von Torsten Haeffner

Es gibt Hoffnung auf Besserung

Online-Kommentare gehören zu Online-Medien wie Leserbriefe in die Zeitung. Wie in den beiden ersten Beiträgen unserer Serie aufgezeigt, gibt es bei der Interaktion mit dem Publikum allerdings noch Optimierungsbedarf: Die gepflegte und gesittete Diskussion mit der Leserschaft will oftmals nicht so recht gelingen. Doch am Horizont zeichnen sich Lösungen ab, wie Qualitätsverbesserungen etabliert werden können. – Dritter Teil unserer Serie zu Gegenwart und Zukunft von Leserkommentaren in Online-Medien.
(1. Teil: Jeden Tag Krawall, 2. Teil: Wenn der Leser ausrastet)

Der Stern-Journalist Hans-Ulrich Jörges proklamierte bereits vor Jahren hinsichtlich der Einflussnahme der Leser auf die Zeitungen: «Die guten Redaktionen sollten ihre Siele geschlossen halten, damit der ganze Dreck von unten nicht durch ihre Scheisshäuser nach oben kommt.» Abgesehen davon, dass Jörges diese Empfehlung heute nie und nimmer als Online-Kommentar absetzen könnte, ist die Gültigkeit dieser Warnung längst erloschen. Denn die Leser verstehen die Option, online ihre Kommentare veröffentlichen zu können, längst als Selbstverständlichkeit.

Als sueddeutsche.de vor Jahren – andere Medien zogen später nach – nach 19.00 Uhr eingetroffene Kommentare bis zum nächsten Morgen um acht Uhr einfror, um sie zu Betriebszeiten einer Qualitätskontrolle unterziehen zu können, gab es unter den Online-Kommentatoren der News-Seite einen riesigen Aufruhr. «Zensur» war noch einer der milderen Begriffe, mit dem diese Massnahme zur Qualitätssicherung gewürdigt wurde. Und dennoch: sueddeutsche.de blieb hart. Mittlerweile regt sich niemand mehr darüber auf.

Immer mehr kristallisiert sich heraus, dass die Redaktionen bei der Umsetzung von bisweilen einschneidenden Massnahmen just auf Hilfe der Kommentatoren selbst hoffen. Christoph Zimmer, Leiter Unternehmenskommunikation von Tamedia: «Die Nutzerinnen und Nutzer sind ein wichtiges Korrektiv. Sie können aus ihrer Sicht heikle Kommentare der Redaktion melden.» Und Rowan Barnett, Leiter Community und Social Media bei BILD.de weiss: «Neben der Weiterentwicklung unserer Moderationstools möchten wir, dass unsere User stärker in der Rolle des Moderators agieren und uns helfen, unerwünschte Kommentare schnell zu entfernen.»

Über konkrete Pläne und Einzelmassnahmen äussern sich die einzelnen Redaktionen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. Die in der Tabelle zusammengefassten Massnahmen zeigen immerhin: Die Geduld der Redaktionen gegenüber einzelnen Trollen und Randalierern ist begrenzt: Boulevard-Medien, wie blick.ch oder bild.de, werden wie bisher «Optimierungen» durch mehrheitlich dirigistische und technische Massnahmen durchziehen. Bei den sogenannten Qualitätsmedien ist die Bandbreite der Möglichkeiten grösser. In praktisch allen Redaktionen von nzz.ch bis zeit.de wird beispielsweise diskutiert, gute Kommentare zu prämieren, nur ausgewählte Kommentatoren im Wochenwechsel zuzulassen oder etwa die Kommentarfunktion zu splitten. Bei diesem Splitting würden beispielsweise sachliche Fehler im Artikel, Rechtschreibfehler etc. pp. direkt einem Redaktor zugestellt und anschliessend von diesem eliminiert, ohne dass sie veröffentlicht werden. Tagesanzeiger-Online hat dies bereits realisiert: Neben dem jeweiligen Artikel findet der kundige Leser die Funktion «Korrektur-Hinweis – Melden Sie uns sachliche und formale Fehler.» Der Kommentar zur Sache wiederum wird nach eingehender Prüfung publiziert.

Die anonyme Veröffentlichung von Beiträgen dürfte ohnedies – und aus gutem Grund – bald der Vergangenheit angehören. Vorreiter ist das Schweizer Fernsehen. Hier werden nur Beiträge von Kommentatoren unter Angabe des Nachnamens, des Anfangsbuchstabens des Vornamens und des Wohnortes veröffentlicht. Für Heimlichkeiten gibt es ohnedies keinen Grund und der von den Redaktionen zur Verfügung gestellte Service (um nichts anderes handelt es sich bei Online-Kommentaren) sollte den Redaktionen selbst letztlich auch so viel wert sein, dass sie diesen nicht zum Tummelplatz für enthemmte Sendungsbewusste verkommen lassen.

Zudem: Was spricht bei Qualitätsmedien dagegen, die Feld-Wald- und Wiesen-Kommentare ganz abzuschaffen und dem Leser stattdessen eine konkrete Frage zu präsentieren, deren Antwort im Kontext des behandelten Themas eine echte Problemlösung darstellen könnte? Beispielsweise: «Welche Massnahmen sollen aus Ihrer Sicht konkret ergriffen werden, um Griechenland vor der Pleite zu retten?» Veröffentlicht würden hier ausschliesslich ernstzunehmende und konkrete Problem-Lösungs-Vorschläge.

Leserbeiträge

Florian Steglich 22. Juni 2011, 15:20

Eigentlich ist die Sache mit den Kommentaren nicht sehr kompliziert: Wer nicht viel investiert, bekommt mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht viel zurück. Wenn die Kommentarspalte den «Trollen» überlassen wird, ziehen sich die an einer sachlicheren Diskussion Interessierten früher oder später zurück, und dann entsteht das Bild der Leserkommentare, das hier gezeichnet wird.

Die Lösung liegt im Community-Management, das wurde hier ja schon mehrmals angemerkt, und das muss sichtbar sein, die Community ernstnehmen und schätzen. Der Ton in der Kommentarspalte ändert sich radikal, wenn der Autor des zugehörigen Artikels (oder ein Community-Redaktor oder ein anderer erkennbarer Mitarbeiter des Hauses) präsent ist. Selbst einen aus dem Ruder gelaufenen Streit kriegt man oft schon mit einem bestimmten «Bitte etwas Mässigung im Ton, und bitte die Kommentarregeln beachten» in den Griff.

In Klarnamen und härtere Registrierungsprozesse würde ich hingegen keine grossen Hoffnungen setzen. Pöbeleien gibt es auch bei Facebook und auch im sogenannten echten Leben, den Vergleich mit dem Stammtisch ziehen Sie ja selbst. Und eine hohe Teilnahmehürde kann auch zum Gegenteil des Gewünschten führen: Die nehmen dann nämlich nur die ganz Hartnäckigen mit der Zeit und der Energie zum Trollen, alle Gelegenheitsleser, die gern hier und da etwas Sinnvolles beitragen würden, sparen sich jedoch den Aufwand.

Natürlich ist das alles eine Frage der Prioritäten (und nicht der Ressourcen); zum Glück ist das Verständnis hierfür in vielen Verlagen grösser als noch vor ein paar Jahren. Zeit Online ist ein hilfreiches «role model». Die Kollegen nennen ihren Community-Manager bewusst Community-Redakteur – das zeigt schon die Haltung.

raphael mahler 23. Juni 2011, 08:59

auch wenn sich niemand mehr über das „einfrieren“ der kommentare nach 19 Uhr mehr bei sueddeutsche.de aufregt, ist es nicht genau die zeit am abend, in der viele leser vor dem computer sitzen? würde nicht genau dann eine diskussion entstehen? am nächsten tag interessieren die kommentare doch gar niemand mehr.

Markus Gräubmann 23. Juni 2011, 11:15

Die grundsätzliche Idee mit dem sog. Single sing on bei SF ist gut, allerdings happert’s in der Umsetzung: Überprüft werden die Angaben nur per Bestätigungs-Mail. Wer in der Lage ist (und den Aufwand nicht scheut), sich eine oder mehrere fingiert Adressen bei einem Mail-Dienstleister anzulegen, kann sich ohne weiteres mit Phantasienamen anmelden. Und wenn er dabei intelligent genug ist, nicht allzu offensichtliche Namen zu wählen (Mickey Mouse u. dgl.), dann merkt das auch keiner. Trolle können so schwerlich verscheucht werden: Wird sein Login gelöscht (was das Beschreiten eines langen Dienstwegs bedeutet), so ist er möglicherweise schon nach kürzester Zeit unter neuem Namen zurück.
Abhilfe schüfe hier nur ein zweistufiges Freischalt-Verfahren mit Identifzierung via SMS, Post oder Kreditkarte – aber das Thema wurde in der Diksussion zum ersten Beitrag der Serie ja schon durchdiskutiert.