von Adrian Lobe

Schweizer Medien gehen mit Alexa, Jana und Nino in die Zukunft

Das Reuters Institute for the Study of Journalism zeigt in einer neuen Studie Anwendungsmöglichkeiten von Zukunftstechnologien wie Augmented Reality und Chatbots im Journalismus an. Die Potenziale sind gross, die Konkurrenz unter den Anbietern aber auch. In der Schweiz experimentieren NZZ und SRG mit den neuen Technologien.

Alexa ist überall. Im Kühlschrank. Im Auto. Im Wohnzimmer. Die Autobauer Ford und VW haben Amazons virtuelle Assistentin in ihre Fahrzeuge integriert. Samsungs Roboter-Staubsauger unterstützt Sprachbefehle mit Alexa. Und nun hat auch die NZZ ein sogenanntes Nachrichten-Skill für Amazons Netzwerklautsprecher lanciert. Vorerst in Deutschland und Österreich kann man sich mit der entsprechenden Soft- und Hardware von Amazon ausgestattet die Nachrichten der NZZ auf Zuruf von Alexa vorlesen lassen.

Sprachsteuerung ist ein Instrument, das sich auch Medienhäuser als Verbreitungskanal zunutze machen können. Nic Newman, Wissenschaftler am Reuters Institute for the Study of Journalism, zeigt in einer aktuellen Studie («Journalism, Media and Technology – Trends and Predictions 2017») einige wichtige Zukunftstechnologien des Journalismus auf.

Die zwei interessantesten Punkte, die sich aus dem 37-Seiten-Bericht entnehmen lassen, sind neben Sprachsteuerung Nachrichtenbots und Augmented Reality. Bots galten lange als das nächste grosse Ding im News-Business, sind jedoch durch Social Bots auf Twitter in Verruf geraten. Meinungsroboter können die öffentlichen Debatten manipulieren und den Diskurs torpedieren. Doch Bots, automatisch agierende Computerprogramme, die selbständig Inhalte generieren können, werden sich langfristig im Nachrichtenjournalismus durchsetzen, ist Newman überzeugt.

Bots sind nicht ganz einfach zu typologisieren. Nicht jeder automatisch produzierte Text stammt von einem Bot. So setzt die Nachrichtenagentur AP eine Software ein, die aus Rohdaten standardisierte Finanz- und Sportmeldungen generiert. Als Bot gilt diese Software aber nicht. Der Medienwissenschaftler Paul Bradshaw differenziert zwischen drei verschiedenen Typen journalistischer Bots, die in den letzten Jahren entwickelt wurden. Erstens: Jene, die automatisch Updates auf Social-Media-Kanälen posten, wenn sie neue Informationen aus einem Feed beziehen. Zweitens: Bots, die auf Anfrage des Nutzers Artikelvorschläge unterbreiten. Drittens: Bots, die Antworten auf Fragen der Nutzer geben.

Seit Facebook seinen Messenger für Chatbots geöffnet hat, wurden bereits über 30’000 Bots entwickelt, die als virtuelle Gegenüber der User einfache Aufgaben ausführen können, wie etwa eine Fahrplanauskunft erteilen oder die aktuelle Wetterprognose mitteilen. Immer mehr Medienhäuser wie das «Wall Street Journal», der «Economist» oder «Guardian» experimentieren mit der Technologie. Der US-Nachrichtensender CNN hat eine ganze Reihe von Chatbots bereitgestellt für unterschiedliche Messenger-Apps wie Kik, Line und sprachgesteuerte Geräte wie den Netzwerklautsprecher Amazon Echo.

Wenn der Anwender den Sprachbefehl «Alexa, enable CNN skill» erteilt, erhält er die neuesten News von CNN. Nachrichten auf Ansage. Auch im Facebook Messenger erhält man Nachrichten on Demand. Wenn man ein Nachrichtenthema als Chat-Mitteilung formuliert, schlägt der Bot automatisch Artikel vor. Der Nutzer hat dann drei Optionen: Die Geschichte lesen, eine Zusammenfassung anfordern oder CNN eine Frage stellen. Die Idee: Man liest nicht mehr nur die Nachrichten, sondern kommuniziert mit dem virtuellen Redaktionsassistenten. Die «New York Times» lancierte einen Chatbot, um den Nutzern die neuesten Updates rund um die US-Präsidentschaftswahl an ihren Messenger zu schicken.

Im deutschsprachigen Raum zählt das Schweizer Radio und Fernsehen SRF zu den Pionieren. Bereits im September 2014 lancierte der Sender einen redaktionellen Whatsapp-Dienst zu den nationalen Abstimmungen. Zwei Jahre später gab es ein Update, das bei den Abstimmungen von Ende November 2016 erprobt wurde. In der Testphase kamen unterschiedliche Bot-Systeme zum Einsatz: von selbstlernenden bis zu klassischen Decision-tree-Vorlagen. «Am Ende bestach uns Letzteres – ein Angebot, das es erlaubt, vordefinierte Pfade für den User anzulegen», schreibt Konrad Weber, der zum Entwicklungsteam gehörte. «Das ermöglicht zum einen zwar einen etwas kleineren Umfang, wie User mit dem Inhalt tatsächlich offen interagieren können, erleichtert aber die User-Führung durch die redaktionellen Inhalte ungemein.»

In der nun vorliegenden Version des virtuellen Assistenten «Janino – der Abstimmungs-Bot von SRF» erklären die beiden digitalen Figuren Jana und Nino die wichtigsten Argumente der Befürworter und Gegner der drei nationalen Abstimmungsvorlagen und zeigen mögliche Auswirkungen auf. Dank einer simplen künstlichen Intelligenz können User ausserdem einzelne freie Stichworte eingeben – der Bot reagiert mit entsprechenden Antworten. Deliberation mal ganz anders – mithilfe künstlicher Intelligenz.

Die Anwendungsfelder scheinen riesig, weiss Nic Newman, der Autor der Reuters-Studie, zu berichten: von sprachbasierten News-Bots, die die Medienplattform «Quartz» mit einem 240’000 Dollar dotierten Stipendium der Knight Foundation selbst entwickelt hat, bis hin zu automatisieren Fakten-Check-Bots, die die französische Zeitung «Le Monde» mit grossem Personalaufwand – in der Einheit «Les Décodeurs» arbeiten 13 Journalisten und Entwickler – betreibt. In einer Umfrage unter Führungskräften aus der Medienbranche, die Studienautor Newman durchführte, gaben 28 Prozent der Befragten an, mit Sprachsteuerungssystemen zu experimentieren. So hat die «Huffington Post» ein News-Briefing für Amazons Sprachsteuerung Alexa entwickelt, sowie ein Quiz für Google Assistant.

Was sagt und das alles? Zum einen braucht es für News nicht unbedingt einen Bildschirm. Andererseits kann zum Bildschirm werden, was vormals nur ein Fenster war: etwa die Windschutzscheibe. Autobauer wie VW und Daimler arbeiten mit Hochdruck an Augmented-Reality-Lösungen, die in selbstfahrenden Fahrzeugen Filme oder Nachrichten auf die Windschutzscheibe projizieren. Die Vision ist, dass wenn der Fahrer sich nicht mehr aufs Fahren konzentrieren muss, das Auto zum Heimkino wird. «Das Auto wird zu einem fahrenden Teil des Internets, in dem viele Oberflächen des Innenraums als Bildgeber und Informationsquelle fungiert», heisst es bei Daimler.

Hier könnten sich ganz neue Allianzen bilden, aber es entsteht auch neue Konkurrenz. Die Frage lautet: Wer liefert die Inhalte ins Auto? Medienhäuser? Technologieunternehmen? Oder die Automobilindustrie selbst? Medienforscher Newman spekuliert in seinem Papier, ob Apple in das Geschäft einsteigen könnte. Der Elektronikkonzern tüftelt bereits an einem eigenen Fahrzeug (Apple Car). Apple-Chef Tim Cook räumt Augmented Reality jedoch grössere Chancen ein als der Schwester Virtuelle Realität, weil der Nutzer mit der Technologie «präsenter» sei.

Der Erfolg von Pokémon Go, bei dem im Sommer vergangenen Jahres tausende Menschen in Innenstädten und an entlegenen Orten virtuelle Monster jagten, zeige, dass AR grosses Potenzial auch für Medienhäuser habe, schreibt Newman. So hat das Start-up «Bloom» eine Art Pokémon-Go-Umgebung für Medien entwickelt. Der Dienst funktioniert so: Eine Zeitung installiert ein Plugin auf ihrer Website, mit dem Redakteure und Produzenten jeden Artikel mit einer Ortskennung versehen können. Der Leser kann mittels einer Suchfunktion auf der Website nach Strasse oder Postleitzahl und damit verbundenen Nachrichten in seiner Umgebung suchen. Medien können in die App Lokalmeldungen einspeisen.

Im Rahmen des Project Jacquard arbeitet Google mit dem Jeanshersteller Levi Strauss an smarten Stoffen, mit denen Bekleidungsstücke in Eingabeinstrumente für Smartphones und andere mobilen Endgeräte verwandelt werden können. Google will Kleider zur Plattform machen. Dazu werden elektrisch leitende Metallfäden und Mikrochips in die Kleidung gewoben, mit denen sich das Smartphone bedienen lässt. Streicht man über den Ärmel, kann ein Anruf angenommen oder die Lautstärke gedimmt werden. Ob eine Bluetooth-Jacke, bei der der Träger zum Sender und Empfänger in einer Person wird, eine erbauliche Zukunftsvision ist, lässt der Autor offen, jedenfalls dürfte sich das Anwendungsgebiet von Wearables verbreitern und nach der eher schleppenden Nutzung von Smartwatches als News-Kanal in den nächsten Jahren den Durchbruch schaffen.

Amazons Strategie, seine Sprachsoftware zur neuen Schaltzentrale im vernetzten Haus zu machen, könnte für Verlage allerdings ein zweischneidiges Schwert sein. Einerseits erreicht man mehr Publikum. Andererseits ist man ähnlich wie bei Google News oder Facebook Instant Articles nicht mehr Herr der Verbreitungswege und begibt sich in weitere Abhängigkeiten der Technolgoie-Giganten. Und wenn Alexa zur neuen Anchorwoman wird – sagt sie auch immer die Wahrheit? Oder plappert sie Fake-News nach? Ist sie vielleicht parteiisch?