von Nick Lüthi

«Ja, die SRG könnte ohne Gebühren weiterbestehen. Aber…»

Für die SRG ist klar: Ihr Medienangebot gibt es nur, wenn Gebühren fliessen. Eine Annahme der «No Billag»-Initiative bedeute deshalb das Aus für Schweizer Radio und Fernsehen. Wirklich? Auch eine rein kommerziell finanzierte SRG ist vorstellbar. Doch der Preis dafür wäre hoch.

Wer ein Unternehmen mit Weitsicht führt, bereitet sich auf alle bekannten Risiken vor und entwirft für den Fall des Eintreffens angemessene Szenarien. Die SRG weiss um ein solches Risiko, quasi das grösstmögliche, ein GAU also: Das totale Wegbrechen sämtlicher Gebühreneinnahmen und damit von mindestens Dreivierteln des Ertrags von zuletzt 1,6 Mrd. Franken pro Jahr. Bei der noch nicht terminierten Abstimmung zur sogenannten No-Billag-Initiative geht es genau darum, gebührenfinanzierte Medien abzuschaffen. Aber Fehlanzeige. Die SRG bereitet sich auf den Fall der Fälle gar nicht erst vor, so gravierend hält man das Ereignis. «Es gibt keine Vorbereitungen für eine Auflösung der SRG im Hinblick auf eine allfällige Annahme der No-Billag-Initiative», teilt Mediensprecher Daniel Steiner mit.

Für das Führungspersonal der SRG scheint der Fall klar zu sein: «Sollte No Billag – eigentlich: No SRG – angenommen werden, gäbe es die SRG schlicht und einfach nicht mehr», findet Viktor Baumeler, Präsident des SRG-Verwaltungsrats. Und der frisch gewählte Generaldirektor Gilles Marchand doppelt nach: «Si l’initiative passe, notre existence s’arrête. On éteint la lumière, on ferme la porte et on s’en va. C’est aussi simple que ça.» So einfach ist das: Lichterlöschen, Ende, Aus.

Das ist indessen nicht die ganze Wahrheit. Zuerst einmal würde die SRG in ihrer Organisationsstruktur als Zusammenschluss von Vereinen und Genossenschaften rechtlich bestehen bleiben – auch ohne Gebühren. Allerdings könnte sie ihren Zweck nicht mehr im heutigen Ausmass erfüllen: «Der Zweck der Trägerschaft ist das Betreiben des Service Public-Unternehmens SRG im Dienste der Allgemeinheit», teilt SRG-Sprecher Daniel Steiner mit. Darum sieht er die SRG als ganzes in ihrer Existenz bedroht für den Fall einer Gebührenabschaffung.

Am Ende entscheiden die rund 23’000 Mitglieder und ihre Gremien in den regionalen Verbänden. Die SRG-Genossenschaft Bern, Freiburg, Wallis aufzulösen, erfordert eine Zweidrittelmehrheit der Mitglieder. Sollte indes eine Mehrheit weiterhin in Medien machen wollen, dann könnte sie auf dem freien Markt ihr Glück suchen, ganz ohne Gebühren aber auch ohne die heute geltenden Einschränkungen und Verbote.

Diesen Weg hält der Medienwissenschaftler Matthias Künzler für gangbar: «Ja, meiner Meinung nach könnte die SRG ohne Gebühren weiterbestehen.» Aber der Preis dafür wäre hoch, weiss der Autor eines Standardwerks über das Mediensystem Schweiz. «Die SRG würde sich in einem solchen Szenario vermutlich auf die Deutschschweiz konzentrieren», so Künzler weiter, «und ihre Programmproduktion in den anderen Sprachregionen einstellen.» Oder in der Westschweiz ein Rumpfprogramm anbieten.

Zu seiner Einschätzung gelangt Künzler mit Blick auf den Werbemarkt. Mit Internet und Radio verfügt die SRG über zwei heute noch werbefreie Plattformen. Online-Werbung würde sie schon lange liebend gerne anbieten können und auch Radiowerbung würde den einen oder andern Franken einbringen. Vor allem könnte eine SRG auf dem freien (Werbe)markt das volle Potenzial von Admeira nutzen. Die Werbeallianz mit Swisscom und Ringier leidet aktuell an der gesetzlichen Einschränkung, insbesondere im Bereich der personalisierten Werbung, welche die SRG heute (noch) nicht nutzen darf.

Um abschätzen zu können, welches kommerzielle und publizistische Potenzial eine private SRG entfallen könnte, fehlen heute die Zahlen. Hierzu will sich niemand auf die Äste hinauslassen. Weder Werbestatistik Schweiz, Admeira, die SRG selbst noch unabhängige Fachspezialisten sind bereit, konkrete Zahlen zu nennen. (Nur bei Goldbach rechnet man noch; eine Anfrage ist hängig, wir informieren). Doch so viel ist klar: Die Milchbüechli-Rechnung, den aktuellen Werbeertrag der SRG als Basis für künftiges Wirtschaften zu nehmen, taugt nicht. Erst dank den Gebühren ist es heute möglich, jene Inhalte zu produzieren, die erst ein attraktives Werbeumfeld schaffen. Darum wäre mit einem gravierenden strukturellen Rückgang der Werbeeinnahmen zu rechnen, die kaum mit den neuen Formen und Formaten kompensiert werden könnten.

Davon ist auch Manuel Puppis überzeugt. Der Professor an der Uni Freiburg und Spezialist für Mediensysteme nennt zwei Gründe: «Erstens würden die Werbeeinnahmen der SRG deutlich zurückgehen. Ohne Gebühren dürfte sich das Budget in Richtung 3+ bewegen und das Programm weniger attraktiv werden. Daraus folgt zweitens, dass das Budget für Service public Leistungen kaum vorhanden wäre.» In diesem Punkt ist man sich einig. Eine «zwangsprivatisierte» SRG könnte die heutigen Aufgaben und die Rolle als gesamtschweizerisches Medienhaus mit gleichwertigen Angeboten für alle Landesteile nicht mehr erfüllen. Da würde es wohl auch wenig helfen, wenn sie als Zusammenschluss von Genossenschaften und Vereine, keinen Gewinn anstrebt und nicht die Erwartungen von Aktionären und Eigentümern befriedigen muss – obwohl das im gesamten Szenario ein Pluspunkt für die SRG darstellt.

Nur vage Zukunftsszenerien gibt es bei den Initianten der No-Billag-Initiative. Olivier Kessler, Co-Präsident des Komitees, skizzierte jüngst in der Sendung «Hallo SRF!» blühende Landschaften, die er sich wie eine bunte Kioskauslage vorstellt. Tenor: Der freie Markt regelt alles von alleine, Angebot und Nachfrage vermögen Medienvielfalt zu garantieren. Sei eine Sendung vom Publikum begehrt, wie etwa das «Echo der Zeit», lasse sie sich auch finanzieren, so Kessler bei früherer Gelegenheit. «Aber», gibt Medienforscher Matthias Künzler zu bedenken, «eine Annahme der No-Billag könnte das Gegenteil dessen bewirken, was die Initianten wollten: Eine völlige Kommerzialisierung der SRG würde möglicherweise ihre Marktposition gegenüber den anderen Schweizer Privatsender in der Deutschschweiz stärken.»

Damit ist auch klar, womit bei einer Annahme von No Billag vor allem zu rechnen ist: Die Schwächung der Minderheitensprachen Französisch und Italienisch. Angebote, wie sie eine kommerzielle SRG bestenfalls noch in der Deutschschweiz realisieren könnte, lägen für Romandie und Südschweiz nicht drin. Die lokalen Märkte geben dafür zu wenig her. Insbesondere in der Westschweiz füllt das öffentliche Radio und Fernsehen jene Lücken, die private Verlage mit ihrem Ressourcenabbau in den Redaktionen hinterlassen. Nicht zuletzt darum erfährt RTS eine hohe Akzeptanz beim Publikum. Eine mögliche Konsequenz wäre eine (Teil)verstaatlichung von Westschweizer Radio und Fernsehen. So sehen sich die Kantonsregierungen schon heute der Medienpolitik sehr zugetan. Démarchen an abbauwillige Verlage gehören zum diplomatischen Repertoire. Gut möglich, dass die Regierungen über kantonale Kulturetats in die Bresche springen würden. In der rätoromanischen Schweiz könnte die Lia Rumantscha, die schon heute dank Millionensubventionen die aussterbende Sprache lebendig hält.

Das wäre dann der Preis für die Gebührenabschaffung: Anstatt eines öffentlichen Rundfunks für alle Landesteile, gäbe es ein zusätzliches Kommerzprogramm in der Deutschschweiz und Staatssender in der lateinischen Schweiz.

Leserbeiträge

Alex Schneider 09. Dezember 2016, 07:27

SRG und Service public

Warum recherchiert die SRG nicht, was der tatsächliche und der potenzielle SRG-Kunde konkret von der SRG erwarten? Dazu reichen Einschaltquoten für SRG-Sendungen nicht und schon gar nicht die Meinungen der SRG-affinen Programmkommissionen und Trägerschaften. Meines Erachtens erwartet die Mehrheit zum Beispiel eine leichte Gebührenreduktion und etwas weniger Werbung zum Preis einer Reduktion von bildungsfernen Programmteilen (Gewaltdarstellungen, Formel-1- und Töffrennen) sowie Unterhaltung, welche auch Private und ausländische Sender anbieten (können).

Ueli Custer 12. Dezember 2016, 13:41

Schön, dass Herr Schneider weiss, was das Publikum von der SRG erwartet. Wenn man seine Wünsche mit denjenigen aller andern potentiellen Nutzer kreuzt, dürfte vermutlich herauskommen, dass die SRG-Programme einerseits alles und andererseits gar nichts anbieten sollen. Jeder und jede findet irgendetwas völlig überflüssig bzw. absolut essentiell. Die Bevölkerung in der Schweiz ist ja glücklicherweise nicht eine einheitlich indoktrinierte Masse. Sie besteht vielmehr aus einzelnen Menschen mit durchaus eigenen Vorlieben. Und nicht zuletzt wegen dem Konzessionsauftrag geht es auch nicht darum, nur das zu senden, was die Mehrheit will. Ganz so einfach ist es halt nicht.

Alex Schneider 12. Dezember 2016, 18:34

@Ueli Kuster
Eine sehr offene Befragung aller, auch der nur potenziellen SRG-Nutzer würde sicher zu einem anderen Programmmix und zu einer andern Gebührenhöhe führen als dem gegenwärtigen Programmangebot

Peter Knechtli 09. Dezember 2016, 12:06

Gilles Marchands „On éteint la lumière, on ferme la porte et on s’en va“ ist dann doch eine etwas gar banale Argumentation. Betreiber unabhängier News-Portale, die auf „Glanz&Gloria“ verzichten, erhalten – anders als kommerzielle Radio- und TV-Sender, immer noch keinen Rappen aus dem Gebühren-Topf. Darum muss mindestens darüber ernsthaft diskutiert werden können, ob der Verteil-Mechanismus noch der heutigen Medien-Realität und dem Gebot der Förderung unabhängiger Anbieter entspricht.

Martin Thalmann 14. Dezember 2016, 17:51

Die SRG ist im heutigen Medienumfeld zu gross und zu teuer. Der heutige Medienkonsument hat weniger Geld zur Verfügung, denn nebst TV fallen auch Beträge für Internetzugang, Mobile-Abo, PayTV etc. an. Zudem haben sich die Sehgewohnheiten komplett verändert (siehe Einschaltquoten). Die SRG wurde aber munter ausgebaut. Das geht so nicht weiter.

Peter Stalder 14. Dezember 2016, 20:46

Dieser Artikel sagt mir nur das sogar die SRG selbst daran glaubt das ihr Program so schlecht und unnütz ist das es niemand oder nur ganz wenige Leute sehen und per Pay-Tv bezahlen würden.

K.V. 20. Dezember 2016, 00:07

Die haben einfach alle nicht verstanden: Nicht No-Billag, sondern Billag a bit lighter please, oder noch besser a bit lighter und direkt via Steuerrechnung. Also schon No-Billag, aber nicht No-SRG.
Vor allem ein Informations und keinen Unterhaltungsauftrag soll sie haben. Und Sport soll sie nur den bringen, für den sich keine privaten fänden.
Ich finde es jedenfalls ziemlich Kac…. ungewollt via Billag Geld in die Taschen der chronisch korrupten und infantilen Grosskotze der Fussball-„Vereine“ zu pumpen.

Ueli Custer 20. Dezember 2016, 10:34

Schon wieder einer, der sich anmasst, für eine Mehrheit der Fernsehzuschauer zu sprechen. Nach dem Motto: Die SRG hat das zu senden, was ich gut finde. Sozusagen „La SSR c’est moi“. K.V. ist sich aber offenbar bewusst, wie einfältig und polemisch sein Beitrag ist. Deshalb getraut er sich auch nicht, ihn mit seinem
vollen Namen zu zeichnen.

K.V. 21. Dezember 2016, 18:11

Nun, lieber Herr Kuster, Sie scheinen ja grad selber zu belegen, das Klarnamen in der in der heutigen Zeit im Internet leider nicht mehr zu anständigerem Umgang führen. Aus eben diesem Grund werde ich das auch weiter so machen, man kann ja nie wissen …
Und was Sie mir da in Ihrem gehässigen Ton da sonst noch alles in den Mund legen, verbitte ich mir auch ansonsten.
Eine günstige SRG mit einem guten Service Public soll jenes bieten, das ich mir nicht kaufen kann, nämlich eine komplett von der Wirtschaft unabhängige Medienstimme. Das spielt meines Erachtens allerdings ausschliesslich bei der Information wirklich eine Rolle.
Wenn ich gerne einen Film oder Doku sehen möchte, so kann ich mir diesen nach Bedarf am besten selber kaufen, und brauche diesen service nicht mit der Gieskanne zur Last der Allgemeinheit, ohne meine Mitsprache notabene, auf mich herab geregnet bekommen. Genau so wie ich, würde ich es halt auch schätzen wenn mein Geld von anderen für irgend welche korrupte Sportvereine verprasst wird.

Aktuell ist die SRG in meinen Augen weder Fisch noch Vogel, denn sie lebt ja sowohl von den Gebühren, als auch von Werbeeinnahmen. Somit ist sie als Informationsquelle eben leider nicht mehr so ganz die andere Stimme, die ich mir wünschte.

Ueli Custer 21. Dezember 2016, 18:35

Danke für die Bestätigung, dass Sie der Meinung sind, Ihre Wünsche entsprächen jenen der ganzen Bevölkerung. Weitere Kommentare sind da überflüssig.

Peter Stalder 22. Dezember 2016, 15:51

Das macht die SRG ja auch! Ein Programm senden und alle dafür bezahlen lassen, ob man es nun sehen will oder nicht. Ich jedenfalls will es nicht sehen und auch nicht hören, warum soll ich dafür bezahlen? Solidarität sollte hier nicht zählen oder erwähnt werden, schliesslich geht es hier um Fernsehen oder Radio hören.
Ich habe Teleclub, Netflix und über Swisscom einige zusätzliche Sender abonniert die ich sehen möchte, dafür bezahle ich gerne etwas aber ich möchte selber entscheiden dürfen für was ich mein Geld ausgebe. Steuern und Krankenkasse ist genug an Solidarität, beim TV schauen hört es aber auf!

K.V. 22. Dezember 2016, 18:00

Wie kommen Sie eigentlich drauf das diese Information überhaupt von Relevanz wäre? Soll die SRG neuerdings dazu da sein jegliche Bedürfnisse der Schweizer zu erfüllen? Mein Nachbar wünscht sich zum Beispiel schon lange eine Rückenmassage, und wieder weiter hätte einer gerne jeden Abend die neuesten Blockbuster, s0 früh wie Netflix.
Mir ist ziemlich schnuppe was die anderen gerne hätten, da haben Sie völlig recht. Und ich bin mir ganz sicher das den anderen noch wurschter ist was ich gerne hätte.
Aber die springende Frage ist ganz generell, wer den ganzen Mist eigentlich bezahlt.

Die Frage was der Service Public, wenn man ihn denn im Radio, TV und Web möchte, alles beinhalten sollte.
Wenn Sie sich eine Giga-SRG wünschen, die einfach alles bietet, dann können Sie mir nicht vorwerfen mich ob der horrend hohen Billag rechnung zu Stören.