von Ronnie Grob

Warum Print vielleicht doch bewahrt werden sollte

Die mit dem Journalismus im Internet verknüpften Träume gingen bisher nicht in Erfüllung. Der bis heute existierende, ernsthafte Journalismus auf Papier muss deshalb bewahrt werden – aufgrund fehlender Alternativen.

Was haben wir uns vom Journalismus
im Internet
versprochen – und was wurde bisher eingelöst? Sind Printmedien tatsächlich tot oder stehen sie vor einem Comeback? Die MEDIENWOCHE beleuchtet in einer Serie die Veränderungen des Journalismus durch das Internet.

Tatsächlich habe ich lange gehofft, dass die Werbegelder von Print ins Internet fliessen und dort den Journalismus im gleichen, vielleicht sogar erweiterten Ausmass ermöglichen. Denn ist es nicht der Traum eines jeden Journalisten, unbehindert von technischen Einschränkungen arbeiten zu können und Text, Ton, Bild beliebig zu kreuzen? Doch entweder bin ich nicht geduldig genug oder ich habe mich getäuscht. Denn bisher zeigt sich: Die Werbegelder folgen online nicht den Inhalten mit Qualität, sondern stumpf der Quotenmessung.

Folgenden Gründe sprechen dafür, dass Print eine längere Zukunft vor sich hat, als manche bisher geglaubt haben:

1. Die fehlenden Alternativen

The Intercept, Mediapart, Bildblog – es gibt wahrlich brillante und wichtige Internet-Medien. Aber nur wenige, es dominieren kuratierte Inhalte und klickgetriebene Unterhaltung. Eine neue NZZ, eine neue FAZ, eine neue New York Times, das hat das Internet bisher nicht hervorgebracht. Sondern nur die unbezahlten Blogposts der Huffington Post, die Listenmanie von Buzzfeed und die durch den Perlentaucher zusammengefassten Kritiken.

2. Die Einkünfte

Printmedien haben es verstanden, ihre Einkünfte wenigstens teilweise in die Gegenwart hinüberzuretten. Feste Einnahmen bei den Werbegeldern und von Abonnenten sichern die finanzielle Planbarkeit. Anders als viele Online-Medien verfügen sie – Status 2015 – über ein funktionierendes Geschäftsmodell. Mit der finanziellen Planbarkeit sind die ernsthaften und für das Funktionieren einer Demokratie relevanten Inhalte gesichert. Journalisten haben Zeit, um zu recherchieren, um fragwürdige Umstände erschöpfend zu untersuchen und um Beiträge zu erstellen, die auch vor Gericht bestehen können.

3. Die Archivierung

Papier eignet sich als Archivdokument – wenigstens für einige hundert Jahre. Es vergilbt zwar und verfällt, auch Fälschungen sind möglich, doch die sind nicht besonders einfach auszuführen. Das Internet dagegen verändert sich ständig: Links verfallen, Websites schliessen, Texte werden publiziert und dann auch wieder gelöscht. Unterstützungswürdige Projekte wie die «Wayback Machine» von Archive.org versuchen hier Ordnung, Nachvollziehbarkeit, Beweisbarkeit und Aufbewahrungssicherheit zu schaffen. Denn an sich ist das Internet als lebender und sich ständig entwickelnder Organismus höchst unstet. Die Manipulationsmöglichkeiten sind vielfältig.

4. Die Überwachung

Das Internet hat sich dank den von Edward Snowden bereitgestellten Snowden-Leaks als perfide Überwachungsmaschine herausgestellt. Noch ist es zu früh, um zu urteilen, was überwiegt: Das Internet als ein Instrument der Mächtigen oder das Internet als ein Instrument gegen die Mächtigen. Print jedenfalls kann weiter gedruckt und gelesen werden, und zwar ohne dass die Überwacher mitlesen und diese Ergebnisse auswerten können (vgl «Die Lösung heisst Rückschritt» vom 16. August 2013). Bedrucktes Papier garantiert nicht nur beim Bezahlen, sondern auch beim Lesen die Privatsphäre getätigter Aktionen – gegenüber nicht dazu legitimierten Spähern von staatlicher und kommerzieller Seite.

* * *

Ich gebe es zu: Den Niedergang von Print habe ich zeitweise mit einer gewissen Genugtuung betrachtet. Und zwar aus diesen Gründen:

1. Die Handhabung

Print ist gegenüber online unpraktisch und unhandlich. Man kann keine Textabschnitte daraus kopieren, man muss diese – man stelle sich das vor! – abschreiben. Oder abfotografieren – dann aber kann der Text nicht weiter editiert werden. Dass so eine Steinzeit-Technik stirbt, fand ich mehr als gerecht. Die «Argumente» der Haptiker und der romantisch-verträumten Papierschnüffler konnten mir schon immer gestohlen bleiben.

2. Die Umwelt

Zeitungen werden heute zu einem grossen Teil aus Altpapier hergestellt. Aber ein Aufenthalt in einer S-Bahn des Gratiszeitungslands Schweiz genügt, um die unbekümmerte Wegwerfmentalität zu beobachten, die sich mit Papier ergeben hat. 2014 entsorgte allein die SBB – die Abfälle der vielen Hundert aufgestellten Recyclingstationen ausgenommen – 6120 Tonnen Papier und Karton. Das sind pro Tag 16’767 Kilogramm.

3. Die Arroganz der alten Medien

Da drucken die Zeitungsleute ihre Texte während Jahrhunderten ohne ernsthafte Konkurrenz. Dann kommt mit dem Internet eine – und schon reagieren sie, als sei es ein lästerlicher Frevel, sich anzumassen, ihnen Konkurrenz zu machen. Mit dem Abbau der Printmedien findet bis heute in den Betrieben der Druckwirtschaft ein erbärmliches Rückzugsgefecht statt, das oft nicht die Besten in den Verlagen zurücklässt, sondern die Ausdauerndsten. Neue Mitspieler haben wenig bis keine Chancen auf interessante Posten, denn die Etablierten verteidigen ihre dem Lauf der Geschichte zu verdankenden Vorteile verbissen wie kleine Beamte. Ist da nicht nachvollziehbar, dass man Leuten, die sich neuen Technologien gegenüber zunächst völlig unflexibel zeigen und sich neuen Mitspielern gegenüber auch noch arrogant verhalten, nicht das Beste wünscht?

* * *

Ist es nicht möglich, dass das Problem weniger in der Technik zu suchen ist, sondern in einer mit dem Wohlstand sich ausbreitenden Gleichgültigkeit gegenüber grundsätzlichen bürgerlichen Werten? Doch an Willen, journalistisch wertvolle Internetmedien zu gründen und zu betreiben, mangelt es nicht. Sondern an der Möglichkeit, solche mit Anzeigen zu finanzieren. Oder aber es liegt am Versagen von Journalisten als Unternehmer.

Ich glaube heute, es ist falsch, den Niedergang von Print mit Häme zu beobachten. Denn wie können wir einen demokratischen Staat, gar einen direktdemokratischen Staat wie die Schweiz sinnvoll gestalten, wenn wir diesbezüglich nur noch von Klickquatschportalen, nicht kontinuierlich berichtenden Bloggern und den staatsunkritischen Öffentlich-rechtlichen informiert werden? Eine Zeitung wie die Neue Zürcher Zeitung, aber auch andere wichtige Printpublikationen müssen zwingend von privater Seite gestützt werden – mit Anzeigen, Abonnements oder auch mit Investitionen, Spenden und Gönnerbeiträgen. Es geht um nichts weniger als um eine informierte Öffentlichkeit.

Übersicht der Serie zum Journalismus im Internet:
1. Teil: Die Enttäuschung
2. Teil: Die Klicks
3. Teil: Das Geld
4. Teil: Das Papier

Leserbeiträge

julian reich 01. September 2015, 15:35

Besten Dank für die interessante Serie, die einige aufschlussreiche Zusammenhänge herstellt. Kompliment auch dafür, dass Sie offen zu Ihrem Meinungsumschwung stehen, das ist stets löblich. Letztlich geht es wohl um die Frage, ob wir nun in einem Zustand des “nicht mehr und noch nicht” leben, oder ob guter Journalismus tatsächlich keine Zukunft hat im Netz. Ich glaube ja nach wie vor daran, dass gerade im Lokalen vieles möglich wäre, wenn man es denn gescheit aufziehen und sich eng an den Bedürfnissen der Leserschaft orientieren würde. Aber gerade dort ist der Innovationsgeist ja noch schwach respektive der Leidensdruck noch nicht gross genug.
Zum Schlussatz noch dies: https://de.wikipedia.org/wiki/Vorlage:Tipp_des_Tages/51

Claude Bürki 05. September 2015, 08:26

Das Wort „vielleicht“ hätte man ruhig weglassen können. Ein guter Beitrag! Ähnliche Argumentation wie in dem Buch von Hermann Petz „Es lebe die Zeitung! Die Zeitung ist tot?“