von Ronnie Grob

Kavaliersdelikt Diebstahl

Die Nachsicht, mit der die Plagiatsvorwürfe gegen Weltwoche-Journalist Urs Gehriger abgehandelt werden, ist unangebracht. Wem es egal ist, was in Texten steht und wie sie zustandegekommen sind, dem sind auch seine Leser egal.

Es ist kein Geheimnis. Wenn’s gegen die Weltwoche geht, dann legen Journalisten plötzlich Recherchelust an den Tag:

Fall 1, 12. Juli: Plagiat bei der «Weltwoche» (NZZ am Sonntag, Patrick Imhasly und Pascal Hollenstein)
Fall 2, 14. Juli: «Weltwoche» schrieb auch in Deutschland ab (Tages-Anzeiger, Iwan Städler)
Fall 3, 19. Juli: Weiteres Plagiat bei der «Weltwoche» (NZZ am Sonntag, Pascal Hollenstein)

Recherchieren können hätte man übrigens seit mindestens dem 5. Juli, 13:31 Uhr. Dann twitterte nämlich Patrick Imhasly (@Imhasly) diesen, inzwischen gelöschten Tweet:

@Weltwoche Abgeschrieben? Text über Kriegshistoriker Antony Beevor grossteils identisch mit http://t.co/dZt7C6119f http://t.co/sEFjwmTpYQ

Dass Journalisten in fremder Sache unerbittlich, in eigener Sache aber sehr grosszügig sein können, ist hinlänglich bekannt. Aber was, wenn die Medienjournalisten, die den Journalisten auf die Finger schauen sollten, diese Plagiatsfälle verharmlosen? «In einem halben Jahr wird sich niemand mehr an den Fall erinnern», schreibt etwa Nick Lüthi. Mag sein, aber wäre es nicht an den Medienjournalisten, dafür zu sorgen, dass dem nicht so ist? Gar wie der Weisswäscher in Person tritt Matthias Ackeret, Chefredaktor von «Persönlich», in der «Schweiz am Sonntag» auf. Er beruhigt Gehriger, sich mit seinen Vergehen «in bester Gesellschaft» zu befinden und zählt folgende Mitglieder dieser auf: Karl-Theodor zu Guttenberg (mehr bei Guttenplag), Annette Schavan (mehr bei Schavanplag), Fritz J. Raddatz (mehr bei Martin Meyer), Bertolt Brecht und William Shakespeare. «Die Folgen für den weiteren Karriereverlauf waren unterschiedlich», urteilt Ackeret. Stimmt genau, denn Brecht und Shakespeare mussten nicht zurücktreten, weil es gar keine Funktion gab, von der sie hätten zurücktreten können. Wie Ackeret überhaupt darauf kommt, in seinem Text von einer «Moralkeule der Branche» zu sprechen, ist unverständlich. Sucht er etwa nach Journalisten, die ihm zusammenkopierte Texte anbieten? Muss sich jemand, der auf einen offenkundigen Diebstahl hinweist, als Moralkeulen-Schläger bezeichnen lassen?

Persönlich finde ich die Haltung, dass es egal sei, ob man dem Leser originäre oder zusammenkopierte Inhalte anbietet, unerträglich. Es mag sein, dass nicht alle Leser verstehen, was denn nun genau ein Plagiat ist. Einigen von ihnen ist’s wahrscheinlich auch herzlich egal, aus der «Welt» oder aus der FAZ kopierte Passagen zu lesen, weil sie diese Zeitungen sowieso nicht lesen. Aber kann der Leser denn, wenn er schon nicht zu einem Gratisquatschblatt greift, sondern 8,50 Franken für ein vermeintliches Qualitätsmagazin ausgibt, nicht auch Qualität, Eigenständigkeit, Originalität, Einmaligkeit erwarten? Als Mitglied der Weltwoche-Redaktion wird Urs Gehriger gut dafür bezahlt, eigene Inhalte zu erstellen. Für jede Story, die über eine Kurzmeldung hinausgeht, wird ihm eine Woche oder mehr Zeit zur Verfügung gestellt – er wird definitiv nicht dafür bezahlt, aus anderen Publikationen abzuschreiben. Er ist auch kein freier Journalist, welcher aufgrund lausiger Honorare sehr viele Artikel schreiben muss, um zu überleben und deshalb öfters in Versuchung gerät, sich die eigene Arbeit durch Kopieren von fremder Arbeit zu erleichtern.

Wenn Journalisten stehlen, kann das mal vorkommen, nun gut. Aber hat nicht im November 2010 eine Mehrheit der Schweizer Stimmbürger befürwortet, dass Ausländerinnen und Ausländer, die wegen eines Einbruchsdelikts rechtskräftig verurteilt worden sind, «unabhängig von ihrem ausländerrechtlichen Status ihr Aufenthaltsrecht sowie alle Rechtsansprüche auf Aufenthalt in der Schweiz» verlieren? Der Diebstahl dort und der Diebstahl hier erlaubt keinen direkten Vergleich – als Beispiel, wie die Anwendung von Härte ganz unterschiedlich beurteilt werden kann, taugt er aber. Befremdlich ist auch, wie Gehriger versucht, die Geschichte auszusitzen. Der Journalist, der mit seinen eigenen Texten Öffentlichkeit schaffen will, gönnt der Öffentlichkeit nicht mal ein Foto von sich. Zur Sache hat er bisher nicht mehr als ein dürres Statement geliefert: «Ich habe einen Fehler gemacht und wurde von der Chefredaktion gerügt. Es wird nicht mehr vorkommen.»

Ein Journalist wie Urs Gehriger, der ganze Passagen aus anderen Artikeln kopiert und abschreibt, schadet nicht nur seiner eigenen Glaubwürdigkeit massiv, sondern auch der Glaubwürdigkeit der Marke, für die er schreibt. Die Zusammenarbeit mit Interviewfälscher Tom Kummer habe Roger Köppel sofort beendet, als er dessen Erfindungen auf die Schliche kam, erzählte Köppel im MEDIENWOCHE-Interview 2011. Trotzdem nahm er die Zusammenarbeit im Juli 2013 wieder auf. Dass Köppel nun zögert, einen verdienten Reporter wie Gehriger wegen einigen kleinen Fehlern fristlos zu entlassen, ist verständlich und auch richtig. Aber zwischen «in der Eile mal nicht sauber gearbeitet» und wild aus irgendwelchen Quellen zusammenkopierten Artikeln besteht ein grosser Unterschied. Inzwischen ist Plagiatsvorwurf Nummer 4 aufgetaucht. Für den Nachruf auf Patrick McNee in der Weltwoche vom 1. Juli 2015 verwendete Gehriger Passagen aus Kinoweb.de und Scifi-forum.de.

Die Glaubwürdigkeit verspielt man sich nur einmal. Oder jede Woche neu. Bis nächsten Sonntag in der NZZ am Sonntag.

Leserbeiträge

Fred David 21. Juli 2015, 11:38

Im Gegenteil: Es wäre besser , die „Weltwoche“ würde häufiger bei andern abschreiben. Der Fakten wegen :

http://www.swissmem.ch/news/news/die-faktenfreie-welt-des-roger-koeppel.html

Lothar Struck 21. Juli 2015, 11:59

Plagiate scheinen auch in der Literatur bzw. der Literaturkritik eher Kavaliersdelikte zu sein. Die des Plagiats 2010 „überführte“ Helene Hegemann kam mit ihrem Buch „Axolotl Roadkill“ trotzdem auf die Shortlist zum Preis der Leipziger Buchmesse. zur Begründung hieß es unter anderem, die Autorin habe sich mit den Urhebern geeinigt (lt. taz vom 12.02.2010). Den Preis bekam sie dann nicht.

Frank Hofmann 21. Juli 2015, 13:11

Bedauerlich, dass Herr Gehriger die Arbeitsmethoden seines früheren Arbeitgebers an der Werdstrasse nun bei der „Weltwoche“ appliziert.

Ellen Ringier 22. Juli 2015, 22:59

Ronnie Grob, das ist ein ausgezeichneter Beitrag!

Wenn wir Urheberrecht aufhören zu schützen und „Diebstahl an geistigem Eigentum“ nicht strafrechtlich verfolgen, wird das Plagiat Usanz! Dann gibt es überhaupt keinen Grund mehr, für Gedrucktes, Gesprochenes, Gemaltes, Gesungenes, Getanztes oder irgend eine originäre kreative Leistung mehr zu bezahlen!

Niklaus Baumann 03. August 2015, 21:34

Gegen Abschreiben (copy-paste) ist nichts einzuwenden, solange dies mit Quellenangaben erfolgt (in der Regel bei den Naturwissenschaften der Fall). Alles andere ist (gelinde gesagt) inakzeptable Schummelei! Allerdings grassiert das Übel besonders in der Tagespresse (von NZZ-FAZ). Oft sind dies aufgegriffene Thesen, Überlegungen, Sätze, Teilsätze, Zitate oder wesentliche Aussagen Dritter. Mit etwas Fingerfertigkeit wird einfach „umgegossen“ und der originäre Autor oder die Originalquelle ist nicht mehr unbedingt identifizierbar.
Es gibt auch Bücher oder Texte, zusammengeschustert, bestehend aus Tsunamis von Zitaten (wissenschaftlich allerdings korrekt mit Quellenangabe) – schrecklich zu lesen (z.Bsp. „Simplicity“ von Benedikt Weibel!)
Und die berühmte Frage nach demjenigen, der den ersten Stein werfen soll, bleibt wohl (einmal mehr) delikat zu beantwortet – weil wahrscheinlich originäres Denken nicht unbedingt viele Menschen für sich in Anspruch nehmen können!

Markus M. Ronner 02. August 2016, 11:36

Der Preis für Plagiate
„Weltwoche“-Redaktor Urs Gehriger, peinlich ertappter Plagiator vom Dienst, ist zum Dank für seine teilweise geklauten Elaborate zum Ausland-Chef der Köppel-Postille ernannt worden. Als solcher hat er in der 1.August-Sondernumm er eine auf den Knien vor seinem Liebling geschriebene Trump-Ehrerbietung veröffentlich, die er, um seine Unbestechlichkeit zu „beweisen“, m it dem Geständnis eröffnet hat, eine Wette von 1 200 Franken auf den Trump’schen Präsidentschaftssieg abgeschlossen zu haben, was jedoch“nich6ts über eine persönliche Präferenz aussagen“ solle… Man ist versucht, selber eine Wette abzuschliessen, und zwar darüber, dass jeder Leser seine Laktüre an dieser Stelle abgebrochen hat – auch wenn er dabei der Chance weiterer Plagiate entgangen sein sollte.