von Isabelle Hanne

Charlie lebt

Nach den blutigen Anschlägen auf Charlie Hebdo erlebt das Satiremagazin eine Welle der Unterstützung. Bereits am letzten Freitag hat die Redaktion ihre Arbeit in den Räumlichkeiten der französischen Zeitung «Libération» wieder aufgenommen. Drei Stunden dauerte die erste Redaktionskonferenz. Auf ihrer Internetseite liberation.fr hat die Zeitung eine Reportage über die dreistündige Redaktionskonferenz veröffentlicht.

Über 25 Mitarbeiter versammelten sich in der «Salle du hublot», um die nächste Ausgabe vorzubereiten, auf Computern, die ihnen von der Gruppe «Le Monde» zur Verfügung gestellt wurden. Eine Million Exemplare will das Satiremagazin herausgeben, das Zwanzigfache einer gewöhnlichen Ausgabe.

Mit dabei, Chefredakteur Gérard Biard. Er erzählt von den Verletzten, die er alle im Krankenhaus besuchen durfte. «Riss hat eine Verletzung an der rechten Schulter, aber der Nerv wurde nicht getroffen. Er hat grosse Schmerzen. Er sagte als erstes, er habe Zweifel daran, dass wir weitermachen können.»

Patrick Pelloux, Notarzt und Redakteur bei Charlie Hebdo, erzählt von der Kieferverletzung des Kollegen Philippe Lançon, und von Webmaster Simon Fieschi, «den die Ärzte ins künstliche Koma gelegt haben». Eine junge Frau bricht in Tränen aus. «Du musst dich nicht schuldig fühlen», versucht Gérard Biard die Journalistin Sigolène Vinson zu beruhigen, die den Anschlag am Mittwoch erlebt hat, aber von den Attentätern verschont geblieben war.

Die Toten nicht öffentlich zur Schau stellen
Der Chefredakteur lenkt das Gespräch auf die Getöteten und die bevorstehende Totenfeier. Mit welcher Zeremonie sollen die Opfer beigesetzt werden? Welche Musik? «Wir sollten keine Symbolik benutzen, die sie selbst abgelehnt hätten», wirft jemand in den Raum. «Wir sollten an die Schlichtheit der Menschen und ihrer Arbeit erinnern und sie nicht öffentlich zur Schau stellen.» Alle stimmen zu.

Bei einer spontanen Spendenaktion im Internet sind innerhalb von 24 Stunden 98.000 Euro zusammengekommen. Die Redakteure sind überwältigt von den unzähligen Abo-Anfragen, die sie gar nicht bewältigen können. Die Gruppe Lagardère hat sich bereit erklärt, zu helfen.

Die Unterstützung ist überwältigend. «Das Geld kommt von überall her», sagt der Anwalt Richard Malka von Charlie Hebdo. Darunter auch viele Medienunternehmen, wie Christophe Thévenet, ebenfalls Anwalt, erklärt. Der Fonds «Presse et Pluralisme» hat 250.000 Euro gesammelt. Die Kulturministerin Fleur Pellerin hat eine Million Euro versprochen.

An die Arbeit
Gérard Biard geht zur Tagesordnung über. «Was kommt in die Seiten?» «Keine Ahnung, was gibt’s denn Aktuelles?», meint Patrick Pelloux. Nervöses Gelächter… Satire eben…
Biard ist für eine ganz normale Ausgabe, wie immer. «Damit die Leser Charlie wiedererkennen.» Andere schlagen vor, Flächen, die von den getöteten Redakteuren hätten gefüllt werden sollen, weiss zu lassen. Doch sie werden überstimmt. Biard will keine leeren Flächen in der Zeitung. «Sie sollen alle da sein.» Auch Mustapha Ourrad, der am Mittwoch getötete Korrektor. «Dann bleiben meine Fehler stehen», witzelt Patrick Pelloux.

«Ich hoffe, dass man aufhören wird, uns als fundamentalistische Laizisten zu beschimpfen, dass man aufhören wird zu sagen ‚Ja, aber‘, wenn es um die Meinungsfreiheit geht», meint Biard. «Wir sollten sagen, dass wir in den vergangenen Jahren ziemlich alleine da standen», meint Laurent Léger. «In der Ausgabe sollten wir uns auch mit dem Danach befassen», sagt Luz. «Wir müssen die Botschaft rüberbringen, dass wir leben», sagt Corinne Rey. «Und dass wir nicht auf die Kritik an den Religionen verzichten werden», ergänzt Richard Malka.

Für die Mittwochsausgabe sucht die Redaktion nach unveröffentlichten Werken der Getöteten: Charb, Cabu, Wolinski, Honoré… Inmitten der Planungsgespräche bricht immer wieder jemand in Tränen aus. Man tröstet sich gegenseitig, liegt sich in den Armen und hält sich an den Händen.

Dann erscheinen Premierminister Manuel Valls und Kulturministerin Fleur Pellerin mit einem Aufkleber «Je suis Charlie» auf der Brust, begleitet von einer ganzen Schar an Journalisten und Assistenten. Die Gruppe reisst sich zusammen. Der Premierminister schüttelt Hände und gibt Informationen über den Zugriff in Dammartin-en-Goële preis. «Die beiden Attentäter sind in der Mausefalle», sagt Valls,  bevor er sich kurze Zeit später mit den Worten «plein de courage» wieder verabschiedet.

Die Redakteure machen sich sofort wieder an die Arbeit. »Was kommt auf Seite 16?», fragt Biard, doch seine Stimme wird von diversen Geräuschen übertönt: das Öffnen von Cola-Dosen, das Knabbern von Schokocroissants, von immer wieder aufflammenden Weinkrämpfen und von Polizeisirenen auf der Strasse. Patrick Pelloux erinnert das an die Zeit vor dem Attentat. «Das ist eine richtige Redaktionskonferenz, das völlige Durcheinander, es geht weiter.»

Libération war das einzige Presseorgan, das bei dieser ersten Redaktionskonferenz von Charlie Hebdo seit dem Anschlag dabei sein durfte. Die Zeitung hat die Reportage von Isabelle Hanne unter der Lizenz Creative Commons CC BY-SA 3.0 veröffentlicht. Damit haben andere Medien das Recht, die Reportage zu übernehmen, mit Ausnahme der Fotos. Ins Deutsch übersetzt hat die Reportage das «Luxemburger Wort», mit dessen Genehmigung wir den Text hier veröffentlichen.

Bild 1: Flickr/Valentina Calà (CC BY-SA 2.0)
Bild 2: Flickr/ActuaLitté (CC BY-SA 2.0)