von Lothar Struck

Alternativen von lechts und rinks

Die Geisselung von «Lügenpresse» und «Mainstream-Medien» verbindet rechte und linke Kritik an den herrschenden Verhältnissen. So überrascht es auch nicht, wenn sich Publikationen auf beiden Seiten des politischen Spektrums, die sich als Alternative zum real existierenden Journalismus anpreisen, in Ton und Themen gleichen. Ein Blick auf «Rubikon» mit Seitenblicken auf «Tichys Einblicke».

In den letzten Jahren haben sich vor allem viele konservative bis rechtspopulistische Medienangebote im Netz gegründet. Diese werden – vollkommen zu Recht – kritisch beobachtet, unterliegen jedoch zum Teil übertrieben skandalisierenden Beurteilungen. Als auf der Facebook-Seite des «Europäischen Journalismus-Observatoriums» EJO ein Text von «Tichys Einblick» (TE) verlinkt wurde, hagelte es Proteste . Man dürfe doch einem rechtsradikalen Organ keine derartige Plattform bieten. Tatsächlich sind die Texte auf Tichys Einblick qualitativ äusserst unterschiedlich. Eine Pauschalverurteilung ist demzufolge unzulässig, erleichtert aber scheinbar die politische Orientierung.

Wie stark das Lagerdenken ausgeprägt ist, zeigte sich auch kürzlich anhand der Empörung über die hochdekorierte und als journalistische Ikone mit «Haltung» verehrte ZDF-Moderatorin und Journalistin Dunja Hayali. Sie, die sich aufgrund ihres Engagements mehrfach verbalen rassistischen Übergriffen ausgesetzt sah, gab der rechtskonservativen Wochenzeitung «Junge Freiheit» ein Interview. In der Vergangenheit galt ein solcher Dialogversuch als politischer Selbstmord; bei Hayali übt man Nachsicht. Zahlreiche sich als kritisch verstehende Internetmedien, etwas das Bildblog, verlinken nicht auf Artikel der «Jungen Freiheit».

Aber keine Sorge: Dem linksintellektuellen Spektrum wird vor lauter Ge- und Verboten nicht der Lesestoff ausgehen, denn in den nächsten Tagen wird ein neues Medium aus dieser politischen Richtung starten. Dabei ist schon der Name «Rubikon» interessant, weil er an ein historisches Ereignis erinnert, dass einen Bürgerkrieg auslöste. Es wäre allerdings verwegen, wollte man eine ähnliche Absicht den Gründern unterstellen; auf der Seite gibt es denn auch unterschiedliche Interpretationen, die mit dem Namen eher einen Aufbruch signalisieren sollen.

Im «Beirat» des neuen Magazins findet man aktuell 23 AutorInnen mit einem Durchschnittsalter von 66 Jahren. Einige Namen kennt man von anderen linken Publikationen wie den «Nachdenkseiten» oder «Linksnet». Prominente Mitglieder sind unter anderem der Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser, die Publizistin Daniela Dahn, der Bildungsphilosoph Matthias Burchardt, Medienkritiker Walter van Rossum, der Politikwissenschaftler Jörg Becker sowie der Musiker und Schauspieler Konstantin Wecker. Des Weiteren gehören die linken Journalistinnen und Publizisten Karin Leukefeld, Gaby Weber, Publizisten Werner Rügemer und Hannes Hofbauer dazu, sowie der Kabarettist Arnulf Rating und der Psychologe Rainer Mausfeld. Letzterer erlangte 2015 durch seinen Vortrag «Warum schweigen die Lämmer? – Techniken des Meinungs- und Empörungsmanagements», der bei Youtube inzwischen mehr als 500’000 Klicks gerierte (zusammengenommen hier und hier), virale Berühmtheit.

Auch wenn man einige Mitglieder des Autorenkollektivs nicht kennen sollte, kann man an den Vorstellungen auf der entsprechenden «Rubikon»-Seite die Richtung des Magazins «für die kritische Masse» deutlich erkennen. Es brauche «mutigen Journalismus, der ohne politische Scheuklappen gegen die zerstörerischen Kräfte des Kapitals anschreibt», stellt Hannes Hofbauer fest und Gaby Weber weiss, dass in den Medien «systematisch desinformiert wird». «Rubikon» soll, so Rainer Mausfeld, «neue Wege der intellektuellen Selbstverteidigung» aufzeigen und damit der «permanenten Gehirnwäsche durch die Meinungs- und Erziehungsindustrie» (Conrad Schuhler, «Volkswirt») trotzen.

Nicht nur die Bekenntnisse zu «Aufklärung» und «Klartext» erinnern verblüffend an das Selbstverständnis der Autoren von «Tichys Einblick». Wie «Rubikon» versteht sich auch das liberal-konservative Magazin des ehemaligen Wirtschaftswoche-Chefs Roland Tichy als notwendiges Korrektiv innerhalb einer vom Zerfall bedrohten Demokratie. Will sagen: Genau dieses Medium ist notwendig, um diese zu erhalten. Auf einigen Gebieten fallen die Diagnosen zwischen der konservativen und der linken Alternativpublizistik nahezu identisch aus. Man kritisiert Einseitigkeiten und Lückenhaftigkeiten der Leitmedien und will sich gegen den herrschenden Diskurs stellen. Der eigene Journalismus ist natürlich «kritisch» («Rubikon») bzw. «unabhängig» (TE). Öffentlich-rechtliche Medien werden als «Staatsfunk» bezeichnet (TE), die «nachgewiesene[n] regierungstreue[n] Manipulationen, Falschmeldungen, Halbwahrheiten, Tendenzberichte[n] und Meinungsmache» (Rubikon) verbreiten.

Die diagnostischen Übereinstimmungen zwischen beiden Lagern bleiben noch in der Bewertung des deutschen politischen Status quo erhalten. In beiden Medien wird konstatiert, dass das Volk zu wenig an der politischen Willensbildung beteiligt sei. Das eigentlich linke Projekt von «mehr Demokratie» wird auch bei den meisten Autoren von «Tichys Einblick» verfochten. Einig ist man sich auch in der negativen Bewertung der aktuellen politischen Parteien. Hier wie dort ist Angela Merkel mehr als nur eine politische Gegnerin. Auch SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz wird lagerübergreifend negativ kommentiert.

In einem der bisher erschienenen Texte auf der «Rubikon» eskaliert dieses Feindbild in einer Dimension, die man bisher eher AfD- oder Pegida-nahen Publikationen zugeschrieben hätte. In seinem Text «Die deutsche Musterschülerin» berichtet Werner Rügemer von den Treffen Angela Merkels mit Donald Trump in Washington. Merkel, bei Rügemer mal «der sprechende Hosenanzug mit den mechanischen Bewegungen» und an anderer Stelle die «gefakete Flüchtlingsfreundin» sei «noch jedem US-Präsidenten in den Arsch gekrochen, den sie erreichen konnte» und bei Obama, dem «gefaketen Nobelpreisträger», höre es nicht auf. Der Autor war wohl bei den Treffen dabei und besitzt intime Detailkenntnisse, denn anders sind seine Schlussfolgerungen wie «Merkel ist korrupt, dabei sogar zum billigst denkbaren Preis, sie bekommt weniger als ein Mittelstands-Geschäftsführer. Sie ist sozusagen nicht käuflich, ganz und gar unschuldig und schuldlos» nicht zu erklären. «Sachlich» und «präzise» möchte man die Zielgruppe informieren. Nicht nur aus diesem Grund darf man sich wünschen, dass dieses Geschwafel nicht repräsentativ für das neue Medium ist.

Die Gemeinsamkeiten zwischen «Tichys Einblick» und «Rubikon» enden allerdings bei der Bewertung der gesellschaftspolitischen, ökonomischen und geostrategischen Probleme. So sind einige Beirats-Mitglieder über die Medienkritik an der Berichterstattung zum Russland-/Ukraine-/Krimkonflikt hinaus durch dezidiert pro-russische Stellungnahmen aufgefallen. Andere Autoren beschäftigen sich ausgiebig mit den geopolitischen Verfehlungen der USA; von einem dezidierten Antiamerikanismus zu sprechen wäre allerdings zu früh. In bester linker Tradition wird das kapitalistische Wirtschaftsmodell (und besonders der «Neoliberalismus», sowie die Globalisierung) angegriffen. Und naturgemäss beschäftigt sich einer der ersten Artikel mit dem Verhältnis zwischen Israel und Palästina (durchaus mit Schlagseite).

Ein wenig überraschend hingegen ist Hannes Hofbauers Beitrag über die «politisch korrekte Ausländerfeindlichkeit auf EU-Ebene», mit der er die sogenannten Redeverbote für türkische Politiker kritisiert (es handelt sich, wenn überhaupt, um Auftrittsverbote). Hofbauer erkennt hierin eine Schwächung der Demokratie in Deutschland aus. So abwegig man diese These auch finden mag, so interessant sind immerhin die gefundenen Parallelen zu Auftritten westlicher Politiker auf dem Maidan in Kiew Ende 2013.

Der bisherige publizistische Höhepunkt der Seite ist die Veröffentlichung des Vortrags «Kooperation oder Konfrontation mit Russland» von Daniela Dahn auf der Münchner Friedenskonferenz 2017, die zeitgleich zur ungleich bekannteren Münchner Sicherheitskonferenz stattfand. Dahn lotet hier behutsam sicherheits- und friedenspolitische Aspekte zum Verhältnis des Westens zu und mit Russland aus. Man muss ihren Thesen nicht immer zustimmen, aber die Durchdringung der Materie ist tief und durchaus aufschlussreich.

Es bleibt nach dem ersten Blick auf das neue Magazin abzuwarten, ob «Rubikon» den Parallelweltjournalismus, wie man ihn bisher von rechts kannte, einfach nur auf der linken Seite fortschreibt oder mit pluralistischen Positionen jenseits festgefahrener Doktrin zu überraschen vermag. In der «Selbstverständnis»-Erklärung wird «scharfe[r] Verstand, unzerstörbare Empathie, siedende[r] Spott und gelegentlich eine leidenschaftlich geschwungenen Keule mit der neonknallbunten Aufschrift ‹Moral›» versprochen. Erste Stichproben hinterlassen ein zwiespältiges Gefühl. Manche Autoren sind schlichtweg zu sehr schon eine eigene Marke. Aber so erstrebenswert ein journalistisch-publizistisches Profil auch sein mag – wenn man am Ende schon am Autor die Tendenz eines Artikels erahnen kann, droht ganz schnell die Langeweile.

Das erinnert an meine Expeditionen Mitte der 1970er Jahre auf Kurzwelle. Zugegeben, der Empfang war oft miserabel, es gab häufig Interferenzen mit anderen Sendern und insbesondere das Schwanken der Empfangslautstärke trübte den Hörgenuss. Mehr als 30 Länder sendeten speziell produzierte Auslandsprogramme in deutscher Sprache, neben vielen westlichen Sendern wie der BBC und dem französischen Auslandsdienst (zunächst ORTF, dann Radio France International) eben auch NHK Tokio, Radio Canada International und der südafrikanische Regierungssender RSA. Zunächst am interessantesten waren aber die osteuropäischen vulgo: kommunistischen Sender; von Warschau über Prag, Bukarest, Sofia bis Moskau. Sogar Radio Peking hatte deutschsprachige Programme. Wenn man den fundamental-marxistischen, schnell ungeniessbaren Ismus-Jargon von Radio Tirana einmal ausklammerte, waren die Nachrichten- und Informationssendungen zunächst durchaus interessant, zeigten sie doch teilweise andere politische Sichtweisen als man dies in den gängigen öffentlich-rechtlichen Medien oder der Zeitung zu lesen bekam. Schrieb man die Sender an, erhielt man noch zusätzlich umfangreiches Material (fast alles in Deutsch). Den Begriff «Fake-News» gab es nicht, aber ein anderer Begriff war für diese Art der Berichterstattung schnell gefunden: «Propaganda».

Propaganda, Hetze, Lügen – das betrieben immer nur die anderen. Man selber sprach die Wahrheit. Insofern war das alles nichts Neues. Man konnte hören, dass die Apartheid in Südafrika gar nicht so schlimm, die sowjetische Politik nur den Frieden wollte, die CDU-Opposition in Deutschland quasi faschistisch und der «Grosse Sprung nach vorn» ein grosser Fortschritt für das chinesische Volk gewesen war. So faszinierend diese Welt zu Beginn war, so schnell folgte die Ernüchterung: Als nachrichtliches Korrektiv taugten die Sendungen kaum. Der Versuch, die Wahrheit aufzuspüren in dem man mehrere differierende einseitige Berichterstattungen zur Kenntnis nimmt, war auf diese Weise nicht möglich. Immerhin konnte man lernen, zwischen den Zeilen Nuancen wahrnehmen.

Die unterschiedlichen ideologischen Sichtweisen sind auch nach dem Ende des Kalten Krieges geblieben. Längst haben sich im Internet medial multipolare Informationsströme gebildet, die den Nachrichtenrezipienten vor immer grössere Herausforderungen stellt. Was ist Fakt und was Lüge? Wer interpretiert wie eine Statistik? Und was geschieht eigentlich, wenn es am Ende keine Wahrheit geben soll? Was bedeutet es, wenn «alternative Fakten» aufgestellt werden? Der ehemalige «Spiegel»-Chefredakteur und heutige «Welt»-Herausgeber Stefan Aust warnt inzwischen davor, den Begriff der «Wahrheit» in Bezug auf Informationen zu einem quasireligiösen Begriff hochzustilisieren. Viele Informationen seien auf unterschiedliche Art interpretierbar. Journalisten sollen verbreiten «was ist und was man sieht» und dabei möglichst transparent machen, «wie man zu diesen Informationen gekommen ist». Die Trennung von Information und Kommentar, einst eine Art Gesetz des Journalismus, würde damit praktisch aufgehoben. «Alternativmedien» wie «Tichys Einblick» oder nun auch «Rubikon» unterlaufen das Trennungspostulat per definitionem, huldigen sie doch einer bestimmten Weltsicht und predigen zu den bereits Bekehrten.

Leserbeiträge

Remo 17. Juni 2018, 20:15

Zum Zitat: „Zahlreiche sich als kritisch verstehende Internetmedien, etwas das Bildblog, verlinken nicht auf Artikel der «Jungen Freiheit».“

Ob das was bringt, je nach Position nicht auf die WOZ oder die Schweizerzeit oder in Deutschland nicht auf TAZ oder Junge Freiheit zu verlinken?

Es gibt etliche Fälle, wo grad diese links- oder rechts-außen stehenden Medien Ansichten über Fälle bringen, welche die Konzernmedien und Staatsmedien oftmals nicht bringen.

Gutes Beispiel jüngst die linksstehende Publikation „Die Republik“. Der Fall Quadroni wurde vom Großmedium Südostschweiz (Somedia) einfach nicht tiefgehend behandelt, im Gegenteil. Es wurden Journalisten entlassen, die das tun wollten.
Die Weltwoche brachte dann die Gegensicht zu „Die Republik“.

Und der Leser kann sich eine eigene Meinung bilden, was nun stimmt. Welch ein Verlust, gäbe es diese „Außen“-Medien (linksaußen, rechtsaußen) nicht.

Selbst kleine lokale Medien wie Domleschger Zeitung bringen andere Ansichten als die der Großkonzern- / Staatsmedien.

DZ war die erste Publikation, die recherchierte in Sachen Obermutten / Jung von Matt / Graubünden Ferien und schrieb, daß die kostspielige, Steuergelder verbrennende Facebook-Aktion nichts gebracht hat.

Die Südostschweiz? (Großwerbekunde ist Graubünden Ferien) Nichts brachte sie, nur Lobhudelei. Bis schließlich außerkantonale Medien wie 20 Min schrieben „Obermutten-Aktion läßt Touristiker kalt“

Inzwischen gibt es die Gemeinde Obermutten nichtmal mehr. So „erfolgreich“ war das Ganze, soviel hat es gebracht. Und die Schule ist auch weg usw.

Daher: Ganz egal, welche Position vertreten wird, ist Vielfalt immer besser als Einfalt.

Cem Özgönül 11. Oktober 2018, 11:35

Mitnichten handelte es sich „nur“ um Auftrittsverbote. Es waren tatsächlich Redeverbote, die vom Bundesverfassungsgericht durch den Rekurs auf die Staatenimmunität recht originell abgesegnet wurden.