von Nick Lüthi

Spielen Sie noch oder lesen Sie schon?

Das iPad sei «die Fortsetzung des Boulevard mit anderen Mitteln», hiess es zum Start der «Blick»-App. Der Gegenentwurf zum Apple-Tablet ist der Kindle von Amazon. Das elektronische Buch kommt ohne Multimedia-Schnickschnack aus. In der Schweiz bietet nur die NZZ eine Ausgabe für den Kindle an – quasi als Fortsetzung des textlastigen Journalismus mit anderen Mitteln. Das Angebot fristet ein Nischendasein.

Klobig und unhandlich von Gestalt, ein verschmutzungsanfälliger Bildschirm und unbrauchbar bei Sonneneinstrahlung: Das viel gelobte iPad eignet sich denkbar schlecht als Lesegerät. Selbst in gängigen Lektüresituationen, etwa auf dem Sofa oder im Bett, lässt es sich mit dem Tablet-Computer nicht wirklich entspannt lesen.

Wer etwas anderes behauptet, ist entweder ein Apple-Jünger und findet grundsätzlich alles toll, was Steve Jobs verkauft, oder hat kein Gespür für Ergonomie. Das iPad ist ein Spielzeug, ein Surfbrettchen zum Zeitvertrieb, das von sich zwar behauptet alles zu können, aber letztlich doch nichts richtig kann.

Wenn Boulevard- und Unterhaltungsverlage wie Axel Springer oder Ringier das iPad in den höchsten Tönen loben, erstaunt das nicht weiter. Das iPad sei «im Prinzip die Fortsetzung des Boulevard mit anderen Mitteln», sagte Rolf Cavalli, Chefredaktor Blick.ch und digitale Medien Blick-Gruppe, vor der Lancierung der Blick-App. Womit Cavalli das Gerät ganz treffend charakterisiert.

Bild- und grafiklastige Boulevardmedien eignen sich perfekt für das Multimedia-Gadget: Hier durch eine Bildstrecke klicken, da einen Busen freirubbeln, dort einen Videoclip angucken. Aber längere, anspruchsvolle Texte lesen? Da kann man gleich zum Buch greifen.

Umso erstaunlicher, dass trotz der beschränkten Eignung und den offensichtlichen Mängeln als Lesegerät das iPad allenthalben als digitaler Zeitungs- und Zeitschriftenersatz gepriesen wird. Bald alle Schweizer Medien bieten ihre Inhalte als App fürs iPad an. Offenbar spielt es keine Rolle, wie das Gerät genau beschaffen ist, damit die Verlagsoberen dem Apple-Tablet magische Kräfte zur wundersamen Transformation der Papiermedien in blühende digitale Landschaften zuschreiben.

Wer sich von dieser Mischung aus Mythos und Marketing nicht blenden lässt, aber die unbestrittenen Vorzüge der digitalen Zeitungslektüre nicht missen möchte, dem bietet sich der Kindle von Amazon als Alternative an.

Neben seiner Hauptbestimmung als Lesegerät für elektronische Bücher, taugt der E-Reader auch ganz gut zur Lektüre von Zeitungen und Zeitschriften. Doch gibt es dabei ein nicht ganz unerhebliches Problem: Das deutschsprachige Titelangebot ist sehr beschränkt. Wer sich aber mit NZZ, FAZ und Der Zeit, sowie der ganzen Palette englischsprachiger Weltblätter von Atlantic bis Washington Post zufriedengeben mag, ist mit dem Kindle gut bedient. Da zudem über Schnittstellen wie Instapaper beliebige Online-Textinhalte für die Lektüre bereitgestellt werden können, fällt das Angebotsdefizit nicht sonderlich ins Gewicht.

Gegenüber der Zeitung aus Papier und dem iPad bietet der Kindle ein paar erhebliche Vorteile:

  • Keine Falzakrobatik erforderlich zur lektüregerechten Drapierung grossformatiger Blätter
  • Keine Ablenkung durch andere Texte oder Bilder auf einer Zeitungsseite
  • Die Zeitungsausgaben für den Kindle sind komplett werbefrei
  • Das Gerät ist mit einer Hand bedien- und haltbar
  • Push-Auslieferung der neuen Zeitungsausgbaben ohne Download-Wartezeit
  • Keine Kosten für die Datenübertragung beim Download in Handynetzen (Amazon übernimmt die Kosten)
  • Der Abo-Preis ist dank der Frankenstärke unschlagbar tief; abgerechnet wird in Dollar: 264 Franken für ein Jahr NZZ, inklusive NZZ am Sonntag, 103 Franken für Die Zeit.
  • Die Akkulaufzeit lässt sich in Wochen messen.

Als E-Book-Reader kommt der Kindle ganz ohne Multimedia-Schnickschnack aus. Was auch heisst, dass Infografiken und andere grafische Layoutelemente nicht angezeigt werden können und Bilder – wenn sie die Zeitungen überhaupt mitliefern – nur in Graustufen erscheinen. Womit sich das Gerät die Bezeichnung «elektronische Zeitung» in einem ganz traditionellen Sinn verdient.

Als einzige Schweizer Zeitung bietet die NZZ die tägliche Ausgabe (inklusive NZZ am Sonntag) auch für den Kindle an. Allerdings nicht besonders offensiv. Werbung dafür gibt es keine. Nur über den Kindle Store findet man zum Angebot. «Verstärkte Werbung für das Kindle-Abo lohnt sich nicht, solange das Gerät nicht weiter verbreitet ist in der Schweiz», sagt NZZ-Digitalchef Peter Hogenkamp im Gespräch mit der MEDIENWOCHE.

Entsprechend tief sind die Nutzerzahlen. Per Ende Juli konnte die NZZ gerade mal 381 Abonnements und 172 verkaufte Einzelausgaben (per Juni) für den Kindle ausweisen. Zum Vergleich: Das E-Paper der NZZ haben 6000 Personen abonniert, die Hälfte davon lesen es auf dem iPad.

Der Kindle sei derzeit mehr «ein bisschen Beigemüse» und strategisch nur insofern von Bedeutung, als dass die NZZ auf möglichst vielen Plattformen präsent sein wolle, sagt Peter Hogenkamp. Die Attraktivität des Kindle wird auch deshalb geschmälert, weil die Verlage ihren Zeitungsabonnenten kein vergünstigtes Angebot für die elektronische Ausgabe machen können. «Amazon hat hier seine eigenen Spielregeln und verhält sich im Prinzip genauso unflexibel wie Apple», sagt Hogenkamp. «Man findets einfach nicht so schlimm, weil sie einen geringeren Marktanteil haben.»

Leserbeiträge

Peter Grütter 08. September 2011, 19:11

So ein Stuss macht mich schlicht sprachlos!

Nick Lüthi 08. September 2011, 19:13

Dann sind Sie wohl ein Apple-Jünger.

Jodok 09. September 2011, 10:17

Ich hab den beleuchteten Bildschirm lieber. Und warum für jede Lebens-/Lesesituation ein anderes Lesegerät? Mit dem Kindle kann ich z.B. leider nicht das gefragte Kochrezept neben den Herd legen. Zudem: Die Kindle-Bücherei liest sich auch sehr gut auf dem Pad.

Nick Lüthi 09. September 2011, 11:22

@Jodok Meine Rede: «Warum für jede Lebens-/Lesesituation ein anderes Lesegerät?» Da das iPad aus o.g. Gründen kein Lesegerät ist, bevorzuge ich den Kindle. Das Kochrezept passt übrigens auch auf den Kindle (via Instapaper) und wenn die Kocherei das Gerät beschädigen sollte, kostet es nicht 500 Franken, sondern weniger als 200 um es zu ersetzen.

Roland Baumann 11. Oktober 2012, 00:44

Teile ihre Meinung betreffend Kindle Ausgabe der NZZ voll. Am 31.12.2011 entdeckte ich ein Inserat in der NZZ, welches mich wirklich dazu bewog einen Kindle von Amazon zu kaufen. Mir fehlte einfach eine digital Ausgabe, die ermüdungsfrei über Stunden im Flugzeug oder unterwegs lesbar ist. Nur schnell ins WiFi (sei es schnell in der Lounge am Flughafen, im Schnellimbiss mit WiFi um die Ecke, …) und schon wird die aktuelle Ausgabe heruntergeladen.

Der Kindle, ohne für das Gerät Werbung machen zu wollen, erlaubt stundenlanges, ermüdungsfreies Lesen. Wie oft ist meinem Nachbar/-in im Flugzeug dem iPad der „Saft“ ausgegangen, und ich konnte auf dem Langstreckenflug in aller Ruhe, ohne auf die Akkuladung schauen zu müssen, weiterlesen. Die Menüführung, Seitengestaltung der NZZ uf dem Kindle sind als total gelungen zu bezeichnen. Ich habe mich noch nie so gut auf das geschriebene Wort konzentrieren können. Auch die Grafiken in s/w sind einwandfrei.

Wie von Ihnen festgehalten, ist das Geschäftsmodell wohl von Amazon diktiert, aber auf keinem der anderen Geräte (z. B. PC oder Tablett) kann man so ermüdungsfrei lesen und sich dabei voll auf den Inhalt konzentrieren. Sogar am Strand in der Sonne waren die Ausgaben gut zu lesen!