von Ronnie Grob

Pfeifen im Walde erlaubt

Der im Obligationenrecht neu geplante «Schutz bei Meldung von Unregelmässigkeiten am Arbeitsplatz» verunmöglicht es praktisch, dass sich Informanten straffrei an die Medien wenden können. Whistleblower-Expertin Zora Ledergerber warnt vor den Folgen der Neuerung, die Journalisten dagegen verhalten sich dazu erstaunlich passiv. Aus Nichtwissen oder aus Gleichgültigkeit?

«Die Fähigkeit des Menschen zu fördern, selbst nachzudenken und Entscheidungen zu treffen – das ist der Sinn von Whistleblowing, von Protest, von politischem Journalismus.»

Glenn Greenwald (im Nachwort zu «Die globale Überwachung»)

1 Jahr Snowden-Leaks
Am 9. Juni 2013 bekannte sich Edward Snowden verantwortlich für ein Leak, das die Öffentlichkeit über das Ausmass der weltweiten Überwachungs- und Spionagepraktiken von Geheimdiensten informiert. MEDIENWOCHE beschäftigt sich ein Jahr später mit der Beziehung zwischen Journalisten und Whistleblowern.

Am 20. November 2013 teilte das Justizdepartement EJPD mit, der Bundesrat wolle «gesetzlich festlegen, unter welchen Voraussetzungen eine Meldung von Arbeitnehmenden, die auf Unregelmässigkeiten am Arbeitsplatz hinweisen (sog. Whistleblower), rechtmässig ist». Die Revision der Gesetzgebung zu Whistleblowing, konkret eine Teilrevision des Obligationenrechts (OR), geht zurück auf Motionen von 2003. Remo Gysin (SPS) forderte damals einen Gesetzvorschlag, der «effektiver Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung und weiterer Diskriminierung zu garantieren» könne. Und Dick Marty (FDP) forderte Massnahmen, die «insbesondere einen Schutz vor Entlassung und anderen Diskriminierungen gewährleisten, die auf eine solche Meldung zurückzuführen sind».

Herausgekommen ist etwas ganz anderes.

Der Gesetzvorschlag

Bisher kümmert sich Art. 321a lediglich in vier Punkten um die «Sorgfalts- und Treuepflicht». Neu sieht der Entwurf des Gesetzvorschlags (PDF-Datei, Übersicht auf admin.ch) für Art. 321ater vor, dass ein Whistleblower, der einen Missstand der Öffentlichkeit publik machen will,

Meldung an den Arbeitgeber

«diese Unregelmässigkeiten vorgängig dem Arbeitgeber» melden muss. Unterhält der Arbeitgeber ein Meldesystem oder reagiert der Arbeitgeber auf die Meldung innert 60 Tagen mit einer Ankündigung, den Missstand zu beheben, darf der Whistleblower nicht an die Öffentlichkeit gelangen, das heisst, er darf weder mit einem Journalisten darüber reden, noch Dokumente leaken noch darüber bloggen. (In jedem Fall direkt an die Behörden darf er sich wenden, wenn ihm «aufgrund der Meldung» gekündigt wurde.)

Reagiert der Arbeitgeber nicht, ist die nächste Station, an die sich der Whistleblower wenden muss, die Behörden. Das darf er aber nur, wie In Art. 321aquater festgehalten ist,

Meldung an die Behörden

wenn «er gestützt auf objektive Tatsachen davon ausgehen darf, dass eine Meldung an den Arbeitgeber keine Wirkung erzielen würde» (was in einigen Punkten präzisiert wird). Wenn die Gefahr besteht, die Behörde könnte (beispielsweise durch Beweisvernichtung) in ihrer Arbeit behindert werden. Oder falls eine ernsthafte Gefahr droht für Leben, Gesundheit, Sicherheit oder Umwelt. Der Gesetztext hält weiter erneut fest, dass sich der Whistleblower nicht an die Behörden wenden darf, wenn der Arbeitgeber über ein internes Meldesystem verfügt.

Unter Art. 321aquinquies wird dann endlich die Meldung an die Öffentlichkeit behandelt. Diese ist nur möglich,

Meldung an die Öffentlichkeit

wenn der Whistleblower die «Unregelmässigkeit gemäss Artikel 321ater oder 321aquater gemeldet hat» sowie «beantragt hat, über die weitere Behandlung der Meldung oder den Stand des Verfahrens informiert zu werden und ihm die Behörde die geeigneten Auskünfte nicht innert vierzehn Tagen ab Erhalt des Antrags erteilt». Eine solche behördliche Auskunft kann natürlich auch «Wir bleiben aus diesen und jenen Gründen untätig» lauten.

Fassen wir nochmals zusammen: Ein mutmasslich unbescholtener Mitarbeiter, der Missstände öffentlich machen will, soll das zukünftig nur dürfen, wenn

a) sein Arbeitgeber kein Meldesystem hat, ihn nach erfolgter Meldung sofort entlässt oder sich völlig totstellt

oder

b) die Behörde ihm nicht innert zwei Wochen irgendeine Auskunft erteilt.

Ist das sehr wahrscheinlich? Nein.

Passive Journalisten

Tritt das neue Gesetz in Kraft, so können Whistleblower also kaum mehr an Journalisten gelangen, ohne sich strafbar zu machen. «Es verbietet dem Hinweisgeber, an die Medien zu gelangen. Die Grauzonen, die bisher positiv für den Whistleblower ausgelegt werden konnten, sind mit dem neuen Gesetz passé», sagt Zora Ledergerber, Inhaberin und Geschäftsführerin der Integrity Line GmbH, die sehr erstaunt ist, dass die Journalisten sich nicht aktiv gegen den Gesetzvorschlag wehren und dass nicht ein Aufschrei durch die Journalistenbranche geht: «Im Interesse der sich meldenden Person müssten die Journalisten den Whistleblowern mitteilen, dass sie sich strafbar machen, wenn sie sich Journalisten gegenüber öffnen oder ihnen Dokumente überlassen. Wer als Journalist Whistleblower zukünftig schützen möchte, muss jedem, der Informationen anbietet, raten, zu schweigen und den Kontakt abzubrechen.»

Wer im Medienarchiv SMD oder auch bei Journalistenorganisationen nach dem Thema sucht, findet vor allem Berichte zur Medienmitteilung letzten November, deren Grundlage Berichte der Nachrichtenagentur SDA sind. Redet man mit Journalisten über Whistleblower, so macht sich eine Art fatalistische Passivität breit. Es sei halt schon oft so, dass es nicht gut rauskomme am Ende für Whistleblower, sagt einer, und ein anderer meint, dass es halt schon oft spezielle Typen seien, diese Whistleblower. Diese Haltung erstaunt, profitieren doch Journalisten in besonderen Masse von Informationen, die ihnen Quellen zutragen. Haben sie denn kein Interesse, diese zu schützen? Der ausbleibenden Diskussion über den Gesetzvorschlag zufolge muss man annehmen, dass die Journalisten diesen noch nie gelesen haben oder aber gut damit klarkommen, Whistleblower beim Entgegennehmen von Informationen eiskalt ins Unglück zu stürzen.

Fehlerkultur und Anlaufstellen

Zora Ledergerber plädiert dafür, eine Fehlerkultur zu entwickeln und sich beispielsweise das Flugwesen oder das Gesundheitswesen zum Vorbild nehmen, dort seien der Umgang mit Abläufen zur Korrektur von Fehlern weit fortgeschritten. Dass Arbeitgeber interne Meldesysteme unterhalten, ist begrüssenswert, doch können sie die legale Endstation für Whistleblower sein? Edward Snowden beispielsweise hat intern fleissig Rückmeldungen nach internen Vorgaben erstellt – geändert hat sich nichts. Die Drei-Stufen-Regelung Arbeitgeber – Behörden – Öffentlichkeit findet Ledergerber grundsätzlich gut. «Aber es müsste auf legalem Wege möglich sein, an die Öffentlichkeit zu gelangen, wenn die aufgezeigten Missstände verschlampt, verschleiert oder ignoriert werden.»

Mit dem Schaffen von Anlaufstellen könnte der Staat selbst die Fehlerkultur vorantreiben. Gedanken dazu hat sich der Europarat gemacht – Ende April veröffentlichte er 29 Richtlinien zum Umgang mit Whistleblowern (Details). Ab Punkt 12 («Channels for reporting and disclosures») werden die Mitgliedstaaten konkret dazu aufgefordert, Kanäle zu schaffen, die es dem Einzelnen ermöglichen, Anliegen von öffentlichem Interesse frei und sicher zu melden.

Der Bürger als Störenfried

Die Schweizerische Gesetzgebung dagegen droht, den Whistleblower weiter an den Rand zu drängen. Statt hilfreicher Informant bleibt er Störenfried. Statt Ehrenmedaillen erhält er Strafandrohungen. Statt zum Held wird er zum Opfer. Während der Bürger den Staat und die Grossunternehmen mehr und mehr als undurchschaubare Mysterien wahrnimmt, wissen der Staat und die Grossunternehmen mehr und mehr über den Bürger, unter anderem durch Überwachungsmassnahmen. Bürger, die konkrete Missstände in ihnen publik machen wollen, werden angeklagt und auf einen Spiessrutenlauf geschickt, auf dem sie sich mehrfach strafbar machen können. Statt Fehlerquellen zu orten und beheben, gilt das Motto «Shoot the messenger».

Übrigens verschärft die neue Gesetzgebung nur einen schon aktuell bedenklichen Zustand. Wer das anzweifelt, dem sei empfohlen, die neusten Nachrichten zu Whistleblowern wahrzunehmen oder einfach mal nachzulesen, wie traurig es Whistleblowerin Esther Wyler in den letzten Jahren ergangen ist. Sie ist eine der beiden Frauen, die 2007 der Weltwoche Unstimmigkeiten in den Zürcher Sozialdiensten meldete und 2010 den Publikumspreis des Prix Courage dafür gewann.

Was sagt Remo Gysin heute dazu? Er schreibt uns auf Anfrage: «Meine Motionsbegehren sind bei weitem nicht erfüllt. Der Bundesrat schlägt keine Verbesserung des Arbeitnehmerschutzes bei ungerechtfertigten Kündigungen vor. Der Gesetzesentwurf weckt den Eindruck, dass vor allem die Arbeitgeberseite geschützt werden soll. Der einzige kleine Fortschritt liegt in der präziseren Umschreibung von rechtmässigen Hinweisen und deren unternehmensinternen Handhabung. Es bleibt die Hoffnung, dass die Unternehmen dadurch zusätzliche, die Anonymität der Whistleblower wahrende Meldestellen einrichten und in naher Zukunft eine weitere Gesetzesreform stattfindet.»

Leserbeiträge

Fred David 04. Juni 2014, 12:13

Ihr seid auf medienwoche.ch seit einiger Zeit gut am Schlag!

Dominique Strebel 06. Juni 2014, 18:15

Sehr gut, Ronnie, dass Du das aufgreifst! Es hat mich auch erstaunt, dass jegliche Diskussion ausblieb. Meines Erachtens ist der Gesetzesvorschlag ein klarer Rückschritt gegenüber heute.

Reto Frey 08. Juni 2014, 22:50

Herzlichen Dank für diesen Beitrag! Ein umfassender und stringenter Whistleblowerschutz ist überfällig. Bitte dranbleiben. Dankeschön!

Esther Wyler 23. Juni 2014, 21:13

Sehr geehrter Herr Grob, besten Dank für diesen guten Artikel. In Sachen Whistleblowing geht’s nur noch rückwärts. Weshalb? Verwaltungsbehörden und Arbeitgeberschaft haben in den letzten Jahren erkannt, wie gefährlich ihnen das Aufdecken von real existierenden Missständen werden kann. Sie sind deshalb wild entschlossen, Whistleblowing mithilfe ihrer Lobbyisten im Bundeshaus völlig zu verunmöglichen. Das ist ihnen ja auch gelungen. Whistleblower sollen sich an interne Stellen wenden? Was dies bringt, zeigen die Vorkommnisse beim Staatssekretariat für Wirtschaft Seco und der Zentralen Ausgleichsstelle der AHV (ZAS). Wenn das Kader einer Institution selbst das Problem ist bzw. Teil des Problems ist, kann von einem Whistleblower nicht erwartet werden, dass er sich vertrauensvoll an diese Stellen wendet, damit das Problem abgestellt wird. Die Eidg. Finanzkontrolle? Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass Whistleblowing nicht erwünscht ist. Punkt. Und der gesellschaftliche Druck ist zu wenig gross, als dass sich dies in Zukunft jemals ändern würde. Und selbst diejenigen, die sich öffentlich gerne als Befürworter von Whistleblowing ausgeben, würden selber nie einen Whistleblower anstellen. Es sind alles Lippenbekenntnisse, mehr nicht.