von Ronnie Grob

Die Party ist noch nicht vorbei

Von Krise keine Spur: Den Schweizer Verlegern geht es richtig gut. Das sieht man alle Jahre am Medienkongress. An ihrer Selbstbeweihräucherungszeremonie lassen sich die Medienmacher die Party nicht gerne vermiesen, auch von einem Bundesrat nicht. Beobachtungen aus dem Victoria-Jungfrau Grand Hotel in Interlaken.

In der bescheidenen Pension Victoria
Der Aufenthalt im 1864 als Pension Victoria erbauten Victoria-Jungfrau Grand Hotel fühlt sich an wie ein Besuch im Bundeshaus, einem Kunstmuseum oder einem geweihten Gebäude; das bescheidene eigene Dasein wird einem bei jedem Schritt bewusst. Das wundervolle Prunkgebäude, in dem Zimmer zwischen 500 und 2000 Franken angeboten werden und im Durchschnitt für 366 die Nacht verkauft werden (2012) scheint genau der richtige Ort für die reichen Zeitungsverleger, ihren Jahreskongress zu feiern. Gegen eine Zahlung von 400 Franken darf ich als Journalist mit dabei sein und gebe mir Mühe, nicht zu wenig vom beim Abendessen am Donnerstag servierten Pinot Noir, Réserve du Patron (35,40 die Flasche) zu trinken. Als Unterkunft wähle ich den sehr sympathischen und besonders bei jungen Südkoreanern und Chinesen beliebten Lazy Falken (60 Franken die Nacht, WC und Dusche auf dem Flur).

Umbruch und Aufbruch
Warum der Medienkongress unter dem Motto «Umbruch und Aufbruch» stattfand, war zunächst nicht klar, hatte doch Hanspeter Lebrument, Verlegerpräsident seit zehn Jahren, die Medienkrise für «beendet» erklärt (2010). Doch von jemand, der glaubt, er könne Google «Nachhilfeunterricht» geben (2007), ist vielleicht nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen.

2013 schaut man also nach vorne und bemüht sich ernsthaft, dem Motto gerecht zu werden. Und das gelingt gar nicht schlecht: Keine der Veranstaltungen ist grottenschlecht, langweilig wird einem nur bei Otfried Jarren (Präsident Eidg. Medienkommission) und zeitweise bei den Eigen-PR-Vorträgen von Philipp Welte (Verlagsvorstand Hubert Burda Media) und Rainer Esser (Geschäftsführer Zeitverlag). Die Triebkraft für die Neuorientierung des Verbands scheint bei Blogger Norbert Neininger zu liegen; er präsentiert den äusserst erfrischenden Investor Eran Davidson, der Investmentsfonds in der Höhe von 180 Millionen Franken an junge Unternehmen zu verteilen hat und echten Unternehmergeist in diese Veranstaltung (von Unternehmern, man glaubt es kaum) bringt. Ringier-CEO Marc Walder findet den Vortrag «very interesting and provocative».

Davidson empfiehlt beispielsweise, den 22-Jährigen in der Firma zuzuhören, «weil deren Verstand immer noch klar ist. Sie wissen nicht viel, aber sie wissen es besser als Du». Und auch allen anderen, manchmal sei es ja die Sekretärin, die eine geniale Idee habe. Gute Unternehmer würden ein Klima schaffen, in dem solche Menschen angstfrei zu Wort kommen.

Eine Blase um Michael Ringier
Ich versuche mir vorzustellen, wie Ringier-Verleger Michael Ringier gebannt an den Lippen von «Glückspost»-Praktikanten und Ringier-Journalistenschülern hängt, um etwas zu lernen, das er für sein Leben und seine Firma brauchen kann. Aber irgendwie gelingt es mir nicht recht. Es tauchen stattdessen Bilder auf von Tennisplätzen, Kunstgalerien, Villen, Telefonhörern, Füllfederhaltern, Hinterzimmern, Luxushotels, Limousinen, Privatjets, bevölkert mit Frauen und Freunden seines Alters, seiner Klasse, seinen Vermögensverhältnissen. Vielleicht müsste Rolls-Royce-Fahrer Ringier einfach mal an einem SVP-Buurezmorge einige seiner Leser kennenlernen. Schliesslich kann er durchaus locker sein und hat den Mut, auch bittere Wahrheiten gelassen auszusprechen: «Wir haben kein Monopol mehr, das ist doch das grosse Problem!»

Immerhin kennt er «Deutschlands bekanntester Blogger». Angeblich ist das ein gewisser Philipp Riederle (*1994), auf dessen Website zwar kein Blog zu finden ist, aber dafür haufenweise Berichte der etablierten Medien. Tatsächlich ist Riederle Videopodcaster, Unternehmensberater, Vortragsredner und Buchautor. Ringier über Riederle: «Er sagte: ‹Make sense.› – Darum geht es.» Dem kann man sich nur vorbehaltslos anschliessen.

Im Podiumsgespräch mit Gabor Steingart (Herausgeber Handelsblatt) liest Ringier dann Leserkommentare Schweizer Medienseiten vor, die sich kritisch mit ihm auseinandersetzen. Kommentare konkurrierender Medienseiten natürlich, auch wenn auf Blick.ch ebenfalls kritische Leserstimmen veröffentlicht werden. Ist es die Aufgabe eines Verkäufers, sich öffentlich über Kundenreaktionen zu beschweren? Oder hat das Internet Ringier Wahrheiten aufgezeigt, die ihm bisher von seinem Umfeld erfolgreich vorenthalten wurden? Für einen Moment erhält man den Eindruck, Leserbriefschreiber seien die besseren Menschen als Online-Kommentierer. Natürlich ist das Blödsinn: Leserbriefe und Leserkommentare werden von den Redaktionen geprüft und freigegeben.

Hinsichtlich der Berichte über die Nicht-Bestätigung von Andrea Bleicher als «Blick»-Chefredaktorin aufgrund eines «Daumen runter» des gut befreundeten Frank A. Meyer sagt er sympathisch selbstironisch, die Lage sei doch klar: «Die Schwulengang hat die Lady rausgeknallt.» Und: «Früher hat Frank A. Meyer meine Wahlzettel ausgefüllt, heute tut das meine Frau, denn Meyer hat ja nichts mehr zu sagen.» Humor darf man ihm attestieren, doch als Boulevardverleger, selbst als widerwilliger, ist er viel zu dünnhäutig. Michael Ringier ist das Aushängeschild einer Branche, die Kritik üben lässt, Kritik an sich aber einfach nicht ertragen kann. Dabei kritisiert doch sogar die von Michael Ringier geliebte Kunst – gemeinsam mit seiner Frau Ellen wurde der Kunstsammler im Kunstwerk «Motherfuckers never die» von Jota Castro verewigt (ausgestellt an der Art Basel 2009).

«Jahrhundertfehler» Kostenlos-Kultur
Die Vortragenden sind sich einig, Schuld an der schlechten Branchenstimmung sind vor allem jene, die negativ reden: «Print wird totgeredet», klagt Philipp Welte. «Unsere Inhalte kostenlos abzugeben, ist der Jahrhundertfehler unserer Branche», sagt Gabor Steingart. Auch Rainer Esser will keine Inhalte verschenken, die gut Geld verdienende Gratiszeitung «20 Minuten» lobt er trotzdem. Warum sie nur immer über ihre angeblichen «Jahrhundertfehler» reden und dabei weiterhin ihre Inhalte kostenlos im Internet anbieten, bleibt ihr Geheimnis. Die wichtigsten NZZ-Artikel gibt es trotz Website-Paywall kostenlos auf dem Smartphone. In der «Blick»-App (einmalig 4 Franken) ist sogar jeden Tag die ganze Printausgabe kostenlos zugänglich. Offenbar trauen sich die Verleger nicht recht zu, Inhalte zu produzieren, die den Kunden tatsächlich etwas wert sind. Mehr dazu in unserem Artikel «Pseudokostenpflicht».

Norbert Neininger liefert als einer der einzigen Vortragenden keinen Verkündigungsauftritt, sondern eine Prezi-Präsentation inklusive zwei YouTube-Videos. Als die Technik diese abspielt, blendet YouTube Werbung ein, die sofort reflexartig weggeklickt wird. Aber echt, immer diese Scheiss-Werbung! Mit der man selbst online Geld verdienen will. Aber die Frage ist berechtigt: Warum nervt Werbung im Netz derart, dass man sie sofort und unbesehen wegklickt?

Solidarität für Gattungsmarketing
Printwerbung nervt nicht, trotzdem brauche es dafür Gattungsmarketing, meldet Peter Wanner aus dem Department Werbemarkt: «Printwerbung macht immer noch einen Umsatz von 1,8 Milliarden Franken. Aber Sie können sich vorstellen, was das bedeutet für uns alle, wenn wir da jedes Jahr 100 Millionen Franken verlieren.» Ausserdem wäre es schön, wenn auch die Redaktionen mal etwas mitspielen würden: «Es täte sicher gut, wenn auch die Printmedien ab und zu etwas Positives über Print vermelden würden.» Seine Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung des Gattungsmarketings habe gut gearbeitet, allerdings musste man dann bei einer Sitzung in Weggis bemerken, dass die gefassten Pläne dafür satte 1,9 Millionen Franken kosten (und das jedes Jahr, ab 2015). «Jetzt ist Solidarität gefragt», steht in der Powerpoint-Präsentation von Wanner.

Keine Lohnverhandlungen mit Angestellten
Auf Lohnverhandlungen mit dem Journalistenverband Impressum lassen sich die Verleger nicht ein, denn Präsident Lebrument erklärt, er habe deren Entwurf zu einer Vereinbarung über die Arbeitsbedingungen nicht gelesen, weshalb – hallo Logik – es auch keine Verhandlungen geben könne. Verbandsvertreter Urs Thalmann verlässt nach den anschliessenden langwierigen, völlig ergebnislos bleibenden und äusserst ermüdenden Diskussionen die Medienkonferenz mit einem sehr lauten Knallen der Türe, fassungslos über solche, wie soll man ihnen sagen, bauernschlauen Tricks? Ehrlich gehandelt hätte der Verlegerverband, in dem er zugegeben hätte, gar nicht verhandeln zu wollen. Die ganze Farce fasst Philipp Cueni auf edito.ch zusammen, mit dabei auch die abenteuerliche Lebrument-Aussage, es gebe keine Arbeitslosigkeit im Journalismus.

Ein Präsident per Akklamation
Warum wurde der 2010 ins Präsidium gewählte Urs Gossweiler mit einem Reisegutschein verabschiedet? «Er ist nicht wieder angetreten», antwortet Hanspeter Lebrument auf Nachfrage und sagt Gossweiler zur Verabschiedung: «Wir werden Deine Einsitznahme im Präsidium nicht so schnell vergessen.» Auf Anfrage sagt Gossweiler: «Ich habe dem Präsidium meine Gründe dargelegt und dort sollen sie auch bleiben.» Gilbert Bühler von den «Freiburger Nachrichten» rückt nach, kein Gegenkandidat stellt sich. Lebrument wird nach einem kurzen positiven Votum von Pietro Supino als Verlegerpräsident bestätigt; sehr schnell und etwas undurchsichtig läuft das ab, als hätte man Angst, jemand könnte eine Diskussion beginnen. Supino fragt nicht, ob jemand etwas gegen eine Wahl einzuwenden hat, er lässt gar nicht erst abstimmen. Sondern sagt: «Wenn wir das alle auch wollen, dann bestätigen wir das durch Akklamation.» Man klatscht verhalten, womöglich haben nicht alle das Fremdwort verstanden. Ganz zu Beginn der Veranstaltung gab es übrigens keinen Applaus für Lebrument.

Lebrument mag ein guter Ausgleich sein zwischen den grossen und den kleinen Verlegern sowie zwischen Stadt und Land. Tatsächlich sind einfach alle heilfroh, dass er diesen Job macht, auf den sonst niemand Lust hat. Deshalb bestätigt man ihn, klatscht höflich seinen abenteuerlichen Reden und buht sie nicht aus. Lebrument geniesst im Gegenzug die Aufmerksamkeit und sonnt sich etwas in der Reihe der bisherigen Verlegerpräsidenten (er legt dazu ein Slide auf, das die 11 Präsidenten in den 115 Jahren des Verbands zeigt, mit ihm unten rechts). Mit Widersprüchen kommt er gut zurecht und spricht einerseits von Printmedien, die «völlig im freien Markt agieren» und plädiert andererseits für die Beibehaltung der gesetzlichen Bevorzugung seiner Branche (ermässigter Post- und Transporttarif, reduzierter Mehrwertsteuersatz).

Ein Präsident, der nicht mehr ist als ein schlechter Kompromiss und Delegierte, die alles beschweigen und abnicken. Man hätte vorne die Revolution ausrufen können, diese Delegierten hätten höflich geklatscht. Um Schweizer Verleger aus der Reserve zu holen, braucht es schon einen Ueli Maurer.

Der Bundespräsident macht Stunk
Gibt es einen Menschen in der Schweiz, der in den 1990er-Jahren mehr öffentliche Aggressionen ertragen musste als Ueli Maurer? Sein Briefkasten wurde mit Fäkalien gefüllt, sein Haus mit Farbbeuteln beworfen, die Pneus am Auto zerstochen, er selbst mit einer Torte beworfen. Von Viktor Giacobbo wurde er jahrelang als fröhlich-dümmlicher Lakai Christoph Blochers dargestellt. Von Roger Schawinski als «Parteipräsident von Blochers Gnaden» tituliert, hatte er irgendwann genug und verliess den Sonntalk. Vor 2000 hatte Ueli Maurer unter den Journalisten kaum Fans, inzwischen hat er einige wenige gewonnen. Doch unter vielen Journalisten, man muss sich da nichts vormachen, herrscht ein den Tatsachen nicht gerecht werdendes Bild eines Bauerntölpels vor.

Als Maurer spricht, hört ihm der halbgefüllte Saal zunächst aufmerksam zu. Doch als er statt konkrete Medienkritik sattsam bekannte Allgemeinplätze in voller Unschärfe bringt, erhöht sich die Unruhe. Irgendwann bricht dann der Ärger, am eigenen Anlass frontal angegriffen zu werden, durch und kulminiert in einzelnen Pfiffen, Hahas und Buhrufen (natürlich nicht von den vorderen Tischen, an denen die Verlegerelite mit besonderen Gästen sitzt, während alle anderen stehen müssen). Aus der Schummerigkeit des hinteren Raumes stimmen erstaunlich viele in die Buhrufe ein, natürlich nur, um sich im persönlichen Gespräch danach von solchen Aktivitäten zu distanzieren (schriftliche Rede / mündliche Version).

Wiederum: Was für ein grossartiges und freies Land, in dem der höchste Vertreter der Exekutive von Verlegern und Journalisten ausgebuht wird, man sich danach friedlich wieder zusammen hin setzt und niemand klagt, niemand wird verhaftet, niemand verschwindet.

Mehr zu Maurers Rede in «Der Wert der Medienschelte» von Nick Lüthi. Ausserdem wurde sie am Dienstagabend im Schweizer Fernsehen verhandelt:

Musik & Tanz
Ob der für Freitagabend angekündigte Tanzabend tatsächlich ausgefallen ist, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, leider bin ich sofort nach dem Nachtisch aus Langeweile eingeschlafen. Den glasigen Blicken einiger anderer zu folgen, sind sie mir bald gefolgt. Um 22.30 Uhr waren nicht mehr viele anwesend, wie schon die ganze Veranstaltung über wurden Frauen und Journalisten nur vereinzelt gesichtet. Vielleicht haben die Herren Verleger noch miteinander getanzt.

Solange die Werbetreibenden sich nicht grundlegend umorientieren oder eine tiefgreifende Wirtschaftskrise Einzug hält, wird bald wieder gefeiert. Für nächstes und übernächstes Jahr ist das Grand Hotel in Interlaken jedenfalls bereits gebucht. Noch ist die Party der durch das Internet von ihrem Monopol befreiten Zeitungsverleger nicht vorbei.

Leserbeiträge

Frank Hofmann 26. September 2013, 23:38

Wenn schon der Anlass langweilig war, ist wenigstens der Bericht darüber amüsant. Merci, Ronnie Grob. Nur eine Frage: Hat Roger Köppel auch gemeckert beim Vortrag von Ueli Maurer, oder war er am Ende gar nicht dabei?

Ronnie Grob 27. September 2013, 07:23

Roger Köppel war in Interlaken nicht anwesend.

Oliver Baumann 27. September 2013, 11:43

Ich war doch auch ein paar mal am Verlegerkongress – bezahlt habe ich aber nie dafür. Als Journalist kann man sich akkreditieren lassen.

Ronnie Grob 27. September 2013, 11:52

Ich habe mich akkreditieren lassen. Die Auskunft des Verbands Schweizer Medien war, dass die Kongresskarte für Berichterstatter kostenlos sei, aber: «die Kostenbeteiligung für den Donnerstag Abend sowie die Schweizer Mediennacht am Freitag Abend beträgt CHF 400». Diese Kosten habe ich an den Verband Schweizer Medien überwiesen, Medienwoche.ch hat sie mir rückerstattet. Wie ich erfahren habe, hat auch Philipp Cueni von «Edito + Klartext» diesen Betrag bezahlt.

Oliver Baumann 27. September 2013, 17:14

Oha, happig…

Marc Reichwein 27. September 2013, 22:17

Lustig, ich hab kürzlich die Pendant-Veranstaltung in Deutschland erlebt. Gleicher Frauenmangel, gleiche Selbstbeweihräucherung, und auch ein Bundespräsident als Gastredner, allerdings mit mehr Trost als Schelte im Gepäck.

Mag ja eine ernüchternde Erkenntnis für Medienjournalisten sein, aber ich glaube der Hauptzweck von solchen Verbandstreffen sind selten Inhalte. Vorträge, Podiumsdiskussionen und Visionen stiften allenfalls etwas Begleitmusik. Das Wichtigste ist die Kontaktpflege bei Speis & Trank. Am Morgen nach der großen Feier zählt: Wer versackte mit wem wann noch wie lang. Unterm Strich bahnen sich bei solchen Anlässen wohl eher individuelle Karrieren als Verbands-Revolutionen an. Wenn ein Roger Köppel fehlte, hat er sich mit Recht lieber um sein Blatt als um die Branche gekümmert.