von René Zeyer

Wer soll das bezahlen, wer hat soviel Geld?

Jetzt gilt es ernst: Project R geht im Mai auf Geldsuche. 3000 Leserinnen und Leser sollen 750’000 Franken vorschiessen. Das ist kein unrealistisches Ziel. Für einen nachhaltigen Betrieb wird’s dann aber eng. Unser Autor hat gerechnet.

Es hat sich in der Branche herumgesprochen: Constantin Seibt, Christof Moser und inzwischen sieben weitere Mitglieder der «Aufbau-Crew» wollen ein neues Medienorgan in die Welt setzen. Wunderbar. «Journalismus unabhängig von den Grossverlagen», Analyse, Vertiefung, die grosse Reportage, also einfach all das, was der Journalismus mal war, bevor das Internet über ihn hereinbrach. Bevor die Verlage begannen, ihr journalistisches Angebot zu Tode zu sparen und sich in Content Provider zu verwandeln, die Profit wenn schon in erster Linie über Verkaufs- und Dienstleistungsplattformen zu machen, um den dramatischen Schwund an Printinseraten wenigstens teilweise auszugleichen. Wunderbar. Frühstarter wie die Huffington Post und andere US-Blogs wuchsen schnell zu einer ernsthaften Konkurrenz der klassischen Printmedien heran und sind längst etabliert sowie profitabel. Wunderbar.

Nur: Im gesamten deutschen Sprachraum fällt einem kein vergleichbares Beispiel ein, auch die mit grossem Trara gestartete deutsche Ausgabe der Huffington Post dümpelt in weitgehender Bedeutungslosigkeit vor sich hin. Auch die Krautreporter eignen sich schlecht als Vorbild. Die Autorenplattform startete fulminant mit fast einer Million Euro aus einem Crowdfunding und 15’000 zahlenden Lesern. Binnen eines Jahres sprangen aber zwei Drittel der Abonnenten wieder ab. Und in der Schweiz schaffen es auch die Millionen einer spendablen Pharma-Erbin nicht, aus der als Gegenmodell zur bürgerlich gewordenen «Basler Zeitung» geplanten Tageswoche mehr als ein Organ zu machen, das in erster Linie durch Skandale bei der Manipulation der Auflagenhöhe, ständige Wechsel auf den Chefstühlen und Sparmassnahmen durch Entlassungen auffällt.

Umso bewundernswerter ist es, dass nicht nur Constantin Seibt sein beneidenswertes Plätzchen als Edelfeder mit weitgehender Schreibfreiheit beim Tages-Anzeiger aufgab, um sich in ein Abenteuer zu stürzen. Selbst wenn man ihm unterstellte, dass es keine hellseherischen Fähigkeiten braucht, um zu prognostizieren, dass er als 51-Jähriger dort in dieser Position seine Pensionierung wohl nicht erlebt hätte: Chapeau.

Von Intelligenz zeugt auch, dass die Crew von Project R nicht mit der üblichen Blauäugigkeit an die Sache herangeht. Die besteht normalerweise darin, dass vor allem gute Journalisten felsenfest überzeugt sind, dass es doch für exzellente Analysen, rasant gut geschriebene Reportagen, geniale Kommentare, für Hintergründe und Einordnung genügend Leser geben muss, die bereit sind, dafür auch zu bezahlen. Dass dieser Markt sich angesichts des heutigen Elends-Journalismus aus «copy and paste», das Übernehmen von Agentur-Meldungen, also dem Verwursten von zugeliefertem Material, täglich und massiv vergrössert. Mit diesen unschlagbaren Argumenten muss man nur noch Financiers, Investoren, warum nicht auch Mäzene finden, die die handelsüblichen 10 Millionen vorstrecken. Damit werden dann die ersten drei Jahre vorfinanziert, bis das Projekt garantiert den Break-Even erreicht, zumindest selbsttragend ist, um anschliessend Return on Investment zu generieren. Was bislang, im gesamten deutschen Sprachraum, aber noch nie geklappt hat.

Project R macht das anders. Obwohl anscheinend Investoren und Mäzene vorhanden sind, die mit 3,5 Millionen «exakt die Hälfte der sieben Millionen, die wir in fünf Jahren bis zu dem Moment brauchen, in dem das digitale Magazin selbsttragend sein soll», zugesagt haben, soll mit einem Crowdfunding der Markt getestet werden. Konkret: «Damit diese Gelder ausgelöst werden, müssen wir das drittgrösste Crowdfunding überleben, das in der Schweiz je stattgefunden hat. Wir müssen mindestens 3000 Leserinnen und Leser von uns überzeugen und 750’000 Franken sammeln.» Ab Ende April, innerhalb von fünf Wochen. Dazu hätte ich als rechnender Journalist ein paar Fragen. Selbst wenn 3000 potenzielle Leser bereit sein sollten, im Schnitt pro Nase 250 Franken in ein bislang aus einer eher inhaltsleeren Webseite, einer netten Party, zwei Newslettern und einer durchaus kompetenten Crew bestehendes Projekt zu stecken: dann wären laut eigenen Angaben erst der «Aufbau einer Redaktion und die ersten zwei Jahre finanziert». Aber immerhin: «Schaffen wir die Dreiviertelmillion gemeinsam nicht, wird das Projekt liquidiert.»

Ich wage mal die Prognose: Die schaffen das. In der reichen Schweiz gibt es genügend Linke und Alternative, die nicht mal auf den Ausbau ihrer Weinkeller in der Toskana oder in der Provence verzichten müssen, um sich für eine gute Sache von 250 Franken oder mehr zu trennen. Notfalls verzichtet man auf einen Restaurantbesuch, der angesichts der Tatsache, dass man sich die aktuelle Welt kräftig schöntrinken muss, zu zweit auch nicht mit weniger zu Buche schlägt. Soweit also alles im grünen Bereich. Aber mangels anderer schriftlicher Äusserungen muss man sich den Inhalt der Newsletter zur Brust nehmen. Der aktuelle umfasst immerhin knapp 15’000 Anschläge, also eine wohlgefüllte Seite einer Printzeitung. Das kann man natürlich als klares Signal verstehen: kurz und knapp ist dumm, wer hier nach dem ersten Drittel aufgibt, hat sich bereits als potenzieller Leser verabschiedet. Und wer nicht versteht, wieso der Newsletter mit einem gebildeten Ausflug in das Verhör des grossartigen US-Schriftstellers Dashiell Hammett vor dem McCarthy-Ausschuss in den Fünfziger Jahren beginnt, ist entweder ein Banause oder ein übellauniger Kritiker, wenn er darauf hinweist, dass Hammett noch mehr als Hemingway der Meister der kurzen, geraden, schnörkellosen Sätze war. Die noch viel schwerer zu schreiben sind als Thomas Mann’sche Wortgirlanden.

Aber lassen wir die Form, gehen wir zum Inhalt und zu den Zahlen. Project R rechnet also mit mindestens 3000 Lesern, die bereit sind, zu zahlen. Und natürlich vielen mehr, die bereit sind, die Inhalte vollständig oder teilweise gratis zu konsumieren, also höchstens mit Aufmerksamkeit bezahlen. Wenn nun nach den ersten zwei Jahren, die inklusive Aufbau 4,25 Millionen kosten, die nächsten drei Jahre bis zum angepeilten Break-Even mit weiteren 2,75 Millionen finanziert werden müssen, braucht es immerhin genau 11’000 zusätzliche Zahler von 250 Franken. Oder 3700 Leser, die bereit sind, jedes Jahr diesen Betrag zu zahlen. Immer vorausgesetzt, die budgetierten 7 Millionen reichen und die Finanzflussrechnung ergibt nicht, dass man zwar bis Ende Jahr gesehen liquide, aber morgen zwischendurch pleite ist.

Wenn also das geplante Redaktionsbudget, nach Startkosten, aus rund einer Million pro Jahr besteht, bedeutet das, dass neben einigermassen erträglichen Salären der Mannschaft in der Höhe von mindestens einer halben Million plus Kosten der Infrastruktur (ein umfangreicher Webauftritt ist nicht gratis) inklusive Büro von weiteren 100’000 Franken noch 400’000 pro Jahr für den Inhalt übrig bleiben. Also etwas mehr als 33’000 Franken pro Monat. Und wir haben noch gar nicht von den Kosten der Eigenwerbung gesprochen, die bekanntlich im Web auch nicht gratis ist. Eine klassische Reportage, Schreiber und Fotograf, Spesen und Honorar, kostet im Kleinformat mindestens 10’000 Franken, geht’s ins wildere Ausland und dauert es länger als eine Woche, verdoppelt sich der Betrag. Wenn man den lachhaften BR-Ansatz nimmt aus dem Regulativ des längst nicht mehr gültigen Gesamtarbeitsvertrags und auf das Überlebensnotwendige für einen freien Journalisten von 800 Franken pro Tag aufrundet, kostet eine einigermassen seriös recherchierte und weitgehend am Schreibtisch geschriebene Story mindestens 1600 Franken; sind es mehr als eineinhalb Tage Recherche, was bei einem komplizierteren Thema ohne weiteres auf vier oder fünf Tage ansteigen kann, sprechen wir von 4400 Franken, immer unter der Voraussetzung, dass der Journalist in einem halben Tag einen Artikel in der sprachlichen Oberliga schreiben kann.

Damit ergibt sich ein monatlicher Output von vielleicht einem Artikel pro Woche, plus natürlich all das, was den festangestellten Journalisten aus der Feder fliesst. Als ich mich vor vielen Jahren mal einem ähnlichen Traumprojekt hingab, rechnete ich mit einem monatlichen Redaktionsbudget von mindestens 500’000 Franken, aus dem zehn Reportagen und zehn Essays entstehen sollten, nicht mehr und nicht weniger. Kleine Workforce, Infrastruktur und Werbung natürlich extra. Mit Werbeeinnahmen rechnete ich nicht, ebenso wenig schätze ich diese beim Project R; zumindest am Anfang wird der Traffic sowieso viel zu klein sein, um im Werbemarkt attraktiv zu werden. Und ich nehme nicht an, dass Project R Schweinereien wie «Native Advertising» und Ähnliches mitmachen wird.

Umfangreich beschreibt der aktuelle Newsletter auch die juristische Form, die das Project R gefunden hat. Ein kleiner Konzern in Form einer AG und einer Genossenschaft, nicht unähnlich der SRG mit ihrer Trägerschaft und den Sendeunternehmen. Die Genossenschaft soll gemeinnützig sein und nichts weniger als «dem Journalismus seine Rolle in der Demokratie sichern», sie ist «mitglieder-, spenden- und stiftungsfinanziert». Die AG soll das digitale Magazin herstellen und Marketing betreiben. Mit dieser Struktur soll natürlich in erster Linie die Machtfrage gelöst werden. Wer zahlt, befiehlt, das gilt überall. In diesem Modell hat die Genossenschaft das übliche Prinzip «ein Genossenschafter, eine Stimme», unabhängig von seinen Einlagen. Diese Genossenschaft, als Sammlung der Leser verstanden, hält «etwas über 40 Prozent» der AG, die Mitarbeitenden «halten knapp unter 40 Prozent der Aktien». Die Investoren «kontrollieren rund 20 Prozent des Aktienkapitals. Sie werden jedoch, im Falle eines Gewinns, bei der Ausschüttung finanziell bevorzugt». Damit soll eine «Machtbalance» zwischen Publikum, Mitarbeitern und Investoren hergestellt werden. Aber das ausgeklügelte Modell löst natürlich das Problem nicht, dass kein normaler Investor bereit ist, für aktuell 3,5 Millionen nur 20 Prozent der Aktien zu erhalten, während die Genossenschafter für geplante 750’000 Franken mehr als 40 Prozent bekommen, und die Mitarbeiter für einen unbekannten Betrag ebenfalls knapp 40 Prozent. Und wenn dann noch das Aktienkapital durch die Ausgabe von neuen Aktien (für neue Mitarbeiter oder zur Kapitalaufnahme) verwässert wird, ginge jedem normalen Investor sowieso der Hut hoch. Da das Problem der Machtbalance innerhalb von «wer zahlt, befiehlt» nicht für alle Beteiligten befriedigend gelöst werden kann, geschieht es hier schlichtweg auf Kosten des Investors. Kann man machen, wenn man Geldgeber findet, die sich darauf einlassen, dass sie zwar kräftig abdrücken, aber faktisch nichts zu bestimmen haben.

Wir fassen zusammen: Meine Mitarbeit habt Ihr auf sicher, wenn gewünscht. Ansonsten alles Glück der Welt, Ihr werdet’s brauchen.

Leserbeiträge

Marion Ronca 16. März 2017, 09:39

Das Project R hat eine edelmütige Mission, den Journalismus zu retten, bevor die Verlage ihn in den Abgrund reissen. Damit verkauft das Projekt, im Moment zumindest, hauptsächlich Idealismus. Nur: Idealismus überzeugt vor allem in Form von Charity oder eines Coup de coeur, will heissen, er muss emotional berühren. Ob das dem Projekt gelingt, ist fraglich, setzt er gegenwärtig vor allem auf eine durch und durch intellektuelle Argumentation, warum guter Journalismus für die Gesellschaft (und den Erhalt der Demokratie) wichtig ist. Diese Botschaft dürfte vor allem engagierte Journalisten und medienaffine Bildungsbürger erreichen, doch reichen diese als Publikum aus und sind sie auch bereit dafür zu zahlen?