von Benjamin von Wyl

Alte Männer erklären die Welt

Die Tageswoche übt sich weiter im Spagat zwischen Lokalkolorit und Weltläufigkeit. Mit den linken Urgesteinen Gregor Gysi und Andreas Gross setzt das Basler Medium auf Prominenz in ihren Kolumnen. Mit Basel haben die beiden Autoren wenig am Hut.

Am 31. Oktober wurde bekannt, dass SP-Nationalrat Andreas Gross künftig Kolumnen für die TagesWoche schreibt. Nur eine Woche später erschien die erste Kolumne von Gregor Gysi, Co-Fraktionschef der Partei «Die Linke» im Deutschen Bundestag. Auf der Facebook-Seite der Tageswoche wurde der Willkommens-Blogpost für Gregor Gysi mit über 100 Gefällt mir-Klicks und einer Reihe lobender Kommentare honoriert.

Viele Medien wählen bewusst Kolumnisten vom entgegengesetzten Ende des politischen Spektrums. Dies kann durchschaubare Taktik sein, um sich als scheinbare «Forumszeitung» zu positionieren, etwa im Falle von alt-SP-Präsident Helmut Hubacher bei der Basler Zeitung. Mit Bedacht ausgewählte Kolumnisten können aber auch verschiedene Bereiche des politischen und kulturellen Spektrum abdecken und so als originelle Denker den Diskurs innerhalb eines Mediums antreiben, wie etwa auf den Schweiz-Seiten der ZEIT. Dort geben SP-Ständerätin Anita Fetz und Financier Tito Tettamanti abwechselnd Einblick in gegensätzliche Denkwelten.

Bei der Tageswoche wünscht man sich laut Redaktionsleiter Dani Winter ebenfalls pointierte Kolumnen, aber Gross und Gysi sollen keine Breite abdecken, sondern dabei helfen, die Ausrichtung der Zeitung zu schärfen: «Bislang hatte die Tageswoche – nach meinem und dem Eindruck von anderen Leuten – zu wenig Profil. Wir waren anfangs fast zu stark bemüht, das ganze Spektrum abzudecken und haben, etwa in der Wochendebatte, auch oft Exponenten der SVP Raum gelassen.»

Natürlich wäre es eine falsche Strategie, wenn sich das Blatt als zweite Forumszeitung positionieren würde. Dies insbesondere, da das Vorschussvertrauen, welches die Tageswoche bei der Lancierung genossen hatte, von Unzufriedenheit mit der Basler Zeitung, der «Forumszeitung», angetrieben war.

Aber es ist fragwürdig, ob zwei Männer im fortgeschrittenen Alter dem Publikum einer Zeitung mit «Online first»-Losung gerecht werden. In beiden Willkommens-Blogposts wird ausgeführt, welche Verbindung die Kolumnisten der Stadt haben: Gross habe seine Schulzeit in Basel verbracht und in den 1970ern für die Basler AZ geschrieben; Gysis Vorfahren stammen aus der Region. Das wirkt – insbesondere im Fall von Gysi – eher bemüht und konstruiert. Weder Gross noch Gysi werden das lokale Geschehen kommentieren, sondern andere Inhalte bieten, die für eine urbane, linksliberale Zielgruppe von Interesse sein sollen. Laut Dani Winter wolle man sich trotz lokalem Anspruch nicht nur auf Lokaljournalismus beschränken. Leserinnen und Leser aus dem Ausland freuen den Redaktionsleiter ebenso wie die Tatsache, dass die Iphone-App der Tageswoche in Zürich mehr Nutzer hat als in Basel.

SP-Nationalrat Andreas Gross setzt sich in seiner Beitragsreihe mit seinem Lieblingsthema auseinander, der Demokratie. Laut Dani Winter bereichere die Kolumne die Tageswoche um Reflexionen auf der Metaebene, die mit dem Ziel der Zeitung einhergehen, ein demokratierelevantes Medium zu sein. Im Fall von Gross sei der Kolumnist auf die Tageswoche zugegangen.

Anders verhält es sich bei Gysi: Gregor Gysi schrieb im Frühjahr eine einzige Kolumne für die Basler Zeitung. Er soll dann erfahren haben, dass die Basler Zeitung einen rechtsbürgerlichen Kurs fahre; jedenfalls beendete Gysi diese Tätigkeit im Juni.

Dani Winter hat sich laut eigener Aussage nach Gysis kurzem Gastspiel bei der Basler Zeitung darum bemüht, den deutschen Linkspolitiker für die Tageswoche zu gewinnen. Dass Gysi jetzt Kolumnen in der Tageswoche veröffentlicht, ist also eine weitere Episode im Gerangel am Medienplatz Basel und kein Entscheid, der konzeptuellen Überlegungen folgte. Künftig will man aber einen wohl zusammengestellten Kreis aus Kolumnisten beschäftigen. Dani Winter: «Gregor Gysi ist der erste einer geplanten Reihe von renommierten Kolumnisten, die das aktuelle Geschehen abwechselnd kommentieren.»

Es bleibt zu hoffen, dass unter diesen Kolumnisten auch Schreiber mit anderen soziodemographischen Eigenschaften als «alt», «männlich», «links» Platz finden. Natürlich sind Alter, Geschlecht und politische Einstellung alleine keine Kategorien, welche die Qualität eines Kolumnisten bestimmen und auch wenn die Berufskarriere von Andreas Gross ihren Zenit überschritten hat, sind er und Gregor Gysi rhetorisch fähige Persönlichkeiten, die dem Renommee einer Lokalzeitung gut anstehen.

Trotzdem ist es bedauernswert, wenn die Tageswoche nur ältere Doyens ohne direkten Lokalbezug als Kolumnisten beschäftigt. Es ist eine Verengung des Profils und der potenziellen Zielgruppe, die dem Anspruch und dem progressiven Storytelling der Tageswoche nicht gerecht wird: von den oft gelobten Multimedia-Tools wie dem kürzlich erneut geposteten Bevölkerungsdichte-Rechner über wütende Gonzo-Kritiken bis zum «Listicle»-Format «Listomania».

Ein Vorbild für zeitgemässe Kolumnisten-Wahl bietet ausgerechnet die lokale Konkurrenz von onlinereports.ch: Dort schreibt Adil Koller unentgeltlich Kolumnen aus der Lebenswelt eines 21-Jährigen. Sein neuster #grenzenlos-Beitrag ist 612mal auf Facebook geteilt worden. Eine Zahl, die gar die Anzahl «Gefällt mir»-Angaben der Facebook-Seite von onlinereports.ch übersteigt. Der Münchensteiner Adil Koller ist zwar auch männlich und links, aber immerhin blutjung.

Leserbeiträge

Max 23. November 2014, 17:24

Die TagesWoche ist ein ziemlich verunglücktes Projekt. Es sind ja nicht nur die Herren Gysi und Gross, es schreibt auch noch Georg Kreis für die WaWo. Hier wird auf Teufel komm raus auf „links“ publiziert, dass die Relevanz verloren geht.

Online first: Die Homepage ist ziemlich langweilig und Kommentatoren finden sich auch nur selten ein. Kein Wunder: Conträre Meinungen sind nicht erwünscht. Und was online alles möglich wäre: Die HP zeugt von einer Fantasielosigkeit, die sich kein Medium, dass ohne Mäzen auskommen muss, leisten kann! Gastroberichte, Konzertkritiken, die Kolumnen und links-sozial gefärbten Debattenbeiträge – dafür steht die TaWo heute.

Auffällig die hohe Flukation an guten Autoren, eine Community-Managerin, die strukturbedingt nichts bewirken konnte und nach einem Jahr die Redaktion verlassen (musste) hat, ein „Online Stratege“, dem es in drei Jahren nicht gelang (strukturbedingt) online so weit zu entwickeln, dass dieses Format ein echter Mehrwert zum Print ist, ein Print, der dank Onlinespiegelung kalter Kaffee ist, ein „online-first“, das bedeutet; exklusive Beiträge zuerst online zu vertschutten und für den gedruckten kalten Kaffee 5 Franken zu heuschen.

DAS haben die BaZ-enttäuschten damals nicht gewollt!

Ernst Jacob 23. November 2014, 23:59

… es sei fragwürdig, ob zwei Männer im fortgeschrittenen Alter dem Publikum einer Zeitung mit «Online first»-Losung gerecht werden…

früher mal, als noch nicht alle glaubten, mit Erlangen der Stimmfähigkeit deswegen automatisch auch gescheit und erwachsen zu sein, waren es die Stammes-Aeltesten, die redeten zund entschieden, und die Jungen hörten zu.

Heute sind es die Stammes-Jüngsten, die wohl meinen, weil sie bereits trocken seien, alles schon zu wissen und zu kennen.

Man sieht gut, was üblicherweise dabei rauskommt. Es sind eben nicht alles Steve Jobs oder Bill Gates, die als jung bereits bewiesen, etwas zu sein.