von Ronnie Grob

Ich will Nachbern.ch!

Auf der Website Nachbern.ch will ich den Wahlkampf um die Schweizer Parlamentswahlen 2015 beobachten: Drei Wochen in Bern und drei Wochen, in dem ich Veranstaltungen in den verschiedenen Landesteilen besuche. Aber hat es denn nicht schon mehr als genug Bundeshaus- und Wahlkampfjournalisten? Ja, hat es. Werde ich das Gleiche machen wie die? Wahrscheinlich nicht.

Seit ich in Kontakt bin mit dem in den traditionsreichen Medienhäusern gepflegten Journalismus, höre ich, was alles nicht geht: Das passt nicht zu unserem Produkt. Das will unser Leser nicht wissen. Das muss exakt so und so lang sein. Das haben wir schon mal gemacht. Sowas kannst du nicht bringen. Was masst du dir an, über so etwas zu schreiben.

Die erfahrene Ablehnung von eingereichten Ideen ist so konstant wie variantenreich, und eigentlich nichts, das man gerne erzählt. Zum Glück bin ich nicht der Einzige, dem es so ergeht. Freie Journalisten wie ich erhalten manchmal gar keine Antwort aus den Redaktionen. Oder sie erhalten eine Absage, und spüren sofort: Das waren nicht die tatsächlichen Gründe der Ablehnung. Als ich vor einiger Zeit Medienunternehmen anfragte, ob ich für sie den Wahlkampf beobachten dürfe, bat ich um zwei reguläre Monatslöhne. Auf Nachfrage erst erhielt ich die Antwort, die Idee sei zwar interessant, aber sowas sei finanziell einfach nicht zu stemmen. Wohlgemerkt, aus zwei verschiedenen Betrieben mit Dutzenden von festangestellten Mitarbeitern.

Dabei, so denke ich mir, sind doch freie Journalisten die kostengünstigsten Inhaltslieferanten, die sich Medienbetriebe wünschen können. Ihre Texte können abgelehnt werden, ohne dass es zu Zerwürfnissen führen würde. Sie organisieren ihre Arbeitsräume und -mittel selbst. Sie haben keine Kündigungsfrist, beziehen keine Ferien und beanspruchen keinen Krankheitsausfall. Sie kosten, auch gut bezahlt, einen Bruchteil von festangestellten Mitarbeitern. Wären Chefredaktoren auch Unternehmer, würden sie versuchen, vermehrt mit freien Mitarbeitern zusammenzuarbeiten. Aber nun gut, wer freier Journalist sein will, sollte nicht über sein Los jammern, sondern etwas tun, um es zu verbessern.

Was geht?

Ist es vermessen, zu fragen, was geht, wenn so vieles nicht geht? Dass Medien wie Tageszeitungen oder das Fernsehen stockkonservativ sind und ihr Produkt vorzugsweise wenig bis gar nicht mehr verändern wollen, weil sie von wenigen Ausnahmen abgesehen je länger, je öfters nur noch alte bis sehr alte Menschen erreichen, ist kommerziell gesehen richtig. Aber eben auch nur dann, wenn man den Erfolg, den man haben will, auf jetzt und die nächsten zwanzig Jahre befristet, und dann den Laden zumacht. Wer die eigene Marke tatsächlich in die Zukunft retten will, muss ganz anders vorgehen. Wie genau? Das ist der heilige Gral der Medienbranche.

Dass ich die letzten neun Jahre vor allem online publiziert habe, ist nicht nur Zufall und Faszination für das Medium Internet, sondern auch eine bewusste Entscheidung für Freiheit und Eigenverantwortung. Publizieren im Internet heisst, aus einem Übermass von Möglichkeiten Aktionen auszuwählen. Und Verantwortung wahrzunehmen: Denn die Schuld für eigene Unzulänglichkeiten kann man niemandem überantworten, weder für Fehler im Text, noch wenn man verklagt wird für falsche Tatsachenbehauptungen oder Urheberrechtsverletzungen. Das eigene Produkt vom Titel über den Lead bis zur Bildauswahl und zur Bildunterschrift selbst kontrollieren zu können, ist einem wichtig, weil man es nicht anders gelernt hat. Wer Freiheit und Verantwortung von Anfang an besitzt, gibt sie nur sehr ungern wieder ab.

Ich bin davon überzeugt, dass sich Menschen am Besten entfalten, wenn sie exakt das machen, was sie wollen und können. Die Idee, die Schweizer Parlamentswahlen vor Ort zu beobachten, hatte ich schon vor vier Jahren. Damals wie heute ging ich auf Medienunternehmen zu und fragte, ob es Möglichkeiten dafür gebe. Vielleicht habe ich nicht an den richtigen Stellen gefragt, aber es gab keine. Also frage ich dieses Mal die Öffentlichkeit, und der Beginn des Crowdfundings für Nachbern.ch war vielversprechend: In den ersten 24 Stunden kam bereits 26 Prozent der nachgefragten Summe zusammen. Inzwischen haben 40 Unterstützer 3932 der 10’000 Franken zusammengetragen; ein wunderbarer Vertrauensvorschuss, erteilt vorwiegend von Leuten, die mich und meine bisherige Arbeit kennen. Sie zählen darauf, dass ich die sechs Wochen vor den Wahlen nutzen werde, um Nachbern.ch möglichst lesenswert zu gestalten, und das will ich.

Die Frage ist nun: Wie überzeuge ich Leute, die noch nie etwas von mir gehört haben? Es wird nicht einfach. Und sollte das Projekt tatsächlich gelingen, laufe ich natürlich Gefahr, schlecht abzuschneiden gegenüber der Konkurrenz. Denn die macht gute Arbeit. Um beispielsweise an die Qualität der NZZ-Videos aus den Kantonen heranzukommen, wird mein Budget nicht ausreichen. Spenden sollte also auch, wer mich scheitern sehen will – dass ich mir mit meinen medienkritischen Beiträgen die letzten Jahre gerade unter Schweizer Medienmenschen nicht nur Freunde gemacht habe, ist eine gar nicht so bedauernswerte Tatsache.

Keine unhaltbaren Versprechungen

Wenn man ständig auf Leute trifft, die einem auf Begrenzungen aufmerksam machen, statt Chancen und Möglichkeiten zu sehen, ist es manchmal schwierig, optimistisch zu bleiben. Ja, weisst du denn nicht, Ronnie, dass es schon viele Journalisten hat in Bern? Ja, und was willst du denn nun anders machen? Die ehrliche Antwort ist wohl: Ich muss es ausprobieren. Ich halte mich mit Grund zurück, allzu konkrete Versprechungen zu machen: «Blogtexte, ergänzt mit Fotos und Videos: Beobachtungen aus persönlicher Sicht, aber auch Interviews und Hinweise zu anderen bemerkenswerten Angeboten rund um die Wahlen», schreibe ich im Projektbeschrieb. Und dabei bleibt es. Denn verspreche ich konkret, X und Y zu machen, so muss ich dann auch X und Y liefern, selbst wenn ich vor Ort erkenne, dass Q und R interessanter wären. Und das wäre falsch. Wie beim Kauf einer Zeitung weiss man vorher nicht, was drinsteht. Der Produzent jedoch ist bekannt, inklusive Haltungen und Interessen.

Was sagt ein Ölmaler seinem Kunden, der ihm ein Porträt in Auftrag gegeben hat, wenn dieser wissen will, wie es herauskommt? «Sie werden darauf zu sehen und zu erkennen sein», wahrscheinlich. So wird ein Teil der politischen Schweiz auf Nachbern.ch zu sehen und zu erkennen sein, mit seinen Politikern, Journalisten, Lobbyisten und Kommunikationsarbeitern. Ich bin hoch motiviert, das Projekt in Angriff zu nehmen. Kommen jedoch die 10’000 Franken bis zum 28. August nicht zusammen, ist das kein Unglück. Sondern nur ein Versuch, der nicht geklappt hat.

Crowdfunding auf Wemakeit.ch
Nachbern.ch

Leserbeiträge

zentao 07. August 2015, 13:24

Ja genau – Sei unangenehm wie ein Kaktus….

Mark Balsiger 07. August 2015, 17:52

Ich traue dir zu, lieber Ronnie, mit deinen Texten eigene Ansätze zu liefern, die für uns Lesende einen Mehrwert bieten. Das vorweg.

Was ich schade finde: Weshalb lancierst du dieses Projekt in der Schlussphase des Wahlkampfs? Mit deinem geschärften Blick wäre z.B. eine Serie ein Jahr vor dem Wahltermin spannender gewesen. So wirst du vermutlich von den Wellen der etablierten Medien überrollt.

Was mich stört: Wer über „wemakeit“ eine Summe von 1000 bzw. 5000 Franken spricht, wird auf auf deinem Blog interviewt. Man kauft sich also Medienpräsenz. Journalistische Unabhängigkeit sieht anders aus und ich bin verblüfft, dass du solche Belohnungen ausschreibst, will diesen Punkt aber noch via Twitter in die Runde werfen.

Ronnie Grob 08. August 2015, 09:04

Eine Serie ein Jahr vor dem Wahlkampf? Das wäre ein ganz anderes Projekt gewesen, wohl mit noch sehr viel höheren Kosten. Wichtig ist doch vor allem die Zeit, in der die Wähler die Wahlzettel nach Hause geschickt erhalten bis zu den Wahlen.

Über die «gekauften» Interviews können wir diskutieren, gerne auch bei Twitter. Bisher hat sich jedenfalls niemand so ein Interview erspendet. Persoenlich.com hat sich für diese Frage auch schon interessiert, und dort sagte ich das dazu:

Dass man sich bei Ihnen ein Interview kaufen kann, erstaunt.
Man kann sich für 5’000 Franken, aber auch schon für 1’000 Franken ein Interview erspenden. Und für 500 Franken berichte ich von einer Wahlkampf-Veranstaltung nach Wahl. Die Kritik daran kann ich nachvollziehen. Doch ein Einzelkämpfer wie ich muss den Spendern eben auch etwas bieten. Wer will, soll das „kaufen“ nennen, vielleicht ist das auch schon der Fall, wenn ich jemandem einen Kaffee zahle. Mir ist es jedenfalls lieber, dass diese Vorgänge öffentlich einsehbar sind und sauber deklariert werden – und sich nicht im Dunklen abspielen, wie so viele Deals der Medienbranche. Ich bin mir zudem nicht sicher, ob ein Besuch von mir oder ein Interview mit mir tatsächlich als Geschenk angesehen werden kann. Denn meine kritische Haltung werde ich natürlich nicht ablegen, Spende hin oder her.

Sie deklarieren diese Interviews dann als Publireportagen.
Nein, das werde ich nicht tun. Bisher ist auch keine solche Spende eingegangen. Aber sollte jemand tatsächlich über 1’000 Franken für ein Interview spenden, dann wird der Leser natürlich davon erfahren. Die Spende wird offen deklariert und im Gespräch thematisiert.
Sehr gefreut habe ich mich übrigens über das Angebot eines Lesers, die Kosten für die Reise von Berlin nach Bern und zurück nach Berlin zu übernehmen, auch solche Einnahmen werden transparent deklariert. Als privates Angebot ist Nachbern.ch selbstverständlich auch offen für Werbung.