von Adrian Lobe

Gefährliche Umarmung

Google wird zu einem immer gewichtigeren Spieler in der Medienlandschaft, sei es mit Innovationsförderung, aber auch mit eigenen Inhalten. So bringt der Internetkonzern zusammen mit der «Süddeutschen Zeitung» neu ein Magazin zur digitalen Bildung heraus. Kritische Stimmen gegen das wachsende Google-Engagement in den Medien gibt es nur wenige. Die aber warnen vor der ungleichen Partnerschaft.

Wer am Sonntag die «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung» aus dem Briefkasten holte oder beim Bäcker kaufte, dem fiel spätestens bei der Lektüre am Frühstückstisch auf, dass der Zeitung zwei Magazine beigelegt waren: Die Zeitschrift «The Red Bulletin», das Content-Marketing-Magazin des Getränkeherstellers Red Bull sowie eine weitere Publikation, die dem geneigten Leser bislang eher unbekannt war: «Aufbruch Lernen – Ein Magazin zur digitalen Bildung». So hat Google sein neues Magazin überschrieben. Auf dem Cover ist eine Mutter abgebildet, die ihrem Kind auf dem Hausaufgabentisch etwas am Laptop erklärt. Auf Seite 3 grüßt Google-Chef Sundar Pichai, der sich «für mehr digitale Bildung in Deutschland» einsetze. «Liebe Leserin, lieber Leserin», begrüßt «Ihr Team von Google» die Leserschaft – eine Redaktion ist auch im Impressum nicht vermerkt – «das Internet verändert die Art, wie wir leben und lernen. Weit über 80 Prozent aller Deutschen sind inzwischen online, 45 Millionen Menschen rufen täglich Inhalte aus dem Netz ab.» «Dieses Magazin», erfährt der Leser, «erklärt so praktisch wie möglich, welche Chancen zu Ihrer persönlichen Weiterentwicklung bereithält Wir versprechen Ihnen: Es lohnt sich!». Die Werbebotschaft ist unverhohlen, die Inhalte in das Gewand des Journalismus gekleidet.

Das 30-seitige Heft beginnt mit einem zweiseitigen Interview mit der Sozialwissenschaftlerin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wirtschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WSB), die unwidersprochen über ihre Vision eines «zweiten Bildungssystems» fabulieren darf, ohne genauer zu präzisieren, was damit gemeint ist. Darauf folgt eine längliche Reportage mit dem werblichen Titel «Wischen erlaubt» über eine Familie im schwäbischen Krumbach, die das Hohelied von Lern-Apps und Online-Games singt («Sie ist fasziniert von den Welten, die ihre Tochter baut, und davon überzeugt, dass Spiele wie Minecraft die Kreativität fördern»). Der weitere Heftinhalt umfasst ein Stück über das Google-finanzierte Open Roberta Lab, Interviews mit Lehrkräften sowie ein Gastbeitrag von Google-Chef Sundar Pichai.

Das Magazin bespielt die gesamte Bandbreite journalistischer Darstellungsformen: Reportagen, Features, Berichte, Interviews, Kommentare. Die Texte stammen aus der Feder freier Journalisten, die zum Teil Erfahrung im Content-Marketing mitbringen. Autor Christoph Henn arbeitete drei Jahre beim eBay-Magazin, das von Gruner und Jahr herausgegeben wurde. Das Heft ist ansprechend gestaltet und im Google-Corporate-Design gehalten, die Optik fällt zuweilen etwas grell aus. In der Gestaltung erinnert «Aufbruch Lernen» an das evangelische Magazin «Chrismon», das einer Reihe überregionaler Tageszeitungen wie der «FAZ» und dem «Tagesspiegel» beiliegt, mit dem Unterschied, dass die Inhalte nicht so bieder und altbacken sind. Doch beim Google-Magazin steckt der Teufel im Detail.

Im Info-Kasten zu Tipps und Links wird unter dem Stichwort «Anregungen zum Jugendschutz und zur Förderung der Medienkompetenz» auf Googles englischsprachiges Safety Center verwiesen. In praktisch jedem Text findet sich ein mehr oder weniger versteckter Hinweis auf eine Google-finanzierte Einrichtung. Die Seite «YES, WE CODE», bei der zwei Schüler ihre Begeisterung fürs Programmieren zum Ausdruck bringen, ist mit einem Link auf die Veranstaltung «Jugend hackt» versehen, ein von Google-finanziertes Programm zur Förderung des Programmiernachwuchses. Dieses Engagement wird dem Leser jedoch nicht transparent gemacht. Die Autorin Charlotte Haunhorst, die unter anderem für jetzt.de, das junge Magazin der Süddeutschen Zeitung, schreibt, gibt sich schon gar keine Mühe, eine differenzierte Geschichte über Virtual Reality in Museen zu schreiben, ob wohl es dazu reichlich Stoff gäbe. Stattdessen wird in jedem Absatz eine Google-Einrichtung erwähnt. Das ganze Heft plädiert dafür, Programmieren an Schulen zu lehren, ein Lernziel, für das Google auf diversen Plattformen, zuletzt auf dem Bildungsgipfel in Saarbrücken und mit der Vorfeldorganisation «Code for Germany», erfolgreich lobbyiert. Eingebettet in diese werblichen Texte sind Anzeigen für Google, gewissermaßen Werbung in der Werbung.

Im Impressum tauchen lediglich die Google-Vorstände Christine Flores und Jim Campbell auf. Gibt es keine Redaktion, welche die Seiten layoutet und Texte redigiert? Kaum vorstellbar, dass der Vorstand eines Internet-Konzerns auch noch als Blattmacher einspringen muss. Der entscheidende Satz kommt zum Schluss. «Dies ist eine Anzeigenveröffentlichung von Google. Danke an das Team von Süddeutsche Zeitung Publishing.» Die Tochter der Magazin Verlagsgesellschaft Süddeutsche Zeitung ist offensichtlich für die Produktion der Google-Postille verantwortlich. Seltsam nur, dass der Launch der Zeitschrift nirgends annonciert wurde – wobei die Nichtmeldung an sich schon eine Meldung ist.

Die Süddeutsche Zeitung Publishing hat bereits im Juni für Google Deutschland die Magazin-Reihe «Aufbruch» zur Digitalisierung des Mittelstands entwickelt und produziert. Wie der Branchendienst «WUV» meldete, erschien «Aufbruch München» in einer Auflage von 550.000 Exemplaren in der «SZ am Wochenende». Zur Eröffnung des Münchner Google-Trainingszentrums lag der «Süddeutschen Zeitung» das 36-seitige Magazin erstmals bei. In welcher Auflage und Regelmäßigkeit das neue Google-Magazin erscheint und ob ein Interessenkonflikt zwischen der Publikation und der Berichterstattung in der «Süddeutschen Zeitung», die ja durchaus Google-kritisch ist, besteht, wollte der Verlag nicht mitteilen. Eine Anfrage der «Medienwoche» an Pressesprecherin Angela Kesselring blieb unbeantwortet. Es scheint ein neuer Trend zu sein, dass Verlage bisherige Agenturdienstleistungen ins Haus zurückholen und eigene Content-Marketing-Abteilungen gründen.

Dabei ist das Verhältnis zwischen Medien auf der einen und Google, Facebook & Co. auf der anderen Seite, wo die Internet-Giganten aus Sicht der Medien als «Frenemy» figurieren – als Freund und Feind in einem –, durchaus spannungsgeladen. Einerseits lassen sich mit diesen Plattformen Reichweitengewinne erzielen. Andererseits kontrollieren Tech-Konzerne zunehmend die Verbreitungskanäle oder werden selbst zum Publisher wie etwa bei Facebook Instant Articles, einem Format, bei dem die Markendifferenz zunehmend verschwimmt.

Google und Co. avancieren zu einem immer wichtigeren Spieler in der Medienlandschaft. In Berlin hat Google ein eigenes News-Lab gegründet das die Zukunftsfragen des Journalismus klären soll und ein mit bis zu 8200 Euro dotiertes Stipendium an Nachwuchsjournalisten vergibt. «Das Google News Lab Fellowship Programm bietet Absolventen und Young Professionals mit ersten journalistischen Erfahrungen sowie Entwicklern, die eine Begeisterung für digitalen Journalismus und neue Storytelling-Formen teilen, die Möglichkeit, besondere Einblicke in 16 Medienorganisationen aus Deutschland, Österreich, und der Schweiz zu gewinnen und spannende journalistische Projekte umzusetzen.» Nach dem Streit um das Leistungsschutzrecht, bei dem die Schiedsstelle des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA) entschied, dass Suchmaschinenbetreiber für die Verwertung von Printerzeugnissen bezahlen müssen, hat Google einen mit 150 Millionen Euro ausgestatteten Fonds (Digital News Initiative) aufgelegt, bei dem für die Umsetzung von Projekten Geld an europäische Verlage ausgeschüttet wird. In der neunköpfigen Jury, die über die Vergabe der Fördermittel entscheidet, sitzen unter anderen die Mozilla-Innovationschefin und ehemalige Spiegel-Online-Geschäftsführerin Katharina Borchert sowie Veit Dengler, CEO der Neuen Zürcher Zeitung. Im Rahmen der Digital News Initiative (DNI) werden auch zwei Schweizer Projekte gefördert, u.a. ein Bot der Westschweizer Tageszeitung «Le Temps» (Ringier Axel Springer) sowie eine Petitionsplattform der AZ Medien.

Die Millionen aus Googles prall gefülltem Fördertopf sind für die klammen Verlage eine Verlockung. Andererseits begeben sich die Medienhäuser dadurch auch in Abhängigkeiten. Kritik dazu wird kaum laut. Doch wenn, dann geht sie mit dem Verhalten der Verlage hart ins Gericht. Der Datenjournalist Lorenz Matzat hält nüchtern fest: «Google benötigt das ‹news ecosystem› als Nährboden für sein auf Werbung basierendes Geschäftsmodell.» Auch darum könne Google für Journalisten kein Partner sein. Matzat beschreibt das subtile Lobbying von Google: «Die deutsche Journalisten- und Verlagsszene ist offensichtlich ein wichtiges Feld der DNI: Kaum eine Journalismustagung in letzter Zeit im Land, die nicht von Google mitgesponsert wurde; meist bedeutet das dann einen Slot für ein Referat oder eine Panelteilnahme für einen Vertreter/eine Vertreterin des DNI. Schleichend gehört Google selbstverständlich dazu.»

So überrascht es denn auch nicht, dass Google auf eigene Inhalte setzt. Auch wenn sich «Aufbruch Lernen» im Vergleich zu aufwendiger produzierten Content-Magazinen wie «The Red Bulletin» oder Coca Colas «Journey» eher wie eine Werbebroschüre ausnimmt, bedient sich Google derselben Strategie. Durch Content-Marketing schafft sich der Tech-Gigant sein eigenes Medium und damit einen zusätzlichen Verbreitungskanal, über den er direkten Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung nehmen kann. Für die Leser ist «Aufbruch Lernen» eine Mogelpackung. Es gaukelt vor, ein Magazin zur digitalen Bildung zu sein. Dabei sind die Inhalte nichts als durch Journalismus bemäntelte Werbung. Vor dem Hintergrund von Googles zunehmender Einflussnahme in der Presselandschaft wirkt das neue Magazin wie ein trojanisches Pferd in der Zeitung.