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Jay Rosen

«Und was ist Ihre Agenda?»

Nach drei Monaten Forschungsaufenthalt in Deutschland zieht der New Yorker Journalismus-Professor Jay Rosen Bilanz. Dazu sprach er mit 53 Medienschaffenden auf allen Stufen, quer durch alle Redaktionen. Seine Sicht auf den real existierenden deutschen Journalismus und seine Herausforderungen schliesst er mit einer einfachen Empfehlung, wie dem Vertrauensverlust begegnet werden könnte: «Ich werde derjenigen deutschen Redaktion eine Goldmedaille verleihen, die als erste ihre Schwerpunkte in der Berichterstattung öffentlich macht. Ich stelle mir eine Live-Funktion vor, die online frei zugänglich ist, ein redaktionelles Produkt, das wöchentlich oder bei wichtigen Ereignissen aktualisiert wird. Die Punkte auf dieser Prioritätenliste sollten das Ergebnis gründlicher Überlegungen und sorgfältiger Recherchen sein – und natürlich müssen sie die Realität spiegeln und bei den Bürgern ankommen.» Frage dann jemand, «und was ist Ihre Agenda», antworte man einfach mit dieser Liste.

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«Wer über Rechtspopulismus einfach nur berichtet, wird ein Teil von ihm.»

Seit der New Yorker Journalismus-Professor Jay Rosen für ein Gastsemester in Deutschland weilt, ist er ein gefragter Gesprächspartner. Auf «Zeit Online» erklärt Rosen unter anderem, wie Medienschaffende mit Figuren wie Donald Trump oder politischen Parteien wie der AfD umgehen sollen. «Es ist auf jeden Fall gut, sich von den Angriffen des Präsidenten nicht ablenken zu lassen und weiter seine Arbeit zu machen. Lasst euch nicht von seinem Twitter-Feed irritieren, reagiert nicht auf alles, was er tut. Lasst die Beleidigungen unkommentiert», empfiehlt er. Gleichzeitig reiche der Ansatz nicht mehr, einfach zu sagen: «Das ist passiert, also berichten wir darüber.» Denn wer über Rechtspopulismus nur berichte, werde ein Teil von ihm.

Warum es so wichtig ist, dass Journalisten einen Standpunkt vertreten

Der bekannte Journalismusforscher Jay Rosen erklärt im Interview mit dem Deutschlandfunk, weshalb Medienschaffende einen Standpunkt vertreten müssen und sich nicht mehr länger hinter den Fakten verstecken können. Das Publikum vertraue dieser Erzählung nicht mehr länger, die da lautet: «Wir haben keinen Standpunkt, wir haben keine Ideologie, wir haben keine Philosophie, wir haben keine Interessen und keine Beteiligungen. Wir haben keine Vorurteile, wir versuchen niemanden zu überzeugen. Wir liefern nur die Fakten.» Wenn das Publikum – Rosen bezieht sich auf seine Beobachtungen aus den USA – diesem Argument misstraue, bringe es nichts, dieses einfach zu wiederholen. Es sei viel einfacher, Journalisten zu vertrauen, die so argumentieren: «Das ist mein Hintergrund. Und ausserdem habe ich sehr viel Recherchearbeit geleistet, Fakten gesammelt, viele Menschen befragt, Dokumente aufgetrieben, habe mich in dieses Thema eingearbeitet.» Weiter im Gespräch erklärt Rosen, warum er den Politik-Journalismus für kaputt hält; er sei zur Insider-Berichterstattung verkommen, die nichts mehr mit dem Alltag der Menschen zu tun habe.

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Das Märchen der Objektivität

Bei Journalisten werden menschliche Neigungen offenbar ignoriert. Man nimmt an, es handle sich bei ihnen um Personen ohne Machtstreben, die nur der Wahrheit verpflichtet sind. Nehmen wir Matthias Aebischer: Während 18 Jahren arbeitete er als Moderator und Redaktor völlig neutral für das Schweizer Fernsehen, unter anderem für die durchaus politischen Formate “Tagesschau” und “Club”. Im Weiterlesen …