von René Worni

Nebensache Nebengeschäft

Kreditkarte, Handy-Abo, Musikstream und Co.: Bei 20 Minuten Online lässt man regelmässig neue Bezahlangebote spätestens nach einem Jahr wieder fallen. In letzter Zeit scheiterten beziehungsweise schlingern mindestens sieben Projekte. Was läuft hier schief?

Die Gratiszeitung 20 Minuten (1,8 Mio. Leser)  ist zusammen mit seinem Onlineportal eine starke Marke. Nach der jüngsten Net-Metrix Erhebung ist 20 Minuten Online der führende Titel im Netz (345‘000 unique Users täglich) knapp vor blick.ch. Das wären eigentlich schlagende Argumente, um mit aller Art von Nebengeschäften und Brand-Extensions Kasse zu machen. Doch irgendwie steckt der Wurm drin.

Vor drei Jahren scheiterte der Versuch, eine eigene Kreditkarte auf den Markt zu bringen. Was bei Migros und Coop bestens funktioniert, kam beim 20 Minuten-Publikum nicht an. Gescheitert sind auch Soundshack, ein kostenpflichtiges Angebot zum Streamen von Musik und das 20 Minuten-Handyangebot im Verbund mit Sunrise. Beide wurden nach weniger als einem Jahr eingestellt.

Auch der Kleinanzeigenmarkt piazza.ch, welcher als «Marktplatz von 20 Minuten» an den Titel gebunden war, ist jetzt im Tamedia-Konzern anderweitig positioniert. Weiter dümpelt das Lokalportal vor sich hin, ein kluges und aufwändiges Angebot für Events lokaler Veranstalter, die sich auf einer interaktiven Schweizerkarte auf 20min.ch abrufen lassen.

Und last but not least ringt die zur 20 Minuten AG gehörende Partyplattform Tilllate mit einem weiteren Relaunch und der Integration in 20 Minuten Online. Diesmal will Tilllate zu den Bildern hiesiger Partymeilen auch journalistische Texte anliefern. Einzig die TV-App ist laut Hansi Voigt, Chefredaktor von 20 Minuten Online die «beliebteste bezahlte TV-App der letzten zwei Jahre im iPad-Bereich». Doch gemäss Tamedia-Insidern sei der Gewinn auch hier marginal und das Projekt unter dem Strich ein Nullsummenspiel.

Medienwoche: Warum funktionieren trotz starker Marke viele Angebote nicht?
Hansi Voigt: Man kann nicht einfach etwas auf den Markt werfen und die Marke drüberstülpen. Bloss wegen dem Brand 20Minuten springen die Massen nicht auf. Nur die Produkte funktionieren, die auch absolut erstklassig sind. Das TV-Screenangebot als positives Beispiel läuft deshalb gut, weil es wirklich erstklassig ist.

Aber es rentiert nicht, was in Zeiten von Zattoo, Wilmaa und Teleboy – alle gratis – nicht sonderlich erstaunt.
Wir nennen keine Zahlen, aber TV Screen ist erfolgreich. Wir arbeiten auch mit Zattoo zusammen. Es ist eine der umsatzstärksten TV-Apps im iPad-Bereich. Wir verdienen mit jedem User Geld. Ich habe keinen Grund mich zu beklagen, wir verdienten zuwenig.

Warum hat zum Beispiel das 20Minuten-Handy nicht funktioniert? Bei Coop und Migros gehts doch auch?
Wir konnten tatsächlich die Kraft der Marke 20Minuten nicht auf den Boden bringen und ausserdem das Produkt nicht so massgeschneidert anbieten, wie wir das gewollt hätten. Der Handymarkt ist komplex. Doch das sind alles Dinge, die wir ausprobieren müssen, weil wir den Riesenvorteil haben, eine landesweite Onebrand-Strategie fahren zu können mit Auftritten in der Westschweiz und neuerdings auch im Tessin. Zum Ausprobieren gehört aber auch Scheitern. Wenn wir sehen, dass etwas nicht klappt wie zum Beispiel bei Soundshack, beenden wir es rasch. Die finanziellen Konsequenzen bleiben deshalb überschaubar und unser Kerngeschäft wird nicht tangiert.

Versucht 20 Minuten Online sich zu einer Entertainment-Marke zu entwickeln? Die Projekte der letzten Zeit lassen das vermuten.
Nein, mit dieser Annahme liegen Sie falsch. Wir sind eine Zeitung und eine Newsplattform, das ist und bleibt unser Kerngeschäft. Die Branchenentwicklung verlangt aber von Medientiteln heute, sich auch in anderen Erlösmodellen und nicht nur in der klassischen Werbefinanzierung zu versuchen.

***

Gerüchte, wonach es bald zu einem Zusammenschluss der heute getrennten Redaktionen von 20 Minuten Print und Online unter einem einzigen Chefredaktor komme, dementiert Unternehmenssprecher Christoph Zimmer. Es bleibe bei der verstärkten Zusammenarbeit der Redaktionen im Bereich Unterhaltung, Weiteres sei nicht geplant.

Leserbeiträge

Paul Bertschinger 17. November 2011, 11:38

Der wirkliche Grund wurde nicht aufgegriffen. 20min hat Erfolg als schnelles Boulvard-Blatt ohne Tiefgang und Hintergrund, das nichts kostet – vieles wird von anderen Online-Diensten, von Magazinen und SDA übernommen. Es ist unterhaltsam über dieses Missen-Missgeschick, Sexproblemchen von Teenies, Ami-Promi-Home-Storys und den erneuten Untergang der Weltwirtschaft zu lesen. Aber die Glaubwürdigkeit fehlt. Der Image-Transfer ist der falsche. Vertrauen ich einem derartigen Unternehmen als Kreditkarten-Anbieter, Musik-BEZAHL-Dienst etc.? – Nein.

Vladimir Sibirien 17. November 2011, 13:08

Da kann ich Paul Bertschinger beipflichten, wahrscheinlich sieht die Lage bei anderen Blättern anders aus. Siehe DVD-Bibliothek der SZ, Artikel der „Zeit“, etc. Wenn man ein gewisses Image auf Produkte transferieren will, müsste dieses dann auch mit den entsprechenden Attributen assoziiert werden. Bei 20 Minuten sehe ich nicht, wie „Wegwerfartikel“, „keine Eigenleistung“ und „Dr. Sommer“ dem Kauferlebnis zuträglich sein sollten…

Margrit Schönholzer 17. November 2011, 17:18

genau ihrer meinung. irgendwann wird das gratis (nichts-wert) image auch auf den inhalte zurückfallen und selbst boulevard-leser werden sich abwenden. müsste pro ausgabe 20 min 10 Rappen bezahlt werden, würde die auflage um über 90% sinken – so meine these.

René Worni 17. November 2011, 13:44

@Paul Bertschinger; @Vladimir Sibirien: Danke für Euren wichtigen Input. Mit „starke Marke“ meinte ich den rein quantitativen Erfolg von 20Minuten/20Minuten online. Ganz klar gehörte hier auch die inhaltliche Qualität mit rein.

Martin Hitz 17. November 2011, 16:43

Immer wieder gerne genannt wurden früher in diesem Zusammenhang doch die „Vorarlberger Nachrichten“. Dort soll das mit den Nebengeschäften ja tiptop funktionieren; z.B. „Krise? Ham mer ned“

Heinrich Geissler 18. November 2011, 00:50

Zitat H. V.: „Bloss wegen dem Brand 20Minuten springen die Massen nicht auf. Nur die Produkte funktionieren, die auch absolut erstklassig sind.“ Das glaubt er aber nicht selbst… absolut erstklassig verkauft sich sicher nicht über ein kostnix-portal.

Fred David 19. November 2011, 16:34

@) Martin Hitz: Der Hinweis auf die Vorarlberger Nachrichten ist interessant, wobei das „Wohlfühlblatt“ ein Quasimonopol in Vorarlberg hat, was sicher alles andere als optimal ist. Aber dass unsere vigilanten Medienmanager den extrem hohen Beachtungswert von Todesanzeigen nicht erkennen, erstaunt mich (keine Ironie!). In der Schweiz ist mir nur ein Regionalblatt bekannt, dass noch Nachrufe , zum Teil recht ausführliche samt Bild von Hinz und Kunz pflegt – mit enormem Erfolg bei den Lesern: der ohnehin recht erfolgreiche „Walliser Bote“ in Brig. Das eignet sich besonders für Regionalzeitungen in ländlichen Regionen. Wäre ich dort Verleger, würde ich das sofort einführen. Das simple Geheimnis bei Blättern dieser Art ist die Nähe zu Dörfern und Lesern. Nix Spektakuläres, aber erfolgreich. Und natürlich nicht nix für Wörld Cläss Tsüri.

Fred David 19. November 2011, 18:09

…übrigens müssen die Aktionen ja nicht immer so albern und durchsichtig sein wie die ganz oben beschriebenen. Es gibt auch intelligentere – mit verblüffender Resonanz beim jungen Publikum, zum Beispiel in der „Luzerner Zeitung“ : http://www.luzernerzeitung.ch/meta/produkte/dichter/Die-besten-Storys-vom-Klub-der-jungen-Dichter;art5366,128621

René Worni 20. November 2011, 12:30

@Martin Hitz @Fred David: Find den Eugen A. Russ etwas gähn. Wird als Paradiesvogel an Grossveranstaltungen (z.B. Münchner Medientage) rumgereicht und singt stets dasselbe Loblied auf seine Erfindungen, die derart geballt wohl nur in Vorarlberg funktionieren. Er rühmt sich höherer Zugriffe auf der Site seiner Vorarlberger Nachrichten vol.at als auf Google. Früher gabs gar mal Lebensversicherungen per VN-Abo.
Unheimlich, dass fast jedeR 2. VorarlbergerIn BürgerjournalistIn ist (sogenannte MoJo’s = mobile Journalists). Die knipsen und filmen was das Zeug hält. Hat für meinen Geschmack was von Bürgerwehr. Die Site ist sogar mit der Verwaltung verknüpft, man kann Bau- und Zonenpläne studieren etc. Wem der VN-Gemischtwarenladen nicht langt, dem liefert Russ die NZZ im Kombiabo, drum hat die NZZ in Vorarlberg die grösste Auslandauflage. Russ gibt dem Internet derzeit grad mal noch 3 Jahre, danach laufe alles nur noch auf mobilen Gadgets. Na ja.
Hatte ihn früher gelegentlich als Kronzeugen gegen Innovationsresistenz hiesiger Verleger aufgefahren, kombiniert mit Mikrokosmos-Gossweiler. (Dessen Jungfrauzeitung kennt by the way den Onlinefriedhof schon längst…). Unterdessen sind ja ein paar Tools solcher Vordenker adaptiert worden (Tamedia) oder aber man kapituliert und geht im Unterhaltungsbusiness unter (Ringier).

Fred David 20. November 2011, 17:56

@) René Worni: Interessanter Input. Danke. Dass die NZZ die grösste Auslandauflage im ländlichen Vorarlberg hat, ist mir neu. Auch für Weltblätter schrumpft die Welt…. Man muss die Vorarlberger Nachrichten ja nicht kopieren, einfach mal angucken, was man an Ideen mitlaufen lassen kann. Der grosse Haken bleibt sicher die Quasi-Monopolsituation und die damit verbundene Nähe zu Politik, Wirtschaft und Verwaltung – aber das kennen wir in der Schweiz ja auch.

Rainer Stadler 21. November 2011, 11:10

Das Problem ist bloss, dass die Aussage von René Worni betr. NZZ/Vorarlberg falsch ist.

Fred David 21. November 2011, 11:58

@) ras, das Problem liesse sich leicht lösen: Wie sind denn die tatsächlichen NZZ-Zahlen in Vorarlberg?

René Worni 23. November 2011, 20:40

Hier der Auszug aus einem Interview, das ich mit ihm – schon etwas länger her – im November 2006 geführt habe.
Russ: …wir können uns keine Heerschar internationaler Korrespondenten leisten. Unsere Leserinnen und Leser würden nicht verstehen, wenn wir zum Beispiel acht Seiten täglich über Wirtschaft berichten würden.
Deshalb haben Sie die NZZ zusätzlich im Angebot – zum Vorzugspreis, versteht sich.
Russ: Zu einem sehr günstigen Preis. Diese Kooperation macht uns und auch auf der NZZ-Seite grosse Freude. Wenn es um die ethnischen Probleme von Simbabwe geht, sind wir der schlechtere Ansprechpartner als eben die NZZ. Dazu bekennen wir uns.
Wie viele Exemplare der NZZ verteilen Sie?
Russ: Etwas unter tausend. Vorarlberg ist für die NZZ mit Abstand der erfolgreichste Auslandmarkt.

Fred David 23. November 2011, 22:29

Deutschland ist vermutlich wichtiger für die NZZ, aber auf die Grösse des Marktes bezogen stimmts für Vorarlberg wahrscheinlich. Ist ja doch interessant, dass die Vorarlberger die tendenziell nicht gerade boomende NZZ-Auflage stabilisieren helfen…

Rainer Stadler 24. November 2011, 13:22

Absurd: Die Aussage eines Vorarlberger Verleger dient als Beleg für eine Aussage über die NZZ-Auflage. In Vorarlberg werden Exemplare der Schweizer Ausgabe vertrieben, was die Rechnung komplizierter macht. Meines Wissens ist auch der NZZ-Verlag ans Telefonnetz angeschlossen. Man kann dort nachfragen. Ich bin nicht Verlagssprecher.

Fred David 24. November 2011, 16:13

Nana, bitte keine falschen Rückschlüss. Als CH-Ossi finde ich das rege Interesse der NZZ am Milden Osten samt angrenzenden Territorien absolut positiv. Gerade am 16.11. brachte die NZZ ein Special über das Rheintal, mit einem Schwerpunkt Vorarlberg, 18 Seiten journalistisch prima gemacht. Den Vorarlbergern gefiel’s, bis hinauf zum Landeshauptmann. Was will man mehr, das ist eine solide Stütze der Auflage, nicht riesig, aber dauerhaft. Es müssen nicht immer nur Weltmetropolen sein. Bregenz hat durchaus auch seine Reize.