von Pascal Zwicky

Medien jenseits von Markt und Staat

Der Markt scheint nicht mehr in der Lage, die Gesellschaft in ausreichendem Masse mit demokratierelevantem Journalismus zu versorgen. Das sieht sogar der Bundesrat so, will aber nichts dagegen unternehmen. Das Festhalten an offensichtlich inadäquaten Strukturen aus kommerziellen und machtpolitischen Interessen ist ein allzu bekanntes Phänomen. Dabei liesse sich mit wenig Geld eine grosse Wirkung erzielen. Eine Modellrechnung.

Wer sich mit alternativen Medienordnungen beschäftigt, braucht das Rad nicht neu zu erfinden. Der britische Kultur- und Kommunikationswissenschaftler Raymond Williams monierte schon vor 50 Jahren die Reduktion von Medien und anderen kulturellen Institutionen auf ihren Warencharakter. Die einzige Alternative zur Kontrolle von Medien durch eine kleine Zahl unverantwortlicher Männer (z.B. Medienmogule) sei, so Williams, ein öffentliches bzw. zivilgesellschaftliches System.

Aktuelle Forschung zu Regionalmedien zeigt, dass ein solches System in der Schweiz gerade auf lokal-regionaler Ebene von Nöten wäre. Dort also, wo die Zivilgesellschaft verwurzelt ist und Demokratie unmittelbar gelebt wird.

Schweizweit nimmt die Titelvielfalt in den Regionen ab. Politiker und Medienschaffende klagen über einen Rückgang der publizistischen Qualität «ihrer» Regionalmedien. Gleichzeitig nehmen Boulevardisierung und damit Entpolitisierung zu. Onlinemedien und Social Media können diese Defizite der klassischen Medien nicht ausgleichen – im Gegenteil.

Die Gemeinden und die Zivilgesellschaft reagieren teilweise dadurch, dass sie neue Zeitungen ins Leben rufen. So im Bezirk Münchwilen mit der genossenschaftlich organisierten «Regi Die Neue» oder durch direkt gemeindefinanzierte Publikationen und Plattformen, wie sie in diversen Regionen der Schweiz im Entstehen sind.

Dass die vom Abbau journalistischer Leistungen direkt Betroffenen das Heft selbst in die Hand nehmen, ist zu begrüssen. Allerdings orientieren sich diese neuen Medien kaum noch am Ideal eines kritischen Journalismus. Sie informieren primär über Vereinsanlässe und drucken Medienmitteilungen ab. Im besten Falle nennt man das «Verlautbarungsjournalismus». Das Aufdecken von Machtmissbrauch oder das Entfachen politischer Debatten wird hingegen – aus durchaus nachvollziehbaren Gründen – kaum als Aufgabe erachtet.

Will man die Initiative von unten fördern, gleichzeitig aber auch einem für das demokratische Gemeinwesen konstitutiven Journalismus Vorschub leisten, dann braucht es zusätzlich zu den kommerziellen Medien andere, neue Formen der Institutionalisierung. Wie wäre es beispielsweise mit folgendem Vorschlag?

In Regionen, in denen die journalistische Versorgung von der Bevölkerung als unzureichend erachtet wird, können werbefreie Onlineplattformen gegründet werden, hinter denen nicht-profitorientierte und konzernunabhängige Redaktionsbüros stehen. Diese neuen Medien decken öffentlich relevante Themen ab, die von den Mainstream-Medien vernachlässigt werden. Vor allem aber bringen sie alternative Sichtweisen und Interpretationen von Sachverhalten in die Debatte ein.

Alle produzierten journalistischen Beiträge wären über das Internet frei verfügbar. Diese Redaktionsbüros können als Mischform aus Konsum- und Produktionsgenossenschaft institutionalisiert werden, wobei zivilgesellschaftliche Akteure (Vereine, Verbände, Parteien, Kleinunternehmen, Privatpersonen, öffentliche Körperschaften) als Trägerschaft fungieren. Operativ würden sie aber allein durch professionelle Medienschaffende geführt.

Nehmen wir an, dass der jährliche Kostenpunkt eines solchen Mediums rund 600‘000 Franken beträgt. Nehmen wir weiter an, dass schweizweit 30 Regionen eine Alternative zum Status quo brauchen und wollen, dann wären das insgesamt 18 Millionen Franken, die finanziert werden müssten.

Um die Unabhängigkeit der Medien zu stärken, liesse sich bei der Finanzierung auf ein Drei-Säulen-Modell setzen. 20 Prozent übernimmt die Trägerschaft. Bei einem jährlichen Beitrag von 600 Franken bräuchte es pro Region 200 Genossenschafter. 30 Prozent übernehmen die Haushalte der entsprechenden Regionen über eine Kommunikationsabgabe, die auf Gemeindeebene erhoben wird. Bei 60‘000 Personen macht das drei Franken pro Kopf. Und 50 Prozent kommen schliesslich vom Bund. Er müsste einen Medien- resp. Journalismusfonds mit jährlich neun Millionen Franken äufnen, wozu er beispielsweise das überschüssige Geld aus dem Gebührensplitting verwenden könnte. Zum Vergleich: Die wenig zielführende indirekte Presseförderung, wie sie heute praktiziert wird,verschlingt Jahr für Jahr mehr als 100 Millionen.

Wenn wir bei unseren Berechnungen bleiben: Um den Bundesbeitrag von 300‘000 Franken an die Produktionskosten könnten sich die neuen Regionalmedien bei einem aus Experten und Vertretern der Zivilgesellschaft (z.B. aus den Bereichen Konsumenten-, Umwelt- oder Minderheitenschutz) zusammengesetzten Aufsichtsgremium bewerben, das über die Vergabe der öffentlichen Gelder bestimmt.

Grundlage des Entscheids wäre ein Leistungsauftrag, den die einzelnen genossenschaftlich organisierten Medien selbst entwickeln (dies im Unterschied zur Konzessionsvergabe im Rundfunk). An die jeweiligen regionalen Gegebenheiten und Bedürfnisse angepasst und in einem partizipativ-demokratischen Verfahren. Trägerschaft und Redaktion hätten jedes Jahr separat und schriftlich über die Erfüllung des Leistungsauftrags, die Verwendung der erhaltenen Gelder sowie etwaige Konflikte und Probleme Rechenschaft abzulegen. Diese Berichte würden auch über die jeweiligen Websites veröffentlicht.

Mit diesem hier skizzierten Modell würde der föderalistischen Struktur der Schweiz Rechnung getragen, die lokale Zivilgesellschaft aktiviert, die direkte Demokratie gestärkt sowie die publizistische Vielfalt ausgeweitet. Spricht etwas gegen dieses oder ein ähnliches System? Eigentlich nicht. Obwohl… wahrscheinlich einige machtpolitische und kommerzielle Interessen.

Leserbeiträge

Fred David 19. September 2011, 20:40

Ich finde, das ist ein interessanter Ansatz. Sollte man weiterstricken.

Michael 19. September 2011, 22:08

Ich glaube es ist auch eine kulturelle Frage ob sowas funktioniert, sonst hätten wir das schon länger wie in Amerika (NPR und viele viele andere). Jetzt steigt der Druck und ich hoffe das beste, aber die Mentalität spricht da ein gewichtiges Wörtchen mit.

Stephan Russ-Mohl 25. September 2011, 15:12

Spannender Vorschlag – vielleicht finanzierbar über eine Umverteilung der Rundfunkgebühren (weniger Sport, Soaps, Unterhaltungsschrumps, mehr lokaler und regionaler Journalismus…)?

Vinzenz Wyss 30. September 2011, 17:29

Na also, da sind doch Ideen vorhanden. Ich kann die Analyse gut nachvollziehen. Ausser vielleicht den Punkt, dass der Bund 50% beisteuern soll, ohne dass er bei den Evaluationskriterien mitredet. Der Leistungsauftrag müsste sich schon ein bisschen an Standards orientieren, damit das nicht ganz zum Jekami wird. Ich finde halt, dass die Kopplung an Vorgaben zur Organisationsstruktur (Einrichtung von Qualitätssicherungs-Verfahren) da schon zielführend sein kann. Wer dazu noch mehr lesen möchte, wir hier fündig: http://www.m-und-k.nomos.de/fileadmin/muk/doc/Aufsatz_MuK_11_01.pdf

Nun sollten wir uns noch dafür einsetzen, dass solche guten Ideen auch eine breitere Öffentlichkeit finden. Es gibt ja Interessensvetreter, die kein Interesse daran haben, dass solche Modelle öffentlich diskutuiert werden.
Gelgenheit dazu bietet sich hier: http://medienkritik-schweiz.ch/agenda/ an der Tagung „Welche Medienpolitik braucht das Land?“

Pascal Zwicky 30. September 2011, 18:46

Das mit den strukturellen Aspekten finde ich auch. Die scheinen mir zentral – neben direkter Qualitätssicherung auch Vorgaben bezüglich Arbeitsbedingungen oder demokratischen Entscheidungsstrukturen. Das wird von oben (Staat bzw. Bund) vorgegeben. Von „unten“, den einzelnen Medien (Trägerschaft & Redaktion), sollten aber situations- bzw. regionsspezifische Bedürfnisse (bspw. grobe thematische Schwerpunkte) in den Leistungsauftrag eingebracht werden können. Nur so macht das zivilgesellschaftliche Trägerschaftsmodell auch Sinn.