von Nick Lüthi

Die Schweiz der Vereine als wichtigste Stütze der SRG

Zehntausende von Vereinen und Verbänden prägen das gesellschaftliche Zusammenleben in der Schweiz. Ein Grossteil davon profitiert direkt oder indirekt von den Gebühren für den öffentlichen Rundfunk. Das zeigt eine Studie, die den Nutzen des gebührenfinanzierten Service public analysiert hat. Der SRG bietet diese «Schweiz der Vereine» einen wichtigen Rückhalt im Kampf gegen Um- und Abbaupläne. Doch die Millionen von Mitglieder lassen sich nicht auf Knopfdruck mobilisieren.

Die medienpolitische Jahrhundertabstimmung wirft allmählich ihre Schatten voraus. Zwar steht noch nicht fest, wann die schweizerische Bevölkerung über die Weiterexistenz eines öffentlichen Rundfunks befinden kann, aber die schiere Dimension des Vorhabens wird allmählich begreifbar. Für die SRG geht es um alles oder nichts. Gemessen daran gibt man sich selbst in den höchsten Rängen des Unternehmens geradezu gelassen gegenüber dem desaströsen Potenzial der «No-Billag» Initiative. Anders als bei der Vorlage über die Finanzierungsmodalitäten, die vor einem Jahr nur äusserst knapp angenommen wurde, geht es jetzt um den Gesamtnutzen des Service public und nicht allein um die Frage, wie viel der einzelne Haushalt für Radio und Fernsehen zahlt.

Und damit rücken die abertausenden von Vereinen, Verbänden, Milizorganisationen in den Fokus, die das Land als feingewobenes Netz überspannen und so die Gesellschaft zusammenhalten. Für die SRG sind sie von unverzichtbarem Wert. «No-Billag» dürfte einen schweren Stand haben, wenn es gelingt, den gesamtgesellschaftlichen Nutzen des Gebührenfrankens hervorzustreichen. Ob Jodlerinnen, Handballamateure, Opernfreunde, aber auch Hörbehinderte und Sehschwache profitieren vom Service public.

Nehmen wir als aktuelles Beispiel den Handball: Das Schweizer Fernsehen erhöht gegenwärtig die Sichtbarkeit der Hallensportarten mit vermehrter Ausstrahlung von Spitzenspielen. Das hilft neues Publikum zu erschliessen. Mehr Publikum heisst für die Vereine und Verbände mehr Einnahmen aus Werbung, Sponsoring und Eintrittsgeldern bei Live-Spielen. Zuletzt spielte die Handball-Nationalmannschaft vor einer Rekordkulisse mit über 10’000 Zuschauern im Zürcher Hallenstadion gegen Europameister Deutschland. Mehr Geld wiederum bietet die Möglichkeit zur Professionalisierung, was schliesslich die Qualität und Attraktivität der Sportart erhöht. Damit rechtfertigt der Handball seine Präsenz auf SRF. Der Kreis hat sich geschlossen. Der Gebührenfranken kann als starker Hebel wirken und schafft indirekt einen gesellschaftlichen Nutzen – in dem Fall mit der Aufwertung des Handballsports.

Das ist kein Einzelfall. Eine aktuelle Studie der Firma Demoscope im Auftrag des Bundesamts für Kommunikation zeigt die vielfältige Verbandelung der SRG mit Vereinen und Verbänden aus den verschiedensten Lebensbereichen. Der zentrale Befund: «(Fast) alle profitieren in der einen oder anderen Form von diesen Leistungen. Aus den Aufzählungen kommt eine breite Palette zusammen, welche die Vielfalt und Diversität der Schweiz spiegelt.» Und diese Schweiz, von Lehrerverband über Pro Juventute bis Swiss Squash, zeigt sich einhellig zufrieden mit den Leistungen der SRG, insbesondere mit der Qualität der Produktion und der inhaltlichen Sorgfalt und Ausgewogenheit, zitiert die Studie anonymisiert verschiedene Verbandsvertreter. Eine Abschaffung in ihrer bisherigen Struktur wäre eine «Katastrophe», sagten viele der Befragten. Es herrscht klar die Meinung vor, dass mit einem Wegfall der SRG «gewisse Leistungen und Nutzen verschwinden würden, welche so von privaten Anbietern nicht komplett kompensiert werden könnten.»

Kritik wird nur sehr dezent und auf hohem Niveau geäussert. Etwa dahingehend, dass der Apparat der SRG unterdessen so gross sei, dass es immer schwieriger werde, sich bei den zuständigen Stellen überhaupt noch Gehör zu verschaffen mit seinem Anliegen. Gleichzeitig loben Verbände aber auch die professionelle Zusammenarbeit. Unter dem Strich zeichnet die Studie ein sehr einheitliches Bild von Vereinen und Verbänden unterschiedlichster Provenienz: Die SRG leistet für sie Unverzichtbares. Die Kritiker sehen das freilich anders. Dass ausgerechnet vom Bakom eine Studie kommt, die Wasser auf die Mühlen der SRG ist, gefällt den No-Billag-Initianten gar nicht. Olivier Kessler kommentiert lapidar: «Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.» Eine gekaufte Studie also. Das zeige nur, wie stark Staat und SRG heute schon verbandelt seien.

Im Hinblick auf die Schicksalsabstimmung um die schweizerische Medienzukunft wird es für die Gegner der «No-Billag»-Initiative und Befürworter eines starken Service public entscheidend sein, ob und wie sie das immense Reservoir der Vereinsmeier anzuzapfen und zur Stimmabgabe zu bewegen vermögen. Das wird trotz eindrücklicher Mitgliederzahlen nicht ganz einfach sein. Denn die meisten Organisationen, ob in Sport oder Kultur, verschreiben sich in den Statuten politischer und konfessioneller Neutralität. Das bindet auch Cipriano de Cardenas die Hände. Der Präsident des Verbands Schweizer Volksmusik wehrt sich aus voller Überzeugung gegen die Abschaffung der SRG in ihrer heutigen Form, als Bündner und Vertreter einer Randregion erst recht. Aber sein Verband wird stumm bleiben, das gebieten die Statuten. «Wir dürfen uns nicht in einen Abstimmungskampf einmischen», sagt de Cardenas im Gespräch mit der MEDIENWOCHE, ergänzt aber: «Das heisst nicht, dass ich mich als Verbandspräsident nicht öffentlich äussern dürfte.» Doch schon ein Versand an die Mitgliedschaft mit einer Abstimmungsempfehlung wäre zuviel.

Dennoch ist der Volksmusik-Präsident guten Mutes und glaubt die Haltung seiner Mitglieder zu kennen. «Unsere Mitgliedschaft ist klar bürgerlich-konservativ geprägt. Dennoch wären mir keine Stimmen aus dem Verband bekannt, die sich befürwortend zur ‹No-Billag›-Initiative geäussert hätten, auch nicht von jüngeren Mitgliedern.» Gerade der Nachwuchs profitiert vom Service public. Der Verband Schweizer Volksmusik organisiert zusammen mit dem Eidgenössischen Jodlerverband und Radio SRF jährlich einen Schweizer Wettbewerb für Jodeln, Alphorn und Volksmusik. Am letzten Samstag übertrug die SRF Musikwelle das Finale des Wettbewerbs «Folklorenachwuchs 2016» live aus Huttwil. In der Jury sitzen Vertreter von Radio und Fernsehen SRF. Der Hauptpreis: Ein Auftritt in der SRF-Show «Viva Volksmusik». Eine grössere Plattform als auf den Sendern der SRG erhält die schweizerische Volksmusik nirgends. Mit der SRF Musikwelle verfügt das Genre gar über einen eigenen Radiokanal mit Vollprogramm. Daher sieht der Volksmusikfreund seine 400 Franken Haushaltabgabe auch künftig sehr gut investiert. So stützt sich das System der Gebührenprofiteure gegenseitig. Wie du mir, so ich dir.

Die gemeinsamen Interessen von Verbänden und SRG sind stark, die Verbandelung entsprechend gross. Dahinter stehen aber auch gesetzliche und vertragliche Verpflichtungen. Etwa bei der Zugänglichkeit der Programme für Sinnesbehinderte. Sendungen in Gebärdensprache für Gehörlose oder die Untertitelung und Hörschwache sind eine Zusatzaufwand, der sich auf dem freien Markt kaum rechnen würde. Entsprechend weit oben steht die Medienpolitik beim Gehörlosenbund auf der Agenda. «Nicht nur wir fordern mehr Leistungen», sagt Harry Witzthum, Geschäftsführer des Gehörlosenbundes. «Auch der Bundesrat verlangt von den Service-public-Medien, mehr für Sinnesbehinderte zu unternehmen. Es gilt zudem weiterhin das Behindertengleichstellungsgesetz umzusetzen und dem UNO-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen Folge zu leisten.» Im Gegensatz zum Volksmusikverband darf der Gehörlosenbund politisch Stellung nehmen. Grenzen setzen hier nicht die Statuten, sondern das Geld. Dazu noch einmal Harry Witzthum: «Uns stehen nicht dieselben Ressourcen wie den Initianten zur Verfügung. Was wir uns aber überlegen werden, sind kleinere virale Kampagnen zum richtigen Zeitpunkt.» Eine grössere Kampagne sei bisher nicht geplant, man beobachte die Situation aber laufend.

Wenig Verständnis für die Besorgnis von Behindertenverbänden hat Olivier Kessler. Der Mit-Initiant von No-Billag sieht das Heil im freien Markt: «Es ist nicht ersichtlich, weshalb es ohne Billag-Zwangsgebühren keine Untertitel mehr geben sollte.» Auch in einem freien Medienmarkt würden bestimmt Untertitel von den einen oder anderen Sendern angeboten werden – «einfach schon deshalb, weil sie ein Bedürfnis sind.» Ob das den hörbehinderten Fan des FC Basel dazu motivieren kann, auf Pay-TV ohne Untertitel umzustellen, wenn ihm dafür Ende Jahr 400 Franken mehr im Portemonnaie verbleiben, darf bezweifelt werden. Auch die übrigen 300’000 Zuschauerinnen und Zuschauer, die jüngst FC Basel gegen Paris St. German gesehen haben, finden Fussball am Free-TV offensichtlich eine feine Sache. Sport und SRG pflegen seit je eine enge Symbiose.

Billag-Abschaffer Olivier Kessler sieht im Gleichschritt von SRG und Verbänden einen geschickten Pro-SRG-Schachzug der Politik: «Sie hatte versucht, immer mehr Gruppierungen von den Billag-Zwangsgebühren abhängig zu machen, um die Opposition gegen eine von der Regierung beherrschte Medienlandschaft zu schwächen.» Doch Kessler vertraut darauf, dass die Stimmbürger das Potenzial für die Freiheit des Einzelnen erkennen und sich aus der Gebührenabhängigkeit selbst befreien. Das ist denn auch der entscheidende Punkt in der Debatte: Wer wirft welches Gewicht in die Waagschale? Hier der individuelle Freiheitsgewinn mit der Entlastung der Haushaltskasse um 400 Franken, da der kollektive Gewinn in Form eines gesellschaftlichen Nutzens, von dem jeder Einzelne auch profitiert; irgendeiner Minderheit gehören wir alle an und Vereinsmitglieder sind wir sowieso.

Leserbeiträge

Olivier Kessler 15. November 2016, 18:07

Dieser Artikel suggeriert fälschlicherweise, dass die Abschaffung der Billag-Zwangsgebühr gleichbedeutend sei mit der Abschaffung der SRG. Dementsprechend listet der Autor Leistungen der SRG auf und will zeigen, wie wir alle bei einer Abschaffung der Zwangsgebühr verlieren würden (weil dann diese oder jene Leistung der SRG vermeintlich nicht mehr angeboten würde).

Doch diese Argumentation geht schlichtweg nicht auf. Die SRG darf auch nach der Abschaffung der Billag-Zwangsgebühren Sendungen produzieren und ausstrahlen. Sie müsste sich lediglich selbst finanzieren – wie die meisten anderen Unternehmen auch. Ihre Einnahmen könnte die SRG beispielsweise durch den Verkauf von Pay-TV-Abos erzielen (indem sie ihre Angebote nur für jene freischaltet, die die Gebühren auch bezahlt haben). Wenn die SRG-Sendungen beim Publikum auf Anklang stossen, wird sie keine Probleme haben, auch ohne Zwangsgebühren zu ihren Einnahmen zu kommen.

Maurice Velati 16. November 2016, 09:54

Sehr geehrter Herr Kessler
Ich staune immer wieder, dass Sie diese Behauptung weiterhin aufstellen. Selbstverständlich ist eine Kappung der Gebührengelder gleichbedeutend mit dem Ende der SRG. Das weiss jeder, der sich in der Medienbranche auch nur im Ansatz etwas auskennt. Kein privater Sender weltweit ist in der Lage, auch nur einen Bruchteil der SRG-Leistungen in einem so kleinräumigen Medienmarkt wie der Schweiz zu refinanzieren. Auch die privaten Verleger sind deshalb gegen Ihre Initiative. Das sollte doch zu denken geben… vielleicht auch Ihnen.

Frank Hofmann 17. November 2016, 09:24

Herr Velati, ein Teil der Verleger ist gegen die Initiative, weil ihnen de Weck Millionen zuschiebt. Selbstverständlich müsste die SRG abspecken ohne Billag-Gebühren. Ein TV-Sender pro Sprachregion reicht vollkommen, es braucht nicht sieben davon. Champions League ist viel zu teuer und ohnehin nicht Service public, wer das sehen will, soll ein Abo lösen. Ebenso wenig braucht es 17 Radiosender, umso weniger, also diese praktisch keine Werbeeinnahmen generieren. Die 2. Programme sind reine Nischensender, diese Programme könnten ohne Weiteres ins 1. Programm integriert werden und würden dieses sogar aufwerten. Im welschen RSR 1 wird ja heute schon täglich stundenlang über Kino diskutiert (scheint DAS Hobby aller Radioleute zu sein). Und die 3. Programme bieten null Mehrwert gegenüber den Privaten, also ersatzlos kippen. – Die viel zu hohen Billag-Gebühren für alle (eigentlich eine Steuer) graben den Verlegern das Wasser ab. Wäre die Gebühr in einem vernünftigen Rahmen, also etwa die Hälfte, und auch keine Steuer wie heute, wäre es auch nicht zur Initiative gekommen. Selber schuld, SRG!

Maurice Velati 17. November 2016, 10:03

Zu Punkt 1: Abspecken ist gnädig formuliert. Sie wissen schon, wie hoch der Anteil Gebühren an unseren Einnahmen ist, oder? Das gibt kein Abspecken, das gibt einen Kahlschlag bzw. den Niedergang. Oder aber wir produzieren dann Radio und Fernsehen auf einem völlig anderen Niveau… und damit kommen wir automatisch zur inhaltlichen Frage…
Punkt 2: Ja, man kann das Programm der SRG natürlich redimensionieren. Dazu müsste die Politik aber den Auftrag ändern. Denn aktuell ist nicht die Frage, ob wir Nischenprogramm machen oder nicht – sondern: Wir müssen informieren, unterhalten, Kultur und Bildung anbieten. In vier Landessprachen. Das wird schiwierig mit je einem TV- und Radioprogramm.
Zum Programm von RSR1 kann ich nichts sagen, das kenne ich nicht. Die 3. Programme mit den Privatsendern gleichzustellen, ist sehr gewagt, wie ich meine. Ich würde es in diesem Zusammenhang sehr begrüssen, wenn im Rahmen dieser Gebührendebatte auch einmal eine Qualitätsdebatte geführt würde… Journalismus hat in diesem Land eine demokratierelevante Funktion. Mit „No Billag“ und einer Abschaffung oder massiven Schwächung der SRG ist diese Funktion aus meiner Sicht arg gefährdet.

Hannes Zaugg 16. November 2016, 08:53

Die Macht, welche die Verbände und Vereine haben sollen sowie die Kraft, die sie gegen die No-Billag-Initiative entwickeln können, bezweifle ich. Denn die Mehrzahl dieser Institutionen sind regional oder gar lokal ausgerichtet. Und hier ist es weniger die national tätige SRG, die ihnen unter die Arme greift, sondern das lokale oder regionale Medium, welches fast ausschliesslich in privaten Händen ist. Mehrere Studien sagen auch klar, dass sie in Zukunft an Bedeutung gewinnen: auf Kosten der nationalen Informationsträger.