von Ronnie Grob

Kopflose Produkte

Ringier schafft den «Blick»-Chef ab, bei Tamedia teilt ab 2016 eine Person die Leitung von Tages-Anzeiger und Sonntagszeitung: Bei den Grosskonzernen hat der Chefredaktor ausgedient. Dafür gibt es neu Kanalverantwortliche, die den Content marktförmig konfektionieren. Die publizistische Verantwortung wird so verwischt.

Es ist wahr: Der 1959 gegründete, einst gloriose «Blick», geführt von Persönlichkeiten wie Felix von Schumacher, Charles La Roche, Fridolin Luchsinger oder Peter Übersax, hat keinen «exklusiven» publizistischen Leiter mehr, wie Ringier-Mediensprecher Edi Estermann twitterte:

Ex-«Cash»-Chefredaktor Fred David kommentierte das so:

Wenn also der «Blick» zukünftig über die Stränge schlägt, dann gibt es keinen Chefredaktor mehr, der zur Verantwortung gezogen und gegebenenfalls entlassen werden könnte. Rechtlich verantwortlich ist so oder so der Verlag. Doch die publizistische Verantwortung wird künftig irgendwo im Newsroom versanden. Klar, es gibt eine «Tagesverantwortlichkeit», aber die wird intern bleiben. Vielleicht war’s ja dann die Praktikantin, die den Fehler gemacht hat. Oder die Reinigungskraft. So geschützt werden dann auch die unheilvollsten Mitarbeiter überleben können, solange ihre Beziehungen zu den wichtigen Bezugspersonen im Ringier-Universum intakt sind. Denn wenn die Verantwortlichkeit nicht mehr zugeordnet werden kann, wird die Leistung zum Accessoire. Dass deswegen die durchaus gerechtfertigte Kritik an Managern und Unternehmern, die sich nach groben Fehlleistungen davonstehlen, im «Blick» eingestellt werden wird, ist jedoch nicht zu erwarten. Auch nicht zu erwarten ist, dass der «Blick» keine Fehlleistungen mehr produzieren wird.

Gemäss der Ringier-Medienmitteilung bleiben Christine Maier und Philippe Pfister Chefredaktoren des «SonntagsBlick». Sebastian Pfotenhauer und Katia Murmann sind neu «Mitglieder der Chefredaktion der Blick-Gruppe». Der bisherige Leiter des «Blick am Abend», Peter Röthlisberger, wird gemeinsam mit Iris Mayer und vier Stellvertretern den «Blick-Desk» leiten. Mayer ist eine Vertraute des Geschäftsführers der Blick-Gruppe, Wolfgang Büchner, und neben Michael Ludewig, «Managing Editor» der «Blick»-Gruppe, der einzige frische Geist in der Reorganisation.

Abseits davon hat sich das Modell Frank A. Meyer, also wichtig zu sein und viel zu verdienen, ohne eine besondere Verantwortung zu tragen, vervielfacht – was den Auserwählten natürlich zu gönnen ist. Meyer, der wie alle wirklich wichtigen Leute nicht in Medienmitteilungen aufgeführt werden muss, bleibt selbstverständlich Ringier-Publizist in Berlin. Daneben scharen sich nun der enttrohnte «Blick»-Chefredaktor René Lüchinger («Chef-Publizist» sowie «Mitglied der Chefredaktion der Blick-Gruppe sowie der Chefredaktion des SonntagsBlick») sowie die Ringier-Publizisten Hannes Britschgi und Peter Hossli, die sich beide auf LinkedIn als «Editor-at-large» ausweisen. Wie bis anhin werden also Lüchinger und Britschgi die Marken «Ringier» oder «Blick» vertreten, wenn mal wieder eine Podiumsdiskussion ansteht oder ein Empfang. Da es mangels Chefredaktor keine charismatische Autorität gibt, die den «Blick» vertritt, darf sich jeder etwas als Botschafter fühlen.

Dass es zur Marktwirtschaft gehört, nicht nur Personal einzustellen, sondern auch, sich davon zu trennen, fällt Ringier schwer, insbesondere bei Kaderleuten. Führungskräfte werden wegbefördert, oder man schreibt einen Satz wie diesen in die Medienmitteilung, bei dem man gar nicht weiss, ob man mehr Mitleid haben soll mit dem Arbeitgeber oder dem Arbeitnehmer:

Mit Rüdi Steiner, heute Chefredaktor von Blick.ch, werden derzeit noch Gespräche über eine neue verantwortungsvolle Aufgabe bei Ringier geführt.

Bei Tamedia wird Arthur Rutishauser ab 2016 auch noch den Tages-Anzeiger leiten – als wäre es nicht anspruchsvoll genug, Chef der «Sonntagszeitung» zu sein. Die Redaktionen der beiden Zeitungen, aber auch Print und Online, arbeiten je länger je mehr zusammen, und auch mit den Zeitungen «Der Bund» und «Berner Zeitung» werden eifrig Artikel ausgetauscht. Hinzu kommt die Content-Partnerschaft LENA, die mit Zeitungen wie «Die Welt» oder «Le Figaro» Artikel teilt. Das alles verwässert, für was der Tages-Anzeiger und die Sonntagszeitung mal angetreten waren. Für was diese Zeitungen stehen und ob sie eine Haltung haben, die nicht austauschbar ist, wird in Zukunft noch schwieriger zu eruieren sein.

Falls es stimmt, dass Journalisten zu Marken werden müssen oder untergehen werden, dann ist der Entscheid pro kopflose Produkte seltsam. Oder können Journalisten etwa nur zu Marken werden, wenn sie keine Verantwortung tragen? Angesichts der Schwemme von Kadermitarbeitern bei Ringier glaubt man fast gar nicht mehr, dass ein Peter Übersax den «Blick» mit einem oder vielleicht zwei Stellvertretern zur höchsten Auflage aller Zeiten bringen konnte. Aber eben, die Zeiten haben sich geändert. Heute ist der «Blick» nicht mehr nur eine einmal täglich erscheinende Zeitung, sondern einiges mehr. Nur: Die Organisation der Verantwortlichkeiten hat damit nichts zu tun.

Siehe dazu auch den Beitrag «Die Konzern-Chefredaktoren», der sich mehr mit der Situation der Chefredaktoren bei Tamedia auseinandersetzt sowie die Ringier-Serie von 2013.