von Philip Kübler

Quellenschutz 100% garantiert? Was die Medienschaffenden ihren Informanten auch noch sagen müssen

Der gesetzlich garantierte Quellenschutz erlaubt es Medienschaffenden, ihren Kontakten Vertraulichkeit zuzusichern, selbst wenn diese über strafbare Handlungen berichten. Im Fall des Basler Hanfhändlers «Roland» lässt das Bundesgericht den Quellenschutz nicht gelten und verlangt von der BaZ-Journalistin, die ihn porträtierte, den Namen des Dealers preiszugeben. So weit hätte es nicht kommen müssen.

Der Zeitungsartikel bewog die Strafverfolgungsbehörden zur Aufnahme von Untersuchungen: Wer steckt hinter «Roland»? Die Journalistin verweigert die Aussage, und das Appellationsgericht Basel-Stadt bestätigte im April 2013 den Quellenschutz. Jetzt aber hat ihn das Bundesgericht aufgehoben. Aus medienrechtlicher Sicht ein zweifelhafter Entscheid, weil den Medien publizistische Einblicke auch in frag- und strafwürdiges Tun gerade ermöglicht werden sollten. Doch nicht nur das Bundesgericht, auch die Zeitungsredaktion hätte das Urteil vermeiden können. Der Verlag hat angekündigt, den Fall dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorlegen.

Der kürzlich publizierte Entscheid des Bundesgerichts vom 31. Januar 2014 bringt einen besonders anschaulichen Fall zum Redaktionsgeheimnis. In einem Porträt beschreibt die Journalistin ihren Besuch bei einem Cannabishändler: Die Zweizimmerwohnung in Basel, wie der junge Mann Haschisch raucht und die Journalistin ein Bier mit ihm trinkt, wie immer wieder Kunden an der Tür klingeln und dass es sich um Männer allerlei Berufszugehörigkeit handelt, welche Sorten der Droge zu welchen Preisen gehandelt werden, woher der Stoff stammt, was der Dealer mit seinem Nebengeschäft verdient.

Über den Hinweis zum Verdienst von «Roland» stolpert die Journalistin nun, denn «Roland» sagt im Bericht, er mache einen jährlichen Gewinn von 12‘000 Franken.

Das Bundesgericht weist in seinem Urteil auf die gesetzlichen Ausnahmen des Quellenschutzes hin. Es sind handverlesene schwere Delikte, bezüglich welcher die Medienschaffenden ihre Aussage nicht verweigern dürfen, wenn sie für die Untersuchung notwendig ist. Welche Strafbestimmungen des Strafgesetzbuches zu diesen schweren Straftaten zählen, listet das Gesetz in einem «Ausnahmekatalog» säuberlich auf. Es sind insgesamt rund 20 schwere Straftaten:

Vorsätzliche Tötung, Mord und Totschlag; Raub oder Geiselnahme (nur sofern der Täter das Opfer in Lebensgefahr bringt, ihm eine schwere Körperverletzung zufügt oder es grausam behandelt); Brandstiftung, sofern der Täter wissentlich Menschen gefährdet; Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit; bestimmte Kriegsverbrechen; Beziehungen zu einem fremden Staat zwecks Krieg gegen die Eidgenossenschaft; Verbrechen mit einer Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren; sexuelle Handlungen mit Kindern; sexuelle Nötigung, Vergewaltigung und Schändung; harte Pornografie (Tiere, Kinder, Exkremente); kriminelle Organisationen und Terrorfinanzierung; Geldwäsche und ein dazugehörender Tatbestand; Korruptionstatbestände mit Amtspersonen.

Für alle anderen Straftaten des Strafgesetzbuches darf man sich auf den Quellenschutz verlassen, kein Gericht kann ihn knacken. Dazu gehören z.B. alle Körperverletzungen, Diebstähle und andere Eigentumsdelikte, Sachbeschädigungen, sogar Menschenhandel.

Zum Betäubungsmittelgesetz macht das Strafgesetzbuch eine besondere Verweisung. Dort gibt es auch eine Kategorie von schweren Begehungsformen, unten anderem dann, wenn mit gewerbsmässigem Handel ein «grosser Umsatz»oder «erheblicher Gewinn» erzielt wird. Das sind nach der Praxis Beträge ab 100‘000 Franken bzw. 10‘000 Franken. Auch diese Gesetzesbestimmung (Art. 19 Abs. 2 BetmG) erscheint im Ausnahmekatalog zum journalistischen Quellenschutz.

Und damit schnappt die Falle für «Roland» und die Journalistin zu. Weil der Dealer in den Medien selber davon gesprochen hat, dass er mit seinem Tun 12‘000 Franken im Jahr verdient, macht er sich als gewerbsmässiger Drogenhändler mit «erheblichem» Gewinn verdächtig. Man hat eine schwere Straftat des Ausnahmekatalogs vor sich, und der Quellenschutz gerät ins Wanken. Wäre die Rede von 9‘000 Franken gewesen oder wäre der Betrag weggelassen worden, wäre der Quellenschutz dicht geblieben.

So aber verlässt die Journalistin den im schweizerischen Recht sicheren Hafen und setzt den Quellenschutz einem gerichtlichen Ermessenentscheid aus.

Das Bundesgericht macht die Abwägung der Verhältnismässigkeit kurz und gibt medienfreiheitlichen Überlegungen wenig Raum. Es geht davon aus, dass der Quellenschutz angesichts einer «Katalogtat» nun die Regel sei, das Aussageverweigerungsrecht ist nur noch die Ausnahme. Besondere Hinweise wären nötig, die dem Schutz der Quelle eine erhöhte Bedeutung zukommen liessen, etwa dass schwere Missstände in Politik, Wirtschaft oder öffentlicher Verwaltung aufgedeckt würden. Davon sei hier nicht die Rede. Die Journalistin habe die Basler Cannabis-Szene mit den Aussagen des Porträtierten dargestellt und ihm so eine Plattform gegeben, um den von ihm betriebenen Drogenhandel verharmlosend als normales Gewerbe unter Kollegen darzustellen, mit dem sich ohne grosses Risiko und ohne grossen Aufwand ein erklecklicher Verdienst erzielen lässt.

Wie schwer sind die publik gewordenen Straftaten wirklich? Diese Frage verbietet sich das Bundesgericht. Man habe nun einmal eine Tat aus dem Ausnahmekatalog vor sich, der Gesetzgeber hat es so entschieden. Innerhalb der Straftaten, die den Quellenschutz aushebeln können, wiege der vorliegende Fall zwar eher leicht, doch immerhin mache der Zeitungsartikel zahlreiche Kundenbesuche in kurzer Zeit sichtbar und deute auf eine gross angelegte Verkaufsorganisation weicher Drogen hin. Dazu will der porträtierte Mann seit vollen zehn Jahren Hasch-Dealer sein.

Am differenziertesten wird das Bundesgericht dort, wo es seinen früheren Entscheid zum «Fall Turina» Jahren aufgreift. Damals hatte das Bundesgericht den Quellenschutz hochgehalten. Der Fall liege anders, denn damals seien gewichtigere öffentliche Interessen im Spiel gestanden, und die Aussage des Medienschaffenden sei zur Klärung des damaligen Straffalles nicht mehr nötig gewesen.

Auffällig ist, dass das Redaktionsgeheimnis gegenüber «Roland» in einem Fall durchstossen wird, den die Zeitung erst gerade ans Licht gebracht hat. Das simple Fazit lautet: Ohne Publikation hätten die Strafverfolger noch weniger, nämlich gar nichts in der Hand. Die Journalistin soll nun nicht Puzzlesteinchen liefern, sondern gleich den Täter.

Es ist eine gefährliche Situation für Informanten und Medienschaffende. Ihre Vertraulichkeitszusage ist nur dann tauglich, wenn die Publikation keinen Verdacht auf eine «Katalogtat» schafft. Dazu muss man mit der Lesebrille und mit juristischer Neugier ins Gesetz blicken. Denn der obenstehende Deliktsbandwurm ist zwar Paragraf für Paragraf präzis im Gesetz nachzulesen, aber auch lang – und er enthält im Fall des Cannabishandels ab 10‘000 Franken Gewinn eine Überraschung (genauer wohl: einen Fehler).

«Roland» und die Journalistin hätten beim Biertrinken übereinkommen müssen, auf die Publikation von Geschäftszahlen zu verzichten, so wie es die stolzen Privatunternehmer in der Schweiz vormachen. Dann wäre der Quellenschutz robust, und man müsste nicht vor den Menschenrechtsgerichtshof nach Strassburg, um ein Argumentationsgefecht gegen die Schweiz auszutragen.

Oder hätte man einen reflektierenden Text daraus machen müssen, um für einen «wesentlichen gesellschaftlichen Diskurs» zu werben, wie es der Strassburger Gerichtshof in seinen Entscheiden jeweils erwartet? Eine Stilfrage, die für den vorliegenden Fall kaum vor Gericht gehört. Im Cannabisgeschäft scheint das Leben anders zu fliessen, lockerer. Das Porträt zeigt eine Momentaufnahme der Kiffer-Szene, die vernebelt-plätschernde Normalität beim Drogendealen in der Stube. Gerade der Verzicht auf explizite Politik zeichnet den Text über «Roland» aus. Solches wird weiterhin möglich sein, doch die Redaktionen müssen sich den Quellenschutz genauer ansehen. Sie müssen die Katalogtaten kennen und ihre Informanten darüber aufklären.

Leserbeiträge

Andreas Jäggi 25. Februar 2014, 09:33

Ein Detail: Nach diesem Text von Philip Kübler sind die Quellen klar geschützt, wenn es um ein so schweres Delikt wie Menschenhandel geht. Im Tages-Anzeiger steht das Gegenteil, soweit ich sehe: Menschenhandel gehört zu den Ausnahmen. Was gilt nun?

Philip Kübler 25. Februar 2014, 11:21

Ich vermute, dass sich der TA auf den Blog von Dominique Strebel stützt. Dominique hat das Urteil auch als einer der Ersten kritisiert und wohl versehentlich den Menschenhandel erwähnt. Doch es ist so wie es hier im Text steht: Eine Reportage über Menschenhändler könnte sich auf den Quellenschutz verlassen, ist also keine Ausnahme wie der gewerbsmässige Drogenhandel. Der kleine Irrtum zeigt, wie unhandlich diese Ausnahmeliste in Art. 28a StGB daherkommt: Man muss die Paragrafen einzeln nachschlagen und dann erst noch suchen, welche weiteren Delikte eine Freiheitsstrafe von mindestens 3 Jahren vorsehen. Und die dahinterstehende Wertung ist keineswegs zwingend, wie die Beispiele zeigen.

rita 10. April 2014, 09:53

das ist ja geradezu lächerlich 10 000 fraken.
erheblicher gewinn 🙂
das sind knapp 800 stutz im monat.
ein sozialhilfeempfänger bekommt fast 3 mal soviel.
selbst 10 000 im monat würde ich noch nicht als erheblichen gewinn bezeinen.
das ist knapp das doppelte gehalt einer putzfrau.

wenn ich an gewerbliche drogen mit erheblichem geinn denke dann denke ich an mindestens 10 000 fr am tag und nicht im jahr.

ich bitte sie. das kann ja wohl nicht ihr ernst sein 🙂

der kann ja noch nichteinmal davon leben (existenzminimum) und wir erklären das zu ERHEBLICHEN gewerbsmässigen gewinnen.
ich kenn teenager die mit rasenmähen in zürich mehr sackgeld im jahr verdienen.