von Antonio Fumagalli

Wie klug ist das Köpfchen?

Wenn nun auch die «Alte Tante» NZZ Autorenköpfe zu ihren Meinungsartikel zeigt, dann sieht das zuerst nach einer Konzession an den Ego-fixierten Zeitgeist aus. Doch die Sichtbarkeit der Journalisten hat auch eine positive Seite: Der Leser sieht ein Gegenüber, das er mit dem Geschriebenen identifizieren kann.

Jetzt kennt sie also auch die NZZ, die Köpfchen der Autoren über einem Kommentar. Die Veränderung ist ein Produkt des Relaunchs unter dem neuen Chefredaktor Eric Gujer, der seine Zeitung «noch unüberhörbarer als liberale Stimme der Schweiz» verankern möchte. Avantgardistisch ist die «Alte Tante» mit diesem Schritt nicht. Im Gegenteil: In praktisch jeder Tageszeitung zwischen Genf und Chur prangt neben, über oder mitten im Meinungsstück das Gesicht des Redaktors. Gerne darf es auch mal der ganze Oberkörper sein – bei der Aargauer Zeitung zum Beispiel, wenn man eine halbseitige «Grosse Meinung» schreibt.

Und doch ist es bemerkenswert, wenn mit der NZZ ausgerechnet die in formalen Fragen konservativste aller Schweizer Zeitungen auf den Zug aufspringt, hechelt sie doch bewusst nicht jeder Modeströmung hinterher. So «placiert» man an der Falkenstrasse nach wie vor das ursprüngliche «c» in den «Plasticsack». Es erstaunt insofern wenig, dass der neue Kurs nicht von allen Redaktoren mitgetragen wird und vereinzelt für harsche interne Kritik sorgt.

Die Bebilderung der NZZ-Meinungsstücke ist nur der jüngste Schritt einer Entwicklung, die längst in der ganzen Medienszene Einzug gehalten hat: Der Autor rückt immer stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Der Leser soll sehen, wer ihm was sagt und sich damit stärker mit dem jeweiligen Produkt identifizieren. Personalisierung schafft Nähe. Und Nähe schafft Verbundenheit.

Die NZZ illustriert diesen Wandel geradezu bilderbuchmässig: Zwar zeichnen im brancheninternen Vergleich noch immer überdurchschnittlich viele NZZ-Journalisten ihre Artikel nur mit ihrem Kürzel. Aber immer öfter stehen sich die Redaktoren in Videobeiträgen gegenseitig Red und Antwort. Der schriftliche Inhalt allein reicht offenbar nicht mehr aus, um Kompetenz auszustrahlen und die Nutzer vollumfänglich zu befriedigen. Es braucht auch noch das Gesicht dazu.

Die Frage ist: Interessiert es die Leser wirklich, wie der Autor aussieht? Ist der Wiedererkennungswert so viel grösser, als wenn man nur den Namen lesen könnte? Oder dient die Illustration möglicherweise in erster Linie dazu, das zumeist ohnehin schon gesunde Ego des Autors zusätzlich zu streicheln? Die radikalste aller Haltungen vertritt hierbei wohl der britische Journalist Bill Emmott und spricht damit Bedenken an, die auch innerhalb der NZZ bestehen. Was Emmott von den Kommentarköpfchen hält, können wir nur abschätzen – denn bereits zur simplen Autorenzeile sagt er: «Journalisten sind Egomanen, die ihr eigenes Territorium und ihre eigene Arbeit unbedingt verteidigen wollen. Keine Autorenzeile zu haben, lindert das ein wenig. Mit einer Autorenzeile kümmern sich Journalisten mehr um ihre eigene Geschichte. Ohne Namen steht die ganze Zeitung im Vordergrund, weil das eigene Ansehen von demjenigen der Publikation abhängt.»

Dass Emmott für den «Economist» arbeitete, erstaunt nicht weiter. Das britische Wochenmagazin ist der weltweit einzige grössere Titel, bei dem die Artikel – abgesehen von wenigen Ausnahmen – stets anonym erscheinen. Ein Blatt mit dieser Tradition, diesem Renommee und diesen personellen Ressourcen kann sich den Luxus leisten – und ihn dann aufgrund der Exklusivität gar als Verkaufsargument verwenden.

Doch wie würde es aussehen, wenn andere Publikationen auf «Economist» machen würden? Ich bin überzeugt: Die Qualität würde leiden. Klar könnten interne Kontrollmechanismen dem entgegenwirken. Aber letztlich geben sich die meisten Autoren halt wohl doch mehr Mühe, wenn sie wissen, dass sie mit dem Namen – oder gar dem Foto – für ihr «Werk» bürgen. Das Ego, es ist schwer zu zähmen. Es ist wie mit den Leserkommentaren unter einem Onlinebeitrag: Die Kenntlichmachung des Urhebers sorgt in der Regel für einen gepflegteren Umgang mit dem Thema.

Hinzu kommt, dass Transparenz den Lesern hilft. Sie sehen ein Gegenüber, das sie mit dem Geschriebenen identifizieren, und sie können direkt darauf reagieren. Bei vielen Zeitungen fühlen sie sich dank angegebener Emailadresse gar richtiggehend dazu aufgefordert – und sei es nur, um den Autor mit Schimpf und Schande einzudecken.

Leserbeiträge

Mauro 08. September 2015, 12:19

Die Bedenken sind verständlich. Warum müssen die NZZ-Journalisten nun auch noch ihren Kopf hinhalten? Transparenz ist gut aber der Name reicht aus.