von Carmen Epp

Wer beendet den Teufelskreis der «Zuger Sex-Affäre»?

Eigentlich hätte über die «Zuger Sex-Affäre» längst Gras wachsen können. Doch ausgerechnet «Medienopfer» Jolanda-Spiess Hegglin bewirtschaftet die Geschichte aktiv weiter. Das entbindet die Medien aber nicht von ihrer Verantwortung.

«Was geschah nach der Landammann-Feier?» – mit dieser Schlagzeile von zentral+ hatte kurz vor Heiligabend 2014 begonnen, was bald daraufhin als «Zuger Sex-Affäre» in der schweizweiten Medienlandschaft die Runde machte. Ein Zuger Politiker war kurzzeitig verhaftet worden, weil er einer Politikerin an der Landammann-Feier vom 20. Dezember K.o.-Tropfen ins Getränk gemischt haben soll. Was daraufhin folgte, ist hinlänglich bekannt: Die Geschichte wurde von lokalen und nationalen Medien dankbar aufgenommen und nach allen Regeln der Skandalisierung weitergesponnen – mit Namensnennung, Spekulationen, Indiskretionen anonymer Quellen und allem, was dazugehört.

Dass ein Strafverfahren gegen einen gewählten Politiker eröffnet wird, noch dazu wegen des Verdachts auf ein schwerwiegendes Delikt – daran bestand ein legitimes öffentliches Interesse. Die Identifizierung des Politikers als SVP-Kantonsrat Markus Hürlimann war demnach gerechtfertigt. Nicht so beim vermeintlichen Opfer der zu untersuchenden Straftat: Kantonsrätin Jolanda Spiess-Hegglin. Ihr Name wurde zu Unrecht genannt – zumindest solange, bis sie selber an die Medien gelangte. Ungeachtet dessen, ob sie tatsächlich Opfer eines Verbrechens wurde – Beweise dafür gibt es bis dato nicht –, so wurde Spiess-Hegglin zweifelsfrei zum Opfer illegitimer und Persönlichkeitsrechte verletzender Berichterstattung in den Medien.

Dabei konnte Spiess-Hegglin die losgetretene Lawine zu Beginn unmöglich mehr bewältigen. Zu viel wurde spekuliert, zu viele Indiskretionen verbreitet. In dieser Rolle konnte man durchaus Mitleid haben mit Spiess-Hegglin, wünscht man doch selbst seinen ärgsten Feinden nicht, in eine solche Situation zu geraten.

Wie weiter also? Während sich Markus Hürlimann zurückhielt und die Lawine vorbeiziehen liess, ging Spiess-Hegglin in die Offensive. Sie gab Interviews, wehrte sich öffentlich gegen Anfeindungen und machte sich gar zur Sprecherin missbrauchter Frauen. Ob diese nun klug war oder nicht, darüber lässt sich streiten. Als erwachsene und medienerfahrene Frau ist und bleibt es ihr selber überlassen, mit welcher Strategie sie mit dem Vorgefallenen umgehen will.

Ihrer Glaubwürdigkeit als Medienopfer aber verlor Spiess-Hegglin zunehmend selber. Indem sie begann, Fehler zu begehen, die sich selber hätte vorausahnen können. So lud sie eine Journalistin zu sich nach Hause ein, obwohl diese ihr zuvor indirekt vorgeworfen hatte, mit der Story nur die Verantwortung für den Seitensprung abwälzen zu wollen. Die Folge: Ein weiterer Artikel, in dem die Zweifel der Autorin an Spiess-Hegglins Version der Geschichte zementiert wird. Wenn Spiess-Hegglin etwas anderes erwartet hatte, war das gerade für sie als medienerfahrene Politikerin mehr als naiv.

Trotzdem tritt Spiess-Hegglin auch später immer wieder in den Medien auf. Auf welche Initiative hin das geschieht, spielt dabei keine Rolle. Fakt ist: Sie lässt sich darauf ein und hält die Geschichte so am laufen. Auch auf ihren Social-Media-Kanälen. Dort beteiligt sie sich nicht nur an aussichtslosen Diskussionen zur Sache, sondern startet auch selber immer mal wieder einen Seitenhieb gegen ihr vermeintlich schlecht gesinnte Journalisten. Daneben kommentiert sie auch Monate alte Posts auf Facebook, woraufhin diese wieder in der Timeline ihrer Freunde erscheinen. Als ich meine Verwunderung darüber kundtat, antwortete sie: «Muss man auch nicht verstehen.» Sie habe das Bedürfnis, der betreffenden Person «Einfaltspinsel» mitzuteilen. «Und so mach ich das. That’s it.»

Die Frage, wieso Spiess-Hegglin die Sache nicht ruhen lassen kann oder will – und der Eindruck drängt sich jedem Beobachter auf – kann nur sie alleine beantworten. Daraus ergibt sich allerdings für Medienschaffende die Frage, ob und wie sie damit umgehen sollen. Nur weil jemand, aus welchen Gründen auch immer, ein Interesse hat, seine Geschichte immer und immer wieder aufleben zu lassen, entledigt das die Medien nicht von der Verantwortung. Dessen scheinen sich aber nicht alle bewusst zu sein.

So mutet es doch mehr als nur seltsam an, dass Spiess-Hegglin kürzlich in der Sonntagspresse ausführlich über ihre Depression sprach, die sie in den letzten Monaten erlitten habe. Nicht nur das Ereignis an der Landammannfeier habe tiefe Spuren in der Psyche der Politikerin hinterlassen, wie sie sagt. «Durch die Hetzjagd bestimmter Kreise und der Boulevardmedien wurde ich ein zweites Mal traumatisiert.» Ein Teufelskreis wie er im Bilderbuch steht: Spiess-Hegglin spricht in den Medien darüber, was Medien ihr angetan haben.

Ich hoffe sehr, dass Spiess-Hegglin bald genesen möge. Ob ihr Peiniger – die Medien – dazu beitragen kann, bezweifle ich sehr. Wenn nicht Spiess-Hegglin selber, dann sollten das doch wenigstens die Medien erkennen und dem Teufelskreis ein Ende bereiten.

Leserbeiträge

Philippe Wampfler 10. August 2015, 14:36

Widerspricht sich nun perfomativ recht stark, dieser Artikel… 

Carmen Epp 10. August 2015, 14:49

Da hast Du gewissermassen Recht: Ich tue das, was ich kritisiere, indem ich ebenfalls über die Sache schreibe und Jolanda Spiess-Hegglin damit im Gespräch halte. Anders als die Artikel, die ich bemängle, verbreite ich jedoch nicht noch weitere Spekulationen. Ich nehme den Fall zum Anlass, um über die Verantwortung der Medien nachzudenken.

Valentin Vieli 11. August 2015, 14:51

Dem Gedankengang betr. Medienverantwortung könnte ich folgen. Nur schliessen sich bei vielen Journis das Thema Eigenverantwortung und die Mediengeilheit, Revolver- und Rudeljournalismus eigentlich aus. Man darf über gewisse mediale Verhaltungsweisen von Jolanda Spiess sicher diskutieren, man darf das auch kritisieren. Was mich persönlich als Parteiloser (aber durchaus sehr medienerfahren) stört, ist die Tatsache, dass die medizinisch durchaus mögliche Geschichte, wie sie Jolanda Spiess präsentiert und durch alle Böden verteidigt, einfach nicht wahr sein darf. Sie kann die KO Tropfen leider) nicht beweisen, aber das heisst noch lange nicht, dass die Geschichte einfach mit Lügenmärchen abgetan werden kann. Wie dumm müsste man sein, um ausgerechnet an einem politischen Anlass im Zugerland fremdzugehen??

Eliane Gander 11. August 2015, 18:34

„Die Identifizierung des Politikers als SVP-Kantonsrat Markus Hürlimann war demnach gerechtfertigt. Nicht so beim vermeintlichen Opfer der zu untersuchenden Straftat: Kantonsrätin Jolanda Spiess-Hegglin.“

Naja, eine ziemlich einfache Sicht der Dinge! Was, wenn rauskommt, dass er unschuldig oder sogar ein mutmassliches Opfer ist?

Karin Gerber 12. August 2015, 11:24

Wie dumm müsste man(n) sein, um KO-Tropfen an einer solchen Feierlichkeit mitzunehmen und zu gebrauchen? Jolanda Spiess-Hegglin hat ja öffentlich gesagt, dass sie es Markus Hürlimann nicht zutraut und es ihr für ihn leid tut.

Falls er freigesprochen wird, wer ist dann der Täter?

Frank Hofmann 10. August 2015, 16:24

Eine Strafanzeige von H. wegen Verleumdung gegen S.-H. ist hängig. Insofern leuchtet der Appell an die Verantwortung der Medien nicht ein. Die Einlassungen S.-H.s können durchaus als Vorwärtsstrategie eingestuft werden.

Jolanda Spiess-Hegglin 11. August 2015, 17:09

Frau Epp. Schön, dass sie sich damit befassen, wie ich die Geschichte verarbeiten könnte. Ich habe meinen Weg gefunden, ob ihnen das gefällt oder nicht. Ich kommentiere jeden Deppenspruch und konfrontiere somit auch den Autor auf derselben Ebene, wie er es getan hat. Egal, wie lange das jetzt her ist. 1 Woche oder ein halbes Jahr. Öffentlich oder nicht, egal, hauptsache auf derselben Ebene. Ich konfrontiere, dann kompostiere ich. Die Therapiemethode, welche Sie mir nahelegen, nämlich zu schweigen und alles über mich ergehen zu lassen, liegt mir nicht. That’s it. Ach übrigens: Ich bitte auch Sie, das Wortkonstrukt „Zuger Sex-Affäre“ nicht zu benutzen. Leider hat die Geschichte mit Sex oder Affäre nichts zu tun, sondern mit dem denkbar Gegenteiligen. Freundliche Grüsse, Jolanda Spiess.

Carmen Epp 11. August 2015, 17:57

Liebe Frau Spiess-Hegglin, besten Dank für Ihren Kommentar. Ich verstehe Ihren Standpunkt und respektiere Ihren Weg, mit öffentlichen Äusserungen umzugehen. Es gibt leider immer wieder Personen, welche die Funktionsweise der Medien nicht richtig einschätzen. Sie erhoffen sich Hilfe oder Genugtuung durch die Medien, erfahren aber stattdessen nur noch mehr Demütigung. Hier sollten die Medienschaffenden sich ihrer Macht bewusst(er) werden und allenfalls die Personen vor sich selber schützen. Ob auch Ihnen die Medienpräsenz mehr schadet als nützt, kann ich nicht beurteilen. Ich würde als Journalistin jedoch zurückhaltender sein und mich nicht dem Risiko aussetzen, womöglich noch mehr Schaden anzurichten.

Sarah Weber 14. August 2015, 12:21

Frau Spiess Hegglin, was meinen Sie mit dem denkbar Gegenteilligen, heute erschien im Blick, dass sie und Markus Hürlimann Sex hatten. Hatten Sie also keinen Sex? Was meinen Sie?

Jolanda Spiess-Hegglin 17. August 2015, 17:15

Sex (ist in meinen Augen ein positiver Begriff) und Missbrauch (negativ) ist gegenteilig.

kassiopaya 17. August 2015, 17:35

Eine Politikerin der Grünen Partei Schweiz wurde gegen ihren Willen Sex aufgezwungen.
Warum das Ganze überhaupte öffentlich wurde, weiss ich inzwischen nicht mehr. Es war jedach das Spital welches die Indizen für eine Vergewaltigung der Staatsanwalschaft mitteilte und dies löste die Ermittlungen aus. Hat man selbst ausser unerklärli her Schmerzen und verschwommener Bilder, keine Erinnerung, ist es mehr als naheliegend, sich auf Reste von GHB überprüfen zu lassen.
Es ist befremdend, wie hier mit der Frau und dem wahrscheinlichen Opfer umgegangen wird. Beschämt erhofft man sich,die Frau möge doch bitte schweigen, sich weder direkt noch indirekt äussern, schon gar nicht mit Bild in einer weiteren Zeitung erscheinen. Offenbar möchte man das mutmassliche Opfer von der Bildflä he Verschwunden sehen. Schliesslich gehört es sich ja auch so. Frau,wenn Du vergergewaltigst, also geschändet wurdest, musst Du Dich schämen und verstecken. Denn sonst erinnerst Du alle immerwieder daran, was Schreckliches gechehen ist. Sogar andere Frauen fordern dieses mittelalterlichenVehaltenskodex ein. Dass eine Frau für ihr Recht kämpft und dabei sogar noch widerliche Tiefschläge einstecken kann und trotzdemweiter kämpft, sollte eigentlich allen Frauen Mut machen und sich ja nicht etwa durch voraufkläreriscshe Kampfgurgeln einschüchtern lassen. Ich schäme mich für alle Schreiber und Schreiberlinge, für deren Verachtung im Umgang mit einem mutmasslichen Vergewaltigungsopfer. Und wünsche Euch, dass Ihr nie niemals gleiche oder annähernd ähnliche Verbrechen erlebt.
Das Zauberwort heisst: Empathie und entstammt dem EQ.

Eli Habegger 25. August 2015, 14:41

Alle Beteiligten (Hürlimann, Spiess, Staatsanwaltschaft) hätten bis zum Abschluss der Untersuchungen schweigen sollen. Hürlimann und sein Anwalt waren im übrigen nicht zurückhaltend. Sie haben mehrfach öffentlich kommuniziert, mit Medienkonferenzen und an Parteitagen. Das fand einfach weniger Resonanz. Er kommt sogar mit seiner kreative Ausrede „Fremdküssen“ durch, obwohl die Staatanwaltschaft Geschlechtsverkehr nachgewiesen hat. Auch die dümmlich Antwort dessen Anwalts, dass die DNA mit Duschen „dorthin“ gelant sein könnte, wird dem Angeschuldigten nicht zum Verhängnis.

Unabhängig, was geschehen ist, ist es für beide Betroffenen und deren Parteien eine grosse Belastung. Ein Rücktritt beider – so ungerecht es für die eine oder andere Person wäre – wäre für alle ein Erlösung.

Aber wie auch immer, entscheiden müssen die Betroffenen selber.