von Philip Kübler

Komisches Verbot

Das strafrechtliche Verbot der Rassendiskriminierung ist eine seltsame Norm unseres Kommunikationsrechts. Auch wer das Verbot komisch findet, muss anerkennen, dass es keine Comedy ist: Es enthält nämlich keine explizite Ausnahme für Satire oder Kunst. Deshalb müssen die Gerichte auch Bagatellfälle entscheiden. Dabei sollte man kleinen Ausrutschern mit Gelassenheit begegnen und sich den ernsten und ernst gemeinten Äusserungen von Rassismus zuwenden – politische Korrektheit in Ehren.

Gleich drei medial verbreitete Auftritte, die man mit unterschiedlicher Strenge als Ausrutscher bezeichnen könnte, stehen an der Spitze einer aktuellen Diskussion zum Rassismusverbot in der Schweiz:

  • Massimo Rocchi: Der bekannte Kabarettist sprach in einer Talksendung über den jüdischen Humor.
  • Alexander Tschäppät: Der Berner Stadtpräsident machte im Rahmen eines Auftritts als Comedian Witze, unter anderem über Italiener.
  • Birgit Steinegger: Die bekannte Kabarettistin parodierte mit schwarz bemaltem Gesicht die Episode um Oprah Winfrey in einem Modegeschäft in Zürich

In allen drei Fällen steht eine Strafverfolgung wegen Rassendiskriminierung zur Diskussion. Weiteren Zündstoff bringen die nahenden Auftritte des französischen Komikers Dieudonné, dem Rassismus und Hetze gegen das Judentum vorgeworfen werden. Sie sind im Vergleich mit den hier interessierenden drei Anlässen ungleich problematischer (vgl. NZZ am 23. Januar 2014).

Im Zentrum des Medienrechts steht das Recht auf freie Meinungsäusserung. Prinzipiell soll alles gesagt werden dürfen, auch öffentlich. Die Kommunikationsfreiheit ist elementar, eine Ausprägung der persönlichen Freiheit, die sich dadurch äussert, wie sich die Menschen selbstbestimmt beschäftigen, verhalten, ganz allgemein wie sie leben. Es gilt Freiheit – es sei denn, man müsse etwas aus einem überwiegenden Grund verbieten.

Verbote sollten klar und deutlich eingegrenzt sein, damit man sich darauf einstellen kann und damit die Freiheit keinen unnötigen Schaden nimmt. Strafrecht ist subsidiär, vor ihm greifen die Mittel der gesellschaftlichen Moral und andere Instrumente des Rechts wie Zivil- und Verwaltungsrecht. An diese Ordnungsprinzipien ist auch vorliegend zu denken.

Wir haben uns an Einschränkungen der freien Kommunikation gewöhnt, denn es liegt auf der Hand, dass es zahlreiche Beispiele schädigender und deshalb «verbotener» Kommunikation gibt: Der Zeuge vor Gericht sagt nicht die Wahrheit, der Betrüger lügt in Serie oder verwendet gefälschte Urkunden, die Angaben und Deklarationen auf Produkten oder Heilmitteln stimmen nicht, falsche Börseninformationen führen Anleger in die Irre.

Zweierlei fällt an diesen Einschränkungen auf:

  • Immer sind die Ausnahmen eng definiert, damit sie die freie Äusserung in der Gesellschaft nicht gefährden.
  • Es kommt auf den Zusammenhang und auf die Stellung und Absichten des Täters an.

Ungewöhnlich ist ein direktes Verbot bestimmter Äusserungen, ohne dass es auf einen bestimmten Schaden oder auf einen bestimmten Zusammenhang ankommt. Das Rassismusverbot ist eine solch ungewöhnliche Bestimmung. Man muss sich seinen Zweck vor Augen führen. Rassendiskriminierung schützt nicht die Ehre oder Privatsphäre einer Person. Sondern sie ist ein Verbrechen gegen den öffentlichen Frieden. Das Verbot schützt also direkt einen gesellschaftlichen Zustand und (nur) indirekt die Angehörigen aller Rassen, Ethnien und Religionen. Rassismus kann Kriege auslösen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zerstören. An dieses Anliegen des öffentlichen Friedens hat der Gesetzgeber gedacht, als er die Rassismusstrafnorm in Kraft gesetzt und die Meinungsäusserungsfreiheit auf diese Weise eingeschränkt hat.

Die Formulierung der Strafnorm in Art. 261bis StGB wird immer wieder kritisiert. Doch schon heute stechen die hohen Voraussetzungen ins Auge, die einer Bestrafung zugrunde liegen müssen, wenn dem Täter eine bestimmte Äusserung vorgeworfen wird:

  • Es muss eine Rasse, Ethnie und Religion angegriffen werden.
  • Nur öffentliche Äusserungen sind betroffen.
  • Es braucht einen Aufruf zu Hass oder Diskriminierung, oder eine Herabsetzung «in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise».
  • Nur der vorsätzlich handelnde Täter, der den so definierten Rassismus bzw. die so definierte Diskriminierung äussern will, kann bestraft werden (Art. 12 Abs. 1 StGB).

In der Auslegung des Verbotes muss das genannte freiheitliche Prinzip gelten, besonders die Meinungsäusserungsfreiheit. Als Grundrecht der Bundesverfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht dieses Prinzip über den Gesetzen und beeinflusst deren Interpretation. Die Gerichte berücksichtigen die Grundrechte, wenn sie Verbote im Einzelfall auslegen. So etwa der Europäische Gerichtshof, als er kürzlich die Schweiz rügte, die einen türkischen Nationalisten wegen Rassendiskriminierung verurteilt hatte.

Das Gesetz könnte die Freiheit von Information, Diskussion und Meinung, die Kunstfreiheit oder auch die Zulässigkeit der Satire ausdrücklich vorbehalten. Im Persönlichkeitsschutz etwa gilt die Regel, dass ein überwiegendes öffentliches Interesse eine verletzende Publikation rechtfertigen kann. Rechercheure und Enthüller können die gesellschaftliche Bedeutung einer Information oder Diskussion legitimierend in die Waagschale werfen. Das heutige Verbot der Rassendiskriminierung enthält solche Rechtfertigungen nur implizit.

Mit dem Rassismusverbot wurde bewusst eine Politik verfolgt, die den Anfängen wehrt. Eine vereinzelte Rassendiskriminierung mag harmlos wirken, doch sie kann gesellschaftspolitischen Zündstoff enthalten. Schwelenden Rassismus mit politischer Korrektheit bekämpfen, das entspricht einem US-amerikanischen Konzept gegen Diskriminierungen. Wer die USA kennt, wird nicht sagen können, dass es ohne Wirkung ist. Es setzt den Hebel bewusst früh an, um eine «slippery slope» zu vermeiden, ein gefährliches Abrutschen. Die Geschichte, gerade die europäische, hat die Menschen gelehrt, dass frühe Zeichen erkannt werden müssen und dass die öffentliche Kommunikation fatal verstärkend wirken kann.

Politische Korrektheit wird gern belächelt und getadelt, doch sie greift längst weit um sich. Sie wird auch von Interessenvertretern ausgelebt, die sich kein wichtiges Anliegen wie die Erhaltung des kulturellen Friedens auf die Fahne schreiben.

Ein ernsthaftes Argument gegen politische Korrektheit (und ein besseres als die Beobachtung, dass politische Korrektheit langweilig oder bieder sei) ist der Gegenvorschlag, der Hebel sei spät anzusetzen, dort wo es nötig ist, und man solle alle Unreinheiten und geschmacklichen Verstösse tolerant zuzulassen, solange sie unter diesem Radar segeln. Auf diese Weise verarbeitet eine Gesellschaft in einem akzeptablen Bereich ihre Konflikte, ohne dass es definierte Verlierer und Gewinner gibt – das ist besser als wenn über heikle Themen geschwiegen werden muss. So verhält es sich ja typischerweise mit den Freiheiten der anderen: Man erträgt allerlei Unfug und Unsinn, darf aber kritisieren und kommunizieren. Schweizerischem Pragmatismus entspricht eine solch gelassene Haltung besser als das Ersticken unerwünschter Äusserungen.

Ein weiterer Aspekt erschwert die Einordnung des Rassismusverbotes. Verbotener Rassismus ist nicht nur das Herabsetzen einer bestimmten Person, auf die man eine Äusserung bezieht. Verboten ist auch die Herabsetzung einer unbestimmten Gruppe von Menschen, sobald es sich um eine Rasse, Ethnie oder Religionsgruppe handelt. Das sind z.B. dunkelhäutige Menschen, Italiener, Juden, wie es die aktuellen Beispielfälle Steinegger/Tschäppät/Rocchi illustrieren.

Damit unterscheidet sich das Rassismusverbot vom gewöhnlichen zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz und vom strafrechtlichen Ehrenschutz. Diese Regeln und Verbote gelten nämlich nur dann, wenn eine bestimme Person ins Visier genommen wird, z.B. Michael von der Heide im soeben entschiedenen Gerichtsfall. Die Ehre von Politikern, Blondinen, Männern, Managern, Bauern etc. ist – als Menschengruppe – nicht geschützt. Kategorien darf man schonungslos beleidigen, mit Witzen oder mit Wut. Sogar offensichtlich sensible und schützenswerte Gruppen wie Kinder, Behinderte, Kranke können nicht einfach so Klage einreichen, vorbehältlich eines besonderen Kontextes. Es gilt die Faustregel, dass man nur dann aufpassen muss, wenn man eine bestimmte Person verunglimpft, die genannt wird oder individuell erkennbar ist, zum Beispiel als Teil einer klar umrissenen Gruppe (z.B. «Nationalräte», nicht aber «Verwaltungsräte»). Das Rassismusverbot hat hier etwas hinzugefügt: Es ist auch ohne Personifizierung immer heikel, wenn man sich öffentlich gegen eine Rasse, Ethnie oder Religion wendet.

Gibt es Sonderregeln für Humor und Witz, ein Privileg vielleicht? Das ist viel diskutiert, doch der nüchterne Blick ins Gesetz zeigt: Es gibt hier keine Ausnahme. In der Praxis wird es dem Satiriker oft am rassistischen Vorsatz fehlen, und der Humor kann eine Distanzierung herstellen, die den Rassismusvorwurf vom Tisch fegt. Als Regel wird man gegenüber Comedy und Satire auch juristisch gesehen toleranter sein, gesellschaftlich betrachtet sowieso. Der Presserat hat sich schon früh in einer ausbalancierten Stellungnahme mit den Eigenheiten und Grenzen der Satire befasst und dabei die Schweizer Satiriker zu Wort kommen lassen (Stellungnahme Nr. 8/96 vom 7. November 1996: Medienethische Grenzen satirischer Medienbeiträge.)

Gelassenheit ist der bessere Ratgeber als die Strafanzeige, doch wenn geklagt wird, muss der Verdächtigte wohl den befreienden Gerichtsentscheid suchen. Und Behörden müssen ja von Amtes wegen einschreiten, denn Rassendiskriminierung ist ein Offizialdelikt. Manchmal kommt es vor, dass der Beschuldigte seinerseits wegen Ehrverletzung klagt, weil man ja nicht als Rassist bezeichnet werden will. Auf diese Weise geht der Prozess nicht ohne Verlierer aus: das Gegenteil von Gelassenheit.

Dieser Tage sind die Medien voll von Meinungen zur aktuellen kleinen Rassismusdebatte. Die kleine Diskriminierung findet dabei immer wieder die Öffentlichkeit, z.B. wenn Witzbeispiele publiziert werden, selbst solche, die man als unzulässig taxiert. Auch den ursprünglichen Diskussionsteilnehmern, Kommentatoren und Satirikern werden solche Bruchstücke nicht immer gerecht. Der Italienerwitz oder die Bemerkung über Juden werden aus dem Zusammenhang und Präsentationskontext gerissen. Die Äusserung steht plötzlich isoliert da, und allein der Betrachter und Twitterer entscheidet über Empörung oder Belustigung. So gehen entlastende Umstände verloren, was im Grunde die Frage aufwirft, ob die Verbreiter und Zuspitzer im Einzelfall eine grössere Verantwortung tragen könnten als die Urheber solcher Äusserungen, die in den jüngsten Fallbeispielen keinen ernsthaften Verdacht verdienen, straffällige Rassisten zu sein.

Leserbeiträge

Matthias Giger 25. Januar 2014, 06:03

Ein langer aber lesenswerter Text. Die Frage am Ende ist interessant. Bei der Kaskadenhaftung werden in schlimmen Fällen auch jene Medien belangt, die bei der Verbreitung helfen. Wenn sie dann auch noch empörend zuspitzen, verlassen sie zumindest aus medienethischer Sicht den Pfad der reinen Berichterstattung.