von Antonio Fumagalli

Es läuft grad doppelt dumm

Medienministerin Doris Leuthard beteuert bei jeder Gelegenheit, die RTVG-Abstimmung habe nichts mit dem Service public zu tun. Doch die Deutungshoheit ist ihr längst entglitten – und der Einfluss der Verlage auf die redaktionelle Arbeit wird überschätzt.

Jeder Abstimmungskampf kennt seine eigenen Gesetze. Das ist auch diesmal nicht anders. Als der Gewerbeverband im letzten September das Referendum gegen die soeben verabschiedete Revision des Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG) ankündigte, konnte man angesichts der absehbaren Schlappe an der Urne beinahe Mitleid haben. Oder man interpretierte den Schritt bestenfalls noch als geschickten Wahlkampf-Schachzug von Direktor Hans-Ulrich Bigler, der für die FDP endlich in den Nationalrat einziehen möchte. Zu perfekt schien Leuthards Taktik, die Anzahl der Gebührenzahler zwar zu erhöhen, der grossen Masse aber dafür mit einem willkommenen Rabatt auf der Billag-Rechnung entgegenzukommen.

Das war gestern. Heute herrscht Nervosität in den Teppich-Etagen der SRG (und wohl auch in den unteren Stockwerken). Umfragewerte besagen, dass die Abstimmung durchaus knapp ausgehen könnte. Es liegt gar eine handfeste Überraschung in der Luft. Was ist geschehen? In erster Linie ist den Befürwortern der Revision die Deutungshoheit abhandengekommen. Mantrahaft wiederholt Medienministerin Leuthard, dass es bei der Abstimmung nicht um die Programme der SRG und die Definition des Service publics gehe, sondern nur um einen Systemwechsel beim Inkasso der Gebühren, die neu als Abgabe firmieren.

Damit hat sie formell natürlich recht. Nur folgt die öffentliche Diskussion selten dem bundesrätlichen Taktstock. In den Zeitungsspalten geht es um seichte Unterhaltungsshows, das viele Geld fürs Tessiner Fernsehen, um die Notwendigkeit eingekaufter TV-Serien. Leuthard beteuert, diese Debatte würde schon noch geführt, spätestens wenn die Medienkommission einen entsprechenden Bericht veröffentlicht habe. Und dass es dann auch um die Höhe der Abgabe gehe. Doch der Verdacht liegt nah: Wenn mal die Finanzierung sichergestellt ist, fehlt der politische Wille, ernsthaft am System SRG zu schräubeln.

Schwierig abzuschätzen ist, ob die Debatte nur deshalb so virulent geführt wird, weil wir Journalisten sozusagen vor der eigenen Haustüre fuhrwerken. Oder anders gesagt: Ob die Medien eine Diskussion herbeireden, welche die  Stimmbürger gar nicht gross kümmert. Am Rande eines Interviews, das wir vor drei Wochen mit Doris Leuthard führen konnten, sagte sie denn auch sinngemäss: Die Verquickung von Finanzierung und Service public sei eine Medienkonstruktion. Die Leute interessiere vielmehr, wie der Empfang funktioniere und was sie dies koste.

Ob sie Recht hat, wissen wir spätestens am Abend des 14. Juni. Dagegen spricht, dass die verschiedenen Publikationsorgane längst nicht mit einer Stimme sprechen. Wer für die Revision ist, müsste ja eigentlich ein Interesse daran haben, dass der Ball so flach wie möglich gehalten wird – was man derzeit nicht behaupten kann. Zudem erachte ich den Einfluss der Verlage auf die journalistische Berichterstattung als überschätzt. Klar haben sie Eigeninteressen, aber in aller Regel entscheiden immer noch die jeweiligen Redaktionen, wie und in welchem Umfang sie berichten.

Ein Beispiel: In einem anderen Zusammenhang war ich kürzlich erstaunt, dass ein Artikel auf einem grossen Schweizer Newsportal nach ein paar Stunden wieder vom Netz genommen wurde. Ich witterte sofort einen Befehl von ganz oben, erkundigte mich – und wurde enttäuscht. Man konnte mir glaubhaft darlegen, dass es eine rein redaktionell motivierte Entscheidung gewesen sei.

Als wäre der bisherige Verlauf der Diskussion für die Befürworter der RTVG-Revision nicht schon Unheil genug, bringt ein Urteil des Bundesgerichts nun weiteres Ungemach. Am letzten Mittwoch teilte es mit, dass die Gebührenzahler jahrelang zu viel bezahlt haben. Es beschied, dass auf eine hoheitlich erhobene Abgabe nicht zusätzlich noch die Mehrwertsteuer draufgeschlagen gehöre. Ein Schuss vor den Bug des Ja-Lagers: Nicht nur, weil bei einer Annahme der Vorlage die nun als widerrechtlich taxierte Praxis wieder eingeführt würde (und zuerst mittels Gesetzesrevision oder neuerlicher Klage gestrichen werden müsste), sondern auch weil das Vertrauen der Stimmbürger in eine transparente und zweckgebundene Finanzierung des Radio- und TV-Konsums erschüttert wird. Dass dieses höchstrichterliche Urteil ausgerechnet in die heisse Phase des Abstimmungskampfes fällt, ist zwar purer Zufall – es fächert der Debatte, an der es ohnehin nicht an Würze mangelt, aber zusätzlich Luft zu. Auf Doris Leuthard und Co. kommen schwierige Wochen zu.

Leserbeiträge

Lahor Jakrlin 04. Mai 2015, 16:10

Ein wohltuender Kommentar, weil er aus unabhängiger Sicht (neutral) verfassst wurde.

Ein „Ungemach“ wird aber nicht erwähnt: Die Pleiten, Pechs und Pannen in Sachen de Wecks Gehalt. Dabei ist die letzte Lohnerhöhung (68’000.00; von 490’000 auf 560’000) nicht mal das Schlimmste, auch die Arbeitgeberbeiträge für die PK wurden diskret aus den Geschäftsberichten GESTRICHEN.

Richtig: Mehr kann in einem Abstimmungskampf nicht in die Hosen gehen.

Klaus Bonanomi 04. Mai 2015, 16:36

Welche Umfragen bitte? Es gab eine vom Gewerbeverband, der ist Partei, und eine online-Umfrage von 20min.ch. Bei 20min.ch hat es seinerzeit auch ein Ja zu Ecopop ergeben. Bleiben wir doch seriös.

Lahor Jakrlin 04. Mai 2015, 16:54

Umfragen …

Wäre es Ihnen lieber, lieber Klaus Bonanomi, wenn statt 20Minuten die gfs miteilt, wie schlecht die Umfragewerte der Billag (aktuell) sind? Die gfs ist – als verlängerter Arm der SRG und von einem Genossen geführt – auch „Partei“.

Aber fassen wir so zusammen: Die grossen Parteien SVP und FDP sind, zusammen mit u.a. BDP/GLP und dem Verband der KMU (SGV) gegen die Billag-Vorlage.
Die Linken (sic.) und damit die SRG sowie die CVP-Parlamentarier und Economiesuisse (aufgrund eines Stichentscheids des Swisscom-VR Loosli (sic.) sind dafür.

Jetzt frage ich Sie: Wem vertrauen die Bürger_innen dieses Landes mehr?

Und ich frage Sie noch dies: Die Vorlage will etwas zementieren (MwSt auf einer Steuer!), was soeben vom Bundesgericht als illegal verurteilt wurde – was denken Sie: Wie wird das von den Stimmbürger_innen aufgenommen? Brauchen Sie da eine Umfrage?

Hrzl
jak

Klaus Bonanomi 04. Mai 2015, 17:21

Lieber Lahor Jakrlin, ich beziehe mich bloss auf die Verlässlichkeit von
Online-Umfragen. Siehe 20min.ch und Ecopop. Wenn man von „Umfragewerten“
spricht, dann soll man bitte auch erwähnen, was für „seriöse“ Umfragen dies
sind.

A. Neumann 04. Mai 2015, 18:15

Also ich finde diese geplante Medienabgabe schon eine unverschämte Abzocke, wenn zukünftig auch jene die 400 Fr. Mediensteuer abdrücken sollen, die bewusst auf die banale Unterhaltung und Volksverdummung durch den Werbeverseuchten Staatspropagandasender SRF verzichten – denn schliesslich bietet das Internet in der Tat mit all den Möglichkeiten eine fast unerschöpfliche Auswahl an Alternativen zum banal-abgedroschenen Programm des SRF-Medienkonzerns.

Findet eigentlich überhaupt eine transparente Kontrolle im Interesse der Gebührenzahler statt, was genau mit diesen ganzen Milliarden Billag-Einnahmen passiert? Wenn ich mir das stumpfsinnige Niveau im SRF Radio und Fernsehen anschaue, kann ich mir nämlich irgendwie nicht so vorstellen dass da davon ein grosser Teil in die Programmgestaltung fliesst, sondern nur im Wasserkopf der Verwaltung, Bürokratie und Angestelltenlöhne der Billag und SRF versickert.

Bevor also die Normalverdiener noch mehr geschröpft werden, wäre es angebrachter zuerst mal zu definieren was denn genau „Service Public“ sein soll und ob es dafür wirklich ein Luxusangebot an teuer eingekaufte US-Serien und Filme; aufwendige, aber dümmliche Spielsendungen, Volkstümliche Musik für die Minderheit von ü60-jährigen etc. braucht. Ich für meinen Teil sehe jedenfalls nicht ein, warum ausgerechnet ich als Nicht-SRF-Konsument und bewusster TV-Verweigerer das dümmliche, seichte und tendenziöse SRF-Angebot zwangsweise mitfinanzieren soll – gerade die Berichterstattung zum Ukrainekonflift zum Beispiel war fast durchwegs nur von einseitiger US-Nato-Propaganda geprägt und auch sonst lässt der SRF Neutralität und Objektivität missen, gerade wenn es um kontroverse, systemimmanente Themen geht.

Nein, da unterstütze ich mit meinem sauer verdiente Geld, doch lieber alternative Medien, Radio, und Nachrichtenseiten im Netz – welche im Gegensatz zu jenen nimmersatten Maden im Speck im Leutschenbacher Elfenbeinturm das Geld auch nötiger haben!

So kann es nur eine Antwort geben am 14. Juni: NEIN zur Mediensteuer – im Namen der Freiheit!

Felix Hürlimann 04. Mai 2015, 18:27

Ich finde es bedenklich, dass die Befürworter immer wieder behaupten, wenn wir die Vorlage annehmen, werde die Gebühr gesenkt. Das ist aber falsch. Es wird über ein neues System zur Erhebung der Gebühr abgestimmt und nicht über die Höhe der Gebühr. Diese wird nach wie vor vom Bundesrat festgelegt.
Der Betrag von Fr. 400.- pro Haushalt ist ein Rechenbeispiel aus der „Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen“ aus dem Jahr 2013 und nicht verbindlich.

Richard Schranz 04. Mai 2015, 21:33

Ständig wird heraufbeschworen, dass die Privaten alles besser machen würden. Tatsache ist, dass private Medienhäuser ihre Chancen bisher so gut wie nicht verwertet haben. Beim Digitalradio zeigt sich exemplarisch, was die Privaten unter Medienvielfalt verstehen. Ein Programm klingt gleicher als das andere. Und damit nicht genug: Künftig sollen ja sogar die Nachmittagsprogramme von Radio Argovia und Radio 24 zusammengelegt werden. Das wird wohl erst der Anfang sein.

Mal abgesehen von den religiös motivierten Propaganda Radios, sind es bloss die Programme der SRG, welche zumindest einen Hauch von Vielfalt beisteuern. Es fragt sich einfach, wie lange noch.

Kommt dereinst der von vielen Seiten geforderte Leistungsabbau, bleiben für den etwas anspruchsvolleren Konsumenten elektronischer Medien also nur noch die öffentlich-rechtlichen Angebote aus dem europäischen Ausland. Gut zumindest für den Herrn Köppel, welcher sich beim deutschen Staatsfernsehen schon gut in Position bringen konnte. Die Fraktion der SRG Gegner wird’s kaum stören, begnügt sie sich doch schon heute mit dem Trash TV von RTL und Konsorten.

Und online? Immerhin steht auch hier die SRG bereits jetzt quasi als Garant für einigermassen gute Recherche. Klar, kann ich das heute auch von den traditionellen Verlagshäusern haben. Doch wie wir wissen, stehen die guten Inhalte schon bald ausschliesslich hinter der Paywall. Ob sich die potentielle Leserschaft aber ausschliesslich mit dem kostenpflichtigen Content hiesiger Medienhäuser begnügen wird, wenn dereinst kein Schweizer Service public mehr zur Verfügung stehen wird, bleibt zu bezweifeln. Auch hier wird man sich die Informationen sodenn einfach jenseits der Grenze holen. Ob dies wirklich im Interesse unseres schönen Landes sein kann, bleibe dahingestellt.