von Nick Lüthi

Das falsche Bild vom privilegierten Tessin

Die Radio und Fernsehprogramme der italienischsprachigen und der Westschweiz gelten gemeinhin als die privilegierten Unternehmensteile der SRG, weil sie mehr Mittel erhalten, als ihre Region selbst aufzubringen vermag. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. In absoluten Zahlen produzieren RSI und RTS wesentlich günstiger als das Deutschschweizer SRF. Ein Denkanstoss zu einer effizienteren und schlankeren SRG.

Einmal in den Köpfen, ist das Bild nicht mehr rauszukriegen. Das italienischsprachige Radio und Fernsehen in der Schweiz gilt gemeinhin als der Krösus unter den sprachregionalen Unternehmensteilen der SRG. So viel Geld für eine so kleine Region! Mit seinen über 1000 Mitarbeitern ist Radiotelevisione svizzera di lingua italiana RSI der zweitgrösste Arbeitgeber im Kanton Tessin. Nur die Kantonsverwaltung beschäftigt noch mehr Personal. Mehr Radio- und Fernsehmitarbeiter als Zahnärzte und andere drastische Bilder sollen die Dimensionen veranschaulichen. Sogar die SRG selbst verbreitet diese Sichtweise. Nach dem Nein der Tessiner Bevölkerung zur Einführung einer Medienabgabe sprach das «Echo der Zeit» von «Undank» und suchte nach Motiven für die Ablehnung des revidierten Radio- und Fernsehgesetzes. Nur: Wieso sollte sich ein Gebührenzahler in der italienischsprachigen Schweiz besonders dankbar zeigen für eine Leistung, die er genauso mitfinanziert, wie eine Deutschschweizerin oder ein Romand?

Das Bild der medial privilegierten Südschweiz entspricht aber höchstens der halben Wahrheit. Denn die bisher dominante Perspektive richtete sich immer nur auf den Finanzausgleich innerhalb der SRG und auf das Verhältnis zwischen zugeteilten Mitteln und dem Gebühren- und Werbeertrag aus der betreffenden Region selbst. Das andere, bisher völlig vernachlässigte Bild zeigt ein geradezu schlankes und kostengünstiges Medienangebot der SRG für die Südschweiz. Grob gerechnet bestreitet das italienischsprachige RSI seine Programe mit weniger als der Hälfte der Mittel, die das Deutschschweizer Radio und Fernsehen benötigt. Von den rund 1.6 Milliarden Franken an Gebühren- und Werbeeinnahmen fliessen nach dem internen Verteilschlüssel 22 Prozent ins Tessin (entspricht rund 350 Mio. Franken), SRF erhält gut 45 Prozent (was mehr als 700 Mio. Franken entspricht).

Mit diesem Geld produziert RSI ein Medienangebot, das den gleichen Ansprüchen genügen muss, wie sie auch in den anderen Sprachregionen gelten. Das schreibt die Konzession vor: «Die Programmleistungen werden gleichwertig in allen Amtssprachen erbracht.» Da die Rundfunkproduktion nicht skaliert, weil es also kostenmässig keine Rolle spielt, ob man für 350’000 Italienischsprachige oder für fünf Millionen Deutschschweizer Radio- und TV macht, stimmt auch die Annahme nicht, RSI müsste eigentlich günstiger sein, weil es für ein kleineres Publikum produziert. Damit verkehrt sich sich das lieb gewonnene Klischee des überfütterten Tessins in sein Gegenteil. RSI könnte vielmehr als Vorbild für den Rest der SRG dienen.

Ganz so einfach, wie das auf den ersten Blick aussieht, erweist sich das Szenario in der Realität aber nicht.

So geht die Rechnung nicht auf, dass man nur RSI zu klonen bräuchte und in die Deutschschweiz und Romandie verpflanzt auf einen Schlag hunderte von Millionen Franken sparen könnte. Damit würde zum einen die Solidarität zwischen den Landesteilen (über)strapaziert, wenn der interne Finanzausgleich noch stärker als heute schon die Deutschschweizer Gebührenzahler belastete. Das italienischsprachige Radio und Fernsehen profitiert zum anderen von Leistungen und Dienstleistungen der Deutschschweiz. Sprich: Die verhältnismässig schlanken Strukturen sind nur möglich, weil es den grossen Bruder SRF gibt. Ausserdem sind die Programme von RSI und SRF nur beschränkt vergleichbar. So gibt es im Tessin nur zwei und nicht drei TV-Kanäle, das Programmraster im Fernsehen ist nicht ganz so dicht wie in der Deutschschweiz. So strahlt das Tessiner Fernsehen etwa deutlich weniger Sendungen mit Information und Aktualität aus als das Deutschschweizer Fernsehen – hat aber in der Primetime, in der die meisten News-Programme stattfinden einen höheren Marktanteil als SRF und auch RTS in der Romandie.

Bei allen Unterschieden und den Grenzen der Vergleichbarkeit zeigt der Tessiner Perspektivwechsel, dass es in der anlaufenden Diskussion über Struktur und Umfang der SRG keine Tabus geben darf. Lange gehegte Bilder und Gewissheiten taugen schlecht für einen Aufbruch in eine unbekannte Zukunft. Wenn der Druck auf die SRG weiter zunimmt, wovon man ausgehen darf, muss das Unternehmen das grösste Interesse daran haben, weiterhin Top-Leistungen zu erbringen aber wohl mit weniger Mitteln. Sowohl die Nutzerfinanzierung als auch die Werbeeinnahmen werden in Frage gestellt. Unter diesen Vorzeichen hilft nur ein konsequentes internes Benchmarking und eine permanente Orientierung an der Best-practice. Das italienischsprachige Angebot mag zwar inhaltlich nicht perfekt sein, zeigt aber in der Struktur, dass der Konzessionsauftrag nicht nur so erfüllt werden kann, wie man das in Zürich, Bern und Basel macht und schon immer gemacht hat.

Leserbeiträge

Frank Hofmann 16. Juni 2015, 16:39

Rete Uno ist nicht besser als ein x-beliebiges Lokalradio: endlose, belanglose Plaudereien, dämliche Zuhörerspiele (Il rumore misterioso) mehrmals täglich, Mainstreampop. Ein massloser personeller Aufwand gemessen am Niveau. Da dort jeder und jede jeden irgendwie kennt, ist Nepotismus Tür und Tor geöffnet. Es liegen Welten zwischen dem TI- und dem Romandie-Radio (obwohl auch dort endlos über Essen und Kino geschwafelt wird). – Ein Radioprogramm pro Sprachregion würde vollauf genügen.

Martin Kallmann 22. Juni 2015, 09:13

„Mit seinen über 1000 Mitarbeitern ist Radiotelevisione svizzera di lingua italiana RSI der zweitgrösste Arbeitgeber im Kanton Tessin.“ – Hier haben sich meiner Meinung nach die Relationen ein wenig verschoben. SRF gehört redimensioniert und zwar in allen 4 Sprachregionen, um der heutigen Medienlandschaft mit mehr Medienkanälen und Medienträgern gerecht zu werden. Der Kunde ist längerfristig nicht mehr bereit so viel zu zahlen, wo er nebst TV auch noch Internet, Mobile, PayTV, Social Media etc. konsumieren und bezahlen möchte.

Ueli Custer 22. Juni 2015, 16:49

SRF ist nur für die deutschsprachige Schweiz verantwortlich und kann deshalb nicht in allen 4 Sprachregionen redimensioniert werden. Da ist wohl die SRG gemeint.
Im übrigen sind solche Aussagen schnell gemacht, stossen aber spätestens dann auf grossen Widerstand, wenn eine beliebte Sendung im 1. Programm einer Sportübertragung weichen muss. Oder wenn es an einem Sonntag Nachmittag nur noch entweder Fussball oder Tennis gibt. Das war in den Neunzigerjahren so und das regelmässige Geheul aus dieser Zeit ist mir jetzt noch in den Ohren. Bevor man also solche schnellen Ideen verbreitet, sollte man sich auch die konkreten Konsequenzen überlegen.