von Ronnie Grob

Journalisten als unbelangbare Ko-Politiker

Der Suhrkamp-Band «Die Unbelangbaren» wirft politischen Journalisten vor, selbst mitzuregieren als sogenannte Ko-Politiker, aber dabei letztlich unbelangbar zu bleiben. Autor Thomas Meyer, Politikwissenschaftler und stv. Vorsitzender der Grundwertekommission der SPD, wird leider nicht konkret, wenn es um die Namen der kritisierten Journalisten geht.

Suhrkamp-Bände haben Traditionen: Bilder sind meistens keine drin und der Autor hält sich selbst vornehm zurück. So kommt auch der vorliegende Band ohne Bild und mit einer lediglich sechszeiligen Beschreibung des Autoren aus. Selbst geht der «Prof. em. für Politikwissenschaft an der TU Dortmund» auch nicht anders vor: Fehlbare Journalisten nennt er nicht im Buch, er gibt lediglich Quellen an. Man kann das als Höflichkeit auslegen und als einen Versuch werten, dem beanstandeten Fingerzeigen und der kritisierten Personalisierung im Journalismus eine sachliche Kritik entgegenzusetzen. Doch ist es nicht etwas seltsam, wenn angeprangerte Fehlleistungen nicht mit konkreten Namen von Journalisten verknüpft werden? In einem Buch, das die mangelnde Transparenz von «Alphajournalisten» fordert und ihre Unbelangbarkeit kritisiert?

Den sogenannten Alphajournalisten legt Meyer zur Last, dass sie als «unbelangbare Kopolitiker» auftreten und gleichzeitig die Rollen von Staatsanwälten, Zeugen und Richtern übernehmen würden. Die Verschmelzung von Medien und Politik zu einem «politisch-medialen Supersystem» (Fritz Plasser) sei bereits weit gediehen. Aufgrund ihrer Monopolstellung als Gatekeeper behielten die Journalisten – vor allem in eigener Sache – stets das letzte Wort. Sie seien so «zugleich höchst einflussreich und prinzipiell unbelangbar – eine für die Demokratie nicht sonderlich bekömmliche Mixtur».

Es ist auch meine Erfahrung als Medienkritiker: Wenn Journalisten angegriffen werden, beschweigen sie das oft. Und wenn sie doch darüber schreiben, bezeichnen sie die Kritik mit dem verräterischen Begriff der «Medienschelte». Meyer notiert: «Man hat den Eindruck, als wäre Kritik an Medien und Journalisten automatisch immer ein Fehltritt, als grenze sie an Gotteslästerung.» Der Begriff «Medienkritik» dagegen komme in der Welt des Journalismus nur «in der wissenschaftlichen Literatur und als Spaltenüberschrift» vor.

Tatsächlich scheinen manche Journalisten zu glauben, unangreifbar zu sein oder sein zu müssen. Als Beispiel führt Meyer den Satz «Wie unvoreingenommen können Journalisten noch berichten, wenn ihr eigenes Verhalten infrage gestellt wird?» an, der in der Einführung zu einem «Spiegel»-Interview mit Christian Wulff zu lesen war. Meyer erinnert das an «die religiöse Selbstüberhöhung kirchlicher Würdenträger» und fragt zurück: «Ist es nicht eher so, dass mündige Leser einem Blatt umso mehr vertrauen, je grösser dessen Bereitschaft ist, sich auf Kritik an seinem Gebaren einzulassen?»

Doch wer ist nun eigentlich Thomas Meyer? Dieses Wissen wird offenbar vorausgesetzt, schliesslich ist er ein fleissiger Produzent von Texten und Büchern. Wer es nicht weiss, ist gezwungen, sich im Internet zu informieren. Herauszufinden ist so, dass Meyer 1973 über den «Zwiespalt in der Marx’schen Emanzipationstheorie» promovierte, SPD-Mitglied ist und als stv. Vorsitzender der Grundwertekommission dieser Partei arbeitet. Weiter ist er Chefredaktor der linksliberalen Zeitschrift Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte.

Seine Verbindung zur SPD wird im Buch dann präsent, wenn er beklagt, dass die Medien ein schwarz-grünes Bündnis als «überlegen und innovativ» darstellen würden, die SPD dagegen «regelmässig als verbraucht und überholt charakterisiert» werde. Nicht zu Unrecht skizziert er weiter Journalisten als Mitglieder eines Neuen Bürgertums, welches Menschen an den Rändern der Gesellschaft wenig Empathie entgegenbringe, sich mittels «Cocooning» zurückziehe, «von Verpflichtungen zugunsten des grossen Ganzen» nicht belästigt werden wolle und nichts mehr als im kleinen Kreis den eigenen Wohlstand geniessen wolle.

Man merkt leider auch gut, dass der Mann Jahrgang 1943 hat. Er zitiert vornehmlich aus Büchern, aus Zeitungsartikeln und aus Fernsehsendungen. Das fünfseitige Kapitel «Hoffnung Netz» bleibt eher abstrakt und ignoriert die in Deutschland doch recht aktive Medienkritik im Internet fast komplett, erwähnt ist lediglich die Website «Ruhrbarone».

Wirklich viel Neues liefert das Buch nicht. Und mehr Informationen über die eigenen Haltungen und Interessen des Autors wären hilfreich gewesen, um auch ihn belangbar zu machen. Aber es ist sehr erfreulich, dass sich das im gemeinen Volk breit machende Unbehagen über eine postdemokratische, abgehobene Elite, die glaubt, keine Rechenschaft ablegen zu müssen, nun auch alte SPDler und den Suhrkamp-Verlag befallen hat.

Dass Leute wie Meyer diese Kritik äussern, ist wichtig – man kann es an einer Aussage festmachen, die er im Interview mit «Telepolis» gemacht hat: «Wenn Medienkritik so angebracht wird, wie es beispielsweise Leute von Pegida tun, dann ist es sehr einfach für die kritisierten Medien und Journalisten, die Kritik als substanzlos, da zu schrill, zu laut und zu unsachlich abzutun. Die fundierte Medienkritik, die zwischen all den lauten Tönen auch zu finden ist und die, so meine ich, durchaus auch ihre Schärfe hat, wird dann einfach übergangen.»

Mehr zum Thema: MEDIENMONITOR-Dossier «politischer Journalismus»

Leserbeiträge

Fred David 03. Juni 2015, 10:54

Interessant. Ich hoffe auf Band II : „Wie Wirtschaftsjournalisten mitmischeln(oder: „mitgemischelt werden“; kann man sprachlich noch polieren ; jedenfalls wäre das für die Schweiz der näherliegende Ansatz, weil sich hier alles um Geld dreht, restlos alles).

Charlotte Heer Grau 18. Juni 2015, 11:42

Schade, Ronnie Grob, dieses Buch hätte mehr Lob verdient. Sie beweisen mit Ihrer Kritik nur einmal mehr, dass JournalistInnen schlecht mit Kritik umgehen können.
6 Zeilen zu Meyers Herkunft genügen mir vollauf, denn eben, in Sekunden im Netz gefunden. Die Namen der „Unbelangbaren“? Kaum aus Höflichkeit unterschlagen. Denn sie sind auswechselbar, diese Journalisten. Hier geht es um einen Mechanismus, dieser wird zu Recht angeprangert. Die Bereitschaft allerdings das zu verstehen, ist an einem kleinen Ort. Schade.

Ronnie Grob 18. Juni 2015, 11:47

Was fanden Sie denn am Buch herausragend gut? Ich fand’s jetzt nicht schlecht, aber umgehauen hat es mich nun wirklich nicht. Meyer hat schon eine ziemliche Sehschwäche auf die eigenen Verbindungen und Interessen. Man erahnt seine SPD-Verbindungen bei der Lektüre, muss sie dann aber eben selbst recherchieren. Warum hat er sie nicht transparent gemacht?