von Ronnie Grob

Herausforderung oder Verteidigung der Macht?

Geht es um die Herausforderung oder die Verteidigung der Macht? Diese zentrale Frage scheidet Journalisten im Auftrag ihrer Leser und Parlamentarier im Auftrag ihrer Wähler von bezahlten Kommunikationsarbeitern und Lobbyisten. Aus dem Fall Markwalder könnten die Berufsgruppen lernen, sich wieder stärker voneinander abzugrenzen und zu empanzipieren.

Die NZZ-Recherche «Der lange Arm der Lobbyisten ins Bundeshaus» zu einer von der PR-Firma Burson-Marsteller verfassten, in Kasachstan inhaltlich stark überarbeiteten und schliesslich von FDP-Nationalrätin Christa Markwalder eingereichten Interpellation hat eine überfällige Debatte über den Einfluss von Lobbyisten und PR-Leuten ausgelöst. Längst hat man sich daran gewöhnt: Sie verfassen Vorstösse, die von Bundeshaus-Parlamentariern eingereicht werden. Sie schreiben Texte vor, die Journalisten übernehmen (sollen). Sie üben Druck aus auf Journalisten und Politiker. Und gleichzeitig sind viele untereinander per Du, kungeln in den Wandelhallen miteinander und schmausen an aus irgendeiner Kasse bezahlten Apéro-riches.

Dabei bestehen gewaltige Unterschiede: Kommunikationsarbeitern und Lobbyisten kann ihr Ansehen egal sein; als tüchtige Fachperson bekannt zu sein, reicht aus. Sie müssen nichts mehr als die Ziele ihrer Kunden erreichen und werden dafür aus den verschiedensten privaten und öffentlichen Schatullen fürstlich bezahlt. Journalisten und Politiker dagegen sind auf öffentliche Glaubwürdigkeit angewiesen. Journalisten, weil sie davon abhängig sind, dass man ihnen abnimmt und glaubt, was sie schreiben. Politiker, weil sie wiedergewählt werden wollen.

Lustig ist, dass fast alle, was auch immer sie tun, überzeugt sind, auf der richtigen Seite zu stehen. Genauso verbreitet ist die Annahme, selbst nur eine sehr beschränkte Machtfülle zu haben. Argumente gibt es genug für alle: Journalisten publizieren ja nur. Lobbyisten und Kommunikationsarbeiter bieten lediglich eine Dienstleistung an. Parlamentarier der Bundesversammlung teilen ihre Macht mit 245 anderen. Staatsangestellte sind als bezahlte Beamte Diener des Volkes. Und sogar ein Milliardär wie Christoph Blocher wird angeben, seiner Lebtag nur ein einfacher Unternehmer gewesen zu sein und stets das volle Risiko des Scheiterns getragen zu haben. Tatsächlich gibt es in der Schweiz, der Direkten Demokratie und dem Föderalismus sei Dank, weniger einzelne Mächtige als anderswo. Aber dass niemand Macht hat hier? Das kann man nun wirklich nicht behaupten.

Zu welcher dieser Gruppen eine Person überhaupt gehört, ist nicht einfach zu entscheiden. In der «Weltwoche» beispielsweise schreiben Journalisten und Politiker Seite an Seite, sogar Chef Roger Köppel ist neuerdings Nationalratskandidat für die SVP. Die Parlamentarier Werner Luginbühl (BDP, Leiter Public Affairs «Die Mobiliar»), Doris Fiala (FDP, relations & more), Lorenz Hess (BDP, furrerhugi.advisors) und Gregor A. Rutz (SVP, Rutz & Partner) arbeiten in der Kommunikation. Dann gibt es Lobbyisten, die Journalisten geworden sind, so wie Dominik Feusi von der «Basler Zeitung». Feusi wiederum, der «zehn Jahre als Politik­berater und Lobbyist» tätig war, hat kein Verständnis für eine Vermengung von Politik und Lobbyismus, wie er in der Basler Zeitung schreibt: «Das Problem sind die Lobbyisten mit Stimmrecht im Nationalrats- oder Ständeratssaal, wie Christa Markwalder». Sich besonders gut als «embedded lobbyists» aufgestellt habe sich der Bauernverband, schreibt Jean-Marc Hensch: «Direkt im Ratsplenum untergebracht» wurden «Präsident und Geschäftsführer sowie ein Dutzend weiterer Funktionäre».

Im Journalismus geht es, jedenfalls in der Theorie, immer um die Herausforderung von Macht. In der Demokratie und in der Marktwirtschaft aber auch. In einer echten Volksherrschaft zwingt die Mehrheit der Regierung ihren Willen auf. In einem echt marktwirtschaftlichen System kommen die Starken und die Tüchtigen nach oben, weil sie mit eigenen Unternehmungen einen Marktanteil erobern oder weil ihre Leistungen die Etablierten zur Zusammenarbeit oder Veränderung zwingen. Journalisten und Politiker, die daran glauben, dass jemand mit Leistungen hochkommen soll und dass die Herrschaft vom Volk ausgehen soll, müssen mit Lobbyisten und PR-Leuten arbeiten – vor allem aber gegen sie. Denn deren Ziele sind nicht die Ziele der Leser und Wähler, die sie mit ihrer Arbeit vertreten.

Und wie viel Herausforderung der Macht gibt seitens des Lobbyismus und der Kommunikationsindustrie? Herzlich wenig. Denn wer kein Geld (und also wenig Macht) hat, kann sich keine Interessensvertreter leisten. Es geht dort in den meisten Fällen um den Erhalt oder den Ausbau einer bereits vorhandenen Machtposition. Die zu erreichenden Ziele können dabei durchaus hehr sein.

In einem Milizsystem wie der Schweiz sind funktionelle Überschneidungen und daraus entstehende Interessenskonflikte unausweichlich. Trotzdem könnten die Berufsgruppen aus der Diskussion um den Fall Markwalder lernen, sich wieder stärker voneinander abzugrenzen und zu emanzipieren. Und gleichzeitig noch transparenter zu werden: Jeder in der Öffentlichkeit stehende Mensch sollte seine Haltungen und Interessen, zum Beispiel auf der eigenen Website, öffentlich machen. Die Wähler und die Medienkonsumenten haben einen Anspruch, zu erfahren, in welchem Auftrag jemand handelt.

Katze