von Ronnie Grob

Ein heilsamer Schock

Für das linke Basel war der Besitzerwechsel der Basler Zeitung ein Schock; wie sich nun zeigt ein heilsamer. Als Reaktion auf den publizistischen Kurswechsel entstand das Projekt zur Gründung einer neuen Wochenzeitung mit tagesaktueller Online-Ausgabe. Und die Konkurrenz aus dem Aargau schläft auch nicht und intensiviert die Berichterstattung. Traumhafte Verhältnisse im kleinen Basel: Statt einer langweiligen stehen dem Publikum bald zwei Tageszeitungen und eine Sonntagszeitung zur Auswahl. Doch ist die BaZ wirklich ein «SVP-Kampfblatt», wie es sogar in der Berliner «taz» zu lesen war? Ein Blick in die Zeitung zeigt Überraschendes.

Schweizer Medien berichten nicht oft über Medien oder über die Kreise, die hinter Zeitungen stehen. Es sei denn, es geht um Publikationen, die explizit nicht links sind. Dann überbieten sie sich mit Artikeln. Die «NZZ am Sonntag» hat mit Francesco Benini sogar eigens einen Journalisten dafür. Sobald sich etwas bewegt in der Medienszene und Roger Köppel, Markus Somm oder Christoph Blocher daran beteiligt sind, schreibt er Artikel, die nicht nur viel beachtet, sondern auch, wichtig für die Sonntagszeitungen, viel zitiert werden. Fast ebenso fleissig beobachtet die Lage der «Tages-Anzeiger» mit Maurice Thiriet. Die Online-Portale greifen die Recherchen dann begierig auf und machen sie gerne grösser, als sie wichtig sind.

Heftig waren die Reaktionen, als die BaZ verkauft wurde. «Noch ein SVP-Kampfblatt», stöhnte die deutsche «taz». Martin Lüchinger, SP-Präsident Basel-Stadt, war «entsetzt». Und der Basler Regierungsrat Christoph Brutschin (SP) warnte davor, die Ansprüche des Basler Bürgertums zu unterschätzen und prophezeite mit einem «einseitig rechtskonservativen Kurs» schon mal einen Einbruch bei den «Abonnenten und wohl auch Inserenten». Ausserdem wurde die Auslieferung der Zeitung sabotiert und Investor Tito Tettamanti verkaufte seine Anteile, nachdem das linke Bündnis BastA! dazu aufgerufen hatte, ihn bei einem Vortrag mit Trillerpfeifen zu empfangen.

Was steht da denn in diesem angeblichen «SVP-Kampfblatt», zum Beispiel am Freitag, 3. Juni? Den Titel und die Seiten 2 und 3 füllt einer, mit dem sich Psychologiestudentinnen beschäftigen müssen: C.G. Jung (seine Beziehung zu Basel, war er ein Antisemit?). Dann kommen je zwei Seiten Schweizer Politik, internationale Politik, Meinung und Wirtschaft. Über fünf Seiten dagegen werden dem Sport, dem Lokalen und Kultur/Wissen eingeräumt. Das Team Politik, Meinung und Wirtschaft verliert also mit 8:15 Seiten gegen das Team Basel, Sport und Kultur. Darüber mag jetzt jeder selbst nachdenken.

Was ist mit den Inhalten? Die Basler Zeitung war mal bis weit in den deutschen Raum hinein für ihr herausragendes Feuilleton bekannt. Heute kann sie daran wohl nur noch an einzelnen Tagen anknüpfen, in der Regel geht es nun im Kulturteil um lokale Ereignisse (am 3.6. um eine Skulptur in der Heuwaage und einen Pianisten im Basler Musiksaal, immerhin zwei Spalten werden einer Performance in Zürich! eingeräumt). Ein deutliches Zeichen für eine Hinwendung zur Populärkultur ist der Bericht über das «Schätzeli der Nation», Francine Jordi, die den Mann gewechselt hat. Was sich abschreckend anhört und auch eher was für den Klatschteil ist, liest sich dann gar nicht so uninteressant, hat doch Journalistin Andrea Fopp tatsächlich Mitglieder des Jodlerklubs und des Eurovision-Fanclubs dazu befragt. Auch wenn es viele Kulturredakteure nicht wahrhaben wollen: Das sind die Texte, die gelesen werden.

Von der Wahl zum Fifa-Chef berichtet (am 1. Juni) der Blatter-kritische, freie Sportjournalist Jens Weinreich. Anders als die Weltwoche: Dort empfing Sepp Blatter seinen späteren PR-Mann Walter De Gregorio (siehe MEDIENWOCHE vom 20. April) zusammen mit Roger Köppel zu einem Interview, das man je nach Standpunkt als Schwimmen gegen den Mainstream oder Gefälligkeit auslegen kann.

Ein Glanzstück sind die beiden Meinungsseiten. Links unten kommen die Leser zu Wort, rechts in der Mitte prangt die «Carte Blanche», wo sich kluge Leute, die schreiben können, obwohl sie keine Redaktoren sind, zu einem selbstgewählten Thema äussern können. Warum bloss liest man in Schweizer Printprodukten so wenige Texte von Branchenfremden? So oft sind es diese Texte, die neue Denkanstösse geben. Auch Politiker kommen in der BaZ regelmässig zu Wort – gerade bei Fachthemen sind diese viel lesenswerter als das, was ein Redaktor mit Zeitmangel sich kurz mal angelesen hat.

Die sich wandelnde BaZ hat nicht nur die stockkonservative Lokalelite aus ihrem isolationistischen Tiefschlaf geweckt, sie hat sie auch dazu ermuntert, selbst eine Zeitung anzukündigen, hinter der sie auch wirklich stehen kann. Wie das Publikum auf die beiden Produkte in Zukunft reagiert, wird sich weisen. Vielleicht wird der Markt einer von beiden den Tod bescheren – schöner wäre es, für das Publikum und die Journalisten, wenn die neue publizistische Auswahl erhalten bleibt.

Die alte, zum Einschlafen langweilige BaZ ist auf jeden Fall Geschichte. Gut so. Die Medienlandschaft braucht nicht nur ein Basel, sie braucht viele Basel. Weil profilierte Produkte nur im Wettbewerb entstehen. Und Selbstzufriedenheit nur Langeweile schafft.

Bild: Flickr/paytonc, CC BY-Lizenz

Leserbeiträge

Pete 07. Juni 2011, 13:42

ronnie grob, der grosse medienforscher…aus dem querlesen einer zufälligen ausgabe mal schlüsse ziehen, die einem passen.

warum wird hier versucht, die baz mit wirren argumenten in die politische mitte zu zerren? seit wann sind der kultur- und sportteil für die bewertung der politischen ausrichtung relevant?
klingt für mich nach weltwoche-syndrom alias „je nach Standpunkt Schwimmen gegen den Mainstream oder Gefälligkeit“.

zumindest somms kommentare in letzter zeit waren des öfteren ziemlich nationalkonserativ. dies und seine neuen kumpanen (eugen sorg als textchef, ernst born von der weltwoche als „teilzeit-redaktor“ und der unsägliche „liberale“ max frenkel als kolumnist) sind wohl aussagekräftiger für die politische berichterstattung als der noch so populäre schätzeli-der-nation-report, perfomances in zürich oder skulpturen in der heuwaage.
und dennoch könnte man um die neue baz festzumachen auch diesen zeitungsteil verwenden, darf sich doch hier blocher persönlich als feuilletonist und buchbesprecher aufspielen und so seine isolationistischen kampfparolen mal auf diesem weg verbreiten.

und auch die meinungsseite verliert auch ziemlich schnell ihren glanz, wenn hier der der kluge interpharma-generalsekretär philipp cueni über ein selbstgewähltes thema, nämlich die tolle pharmabranche schreiben darf (um auch mal ein isoliertes beispiel zu geben, das, worauf dieser blog-post leider beruht.)

ach ja übrigens: zum beispiel auf der meinungsseite des tagis/bund kommen ebenfalls „branchenfremde“ zu wort, und das nicht so extrem selten.

Ronnie Grob 07. Juni 2011, 15:40

@Pete: Dass Markus Somm auch bei der BaZ keine sozialistischen Kommentare verfasst, kann niemanden überraschen. Mich freut immer, wenn Publikationen fremde Stimmen zulassen, ein Vergleich zwischen BaZ und anderen Zeitungen betreffend Menge und politischer Ausrichtung würde ich gerne mal lesen.

Pete 08. Juni 2011, 09:36

das würd ich auch gerne lesen, ja. haben wir beide aber nicht, ein urteil lässt sich also kaum fällen.

wenn etwas leben in die basler medienbude kommt, ist das sicher auch positiv.
aber warum schreibst du denn nicht einfach das, sondern auch noch, es sei alles anders, als die anderen sagen, zumindest nach gefühl?
hätte da die genugtuung über die bewegung nicht auch gerreicht? braucht es diesen unbegründeten hieb gegen alle anderen wirklich? so als provokation, weil ist ja internet und so?

Ronnie Grob 08. Juni 2011, 10:09

Wenn die „taz“ schon zum Vornherein weiss, die BaZ sei ein „SVP-Kampfblatt“, dann liegt doch nichts näher, als das mit einem Studium einiger Ausgaben zu überprüfen. Mich wundert eher, dass sich so viele (Journalisten) mit aufgeschnappten Vorurteilen über die Zeitung zufriedengeben.

Pete 08. Juni 2011, 10:57

überprüfung von vorurteilen find ich super.
schön wärs gewesen, du hättest aus mehr als zwei ausgaben stichhaltigere belege für deine alles-gar-nicht-so-schlimm-these zitiert (obwohl du da ja dann doch noch von der „sich wandelnden baz“ schreibst) und nicht den schluss gezogen, nur weils in der baz noch kultur, sport und regionales gibt, sei alles beim alten. schliesslich hats sogar in der weltwoche noch etwas kultur…

interessant wärs auch, den baz-test in einiger zeit zu wiederholen, wenn auch die letzten journalisten, welche eine andere als somms meinung vertreten, das schiff verlassen haben.

Ronnie Grob 08. Juni 2011, 11:05

@Pete: Das ist eine gute Idee, das werden wir tun. Interessant wird auch sein, das neue Produkt „Neue Basler Zeitung“ damit zu vergleichen. Das ist ja genau mein Punkt: Dem Leser hat neu die Möglichkeit, Schiff 1 oder Schiff 2 zu besteigen. Während er vorher dazu gewzungen war, in dieses eine Boot zu sitzen.

Pete 08. Juni 2011, 11:35

natürlich ist medienvielfalt erstmal gut.
aber was für eine vielfalt solls denn sein?
ich hab den eindruck, das parteiblättchen könnte eine schleichende renaissance erleben. liest irgendwann wieder nur jeder, was seine meinung bestätigt? ist die pluralistische forumszeitung am ende? und was bedeutet das für die gesellschaft?
zumal das internet diese entwicklung mit den „tarnkappen-gatekeepern“ auf noch viel perfidere weise zu fördern scheint (siehe z.b. http://netzwertig.com/2011/05/19/eli-parisers-filter-blase-die-neue-gefahr-der-tarnkappen-gatekeeper/)

(auf den baz-nachzieher bin ich gespannt!)

Jürg Lehmann 11. Juni 2011, 17:42

Wenn der Medienanalytiker Ronnie Grob die „neue“ BaZ überschwänglich lobt, soll er das ruhig tun. Ich kann seine Aussagen nicht beurteilen. Ich lese die „neue“ BaZ nicht. Was ich allerdings beurteilen kann, ist die „alte“ BaZ. Ich sass von 2004 bis 2009 als Blatttmacher in der Chefredaktion jener Zeitung, die Grob glaubt in seinem Beitrag als „zum Einschlafen langweilig“ charakterisieren zu müssen. Ich weiss nicht, wie er zu diesem unqualifizierten Schluss kommt. Wo sind die Belege dafür? Er bleibt sie in jeder Beziehung schuldig. Ich vermute, dass Grob die „alte“ BaZ gar nie gelesen hat, sondern einfach nachplappert, was er irgendwo aufgeschnappt hat. Ich habe die Arbeit und den Output der damaligen Redaktion jedenfalls ganz anders erlebt. Von Langeweile keine Spur. In einem Medienportal, das sich die schönen Ziele Einordnung und Analyse auf die Fahne schreibt, erwarte ich Substanz und nicht die billige Reproduktion von Vorurteilen.

Ronnie Grob 13. Juni 2011, 09:58

@Jürg Lehmann: Dass Sie als verantwortlicher Blatttmacher in der Chefredaktion das nicht so sehen, überrascht mich nicht. Sie erlauben aber, dass ich dazu eine andere Meinung habe.