von Markus Knöpfli

Oft mehr Schein als Sein

Der Fall TagesWoche wirft einmal mehr ein schlechtes Licht auf die Basler Medien. In den letzten zwei Jahren haben gleich mehrere grössere Unternehmen punkto Nutzerzahlen geschummelt – und gegenüber den Werbekunden die nötige Transparenz vermissen lassen. Diese geben sich diplomatisch und halten sich mit öffentlicher Kritik zurück.

Geht es um Leser-, Auflagen- oder Zuschauerzahlen, so nahmen es die TagesWoche (TW), die Basler Zeitung (BaZ), die Basellandschaftliche Zeitung (bz) und TeleBasel in den letzten zwei Jahren nicht allzu genau. Man darf es auch pointierter sagen: Bezüglich Nutzerzahlen wurde und wird geschummelt. Dabei geht es immer um dasselbe: Auf der Jagd nach Werbegeldern gaukelt man den Werbekunden mehr Leistung vor als tatsächlich vorhanden ist. Oder man behauptet etwas, was man gar nicht weiss. Illegal ist das vielleicht nicht, aber bisweilen bewegt man sich doch im dunkelgrauen Bereich des Zulässigen. Fairness gegenüber Kunden und Mitbewerbern sähe jedenfalls anders aus.

  • Fall 1 der TagesWoche: Die junge Wochenzeitung weist 22’639 Abos aus, damit erschien sie als zweitgrösste Bezahl-Zeitung in der Nordwestschweiz. Tatsächlich lieferte sie aber 11’500 Abo-Exemplare – also gut die Hälfte – im Gegengeschäft an Flughäfen und liess sie dort gratis auflegen, 8250 Exemplare davon in Zürich-Kloten und damit ausserhalb des eigentlichen TW-Verbreitungsgebietes. In der Mediadokumentation war davon nie die Rede. Fazit: Die TW war in der Region Basel nie die Nummer 2, sondern lag nach BaZ, bz und Schweiz am Sonntag (Ausgabe Nordwestschweiz) immer deutlich abgeschlagen auf Platz 4.
  • Fall 2 der Tageswoche: Die TW liess bisher keine Leserzahlen erheben, obwohl sie dies bei rechtzeitiger Anmeldung schon im letzten Herbst hätte tun können. Kaschierte sie so ihre vielen Flughafen-«Abos»? Fakt ist: Die TW gab dennoch in ihrer Mediadokumentation vor, sie habe 79’000 Leser, also drei Leser pro Exemplar.
  • Fall 3 der Tageswoche: Die TW verzichtet seit gut einer Woche auf die Auslieferung der 8250 «Abo»-Exemplare an den Flughafen Zürich. Ein Schritt in die richtige Richtung. Damit reduzierte sie aber ihre Leistung um rund ein Drittel, weshalb auch eine ähnliche Reduktion des Inseratetarifs angezeigt wäre. Das aber lässt noch auf sich warten.
  • Fall Basellandschaftliche Zeitung: Verleger Peter Wanner stellte im letzten Frühjahr die Auflage seiner Basellandschaftlichen Zeitung schöner und jene der Konkurrentin BaZ schlechter, als sie sich später bei der Beglaubigung präsentierten.
  • Fall 1 der Basler Zeitung: Auch die BaZ lässt am Flughafen Basel täglich 1400 «Abos» gratis auflegen, ohne dies in der Mediadokumentation zu deklarieren. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Wanners Behauptung, wonach die BaZ-Aboauflage in der Region Basel gegen 40’000 Exemplare tendiere, erscheint nun plötzlich in einem etwas anderen Licht.
  • Fall 2 der Basler Zeitung: Die BaZ hat nie kommuniziert, wie viele zahlende Abonnenten ihre ehemalige Sonntagsausgabe hatte. Ein Grossteil der Auflage wurde 15 Monate lang gratis verteilt.
    • Rückblende: Die BaZ-Sonntagsausgabe startete anfangs 2012 mit einer dreimonatigen Gratis-Auflage von 230’000 Exemplaren (Januar bis März 2012), dreimal mehr als die damalige Auflage der BaZ-Werktagsausgabe. Nach der Gratisverteilung verheimlichte die BaZ aber, wie viele Exemplare sie effektiv verkaufen konnte. Fest steht: Ab 1. Juli 2012 erhielten alle 70’000 BaZ-Abonnenten die Sonntagsausgabe plötzlich ungefragt weiter – und zwar gratis – bis zu deren Einstellung im März 2013. Kurz vor dem Ende kommunizierte die BaZ für die Sonntagsausgabe eine unbeglaubigte Auflage von 55’0000 Exemplaren. Wie viele davon abonniert (bezahlt) waren, liess sie aber weiterhin offen.
  • Fall 3 der Basler Zeitung: Im Herbst 2012 wies die Wemf der BaZ 163’000 Leser aus, 2000 mehr als zuvor. Die BaZ jubelte und schrieb von einer gestiegenen Reichweite – ohne offen zu legen, wie die überraschende Steigerung zustande kam. Auch liess der Verlag den Anzeigentarif unverändert bei 18’700 Franken pro Inserateseite, womit er sonntags und werktags eine ähnliche Leistung suggerierte. Tatsächlich aber dürfte die Werktagsausgabe etwa 20’000 Leser oder 12% ihrer Reichweite verloren haben.
    • Rückblende: Als einziger Schweizer Verlag liess die BaZ die Leserzahlen ihrer Tageszeitung und ihrer Sonntagsausgabe gemeinsam erheben und ausweisen. Dieser Extrazug und die dreimonatigen Gratis-Startauflage genügten, um die Reichweite des Titels nach oben zu drücken und ein leichtes Wachstum zu suggerieren. Dies obwohl die Auflage der Werktagsausgabe in derselben Zeit um 10’000 Exemplare (und somit um etwa 20’000 Leser) gesunken war. Die Zahl «163’000 Leser» stand ein Jahr lang in der BaZ-Mediadokumentation und wurde vom Verlag nie relativiert.
  • Fall Tele Basel: Der Sender lässt seine Quoten seit fast einem Jahr nicht mehr von der TV-Forschung Mediapulse messen. Dennoch findet sich auf telebasel.ch der Satz: «Rund 100’000 Zuschauer sehen täglich Telebasel.» – ohne Quellenangabe. Auch die Mediadokumentation enthält keine weiteren Infos. Es scheint aber, dass Tele Basel auf die Zahlen von Mediapulse aus dem Jahre 2012 zurückgreift: Damals kam der Sender (nach alter Messung) noch auf 95’100 Zuschauern pro Tag. Nach neuer Messmethodik hingegen erreichte TeleBasel im ersten Quartal 2013 nur 77’000 Zuschauer pro Tag. Das sind 23% weniger als die angegebenen 100’000 Zuschauer. Mit diesem Resultat bekundete der Sender aber derart Mühe, dass er bei Mediapulse ausstieg und nun lieber die Erinnerung an die alten Zahlen und Zeiten wach hält.

Diese Liste ist nicht abschliessend. Erstaunlich ist, mit welcher Unverfrorenheit solche Tricks gegenüber der Werbewirtschaft immer wieder vorkommen. Noch erstaunlicher ist aber, dass bei einigen Medien oft Personen mitentscheiden, die selber den werbenden Unternehmen angehören oder diese zumindest vertreten (sollten): So sitzen im Stiftungsrat der Stiftung Tele Basel, der Trägerin des Senders, unter anderem sechs Personen aus der Privatwirtschaft, darunter auch der Direktor der Handelskammer beider Basel oder der Geschäftsführer des Gewerbevereins Pro Innerstadt. Bei der AZ Medien sind es neben Peter Wanner immerhin drei Personen, die teils bis zu 20 VR-Mandate wahrnehmen. Ganz zu schweigen von der BaZ-Holding: Neben dem Unternehmer Christoph Blocher ist hier der Direktor der Wirtschaftskammer Baselland und einige weitere bekannte Persönlichkeit aus der Privatwirtschaft vertreten. Anders bei der TagesWoche: Hier sind keine Privatunternehmer oder Vertreter der Werbewirtschaft am Werk. So oder so: Gerade die Vertreter der Privatwirtschaft in diesen Gremien sollten doch eigentlich in hohem Grad an Transparenz gegenüber den Werbekunden interessiert sein. Doch es scheint, dass sie mehr zuschauen als eingreifen.

Auf die Dauer leisten sie sich und «ihren» Medien damit aber einen Bärendienst. Die Medienwoche konfrontiere einige wichtige Werbeauftraggeber in der Region Basel mit den obigen Beispielen. Mehrere, darunter auch Coop und Pathé, wollten sich nicht äussern. Andere gaben sich diplomatisch. So schrieb etwa Christian Jecker, Kommunikationschef der Messe Schweiz (MCH Group): «Natürlich habe ich dazu meine persönliche Meinung, gebe aber keine öffentlichen Erklärungen und Beurteilung ab.» Auch die Basler Kantonalbank wollte das Gebaren der Basler Medien nicht beurteilen. Und bei Swisscom wich Sprecher Josef Huber aus: «Dass auf dem Platz Basel mit harten Bandagen gekämpft wird, ist offensichtlich. Es wäre bedauerlich, wenn dabei unfaire Schummeleien mit Leistungswerten vorgekommen sein sollten.»

Deutliche Worte kamen dagegen von Séverine de Rougemont, Sprecherin von Media Markt: «Ein solches Verhalten ist klar inakzeptabel. Dem Medium ‚Print’, welches bereits sehr stark unter Druck steht und noch lange mit sinkenden Werbeeinnahmen und Lesern zu kämpfen haben wird, schadet dies.» Unmissverständlich wurde auch Dieter Hieber, Mitinhaber des deutschen Detaillisten Hieber: «Die aktuellen Ereignisse haben uns sehr verwundert», schrieb er. «Aktuell prüfen wir die Sachlage.» Deshalb habe er eine Woche lang in Basel gar keine Werbung mehr geschaltet. «Diese Woche fangen wir wieder an, bis auf die TagesWoche», fügte er hinzu. Gleichzeitig prüfe er aber alternative Kanäle: «Wir werden für die Zukunft versuchen, immer mehr Kunden für unseren Newsletter zu gewinnen, um so die wöchentlichen Angebote zu übermitteln. Zudem denken wir über Plakatkampagnen in der Schweiz nach.»

Auch bei der Migros ist man gegenüber den Tricks der Medien nicht gleichgültig. Schliesslich geht es um viel Geld. Urs-Peter Naef, Sprecher des Migros Genossenschaftsbundes (MGB) sagt es so: «Wir besprechen allfällige für uns negative Entwicklungen bei unseren regelmässigen Treffen mit allen Verlagspartnern direkt, sachbezogen und lösungsorientiert hinsichtlich Kompensationsmöglichkeiten.»

Bleibt noch die Frage, warum sich diese Schummeleien gerade in Basel häufen. Die Analyse von Michael Buess, Sprecher der Basler Kantonalbank, ist kurz und knapp: «Fakt ist, dass sich der Konkurrenzkampf in der Medienbranche auf dem Platz Basel in den vergangenen Jahren intensiviert hat. Während die Anzahl der Medienkonsumenten sowie das Insertionsvolumen in etwa konstant waren, hat sich die Situation auf Angebotsseite vergrössert (Ausbau bz, Markteintritt Tageswoche, neue Titel wie Sonntags-BaZ, BaZ Kompakt, etc.).»

Ähnlich äussert sich MGB-Sprecher Naef , gleichzeitig relativiert er: Auch in andern Regionen, etwa im Tessin, würden Medien «mit harten Bandagen um Marktanteile buhlen», meint er. Dem pflichtet Dieter Wullschleger, Sprecher der Migros Basel, bei: «Wir können nicht beurteilen, ob andere Schweizer oder ausländische Medien alle Fakten absolut korrekt ausweisen. Für uns handelt es sich also nicht um eine ‚Basler-Art’, sondern um Zufall.»

So oder so ist es wahrscheinlich, dass in Basel noch weitere Schummeleien und Tricks ans Tageslicht kommen werden. Denn die Medien in Basel stehen unter Druck, vielleicht mehr als andernorts. So gilt es genau hinzusehen, wie die TagesWoche im Herbst ihre Auflage beglaubigen lässt: Bezieht sie die Zürcher Exemplare, die sie seit der letzten Beglaubigung noch ausgeliefert hatte, in die neue Beglaubigung ein oder verzichtet sie auch rückwirkend darauf?

Zudem ist darauf zu achten, wie BaZ und TagesWoche künftig jene Exemplare deklarieren, die sie weiterhin im Gegengeschäft an den Basler Flughafen schicken: Als bezahlte Abos wie bisher oder – wie die bz – unter der Kategorie «Sonstiger Verkauf» (Probeabos, stark verbilligte Abos, Exemplare an Restaurants, Arztpraxen, Coiffeursalons …? Letzteres wäre transparenter.

Auch bei der Basellandschaftlichen Zeitung gibt es Klärungsbedarf: Sie wies im Herbst 73’000 Leser aus, erstaunliche drei Leser pro verbreitetem Exemplar. Vorher waren es nur zwei Leser pro Exemplar. Wie kam diese Steigerung zustande?
Und bei der Basler Zeitung darf man gespannt sein, wie sie die Auflage und die Leser des neuen und dreimal wöchentlich erscheinenden BaZ Kompakt ausweisen lässt. Sorgt sie für eine separate Erhebung – und damit für Transparenz – oder lässt sie die Zahlen gemeinsam mit der Tageszeitung ausweisen – was intransparent wäre?

Immerhin ein Verantwortlicher hat sich neulich selbstkritisch zu diesen Vorkommnissen geäussert: BaZ-CEO Rolf Bollmann. Im Werbe- und Lesermarkt habe auch der BaZ-Verlag Fehler gemacht, gestand er im MEDIENWOCHE-Interview: «Wir waren zu intransparent.» Wie wahr. Den Worten müssen nun Taten folgen.