von Adrian Lobe

Grosse Reichweite, geringe Einnahmen

Facebook spielt als Verbreitungskanal für journalistische Inhalte eine wichtige Rolle. Kein Wunder bei 1,1 Milliarden Mitgliedern. Aber Geld verdienen Medienunternehmen damit kaum. Doch welche Rolle spielen News genau auf Facebook? Eine Suche nach Erklärungen.

Es ist ein Experiment: Der Tages-Anzeiger veröffentlichte in letzter Zeit einzelne Artikel vor der Veröffentlichung in Zeitung und Web auf seiner Facebook-Seite, der immerhin gut 13’000 Leute folgen. So auch am 3. November, als die Redaktion einen kurzen Essay von Jean-Martin Büttner über satirische Web-Collagen auf der Facebook-Seite postete. «Die Resonanz ist sehr gut», resümiert Christian Lüscher, Reporter und Teamleiter Social Media beim Tages-Anzeiger. Lüscher identifiziert eine genuine Leserschaft auf Facebook, die weder mit den Print- noch Online-Rezipienten vergleichbar sei. Und die auch eigene Präferenzen habe: «Das klassische News-Business, negative Storys oder Hard News funktionieren bei uns nicht», beobachtet Lüscher auf Facebook. Umso mehr aber leichterer Stoff, wie etwa Einblicke in den Newsroom der Redaktion oder Karikaturen. «Die Leute lechzen danach. Die Reichweite, die Like- und Share-Quote sind überdurchschnittlich», sagt Lüscher. Damit bestätigt er die These, wonach über Facebook eine «ganz andere Leserschaft» erreicht werde.

Finden, wonach man gar nicht sucht

Einer aktuellen Studie des Pew Research Center zufolge ist der Nachrichtenkonsum auf Facebook weit verbreitet, folgt aber eher zufälligen Mustern. Von den 5173 Befragten aus den USA im Erwachsenenalter sagten 78 Prozent, Meldungen erreichten sie eigentlich nur, wenn sie aus anderen Gründen auf Facebook sind. Facebook erreicht auch ein Publikum, das sonst nicht an Nachrichten interessiert ist. Lediglich vier Prozent der Teilnehmer gaben an, sie würden gezielt auf Facebook gehen, um sich zu informieren. Ein Befragter formulierte es treffend: «Ich glaube, Facebook ist eine gute Art, Neuigkeiten herauszufinden, ohne eigentlich danach zu suchen.» Das beiläufige Aufschnappen von Nachrichten, nach denen man gar nicht gesucht hat («Serendipity»), wurde immer wieder als Alleinstellungsmerkmal der gedruckten Zeitung hervorgehoben. Das Internet könne dies nicht leisten, da suche man immer nur gezielt, werden Zeitungsverleger nicht müde zu betonen. Die Studie bricht mit diesem Vorurteil. Dass Facebook kein Nachrichtenportal ist, sondern nur ein Durchlauferhitzer, ist bekannt.
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Während nur 38 Prozent der «heavy news followers», also der intensiven Nachrichtenkonsumenten, angab, Facebook sei für die Informationsgewinnung wichtig, stieg dieser Wert bei den weniger Interessierten auf 47 Prozent an. Das heisst: Facebook ist für fast die Hälfte aller Befragten der Studie eine wichtige Nachrichtenquelle. Ein Befragter schrieb: «Wenn es keine Facebook-News gäbe, würde ich vielleicht nie wirklich wissen, was in der Welt draussen abgeht, weil ich einfach nicht die Zeit habe, um mit den Neuigkeiten an mehreren Orten mitzuhalten.»

Diese Antwort ist beispielhaft. Facebook ist für junge Nutzer das Fenster zur Welt geworden. Für die Medien bedeutet sie, dass sie über Facebook eine Zielgruppe ansprechen können, die sie über konventionelle Kanäle wie Zeitungen, Radio oder Fernsehen immer weniger erreicht. Von den Nachrichtenkonsumenten auf Facebook sind etwas mehr als ein Drittel, 34%, im Alter zwischen 18 und 29 Jahren. Und zwei Drittel (67 Prozent) derjenigen Nutzer, die mindestens eine Stunde pro Tag in dem sozialen Netzwerk verbringen, lesen dort auch Nachrichten.

Rasante Zunahme von Likes und Shares

Der Nachrichtenkonsum auf Facebook ist ein kaum erforschtes Verhalten. Was man erfassen kann, ist die Verlinkung von Facebook auf journalistische Inhalte (Content). Gemäss einer Studie des Media Partnerships and Global Operations ist der sogenannte «referral traffic», also die Weiterleitungsrate, von Facebook zum US-Magazin «Time» um 208 Prozent zwischen September 2012 und September 2013 gestiegen. Die Website Buzzfeed verzeichnete sogar einen Zuwachs von 855 Prozent. Buzzfeed setzt vor allem auf witzige und skurrile Inhalte, die sich in sozialen Netzwerken schnell verbreiten sollen. Im August klickten die Seite nach eigenen Angaben 85 Millionen Leute an.

Auch Facebook selbst bemüht sich um eine bessere Vernetzung journalistischer Inhalte mit sozialen Netzwerken. Die Seite «Facebook+Journalists» hat mittlerweile fast eine Million «Gefällt mir-Angaben». Vor Kurzem veröffentlichte der New-York-Times-Reporter John Eligon dort ein Postskriptum seines Interviews mit dem amerikanischen Rechtsradikalen Craig Cobb. So konnte der Journalist das «Making-of» seines Gesprächs einer breiteren Öffentlichkeit präsentieren – und neue Leser gewinnen.

Der Medienwissenschaftler Joshua Benton, Direktor des Nieman Journalism Lab an der Universität Harvard, sagt: «Das Potenzial von Facebook liegt darin, dass Hunderte von Millionen Leute viel Zeit darin verbringen. Die Kehrseite aber ist, dass Facebook erreichen will, dass seine Nutzer auf der Seite bleiben.» Es sind die Gesetze der Aufmerksamkeitsökonomie: Je länger sich die Nutzer auf Facebook aufhalten, desto mehr gehen sie auf die Angebote ein – und desto mehr verdient Facebook mit Werbung.

Entsprechend reisserisch und trashig sind denn auch manche Storys, die auf Facebook Erfolg haben. Laut einer Untersuchung des Guardian war 2012 der meistgeteilte Artikel in Grossbritannien (296 154 Likes) eine Geschichte auf Mail Online über eine tote Katze, aus der ein Spielzeug-Helikopter gebastelt wurde. Auf Platz zwei landete eine ebenso skurrile Story über angeblichen Sex ägyptischer Männer mit ihren verstorbenen Ehefrauen (ebenfalls auf Mail Online). Und auf Platz drei folgte ein Videobeitrag über eine Hundefahrschule in Neuseeland auf BBC News. Was zeigt: Es sind vor allem Soft News, die häufig geteilt werden.

Top-Thema Taubenjagd

Seit November gibt es mit Themenpuls.ch in der Schweiz die erste Themenhitparade für Medieninhalte. Der Informationsdienst aggregiert und analysiert täglich Tausende von Share- und Kommentar-Aktionen auf Facebook, Twitter, Google+ sowie auf den News-Plattformen selbst. Auf Grundlage der Net-Metrix-Audit-Datensätze schlüsselt der Dienst die Rezeption von Artikeln in sozialen Netzwerken nach Ressorts auf. So hatte ein Artikel in «Le Matin» über die brutale Wachtel- und Taubenjagd in Spanien mit Abstand die meisten Reaktionen (total 3609, vor allem Facebook-Shares und Kommentare) ausgelöst. Im Ressort Wirtschaft bewegte der Artikel «Die Lifestyle-Veganer kommen» (485 Shares und Likes auf Facebook) auf tagesanzeiger.ch die Nutzer am meisten. Und im Ressort Panorama landete, wenig überraschend, 20 Minuten mit einem Artikel über gerettete Tiere in Fukushima auf Platz eins (1679 Shares und Likes).

Facebook hat kürzlich für Medienpartner (Zeitungen und Zeitschriften, aber auch Blogs) die Funktion «Stories to Share» freigeschaltet. Durch das Tool wird dem Administrator im Kopfbereich der eigenen Facebook-Seite eine blaue Box mit Vorschlägen gezeigt, welche Beiträge auf der Webseite gut laufen und welche man auf Facebook für einen Post verwenden könnte. Facebook will mit dem neuen Feature seine Zusammenarbeit mit Medienunternehmen verstärken. Die Frage ist: Wer profitiert von wem?

Der Internetkonzern steigerte seine Werbeeinnahmen in diesem Jahr um 41 Prozent auf 1,33 Milliarden US-Dollar. Doch bekommen Content-Produzenten ein Stück vom Kuchen ab? «Nein», sagt Joshua Benton. «Facebook wird die Medien nicht retten. Eine solche Forderung ist simplifizierend. Facebook erhöht zwar beträchtlich den Traffic für Nachrichtendienstleister und kann ein mächtiges Instrument für die Verbreitung individueller Storys sein. Aber es bietet über die altbekannten Anzeigestrategien hinaus keine neuen Kanäle, Einnahmen zu generieren. Die Monetisierungsoptionen für Nachrichtenproduzenten sind quasi nicht-existent.» Wie auch Google aggregiert Facebook Inhalte, um sie für seine Zwecke dienstbar zu machen – ohne die Autoren daran zu beteiligen. Facebook geht es nicht um Qualitätsjournalismus, sondern um Gewinne. Über das soziale Netzwerk können Print- und Onlinemedien zwar ihre Reichweite erhöhen. Doch versilbern lässt sich der Effekt wohl nicht.