von Michael Ziesmann

Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Fussball-EM und Olympia werden dem Fernsehen Traumquoten bescheren. Doch das ist die Ausnahme von der Regel. Gerade beim privaten Fernsehen beobachten wir eine Negativspirale mit sinkender Programmqualität und steigenden Preisen für die Werbung.

Der Sportsommer 2016 mit Fussball-EM und Olympischen Spielen lässt die Herzen der Fernsehmacher höher schlagen. Für mehr als einen Monat sind die Sendepläne komplett umgestellt worden. Traumhafte Einschaltquoten sind vorprogrammiert. Das Medium Fernsehen als grosses Lagerfeuer der Nation. Vor dem heimischen TV-Apparat, beim Public-Viewing und auf mobilen Endgeräten. In Echtzeit. In UHD und 4K. Der TV-Alltag fernab von Euro und Olympia sieht freilich anders aus. Das Fernsehen hat drei grosse Probleme:

  1. Bei fiktionalen Inhalten – also Serien, Spielfilmen und Eigenproduktionen – sparen die privaten Fernsehsender. Das führt als erstes Problem zu sinkender Programmqualität. Ein Blick in die Fernsehprogramme ausserhalb der Prime-Time erscheint deshalb oft als Zumutung. Auch früher gefeierte Programminhalte wie DSDS, Bachelor(ette) oder Germany’s Next Topmodel sahen nur noch ein Bruchteil der früheren Zuschauer. Aber die Kosten sinken stärker als die Werbeeinnahmen. Das führt zu steigenden Gewinnen. So stieg beispielsweise der Gewinn des europäischen Medienkonzerns RTL Group im Jahr 2015 unerwartet stark um 30 Prozent auf 789 Millionen Euro. Wobei allein die Mediengruppe RTL Deutschland 684 Millionen Euro zu diesem Rekordgewinn beigetragen hat. Öffentlich-rechtliche Fernsehsender haben dieses Problem kaum. Die Einnahmen aus Gebührengeldern sind mindestens stabil oder werden sogar erhöht.
  2. Das zweite Problem ist die Tatsache, dass der Fernsehkonsum immer schwerer zu kapitalisieren ist. Denn vor allem Personen unter 29 Jahren besitzen kaum noch einen Fernseher. Das heisst aber nicht, dass jüngere Personen keine Bewegtbild-Inhalte konsumieren. Die Art der Nutzung findet lediglich deutlich weniger im linearen Fernsehprogramm statt, und verlagert sich stattdessen in die Mediatheken und auf Anbieter wie Youtube, Netflix, Amazon, Zattoo, iTunes, Swisscom TV, UPS Horizon usw. Das führt zwangsläufig dazu, dass diese Konsumenten für klassische Fernsehwerbung kaum noch erreichbar oder gar empfänglich sind. Wer sich «Game of Thrones» auf iTunes oder «Mr.Robot» auf Amazon anschaut, kommt dabei mit klassischer Fernsehwerbung überhaupt gar nicht mehr in Kontakt.
  3. Das dritte Problem sind die so genannten «Second Screens». Also Smartphones und Tablets, die zeitgleich zum klassischen Fernsehen genutzt werden. Das Lagerfeuer während «Tatort» verlagert sich beispielsweise auf «Twitter». In Echtzeit mitreden. Ein Mehrwert. Ganz klar. Aber die Nutzung von «Second Screens» senkt die Aufmerksamkeit nicht nur für die Programminhalte, sondern ganz besonders auch für Fernsehwerbung. War früher ein Toilettengang immerhin bei jungen Zuschauern nicht unbedingt während jedes Werbeblocks nötig, so werden Smartphone und Tablet heute parallel genutzt und Werbebotschaften verhallen buchstäblich ungehört und wirkungslos.

Dementsprechend ungehalten sind dann auch die Werbeauftraggeber über sinkende Programmqualität und sinkende Reichweite einerseits, aber steigende Werbepreise andererseits. So haben die Ausgaben für Fernsehwerbung in Deutschland im ersten Quartal des Jahres 2016 um 9 Prozent zugenommen. Brutto wohlgemerkt. «TV-Werbung kostet immer mehr und leistet immer weniger», polterte Uwe Storch als Mediadirektor von Ferrero und Vorstandsmitglied des deutschen Werbekundenverbandes OWM. «Werbekunden bezahlen heute bis zu 50 Prozent mehr für die gleiche Leistung», führte Storch aus, und beklagte gleichzeitig einen «dramatischen Leistungsverlust». Auf der anderen Seite würden TV-Vermarkter stetig die Brutto-Spot-Preise erhöhen. «Über die Brutto-Inflation werden künstlich Spielräume für Rabatte geschaffen, die beim Werbekunden nicht ankommen.» Die von den Vermarktern geübte Praxis, ihre Tausend-Kontakt-Preise TKP jährlich im einstelligen Prozentbereich anzupassen, stellt Storch in Frage. «Ich kenne keine andere Branche, in der das üblich ist», so Storch. Ferrero investiert jährlich allein Deutschland rund 300 Millionen Euro in Werbung. Ein Grossteil davon fliesst in Fernsehwerbung.

Die Nutzung von Fernsehinhalten ist nicht mit der Nutzung von Bewegtbild-Inhalten auf Facebook oder YouTube vergleichbar. Die Verweildauer am TV ist deutlich geringer. Die Werbezeitenvermarkter wie Goldbach Media, SevenOne Media und auch Admeira werden deshalb nicht müde zu betonen, dass die wöchentliche Reichweite und die Nutzungsdauer des Fernsehens stabil sei. Auch bei jungen Zielgruppen. Wie kürzlich beim «Screenforce Day» in Zürich werden aber bei dieser Eigenwerbung die Grenzen fliessend, da die tägliche Nutzungsdauer von Bewegtbild-Inhalten durchaus auch die Nutzung von Videos auf Facebook, YouTube oder eben Abrufe bei Netflix, Amazon, iTunes etc. beinhaltet. Zudem teilt sich dieselbe Nutzungsdauer auf immer mehr Fernsehsender auf. Man denke nur an 3+, 4+, 5+ und TV24, TV25 und immer weitere Anbieter, die Teil der gleichbleibenden Nutzungsdauer sein möchten. Wobei die Werbewirkung von Fernsehwerbung bei mobiler Nutzung oder parallel zu einem «Second Screen» weiter abnimmt.

Deshalb haben es Werbeauftraggeber und Werbezeitenvermarkter immer schwerer, diese veränderte Form der Nutzung von Bewegtbild-Inhalten kapitalisieren zu können. Das führt wiederum zu sinkenden Werbeeinnahmen. Netto wohlgemerkt. Denn Leistungsverluste werden mit Rabatten und Freispots ausgeglichen. Und warum sollten Zuschauer warten, bis hochwertig produzierte Serien wie «Suits» oder «Mr.Robot» in vielen Monaten im linearen Fernsehens versteckt werden, wenn diese Programminhalte bereits einen Tag nach der Erstausstrahlung im amerikanischen Fernsehen sogar mit deutschen Untertiteln hierzulande verfügbar sind? Legal wohlgemerkt.

Das Medium Fernsehen stirbt nicht. Aber die Nutzungsart ändert sich gewaltig. Deshalb steht inzwischen die tatsächliche Einschaltquote erst nach sieben Tagen fest, wenn immerhin die Abrufe aus den Mediatheken berücksichtigt wurden. Aber auch die Zusammenführung dieser Daten stellte die Macher vor so grosse Probleme, dass monatelang überhaupt gar keine Zuschauerzahlen verfügbar waren. Wesentlich für die Probleme war der technische Systemwechsel bei Mediapulse. Dem Vernehmen nach aber gerade nicht nur wegen technischer Probleme, sondern weil die Messergebnisse zum Nachteil von werbefinanzierten Sendern massiv eingebrochen waren.

Zurück zur Fussball-EM, da herrscht nämlich nicht nur eitel Freude, denn die Frage, wie denn die hunderttausenden Zuschauer beim Public-Viewing berücksichtigt werden sollen, ist noch immer ungeklärt. Abgesehen davon werden sich die Fernsehmacher in den kommenden vier Wochen an hohen Einschaltquoten erfreuen. Mindestens bei den Sendern, die die Fussball-Europameisterschaft übertragen. Alle anderen freuen sich wohl eher über ein frühes Ausscheiden der jeweils heimischen Teams.

Leserbeiträge

Ueli Custer 13. Juni 2016, 10:46

Die Aussage „Personen unter 29 Jahre besitzen kaum noch einen Fernseher“ ist (mindestens für die Schweiz) völlig aus der Luft gegriffen. Gemäss dem IGEM-digiMONITOR 2015, dessen Ergebnisse noch kein Jahr alt sind, sehen 95% der Jungen im Alter von 15-24 Jahren mindestens gelegentlich zuhause über ein TV-Gerät fern. Sie nutzen dieses zwar weniger häufig als die Grundgesamtheit, aber immerhin – genauso wie die Gesatmbevölkerung ab 15 Jahren – noch 90% mind. wöchentlich. Nur der mind. tägliche Fernsehkonsum auf dem TV-Gerät ist mit 43% deutlich tiefer als in der Gesamtbevölkerung mit 64%. Häufiger nutzen sie auch Second Screens – meistens nicht im Zusammenhang mit der ausgestrahlten Sendung. Und wenn die Jungen die Wahl haben, auf welchen Gerät sie fernsehen wollen, bevorzugen 37% aller Jungen das TV-Gerät vor dem Laptop oder PC mit 13%. Höher ist allerdings die zeitversetzte Nutzung: Bei den Jungen 60%, und in der Gesamtbevölkerung 45% mind. wöchentlich.

Michael Ziesmann 13. Juni 2016, 11:41

Ich verstehe gut, dass Sie als Geschäftsführer der Interessengemeinschaft elektronische Medien (IGEM) Zahlen relativieren wollen. Nur bestätigen die von Ihnen genannten Zahlen genau die von mir beschriebene grundlegende Änderung des Nutzungsverhalten beim Medium Fernsehen – gerade bei jungen Zielgruppen.

http://de.statista.com/statistik/daten/studie/445598/umfrage/tv-tagesreichweite-in-der-schweiz-nach-alter/

Sie wollen aber nicht ernsthaft mit Gelegenheitsnutzern argumentieren? Werbeauftraggeber planen und buchen keine Tagesreichweiten oder „in den letzen drei Monaten“ das Medium Fernsehen genutzt.

Es geht auch nur am Rande um das technische Endgerät. Es geht um das veränderte Nutzungsverhalten von Bewegtbild-INHALTEN. Denn auch mit einem Fernsehgerät und z.B. AppleTV oder SwisscomTV muss dieses nicht zwingend etwas mit dem linearen Fernsehen zu tun haben. Und: nur noch 30% der 15-30jährigen gab ab, in den letzten drei Monaten (also nicht etwa gestern oder letzte Woche) ein TV-Gerät genutzt zu haben:

http://de.statista.com/statistik/daten/studie/488604/umfrage/umfrage-zur-mediennutzung-in-der-schweiz-nach-altersgruppen/

Auch die Parallel-Nutzung mit weiteren Endgeräten senkt die Aufmerksamkeit für Werbebotschaften erheblich. Und wie Sie wissen, sind „harte“ Quoten deutlich objektiver als telefonische Befragungen wie bei Ihrem IGEM-digiMONITOR 2015.

Michael Ziesmann 13. Juni 2016, 12:02

Nachtrag: gerade wegen dieser Entwicklung steht das lineare Fernsehen in direkter Konkurrenz zu einer Vielzahl anderer Möglichkeiten der Bewegtbild-Nutzung, wie auch die Universität Zürich gerade in der Schweiz repräsentativ erforscht hat:

http://www.media.uzh.ch/de/medienmitteilungen/archive/2015/schweizer-informieren-sich-hauptsaechlich-ueber-das-internet.html

Wenn sich die Nutzungsdauer für das Internet insgesamt verdoppelt hat, aber der Tag auch weiterhin 24 Stunden hat (mir ist nichts anderes bekannt) führt das zwangsläufig dazu, dass sich Art und Weise des Medienkonsums grundlegend wandeln:

http://www.mediachange.ch/

Kurt 13. Juni 2016, 19:43

Private, sprich Werbefernsehen können senden was sie wollen. Ich sehe sie grundsätzlich NICHT, genau so, wie wenn irgendwo Giacobo oder Müller drin sein könnte.

bugsierer 16. Juni 2016, 20:49

sehr interessante zahlen. man ist verucht zu erwähnen „haben wir schon lange gesagt, dass es so kommen wird“. umso interessanter, dass die tv-macher offenbar immer noch auf das lineare tv setzen. die verzweiflung muss gross sein. das brett vor dem kopf auch.