von Urs Gossweiler

Schawi, de Weck und die neue SRG

Gastbeitrag von Urs Gossweiler, Verleger der Jungfrau Zeitung und Präsidiumsmitglied Verband Schweizer Medien

Das grosse Thema von heute waren weder die Unruhen in Ägypten noch der straffällig gewordene Sozialtherapeut. Das grosse Thema heute war Roger Schawinski, der zu seiner «ersten Liebe», dem Schweizer Fernsehen, zurückkehrt. Dabei ist seine Abkehr vom Anti-SRG-Kurs gar keine Überraschung. Bereits Mitte der 90-er Jahre hatte sich Schawinski für den Posten des SRG-Generaldirektors beworben. Armin Walpen machte jedoch das Rennen. Spannender und genialer ist die Geschichte aus der Sicht von Roger de Weck: Er integriert einen der grössten Kritiker der SRG gleich ins System und macht ihn somit mundtot.

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De Weck vollzieht nötigen Wandel

Beim Thema SRG spielt Schawinski jedoch nur eine Nebenrolle. Die Hauptrolle hat der neue Kapitän Roger de Weck, den ich 1993 das erste Mal traf. Der jetzige SRG-Generaldirektor war zu der Zeit Chefredaktor des Zürcher Tages-Anzeigers. Sein damaliger Verleger Hans Heinrich Coninx brachte uns zusammen. Ich sollte de Weck und den übrigen Managern von Tamedia meine Vision der Medienintegration vorstellen. Ich vertrat damals wie heute die Ansicht, dass durch die Digitalisierung die Mauern zwischen den elektronischen und gedruckten Medien eingerissen werden. Zudem entstehe eine neue Plattform, die die Medienkonsumenten und die Medienproduzenten online miteinander verbinde. Das Wort Internet existierte damals noch nicht in Medienkreisen. Heute, rund zwei Jahrzehnte später, vollzieht Roger de Weck diesen Wandel beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Schweiz und provoziert damit seinen ehemaligen Arbeitgeber in Zürich und alle anderen privaten Medienhäuser massiv. Die SRG breitet sich auf allen Kanälen weiter aus und will nun – trotz einem jährlichen Budget von 1,6 Milliarden Franken (!) – auch die eigenen Webdienste mit kommerzieller Werbung anreichern. Damit drängt sie die privaten Anbieter endgültig an den Rand. Der Bundesrat zögert offiziell noch, der SRG diese letzte Hürde aus dem Weg zu räumen. Wie immer, wenn der Veranstalter der «Arena» etwas von den Politikern will, sagen diese aber am Ende ja. Vorher soll sich die SRG allerdings mit den Verlegern gütlich einigen.

Mit der SRG ins Boot steigen, lohnt sich nicht

Wir Verleger wiederum sind schon oft mit der SRG ins gleiche Boot gestiegen, um ein paar Jahre später als Verlierer wieder auszusteigen. Dies war so bei der Einführung der TV-Spots, als eine gemeinsame Vermarktungsgesellschaft gegründet wurde. Später beim Gebührensplitting für ein paar private TV-Stationen. Nun soll eine unheilige Allianz im Web entstehen. Diesmal erweckt es zumindest den Anschein, dass die Verleger dies nicht wollen. Doch kann man der SRG den Weiterausbau im Internet verbieten? Natürlich nicht. Klassisches Fernsehen wird sich in den nächsten Jahren rasant verändern. Insbesondere bei der Distribution. Webbasierende Dienste wie Zattoo, Wilmaa, kino.to, Newssites von TV-Stationen oder Video-on-Demand auf dem iPad sind nur einige davon. Dieser Entwicklung kann und darf sich die SRG nicht verschliessen. Roger de Weck hat dies erkannt. Erst seit Anfang Jahr im Amt, drückt er mächtig auf die Tube. Sowohl intern mittels Fusion von Radio und TV in den jeweiligen vier Landesteilen als auch gegen Aussen mittels politischem Lobbying.

De Weck weckt hohe Erwartungshaltung

Soll man die SRG also gewähren lassen? Von wegen! Vielmehr braucht es endlich eine klare Strategie wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit dem vielen, vielen Steuergeld dem Land einen wirklichen Dienst erweisen kann. Dem brillanten Kopf de Weck einen Ratschlag zu geben, ist vermessen. Doch ein bisschen mehr Offenheit gegenüber der Welt und mehr Interesse an einer vielfältigen Medienkultur würde man der Spitze der SRG derzeit wünschen. Letztmals traf ich de Weck an der Dreikönigstagung des Schweizer Medieninstituts in Zürich. Im Zürcher World Trade Center – gegenüber vom Leutschenbach – hielt der Intellektuelle seine erste Grundsatzrede als SRG-Generaldirektor. Er beklagte die starke ausländische Konkurrenz, forderte mehr finanzielle Mittel und pochte trotzig auf eine autonome Schweizer Lösung. Der sonst glühende Verfechter einer europäischen Integration sprach bei dieser Tagung eher wie ein Bauernverbandspräsident oder wie der Migrationsbeauftragte der SVP (alles Böse kommt aus dem Ausland). Von der de Weck-geführten SRG erwarte ich mehr, als mit staatlich verordneten Gebührengeldern die private Konkurrenz zu erdrücken. Die SRG sollte drei Schwerpunkte verfolgen:
Förderung der Integration und des Informationsaustauschs zwischen den Landesteilen – Weltweite Verbreitung von freien, neutralen Informationen – Internationale Stärkung des Medienplatzes Schweiz

Regionale Isolation statt Integration

1994 bewilligte der damalige Medienminister Adolf Ogi dem Intendanten Roy Oppenheim den neuen SRG-Sender Schweiz 4. Oppenheim wollte damit eine Art «Best of» aller SRG-Sender, ausgestrahlt in allen vier Landesteilen, lancieren. Nach jahrelangem Kampf gelang es dem Deutschschweizer Programmdirektor Peter Schellenberg Schweiz 4 in SF 2 umzuwandeln. Statt mehr Schweiz für alle Landesteile erhielt die Region Deutschschweiz zwei TV-Kanäle. Logischerweise wollten dies kurzum auch die Romandie und das Tessin. Statt die Integration unter den Landesteilen zu fördern, zementierte die SRG den Röstigraben und erhöhte auf sprachregionaler Ebene die Schlagkraft bei gleichbleibender Isolation. Bewilligt hat dies der Zürcher Medienminister Moritz Leuenberger. Dieser ist auch verantwortlich für eine isolationistische Radio- und Lokal-TV-Landschaft.

Gesamtschweizerisches Programm

In unserer Familie gibt es die schöne Tradition, dass alle 30 Jahre ein Gossweiler die Rekrutenschule in Fribourg absolviert. Dadurch kommt man als Deutschschweizer mit der Französisch sprechenden Schweiz in Berührung. Die Armee bildet so eine Brückenfunktion zwischen den Landesteilen. Heute hat der Fribourger de Weck die Chance, mit seiner SRG wirkungsvoller das Gleiche zu tun. Das bedeutet mehr Koproduktionen zwischen den Landesteilen, mehr mehrsprachige Programme und mehr gesamtschweizerische Aktionen. Dies bringt zwar nicht mehr Quote, jedoch mehr Zusammenhalt und gegenseitiges Verständnis zwischen Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch sprechenden Schweizern. Eine mögliche Massnahme wäre die Einstellung aller zweiten Senderketten der Sprachregion, bei gleichzeitigem Aufbau eines echten, mehrsprachigen und gesamtschweizerischen Programms. Die dadurch erzielten, hohen Einsparungen fliessen in den internationalen Ausbau der SRG.

SRG als internationaler Informationsdienstleister

Wie Henry Dunant im 19. Jahrhundert die Vision umsetzte, dass die Schweiz der ganzen Welt humanitäre Dienste erweisen kann, könnte Roger de Weck im 21. Jahrhundert der ganzen Welt freie Informationen liefern. Nicht flächendeckend, jedoch mit Fokus auf Krisengebiete. Eines davon ist beispielsweise der Balkan. Politisch noch nicht gefestigt, mit einer hohen Anzahl Emigranten in der Schweiz, ist diese Weltgegend sehr wichtig für die Weiterentwicklung von Europa. Unlängst hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk Grossbritanniens, die BBC, angekündigt, aus Kostengründen die Newsdienste in Serbischer, Mazedonischer und Albanischer Sprache zu streichen. Dies ist umso bedauerlicher, da in diesen Ländern die freie Presse noch nicht gewährleistet ist. Hier könnte die SRG nun im Interesse der Schweiz und Europa in die Bresche springen. Auch in Ungarn, wo die neue Regierung in Budapest zunehmend die freien Informationsangebote zensiert, könnte die SRG zur unabhängigen Meinungsbildung beitragen. Weitere Tätigkeitsfelder: Russland, China oder Iran. Mit diesen Diensten würde die Zivilgesellschaft vor Ort und das Image der Schweiz weltweit als neutraler, freier Staat gestärkt. Derzeit passiert bei der SRG genau das Gegenteil. Swissinfo, das in Ansätzen solche Ziele verfolgt, muss von Jahr zu Jahr mehr sparen, damit die SRG das Geld im Kampf gegen die inländische private Konkurrenz zur Verfügung hat.

Für einen starken Medienplatz Schweiz

Darüber hinaus könnte Roger de Weck den Medienplatz Schweiz insgesamt stärken. Fernsehschaffende aus aller Welt sollten sich hier treffen, um Ideen auszutauschen, Know-how-Transfer zu gewährleisten und die internationale Pressefreiheit zu stärken. Mit der Goldenen Rose von Montreux führte die SRG während Jahrzehnten eine der wichtigsten TV-Messen durch. Gleichzeitig produzierte sie am Schluss eine Unterhaltungssendung, die weltweit ausgestrahlt wurde. Statt diese geniale Idee weiter auszubauen, verkaufte die SRG den gesamten Event. Heute findet die Goldene Rose in Luzern unter Ausschluss der internationalen Medienszene statt.

Wegbereiter de Weck

Zwischen unserem ersten Treffen 1993 und dem vorerst letzten im 2011, traf ich Roger de Weck noch ein einziges Mal. Es war vor ein paar Jahren, als Roger Köppel, Verleger und Chefredaktor der Weltwoche, einen runden Geburtstag feierte. Er tat dies in Berlin, weil er damals als Chef der Tageszeitung Die Welt amtete. Eingeladen war auch Roger Schawinski, zu der Zeit als Chef von Sat.1 ebenfalls in Berlin wohnhaft. Den beiden den Weg geebnet hat der dritte Roger, nämlich Roger de Weck, als Chefredaktor der Zeit in Hamburg. Es erfüllte mich als Schweizer Verleger mit Stolz, mit diesen drei Rogers in Berlin zu feiern. Heute wünsche ich mir, dass Roger de Weck als neuer SRG-Generaldirektor wiederum ein Wegbereiter wird. Ein Wegbereiter für eine integrationsfördernde, weltoffene und innovationsstarke SRG.

Leserbeiträge

Christian Dreyer 03. Februar 2011, 21:04

Interessant, wenn auch die Perspektive des zur Zwangsabgabe verpflichteten Medienkonsumenten fast ausgeblendet wird. Ich würde gerne auf die SRG-Kanäle aller Art verzichten, aber selbstverständlich nicht auf alle elektronischen Medien. Heute kann ich das nicht, weil ich zur Zwangsabgabe verpflichtet bin, wenn ich auch nur einen Computer am Internet habe.
Dabei müsste es doch zB für Cablecom ein Leichtes sein, ein Kombiangebot TV/Internet zu schaffen, in dem keine SRG Produkte enthalten sind (keine Sender, und die entsprechenden websites gefiltert). Dafür wäre ich sogar bereit, zusätzlich zu bezahlen. Zudem würde die SRG dort dem Wettbewerb ausgesetzt, wo es ihr weh tut.

/sms ;-) 05. Februar 2011, 21:16

wow! – danke für diesen ein- & ausblick!