von Nick Lüthi

Das Geld reicht nicht für alle

Unter CEO Veit Dengler hat die Neue Zürcher Zeitung die Flucht nach vorn angetreten. Der Verlag expandiert ins Ausland und investiert Millionen von Franken in Projekte und Personal. Vom Geldsegen verschont bleiben indes die freien Mitarbeiter: 140 Franken für 6000 Anschläge gibt es für einen Feuilleton-Artikel.

Es sind erfreuliche Signale für den Journalismus. Während andernorts die Zeichen auf Abbau stehen, nimmt die Neue Zürcher Zeitung viel Geld in die Hand und investiert ins redaktionelle Personal. Damit folgt sie dem Credo von Verwaltungsratspräsident Etienne Jornod, der jüngst sagte: «Sparen allein bringt uns nicht weiter.» CEO Veit Dengler sorgt nach Kräften dafür, dass das keine Worthülsen bleiben. Im Juni vermeldete die NZZ den Zuzug von einem halben Dutzend Top-Journalisten, im August nahm in Wien das Projekt für einen Österreich-Ableger der NZZ Fahrt auf. Auch dort holte man eine Reihe gestandener Berufsleute an Bord.

Man darf davon ausgehen, dass die neu eingestellten Journalistinnen und Redaktoren eine Entlöhnung erhalten auf dem Niveau ihrer vorangegangenen Anstellung. Colette Gradwohl war Chefredaktorin beim Winterthurer Landboten, einer mittelgrossen Tageszeitung, Peer Teuwsen amtete zuvor als Ressortleiter bei der «Zeit» in Hamburg, Balz Bruppacher war lange Jahr Chefredaktor der Agentur AP. Ihre Löhne dürften sich also – frei geschätzt – im Bereich fünfstelliger Beträge monatlich oder zumindest sechsstellig jährlich bewegen. Das ist auch richtig und wichtig, denn guten Journalismus gibt es nicht umsonst.

Die Qualitäts- und Journalismusoffensive der NZZ verliert jedoch an Glanz bei einem Blick in die Abgründe der Honorarbuchhaltung. Zwar hat es Tradition, dass sich die freien Mitarbeiter als Entschädigung für ihr Arbeit ein Scheibchen vom Ruhm und Rennommee des Weltblatts abschneiden dürfen und das wenige Geld, das es gnädigerweise auch noch gibt, bestenfalls für die Deckung der Spesen reicht. Und auch nicht alle Ressorts zahlen gleich schlecht. Für einen Debattenbeitrag kann man schon mal 300 Franken kassieren. Und auch für eine Buchrezension gabs schon mal 250 bis 300 Franken. Das Problem: Es gibt keine Untergrenze.

Aktuelles Beispiel auf der nach unten offenen Skala: 140 Franken für 6000 Anschläge im Feuilleton. Auch 500 wären noch wenig, könnten aber immerhin als Zeichen der monetären Wertschätzung verstanden werden. Aber 140?! Da kann man seine Autoren gleich auffordern, gratis zu schreiben. Oder dafür zu zahlen, dass sie bei der NZZ veröffentlichen dürfen. Eine absurde Idee? Keineswegs. Erst kürzlich riet Überbloggerin Arianna Huffington dem NZZ-Österreich-Chefredaktor Michael Fleischhacker dies so zu tun: «Dann wären Sie weiter, als es wir bei der Huffington Post sind.»

Vor dem Hintergrund der Millioneninvestitionen in den Journalismus wirken die Hungerhonorare der NZZ ziemlich zynisch. Ein altgedienter Redaktor oder Ressortleiter, der pro Jahr – sagen wir mal – 140’000 Franken verdient, müsste als freier Journalist 1000 Artikel à 6000 Anschläge schreiben fürs NZZ-Feuilleton, um sein aktuelles Gehalt zu erzielen. Das entspräche einem Opus im Umfang von 4000 Standardseiten, also etwa den gesammelten Werken von E.T.A. Hoffmann; geschrieben in einem Jahr.

Er habe «natürlich» Verständnis für das Anliegen auf Honorarerhöhung für die Freien, teilt NZZ-CEO Veit Dengler auf Anfrage mit. Auch ihn beschäftigten die tiefen Ansätze «immer wieder». Und Dengler gibt auch zu: «Die materielle Honorierung dieser Beiträge stand niemals in einem nachvollziehbaren Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag.» Die freie Mitarbeit erfordere gerade im Feuilleton «eine gehörige Portion Idealismus». Aber als Gegenleistung wirke sich eine Veröffentlichung im Weltblatt positiv auf den Marktwert der Autoren aus. «Ein Teil des Honorars definiert sich also durch den Auftritt, den man damit bei einer grossen und aufmerksamen Leserschaft hat.»

Pointierter brachte es der langjährige NZZ-Feuilleton-Chef Dr. Martin Meyer in einem MEDIENWOCHE-Interview auf den Punkt: «Diese Art von Feuilleton wird mindestens teilweise von unseren freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern subventioniert.» Vorläufig wird das auch so bleiben. Das sei zwar misslich, lasse «sich aber wohl so lange nicht ändern, wie kein neues Geschäftsmodell für die anspruchsvolle überregionale Tageszeitung gefunden ist», gab die Redaktion dem Autor des 140-Franken-Stücks zu verstehen.

Dass es trotz Zeitungskrise und ungewisser Medienzukunft möglich ist, die Honorare zu erhöhen, zeigt die Wochenzeitung WOZ. Ab sofort erhalten freie Mitarbeiter für eine Zeitungsseite (10’000 Zeichen) neu 500 Franken. Auf 6000 Zeichen heruntergerechnet ergibt das 300 Franken. Also immer noch mehr als das Doppelte von dem, was die NZZ für einen Feuilleton-Artikel zu zahlen bereit ist.

Leserbeiträge

kenneth angst 30. September 2014, 17:32

schande über die nzz. schande!!!!
unter jeder sau
k.a., eh. stv-cr nzz

Nicole Suter-Murard 01. Oktober 2014, 02:09

Der Weg weisende NZZ-Claim zur Vorsorge-Attrappe

Wir verdoppeln Ihr Halbwissen

– Wer wissen will, muss zahlen (sonst bleibt er halbschlau). Eine krasse Verteufelung der eigenen Attraktivität durch das vorsätzliche Fernhalten von freien Journalisten durch ihre rein buchhalterische Entlöhnung! Was für eine schändliches Vergehen am Journalismus!!!

Florian Schweer 01. Oktober 2014, 09:31

Ich verstehe, dass die NZZ damit kritisiert wird – was auch sehr richtig und wichtig ist-, aber einmal ernsthaft, das ist viel im Vergleich mit vielen kleinen und regionalen Zeitungen – und auch grossen…

Wenn man dann denn Mut hat „Freier“ zu sein und sich nicht in die ewige Praktikanten-Schublade pressen lässt.

Toll, dass sich ein Journalist getraut, über den Lohn von Journalisten öffentlich und offiziell zu schreiben, die meisten tun es nur hinter vorgehaltener Hand, Nicken und Lächeln.

Nicole Suter-Murard 01. Oktober 2014, 14:05

@Florian Schweer – Was vergleichen Sie denn da. Ganz ernsthaft.

Helga Rietz 01. Oktober 2014, 18:35

Ich möchte darauf hinweisen, dass die Honorare des NZZ-Feuilletons keineswegs repräsentativ für das gesamte Blatt sind; die Redaktion Wissenschaft etwa bezahlt ein Vielfaches der genannten Summen.

Nicole Suter-Murard 01. Oktober 2014, 19:48

Sie scherzen wohl, @Helga Rietz, in der Kommunikation sind sämtliche Information repräsentativ. Auch Ihre Stellungnahme, die darüber informiert, dass die bis kürzlich stilvolle NZZ sich in mindestens zwei Kundensegmente aufteilt. Und den zwei Klassen-Journalismus fördert.

Peter 02. Oktober 2014, 10:23

Es gibt einfach zu viele Journalisten. Das Selbstmitleid dieser Zunft ist beschämend.