. Junge Leute hingegen nehmen Nachrichtensendungen im Fernsehen meist als steif, langweilig und unpersönlich wahr. Und angeblich interessieren sie sich auch gar nichts für News. Einerseits.

Andererseits haben über 850’000 Leute bei YouTube die News von LeFloid abonniert, damit gehört der Videoblogger mittlerweile zu den deutschsprachigen Top-Ten-YouTubern. Ausgerechnet da, wo dem Klischee nach vor allem Katzenvideos und Schminktipps funktionieren, klicken Schüler also – Nachrichten. Wie geht das?

Mehr Blumio als Franz Fischlin
«Meiner Zielgruppe sind normale Fernsehnachrichten viel zu langsam. Die Leute verlieren das Interesse im Grunde schon beim Guten-Tag-Sagen des Moderators, das fünfzehn Sekunden dauert», weiss LeFloid. Er sagt «Aloha, Freunde!» statt «Guten Abend, meine Damen und Herren». Und er ist überhaupt mehr Nachrichtenperformer als Sprecher oder Moderator. Seine «LeNews» werden weder vom Blatt noch vom Teleprompter gelesen, sondern frei erzählt, auch gern mal mit selbstironischen Kommentaren unterbrochen.

Wo fernsehoffizielle Nachrichtensprecher möglichst unauffällige Kleidung tragen, sind bei LeFloid die wechselnden Spreadshirts ebenso ein Hingucker wie seine Tätowierungen, für die sich seine Zielgruppe im YouTube-Wiki interessiert. Ein Tattoo zeigt den lateinischen Schriftzug «in medias res». Das könnte auch fast sein journalistisches Motto sein, denn LeFloid erlaubt sich all das, was ein so genannter seriöser Nachrichtenredakteur nicht darf: Er gibt sich persönlich betroffen, thematisch involviert, meinungsstark. Seine Hände halten sich nicht still an einem Kugelschreiber fest. Sie hampeln herum, rudern, gestikulieren – fast wie beim Nachrichten rappenden Blumio.

Seit rund einem Jahr läuft LeNews bei YouTube, mittlerweile zweimal wöchentlich. LeFloid erreicht die Generation YouTube, also die 13-25-Jährigen, nach denen sich professionelle Nachrichtenmacher die Finger lecken. Aber, mag man jetzt fragen:

Sind das überhaupt richtige Nachrichten?
Sagen wir mal so: Die Inhalte von «LeNews» folgen keinen klassisch-journalistischen Nachrichtenfaktoren. Auch gehorchen sie keiner Chronistenpflicht. Am ehesten zieht noch das Relevanzkriterium der Zielgruppe. Nachrichtlich sind Themen wie Internetsucht oder der Plan, die Schul-Hausaufgaben abzuschaffen. In der gleichen Sendung kann es aber auch um Kinderadoptions-Tombolas in Pakistan, den Jonny-K.-Prozess in Berlin oder den Hitlergruss von Fussballern gehen. Und es geht vor allem um Authentizität. Das ist vielleicht überhaupt das entscheidende Kriterium von LeFloids Erfolg, der buchstäblich hausgemacht ist. «character driven» nennt LeFloid sein Format mit eigenen Worten. Er, der im echten Leben Florian Mundt heißt, Mitte Zwanzig ist und Psychologie und Rehabilitationspädagogik an der Berliner Humboldt-Universität studiert, tritt in seiner eigenen Bude vor’s Kamerastativ, hinter ihm hängen seine Skateboards und Gaming-Helden an der Wand.

Infotainment interpretiert er auf positive Weise neu, spielt mit Sprache, Ansprache und Aussprache. Wo ein Anchorman wie Claus Kleber vom ZDF im Flirt mit der Kamera allenfalls steife Manierismen ausgebildet hat, beherrscht LeFloid echte Rollenspiele. Besonders lustig immer dann, wenn er sich mit einer Art Vorhänge-Mustache kostümiert und eine Mischung aus Reaktionär und Funktionär mimt. LeFloids Nachrichten haben den Karaoke-Gestus von «Switch Reloaded» oft schon automatisch intus.

Interaktivität praktizieren statt predigen
Le Floids Erfolg in den sozialen Netzwerken gibt seiner Art und Weise, einer entweder gar nicht oder sowieso immer schon nebenher informierten Generation News zu bieten, Recht: Mit seinen 189’000 Fans bei Facebook stellt der Deutsche die Gefällt-mir-Quoten der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz glatt in den Schatten. Zum Vergleich: 168’000 gefällt die ARD-«Tagesschau», 117’000 Likes gibt es für die «heute»-Sendung des ZDF.

Das eigentliche Kunststück ist LeFloid aber mit seiner Kommentarkultur gelungen. Man reibt sich die Augen, aber zu seinen Videos werden sagenhafte 12’000, manchmal sogar 18’000 Kommentare gepostet. Und das in der als schreibfaul geltenden YouTube-Szene! «Ich hab lang daran gearbeitet, dass meine Community auch positives Feedback gibt. In der Regel kommentieren ja nur die Meckerer», erklärt LeFloid und ist sich sicher: «Man muss positive Comments bestärken.» Zur Interaktion motivierend beitragen mag sicher auch sein Modus, bei kontroversen Themen entsprechende Antwortmöglichkeiten vorzugeben: «Was meint ihr? Haut in die Comments doch einfach mal ein #JARP, wenn ihr … oder ein #NARP wenn ihr… denkt.»

«Was geht ab» – werktäglich und semiprofessionell
«Früher wollte ich mal Videospiele-Journalist werden, irgendwann sogar nur Journalist. Dann wollte ich Filme machen, und so bin ich bei YouTube gelandet», erzählt LeFloid. Seit gut einem Monat wirkt er neben seinem persönlichen LeNews-Kanal auch an einem weiteren News-Channel bei YouTube mit: «Was geht ab?» versucht, den Erfolg von «LeNews» mit mehr Tagesaktualität fortzusetzen (Trailer).

Vor der «Was geht ab»-Kamera stehen LeFloid und weitere Figuren aus der Berliner Youtuber-Clique, beispielsweise die Spacefrogs Rick und Steve oder Frodo. Hinter der Kamera wirken spezialisierte Producer und Rechercheure mit. Dass es Firmen wie Mediakraft und TIN TV gibt, die versuchen, Formate wie «Was geht ab» redaktionell zu professionalisieren und monetarisieren, zeigt, dass die schiere Reichweite bei YouTube längst die kritische Masse übersteigt. Man kann dort mit vorgeschalteter Werbung inzwischen auch richtig Geld verdienen. LeFloid ist das beste Beispiel: «Ich kann mir meinen Lebensunterhalt durch YouTube finanzieren.» Wie er sind alle seine Kollegen Vlogger, die nirgends gecastet wurden, sondern ganz einfach alle fast schon so lange eigene YouTube-Kanäle besitzen, wie es YouTube gibt. Viele haben sich zunächst auf Gaming-Kanälen mit Texten, Bildern und «Jump Cuts» auszuprobiert. Die Technik der sprunghaften Schnitte macht die Nachrichten von «Was geht ab?» zu einem erfrischenden Vergnügen.

«Was geht ab?» arbeitet oft mit zwei Sprechern, die sich in relativ schnellen Schnittfolgen abwechseln – wobei der jeweils im Hintergrund stehende Anchorman manchmal in lustiger Gebärdensprache kommentiert, was der vorne agierende gerade erzählt. Bewegte Videoeinspielungen gibt es kaum, Korrespondentenberichte gar nicht. Es geht vielmehr um eine Einordnung und Kommentierung. Mit Unterkanälen wie den «Happy News» oder dem meinungsbetonten «Was zum F?» (zuletzt zum Thema Lobbyismus) probiert man sich noch aus.

Tabu-Themen gibt es keine
Die Sprache ist jugendlich-drastisch und kennt den Jargon ihrer Zuseher („Alter Falter“, „Vollpfosten“), die Inhalte sind durchaus differenziert: Ob zum Facebook-Verbot für Lehrer, zu Edward Snowden oder zur Schwulendiskriminierung in Russland. «Unsere Zielgruppe besteht noch nicht aus informierten Medienkonsumenten, die schon selbst filtern könnten. Wir sehen uns durchaus in der Verantwortung für Dinge, die der Zielgruppe sonst entfallen würden», sagt Alex Moebius, Redaktionsleiter von «Was geht ab?». Und zu Themen, die sich die Community wünscht, gibt es Vertiefungen, den so genannten Background-Check.

Politische Bildung und ein Service public, der auf Bedürfnislagen eingeht – mit Verlaub: Kann man ein YouTube-Format da wirklich mit den Rundfunkanstalten mithalten? Ja, findet Robin Blase, Kanalmanager, und begründet schlagend: «Wenn die Tagesschau etwas für den Durchschnittswähler konkret macht, denkt sie an zwei mittelständische Mittvierziger mit zwei Kindern. Wir aber denken an die Kinder selbst, weil sie unsere Zuschauer sind.»

Joiz-TV finden sie eher peinlich
Klassisches Fernsehen? Kennt LeFloid gar nicht mehr. «Ich gucke mir Serien an, aber auch nur online. Und ich habe 125 Youtube-Kanäle abonniert.» Ein Start-up wie Joiz, das soeben von der Schweiz nach Deutschland expandiert und versucht, die Idee des klassischen Fernsehens mit der des Internets zu verzahnen, betrachten er und seine Kollegen wohlwollend, aber auch ein bisschen schmunzelnd als «Retorten-TV». In ihrer YouTube-Welt gibt es nun mal keine gecasteten Moderatoren. Sondern nur Menschen, die ihre Kreativität ausleben. «Und zwar nicht mit einem halben Jahr Vorproduktion, wie im Fernsehen. Bei YouTube macht man eben einfach. Und kann’s auch wieder lassen.» Wer nichts wagt, wird nichts gewinnen. Gilt im Leben wie im Spiel und – für manche überraschend – auch im Journalismus.

Am Samstag, 24. August 2013, findet in der Lanxess-Arena in Köln der VideoDay 2013 statt. Bei Europas größtem YouTuber-Treffen kommen über 7000 Leute zusammen. Auch LeFloid wird vor Ort sein.

Leserbeiträge

Gregor Keuschnig 23. August 2013, 12:40

Interessant die Stellungnahme des „Redaktionsleiters“ – und zwar nicht das Gesagte, sondern dass es überhaupt einen Redaktionsleiter gibt. So ganz „authentisch“ (der neue Gott aller irgendwie Medien- oder Kulturschaffenden) ist das also (auch) nicht.

In diesem Zusammenhang wirkt die Aussage, dass es in der Youtube-Welt „keine gecasteten Moderatoren“ gebe kühn. Denn auch in dieser zur Schau gestellten Lässigkeit steckt ja eine Pose, eine Art „Bilderspiel“ (als Weiterentwicklung zu Wittgensteins Sprachspiel-Vokabel). Hierzu passen denn auch diese eher naßforschen Angrenzungsversuche zu den Mainstreammedien. Die Inszenierung ist nur eine andere, aber es ist eine Inszenierung. Und zwar eine erfolgreiche, denn Zugriffs- und Kommentarzahlen sind enorm.

Ueli Custer 23. August 2013, 18:01

850’000 Abonnenten tönt natürlich gut. Aber das ist weltweit. Wie viele sind es wohl in der Schweiz oder in Deutschland. Ich denke in der Schweiz dürften es vielleicht 100 sein. Oder bestenfalls 1000. Für unseren Medienmarkt jedenfalls kaum von Bedeutung. Zumal News zwangsläufig einen starken Bezug auf ein Land aufweisen – ausser Promi-News über international bekannte Stars.

Marc Reichwein 23. August 2013, 19:38

Bei YouTube in deutscher Sprache braucht man von „weltweit“ ja kaum zu sprechen. Insofern sind die Zahlen natürlich für den deutschen Sprachraum. Die News selbst haben, wie die Beispiele zeigen, ja gerade keine sehr nationalspezifische Agenda. Es geht um Smartphones in Nordkorea genauso wie um Hitlergrüße griechischer Fußballer.

Matthias Giger 24. August 2013, 08:33

Dass die öffentlich-rechtlichen Sender ein Generationenproblem haben sei unbestritten. Dass sie sich auf die Suche nach neuen Formaten machen sollten ebenfalls. LeFloid ist aber bitte kein gutes Beispiel. Seine Sendung ist ja fürchterlich. Mit Nachrichten hat das meiner Meinung nach wenig zu tun. Eher schon mit einer Talkshow ohne Talkgäste oder mit einem, der sich am Stammtisch übereifert und von den andern ausgelacht wird. Ich sage nur Trennung von Nachricht und Kommentar. Es gibt eben journalistische Standards, die sollte man nicht über Bord werfen. 850’000 Abonennenten? Da werden sich die Ritalinhersteller aber freuen.

Da schaue ich mir lieber eine Sendung von Dittsche an. Da habe ich wenigstens etwas zu lachen. Und das neueste des Neusten erfährt man auch.

Nix gegen youtube. Da gibt es sehr sinnvolle Videos. Beispielsweise wie man ein Computerproblem löst oder fotografiert.

Ronnie Grob 24. August 2013, 10:59

Es gibt eben verschiedene Zielgruppen, vielleicht ist Dein Medienkonsum nicht ganz vergleichbar mit dem eines 11-jährigen Schülers. Wenn sich alle Menschen nur «sehr sinnvolle Videos» anschauen würden, dann liefe am Samstagabend auf RTL «Telekolleg: Chemie» oder so, mit Unterbrecher-Werbung für kluge Sachbücher. Lobenswert ist doch LeFloid deshalb, weil er Menschen, die sonst niemals Nachrichten schauen würden, auf eine (für diese Zuschauer offenbar) unterhaltsame Weise mit Nachrichten konfrontiert.

OneOfTheLeFloidArmy 24. August 2013, 20:39

ICH LIEBE FLOH!!!!!
Er ist echt der GEILSTE YOUTUBER EVER!!!!
Ich gucke jeden Montag und jeden Donnerstag LeNews und feier das aufs übelste!
Und über 860.000 Abonnenten zu haben is schon verdammt gut.Klar gegen Gronkh(1.900.000 Abonnenten) oder Y-Titty(2.100.000 Abonnenten) is das noch wenig aber erst einmal so weit zu kommen verdient respekt!
und was geht ab und techscalibur ersetzen schon lange die tagesschau.Man kommt einfach nicht an unsere generation ran, wenn man nachrichten mit ’nem Stock im Arsch präsentiert(nix gegen die Tagesschau.Sie kann schon gut sein, nur die heutige generation braucht eben ein bisschen mehr Action)

Und ALLE die sagen YouTube is nur für schöne Katzenvideos gut: SCHAUT EUCH ERST MAL DIE VIDEOS AN BEVOR IHR SO RUMHATET!!!

Janosch Tröhler 26. August 2013, 16:28

Ich mag LeNews und Floid hat mich dazu inspiriert, selbst Videos zu produzieren – allerdings mit Fokus auf kulturellen Inhalten.

Keine Frage, diese Form von Nachrichten ist nichts für den Medienaffinen gesetzten Alters, doch das ist ja auch nicht das Ziel. Von daher finde ich es lobenswert, wie hier junge ZuschauerInnen zum Medienkonsum angeregt werden. LeFloid fordert zur Meinungsbildung auf und schafft das auch noch. Chapeau!

Ich frage mich, wie lange es geht, bis Mediakraft ein Büro in Zürich eröffnet. Das Unternehmen ist mittlerweile in mehreren deutschen Städten präsent sowie in Polen und Holland.

tim 09. Oktober 2013, 23:51

Ehm le news sind deutschsprachige nachrichten
Ich bezweifle das der abonentenraum über deutschland und schweiz sowie österreich hinausgehen weil kein zb. Amerikaner dies gucken würde

tim 09. Oktober 2013, 23:56

Ausserdem ist gerade relevant, das floid das publikum dazu anregt sich an der debatte zu beteiligen und ernsthaft drüber nachdenkt wie man bzu einem themaq stehen sollte

Marc Reichwein 31. Oktober 2013, 21:26

Nachtrag: Wow, keine zwei Monate später ist es soweit. LeFloid schafft die Million. Damit hat er mehr Zuschauer als das Lauberhornrennen im Schweizer Fernsehen! Der Abfahrtsklassiker lockte in der letzten Übertragung von SRF 2 am 19. Januar 2013 gerade mal 909’000 Menschen vor den Bildschirm.