von Ronnie Grob

Palastrevolution

Im August 2013 herrschte einmal mehr Unruhe in der Führung des «Blick» und seinem Politikressort. Ein Protest des Newsroom-Kaders scheiterte, René Lüchinger wurde Chefredaktor. Mehrere langjährige Mitarbeiter gingen oder mussten gehen, so der die politische Linie prägende Henry Habegger. Im Richtungsstreit der Boulevardzeitung verlieren die in den letzten Jahren dominierenden linkskonservativen Kräfte an Einfluss. Teil 2 unserer Serie zum Ringier-Verlag.

Die Frage nach dem «Blick»-Chef und und der Linie der Boulevardzeitung ist immer wieder neu ein Thema. Während die deutsche «Bild», politisch konservativ und mit sinkender Auflage kommerziell erfolgreich, seit 13 Jahren vom heute auch erst 49-jährigen Kai Diekmann geleitet wird, wechseln die Verantwortlichen bei der Schweizer Boulevardzeitung ständig: Jürg Lehmann (1999), Werner de Schepper (2003), Rolf Cavalli (2007, interimistisch), Bernard Weissberg (2007), Ralph Grosse-Bley (2010).

Abgänge langjähriger Mitarbeiter

Nach der Trennung im Februar 2013 von Ralph Grosse-Bley («in bestem Einvernehmen») ergriff Andrea Bleicher die ihr interimistisch übertragene Leitung mit Enthusiasmus und stellte mehrere Mitarbeiter ein. Hinter den Kulissen wurde im März bereits René Lüchinger kontaktiert, was vermuten lässt, dass Bleicher gar nie eine echte Chance hatte, ihre interimistische Chefposition zu behaupten. Um Bleicher zu halten, wurde das Angebot an Sie, zu Lüchingers Stellvertreterin herabbefördert zu werden, mehrfach finanziell aufgebessert, die Rede ist von bis zu 300’000 Franken Jahreslohn. Dass schlussendlich sowohl Bleicher als auch ihr Lebenspartner Rolf Cavalli nach vielen Jahren Mitarbeit die Firma verliessen, hat die Ringier-Führung ernstlich überrascht, auch wenn sie durchaus informiert war über die private Beziehung der beiden. Mit Cavalli hat man sich dem Vernehmen nach noch um Ferientage gestritten. Nach 16 Jahren treuer Mitarbeit.

Am 11. August berichtete die NZZ am Sonntag über Lüchingers Berufung als Chefredaktor, was die Woche darauf eine breite Solidarisierungsaktion der «Blick»-Redaktion mit Bleicher auslöste, die in einem Brief an Marc Walder gipfelte («ein abermaliges Experiment mit ungewissem Ausgang»). Lüchinger, der bisher kaum je unbequem aufgefallen ist und mit Boulevard nur wenig Erfahrung hat, erhielt einen Dreijahresvertrag. Er ist zwar als fleissiger Arbeiter bekannt, aber man spottet schon, er werde sich wohl danach frühpensionieren lassen und nach Spanien gehen, um seinen Ruhestand zu geniessen.

Die Mitarbeiter-Aktion nützte nichts. Die Verunsicherung danach war aber so gross, dass neben Florian Fels (CEO Publishing), René Lüchinger, Christine Maier, Frank A. Meyer, Michael Ringier und weiteren mehr sich tatsächlich auch CEO Marc Walder mit der in einem Grosskonzern doch eher nachrangigen Personalie eines Politik-Redaktors befassen musste. Warum? Weil sich letztlich niemand endgültig dafür verantwortlich zeigen wollte, den Meyer-Vertrauten Henry Habegger zu entlassen – zu oft wurden Leute, die Meyer nahe standen, bald darauf auch zu Ex-Ringier-Mitarbeitern. Veranlasst hat den fristlosen Rauswurf von Habegger dann Florian Fels, dabei seit März 2013. Wie intern mitgeteilt wurde, sei Habeggers Verhalten in diesem konkreten Fall nur der Tropfen, der ein ohnehin volles Fass zum Überlaufen gebracht habe.

Hintergrund für die Entlassung von Habegger, der bei der «Schweiz am Sonntag» vorerst einen neuen Job als Politikredaktor gefunden hat, war eine Auseinandersetzung mit dem eben erst von Andrea Bleicher neu eingestellten stv. Politchef der «Blick»-Gruppe, Andreas Kunz (der in einem Weltwoche-Text 2008 die Rechnung aufstellte, dass der konzernweite Schaden, den Frank A. Meyer bei Ringier bisher angerichtet habe, sich auf rund 300 Millionen Franken belaufe). Nach dem Abgang von Andrea Bleicher geriet Kunz bald in Konflikt mit Henry Habegger und Irene Harnischberg, die seine Artikel intern aggressiv kritisierten. In der Folge erhielten die beiden Redaktoren eine von den Kadermitarbeitern in der «Blick»-Gruppe getragene, schriftliche Abmahnung – von illoyalem Verhalten war darin die Rede, von Beschimpfungen anderer Mitarbeiter und eigenmächtigem Verhalten.

Fall «Carlos»

Kunz, entnervt von der Auseinandersetzung, kündigte am 27. August, just an jenem Tag, als er die Titelgeschichte zeichnete, einem Dienstag (Titelschlagzeile: «Sozial-Wahn! Zürcher Jugend-Anwalt zahlt Messerstecher (17) Privatlehrer, 4 1/2-Zimmer-Wohnung und Thaibox-Kurse. Kosten: 22 000 Fr pro Monat»). Der Fall «Carlos» war auch am Mittwoch («Zu brutal für den Knast!»), Donnerstag («‹Der Staat macht ihn zur Killermaschine›») und Freitag («Samurai-Kurse für einen Mutter-Prügler!») Titelschlagzeile, immer mit Kunz als Lieferant der Story. Weil Kunz mit dem Aufgreifen des Fall «Carlos» den «Blick» für eine Woche wieder in das Zentrum der nationalen Aufmerksamkeit rückte, was sonst selten bis nie passiert, sorgten sich die Ringier-Kader mit mehreren Sitzungen um seinen Verbleib – am Ende blieb er jedoch bei der Kündigung, was jene, die sich um ihn bemühten, enttäuschte. Für Kunz ist die Sache «abgeschlossen», er übernimmt nun die stv. Chefredaktion der «Sonntagszeitung», gemeinsam mit Andrea Bleicher.

Verwaistes Politik-Ressort

Seit ihrem Abgang hat die «Blick»-Redaktion gleich vier interimistische Chefs, dafür ist das Politikressort nach dem Abgang von Kunz, Habegger und dem bisherigen Chef, Jürg Auf der Maur, verwaist. Erkundigt man sich zur Absetzung von Habegger, so ist von einer Palastrevolution, von einem grossen Befreiungsschlag die Rede, denn Habegger war sozusagen der Abgesandte von Meyer in Zürich. Wenn auch nicht in allen Fragen gleicher Meinung, teilt er grundsätzlich Meyers Weltanschauung und setzte sie erfolgreich im «Blick»-Politikressort durch. Chefredaktoren, die ihn kritisch hinterfragten, beschied er auch mal selbstbewusst, sein Chef heisse Meyer. Gegenüber der MEDIENWOCHE gibt Habegger zur Sache keine Auskunft, bei «Interna» verfahre er immer so. Nach seinem Verständnis sind Journalisten «keine Akteure».

Mit den Abgängen von Henry Habegger (16 Jahre bei Ringier) und Clemens Studer (ehemaliger stv. Chefredaktor, 13 Jahre bei Ringier, ging im Februar) schwinden jene Kräfte, die den «Blick»-Politikteil gegen den Grossteil der Leserschaft auf gewerkschaftlich-sozialdemokratischer Linie gehalten haben. Werner Vontobel, seit vielen Jahren der Garant für eine solche Haltung in Wirtschaftsfragen, bleibt an Bord. Für Habegger wurde schnell Ersatz gefunden – ausgerechnet im Pressesprecher der SP Schweiz, Andreas Käsermann. Der war überrascht von der Anfrage, hatte aber Interesse am Job und unterzeichnete deshalb einen bis zum 3. Februar befristeten Vertrag. Er werde die SP in seiner Berichterstattung nun aber weder strafen noch bevorzugen, auch wenn nun einige vermuten würden: «Es stimmt: Ich wähle links, ich stimme links, ich habe schon als Bundeshausjournalist meine Denke gehabt», sagt er auf Anfrage, und natürlich ist es so, dass auch jene Politikjournalisten, die ihre politische Haltung verschleiern, eine haben. Käsermann gibt aber zu, dass er sich als Pressesprecher der SVP nicht beworben hätte: «Das hätte ich nicht glaubwürdig vertreten können.»

Personelle Engpässe

Ausgewählt wurde Käsermann auch, weil Mitarbeiter der «Blick»-Politikabteilung, die sich den Ruf einer «Schlangengrube» erarbeitet hat, derzeit verzweifelt gesucht werden, angeblich geht man die Impressen der Konkurrenz Name für Name durch. Politik findet derzeit im «Blick» kaum noch statt. Am vergangenen Freitag waren auf der Seite 2, bei der deutschen «Bild» Pflichtlektüre für die Politiker, Geschenkideen zu lesen sowie ein Bericht, dass die Oberstufe Wädenswil 40’000 Franken gewonnen hatte. Auch die an sich begehrenswerte Stelle des «Blick»-Politikchefs, die in den letzten vier Jahren von Clemens Studer, Michael Perricone und Jürg Auf der Maur besetzt wurde, wird von vielen abgelehnt. Könnte nicht Frank A. Meyer mal diesen Posten übernehmen und im Newsroom das Zepter schwingen? Dafür müsste er aber Berlin verlassen und Verantwortung übernehmen – was ausgeschlossen erscheint. Von Ringier kontaktiert wurden unter anderem Constantin Seibt (Tages-Anzeiger) und Christof Moser (Schweiz am Sonntag). Doch so richtig kann man sich Seibt nicht vorstellen beim «Blick», und auch Moser hat kürzlich öffentlich Freiheit vor Führungsaufgaben gestellt.

Immerhin eine Personalie konnte inzwischen vermeldet werden. Der Anfang Juni angekündigte Autorenpool der «Blick»-Gruppe, der am 1. November seine Arbeit aufnehmen wollte, hat nach fünf Monaten neben Leiter Peter Hossli einen ersten Mitarbeiter gefunden: Jean François Tanda. Der «Blick»-Autorenpool ist übrigens eine aufgewärmte Idee aus dem Jahr 2002, die damals augenscheinlich keinen dauerhaften Erfolg nach sich zog. Neben den Stellen im Politikressort ist weiterhin auch der Blick.ch-Chefsessel unbesetzt, den sich derzeit Thomas Enderle und Benjamin Rüegg teilen (ad interim).

Die linkskonservative Fraktion um Meyer hat nach dem Abgang von Werner de Schepper 2008 die zweite Niederlage erlitten. Auch wenn nun der Weg für nachhaltige Reformen in der Zeitung freier ist als auch schon, scheuen die Journalisten vor Ringier wie Pferde vor der Klapperschlange. Mit der fristlosen Entlassung von Henry Habegger durch Florian Fels ist ein Schritt getan, es braucht aber wohl noch weitere grundlegende Veränderungen, damit die Marke «Blick» zu einer Adresse wird, die gute Journalisten anzieht. An Intrigen, Mobbing und Missachtung der Kompetenzbereiche haben verständlicherweise nur wenige ein Interesse.

Ausblick

Die von Fels geleitete «Blick»-Gruppe steht vor der wichtigen Frage, wie es mit den Konvergenz-Bestrebungen weitergeht. Mit dem Newsroom existiert dafür eine gute Grundlage, die letzten Entscheidungen zielten aber eher in eine andere Richtung: Weder René Lüchinger noch Christine Maier sind für herausragende Onlinekompetenz bekannt und mit Blickamabend.ch wird diesen Donnerstag ein neues Fass aufgemacht, das seine Verträglichkeit mit Blick.ch erst noch beweisen muss.

Was die Leser wirklich interessiert und empört, zeigte kürzlich Roger Baur. Sein Text über sich selbst den Lohn erhöhende Berner Kantonsparlamentarier wurde bisher über 5000 mal bei Facebook geteilt.

Übersicht der Ringier-Serie:
1. Teil: Königshaus der Anständigen
2. Teil: Palastrevolution
3. Teil: Golden Boy der begüterten Kapitalistenhasser

Leserbeiträge

10. Dezember 2013, 11:25

Wobei anzumerken ist, dass Baurs erwähnter und oft geteilter Artikel aus dem „Blick am Abend“ stammt (Regio Bern).

Ronnie Grob 10. Dezember 2013, 11:54

Korrekt. „Blick am Abend“ (Ausgabe Bern) vom Donnerstag, 21. November 2013, Seite 9. Im Blick.ch-Artikel ist das allerdings nicht ersichtlich.

10. Dezember 2013, 21:12

We are family…