von Ronnie Grob | Nick Lüthi

Zusammenstehen für das freie Wort

Die Ermordung von Mitarbeitern der französischen Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» ist ein Anschlag auf das freie Wort und auf Medienschaffende aller Art. Zur Verteidigung der Medien- und Meinungsfreiheit taugt nur die gelebte Solidarität. Und die muss weiter gehen als minutenweises Schweigen und «Je-suis-Charlie»-Bekenntnisse.

12 Personen wurden am 7. Januar bei einem Attentat auf die Redaktion der Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» in Paris getötet, 11 weitere zum teil schwer verletzt. Unter den Opfern befinden sich mit Chefredaktor Stéphane «Charb» Charbonnier, Cabu, Wolinski, Tignous und Honoré fünf der herausragendsten politischen Zeichner Frankreichs. Mit Bernard Maris und Elsa Cayat kamen zwei Autoren des Blatts ums Leben. Weitere Opfer sind der Korrektor Mustapha Ourad und Frédéric Boisseau, ein Mitarbeiter der Liegenschaftsverwaltung, sowie Michel Renaud, ein Gast der Redaktion und die beiden Polizisten Ahmed Merabet und Franck Brinsolaro.

Der Anschlag ist ein Angriff auf das freie Wort und nicht auf eine einzelne Publikation oder bestimmte Journalisten und Karikaturisten. Egal, wer sich in welcher Form öffentlich artikuliert, ob als Journalist, Blogger, oder auch nur auf Twitter und Facebook, war mit der Tat gemeint. Ein Ziel hat der Anschlag bereits erreicht: Wer künftig Karikaturen veröffentlicht, die den Propheten Mohammed in unvorteilhafter Pose zeigen, wird sich zweimal überlegen, ob er das tut.

Dass die Angst unmittelbar in den Redaktionen angekommen ist, zeigte etwa der britische Telegraph, der zwar ein Cover von Charlie-Hebdo zeigte, das Mohammed-Motiv aber unkenntlich machte. Bei aller verständlichen und nachvollziehbaren Vorsicht im Moment des Schreckens bedeutet das aber auch, dass man dem Narrativ der Terroristen stattgibt und der Satire eine Mitverantwortung für die Tat unterschiebt. Dieser perversen Logik folgte auch die Schweizer Medienministerin Doris Leuthard. Ein Tweet, den ihr Departement absetzte, beginnt mit der Warnung: «Satire ist kein Freipass». Erst danach folgt die Verurteilung der Gewalttat. Was sie damit genau meinte, konnte eine Sprecherin von Leuthards Departement nicht erklären.

Der brutale Angriff auf «Charlie Hebdo» ist nicht der erste Anschlag auf die Meinungsfreiheit. Zu erinnern ist an die 2005 publizierten Mohammed-Karikaturen von Kurt Westergaard, der darauf bedroht und bis heute von der dänischen Polizei geschützt werden muss. In einem Interview mit Klaus Staeck in der Frankfurter Rundschau zeigte sich Westergaard enttäuscht, dass sich viele Intellektuelle «schnell aus der Debatte zurückgezogen» hätten: «Einige meiner Kollegen, die mit mir zusammen für ‹Jyllands-Posten› Karikaturen zum Thema Islam gezeichnet haben, waren hinterher sogar bereit, sich zu entschuldigen. Ich sehe bis heute nicht ein, weshalb und wofür ich mich entschuldigen soll. Ich habe nur meine Arbeit getan.» Den Mut, die Karikatur nachzudrucken, hatten nur wenige in den westlichen Medien, so Roger Köppel als Chefredakteur der «Welt» – der darauf mit Glück einem Attentat entging. Herauszuheben ist übrigens die Redaktion des Perlentauchers, die sich seit 2005 nie gescheut hat, all diese Fragen immer und immer wieder zu besprechen und zu verhandeln, ganz ohne verborgene politische Agenda.

Wie immer nach Terroranschlägen wird nun der Ruf laut nach noch schärferen Sicherheits- und Überwachungsmassnahmen – obwohl der Anschlag gerade zeigt, dass die Behörden keinen ausreichenden Schutz bieten konnten. Sollen Journalisten nun gezwungen werden, Schutzwälle und Sicherheitsmassnahmen um ihre Redaktionsgebäude aufzubauen? Das kann und darf nicht die Lösung sein. Wenn Journalisten nicht mehr angstfrei leben und schreiben können, ist dies der Anfang vom Ende der freien Gesellschaft.

Wenn Satire selbst in Westeuropa das Todesurteil bedeuten kann, dann erfordert es mehr als nur ein stabiles Rückgrat, um standhaft zu bleiben. Stéphane «Charb» Charbonnier, Chefredaktor und einer von vier ermordeten Charlie-Zeichnern, brachte nach früheren Morddrohungen zum Ausdruck, was die Arbeit als politischer Zeichner für ihn und sein Leben bedeutet: «Ich habe keine Angst vor Vergeltungsmassnahmen. Ich habe keine Kinder, keine Frau, kein Auto, kein Ansehen. Das klingt ein wenig schwülstig: Aber ich ziehe es vor, aufrecht zu sterben als auf den Knien zu leben.» Jetzt ist er aufrecht gestorben, in seiner Redaktion.

Die überwältigende Solidaritätswelle, die sowohl im Netz als auch auf Plätzen und Strassen überall auf der ganzen Welt aufbrandet, wird schon in ein paar Tagen wieder abebben. Für Karikaturisten, Zeichnerinnen und Journalisten geht der Alltag schon heute weiter. Sie müssen akzeptieren, dass sie ihr Beruf in Todesgefahr bringt. Und zwar nicht in Afghanistan oder im Irak, sondern in Frankreich, wie zuvor schon in Deutschland, Dänemark oder Schweden. Diesen Druck vermag nur gelebte Solidarität abzumildern. An erster Stelle steht das Vertrauen in Kollegen, die einem den Rücken freihalten und alles unternehmen, damit gesagt werden kann, was gesagt werden muss.

In Frankreich spielt diese Solidarität. Noch am Tags des Anschlags gaben Le Monde, France TV und Radio France bekannt, Personal und Infrastruktur bereitzustellen, damit «Charlie Hebdo» auch weiterhin erscheinen kann. Das ist mehr als nur materielle Unterstützung. Wichtiger ist das ideelle Bekenntnis zu einem manchmal unangenehmen Zeitgenossen, der den Finger dorthin hält, wo es wehtut. Die Unabhängigkeit des Journalismus kann nur kollektiv verteidigt werden. Wenn dieser Gemeinschaftssinn erst durch ein Attentat wieder auf die Traktandenliste rückt, zeigt das auch, wie wenig man sich bisher um die Grundwerte kümmerte – respektive: sie einfach für gegeben hielt.

Wer nicht bereit ist, das von unseren Vorvätern hart erkämpfte freie Wort zu ertragen, soll zu spüren kriegen, dass er sich nicht auf den Grundlagen einer freiheitlichen Gesellschaft bewegt. Wer in einem freien und demokratischen Staat leben will, muss das freie Wort aushalten können, auch wenn es unangenehm ist. Die Grenzen setzt das Gesetz. Hetze gegen Gruppen unterliegt der Strafe, ebenso rassistische Äusserungen. Aber Witz und Spott, auch wenn er schmerzt, müssen alle ertragen können. Und es muss darum das Ziel jedes Journalisten und Satirikers sein, diese Freiheit zu verteidigen.

Neben den Getöteten und ihren Familien sind die Opfer der Tat auch die Muslime, die von vielen Menschen, auch Journalisten, mit Terroristen gleichgesetzt werden, mit oder ohne Absicht. Die Gleichsetzung ist falsch und muss dringend unterlassen werden. Es gilt die Religionsfreiheit, auf die Muslime genauso Anspruch haben wie alle anderen Glaubensgemeinschaften auch.

Leserbeiträge

M. Pestalozzi 08. Januar 2015, 19:29

Ich persönlich bezweifle, dass die Attentäter „das freie Wort“ im Visier hatten. Sie sannen, vermutlich fachmännisch aufgehetzt und verblendet, nach blutiger Rache für etwas, das sie blasphemisch finden. Die unglaublich feigen Morde an wehrlosen Menschen dürfen nicht geduldet oder entschuldigt werden, die Täter gehören verfolgt, vor Gericht gestellt und hart bestraft.
Viele mögen es für den falschen Moment halten, doch es gehört zur freien Meinungsäusserung, wenn man sich fragt, was es bringt, wenn man eine bildliche Darstellung eines Religionsstifters in – sagen wir mal – unvorteilhafter Pose publiziert. Was ist die Aussage jenseits vom Postulat „nichts ist heilig“? Ich fürchte, hinter manchen „mutigen“ Veröffentlichungen liegt keine höhere Erkenntnis, als jene, dass es in einer modernen, offenen Gesellschaft erlaubt sein muss, zu provozieren und wir dazu verpflichtet sind, es auszuhalten. Es ist durchaus zulässig, sinnlose Verunglimpfungen kritisch zu betrachten. An so etwas versuchte Bundesrätin Leuthard wohl mit ihrem verunglückten Tweet zu erinnern.

Frank Hofmann 08. Januar 2015, 23:07

„Charlie Hebdo“ stand allein, ohne Unterstützung in der Presselandschaft, wurde auch von andern Medien immer wieder kritisiert. Niemand stellte sich wirklich hinter die Journalisten/Karikaturisten. Heute wollen alle „Charlie sein“ … „Je suis Charlie“ heisst aber auch „Ich folge Charlie“. Wirklich und wie lange?
PS: Leuthards Zwitscher: Pitoyable! Une honte!