von Redaktion

Tadel und Lob

Ist es ein Fall Hildebrand oder ein Fall Weltwoche? Die Einschätzung von professionellen Beobachtern gehen weit auseinander. Während die einen das Gros der Medien der «Rechercheverweigerung» bezichtigen, loben andere deren Professionalität und Seriosität. Fünf Stimmen aus Wissenschaft, Ausbildung und Medienjournalismus.

  1. Karl Lüönd: Weltwoche als Opfer des Jagdfiebers
  2. Pierre C. Meier: Unprofessioneller Anti-Blocher-Reflex
  3. Sylvia Egli von Matt: Freibrief für Schlammschlachten
  4. Stephan Russ-Mohl: Publizistischer Konflikt
  5. Kurt W. Zimmermann: Rechercheverweigerung

Karl Lüönd, Publizist und Jäger

Ich wundere mich, dass die «Weltwoche» in ihrer Ausgabe vom 12. Januar von den Fakten her nicht nachlegen konnte. Wenn man so einen Scoop hat, behält man mit Vorteil immer man etwas Pulver zurück für den zweiten Schuss.
Ich habe mich auch darüber gewundert, wie weit sich die Weltwoche und der von mir überaus geschätzte Kollege Urs Paul Engeler aus dem Fenster gelehnt haben, auch emotional. Der unbestrittene Teil der Story war doch stark genug: Über das Konto des Nationalbankpräsidenten ist ein Devisendeal im sechsstelligen Bereich gelaufen – das reicht doch. Warum dann aber Schlötterlinge wie «Gauner» und dergleichen, was nur Prozessrisiko schafft und – schlimmer – ein Urteil bedeutet, das man bei dieser Stärke der Fakten durchaus dem Leser überlassen könnte?
Die Reaktionen der ausländischen, vor allem der angelsächsischen Medien waren übrigens bedeutend kühler und gegenüber Hildebrand kritischer als diejenigen in den meisten Schweizer Medien. Hier hat einmal mehr das Anti-Blocher-Grundrauschen den normalen journalistischen Reflex überstimmt. Der Kerl darf einfach nicht recht haben, auch wo er recht hat. Devisengeschäfte in diesem Umfang sind für einen Geheimnisträger an der Spitze der Notenbank ein klares «no go».
Sodann würde mich interessieren, warum die Weltwoche ­ so sieht es jedenfalls für den Aussenstehenden aus ­ den Informanten aus der Bank Sarasin so rücksichtslos verheizt hat. Im Fall Wyler/Zopfi war Alex Baur dagegen so etwas von rücksichtsvoll und einvernehmlich mit seinen Gewährsleuten. Und nur über den Mittelsmann Lei mit dem Whistleblower zu kommunizieren wäre mir definitiv zu riskant gewesen.
Seit Donnerstag hat sich bei mir der Eindruck verfestigt, die Weltwoche sei das Opfer ihres eigenen Jagdfiebers geworden. So lange hatten sie den Hildebrand folgenlos verfolgt und kritisiert – und jetzt hatten sie ihn! Sie haben dann geschossen, sie haben auch getroffen, aber  sie haben wohl das falsche Kaliber verwendet: eine Wildsaupatrone, wo auch Vogelschrot gereicht hätte. Schiessen mag notwendig gewesen sein. Aber weidmännisch war das nicht wirklich.

Pierre C. Meier, Chefredaktor Werbewoche

Meiner Ansicht nach die beste Analyse der causa Hildebrand efolgte durch Peer Teuwsen. Leider vergass er die Rolle der Medien zu hinterfragen. Die war genau so pitoyabel, wie die der Wirtschaft. Dadurch, dass die ganze Sache von der rechten Schmuddelecke aus angestossen wurde, griff zuerst einmal der Anti-Blocher-Reflex. Verständlich aber leider auch unprofessionell. Anstatt, dass man versuchte, durch eigene Recherchen der Wahrheit näher zu kommen, nahm man den angeschossenen Hildebrand nur in Schutz und überliess so das Feld den selbsternannten Moralhütern der SVP. Kritischer Journalismus sollte immer neutral bleiben, auch wenn die Sympathien beim Verdächtigen liegen.

Sylvia Egli von Matt, Direktorin Journalistenschule MAZ

Die Berichterstattung zum Fall Hildebrand zeigt, dass es nach wie vor Medien gibt, die ihren Job seriös und klug machen. Manchmal habe ich den Eindruck, sogar besser als früher – umfassender, einordnender, kritischer. In der Folge werden nun wohl Reglemente der SNB verschärft.
Die aktuelle Arbeit der Medien zeigt aber auch Defizite auf:

  1. In Sachen Quellen/Quellenkritik: Es ist bedenklich, dass Politiker gewisse Medien für ihre Kampagne instrumentalisieren konnten. Ebenso, dass die Aussagen von Urs Paul Engeler kaum kommentiert werden: «Wenn sich jeder Artikel auf zwei Quellen abstützen würde, würden Tageszeitungen höchstens im Wochenrhythmus erscheinen oder gar nicht. Blenden wir die Tatsachen nicht aus: Es gibt regelmässig Geschichten, die sich nicht auf zwei Quellen abstützen lassen. Entscheidend ist, dass der Journalist seinen Informanten als glaubwürdig und sicher einschätzt. Das habe ich gemacht.» Schliesslich handelt es sich bei den Vorwürfen ja um eine Geschichte mit immenser Tragweite – und nicht um journalistische Alltagsroutine.
  2. In Sachen Sprache: Journalisten sollten nicht mit Attributen wie „Gauner“ hantieren. Das ist eine Verluderung, ein Freibrief für Schlammschlachten. Was angeblich den demokratischen Prozessen nützen soll, schadet ihnen.
  3. In Sachen Personalisierung: Diese attraktiviert die Geschichte zwar zweifelsohne, sie hat aber ihren Preis. Immer öfter wird «auf den Mann gezielt», bzw. «auf die Frau».

Die Causa Hildebrand bietet einigen Stoff für Reflexion und Lehren. Auch für die Medien.

Stephan Russ-Mohl, Professor Uni Lugano

Spannend wird die Sache wohl erst richtig, wenn man die Causa Hildebrand mit der Causa Wulff vergleicht – und vor allem die bisherigen Skandalisierungsmuster aufseiten der Medien.
Die ursprünglichen Verfehlungen der beiden Präsidenten, die den Anlass zur Skandalisierung lieferten, scheinen mir in etwa «gleichwertig», auch wenn die Devisengeschäfte von Hildebrands Frau näher am Kerngeschäft des Nationalbankpräsidenten dran waren als die Kreditaufnahme des Minister- und späteren Bundespräsidenten bei «friends & family».
Ganz unterschiedlich verlief dagegen der Prozess der Skandalisierung: In der Schweiz war es, so weit ich das beobachten konnte, eher ein publizistischer Konflikt zwischen Weltwoche und dem Rest der Journaille, mit einigen differenzierten Zwischentönen, zum Beispiel von der NZZ. In Deutschland haben wir dagegen den seltenen Fall, dass von taz bis FAZ, von Bild über Frankfurter Rundschau bis hin zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen die Medien gemeinsam den Bundespräsidenten zum Rücktritt drängen – allerdings auch, weil er, anders als Hildebrand, bei seiner Selbstverteidigung einen Fehler nach dem anderen beging.
Mich hat deshalb der Rücktritt von Hildebrand eher überrascht. Wulff wäre aus «wissenschaftlicher» Sicht – wenn man zum Beispiel Hans Mathias Kepplingers gediegene Studien zu Skandalisierungsprozessen zugrundelegt–- wohl als erster «dran» gewesen, weil er sich einer geschlossenen Phalanx der Medien gegenüber sieht. Aber in Deutschland ist der Konflikt wohl inzwischen auch zu einem sehr merkwürdigen Machtkampf zwischen moralisierenden Medien und einer in Fragen des Machterhalts über Parteigrenzen hinweg wenig feinfühligen politischen Klasse eskaliert, wie er in der Schweiz kaum denkbar wäre.

Kurt W. Zimmermann, Medienkolumnist Weltwoche

Die Rechercheverweigerung der Schweizer Journalisten im Fall Hildebrand gehört zu den skurrilsten Kapiteln unserer neueren Mediengeschichte. Lieber ein weissgewaschener Persilschein für einen Nationalbankchef als eine Untertagearbeit im Dreck der Wahrheit, war die Devise meiner Medienkollegen. Skurril und irreal.

Leserbeiträge

Ronnie Grob 13. Januar 2012, 12:45

Gehe sehr einig mit der Analyse von Karl Lüönd. Statt Hildebrand durch die Macht der Fakten mit einem Fingertippen umzustossen, hat die «Weltwoche», unnötig zu diesem Zeitpunkt, die Bazooka hervorgeholt. Ob man frustriert war über die Keller-Suter-Recherchen, die trotz Relevanz keine Durchschlagskraft erreichten?

Paul Fischer 15. Januar 2012, 10:41

Interessanter Bezug zum „Fall“ Keller-Suter: auch hier war das Muster das Gleiche. Ein Wistleblower, grundlegende Fakten, Andeutungen, Unterstellungen, eine „obrigkeitshörige Mainstreampresse“ die sich zurückhält. Im ersten Artikel der Weltwoche wurde damals Frau Keller-Suter strafrechtlich Relevantes unterschoben. Im weiteren Verlauf liess die WW diesen Vorwurf fallen, weil da nichts dran war. Dann versuchte man Frau Keller-Sutter als notorische Lügnerin darzustellen, was angesichts der vorliegenden Fakten auch nicht so recht funktionierte. Am Ende blieb nur ein Faktum übrig: eine Regierungsrätin, die in Sachen Ausländerpolitik als Hardlinerin gilt, mischt sich persönlich in ein laufendes Asylverfahren ein. Das wurde offensichtlich als weniger brisant eingeschätzt wie die umfangreichen Devisentransaktionen auf dem privaten Konto eines Nationalbankpräsidenten.