von Redaktion

Ohne public, ohne Zukunft?

32 Millionen Franken erhalten 13 Regionalfernsehsender pro Jahr aus dem Gebührentopf. Neben der SRG ist dies das zweite Standbein des Service public in der Schweiz. Als Gegenleistung für die Gebühren müssen die Sender einen regionalen Service public liefern. Das tun sie ganz zur Zufriedenheit der amtlichen Qualitätsprüfer. Bei der Abstimmung mit der Fernbedienung schneiden die Regionalsender dagegen miserabel ab.

Selbst in ihren Stammlanden erreichen die Privatsender nur Marktanteile um die Ein-Prozent-Marke. Bei der Nutzungsdauer sieht das Bild nicht besser aus. Die wenigen Zuschauer verweilen im Schnitt zehn Minuten bei «ihrem» Sender. Anders als beim Schweizer Fernsehen, wo ein Marktanteil unter 30 Prozent als mittlere Katastrophe gehandelt wird, spielen die Quoten beim regionalen Gebühren-TV keine Rolle. Ausser dem garantierten Geldstrom, hält dieses Modell wenig am Leben. Die MEDIENWOCHE hat nach Gründen gesucht und stellvertretend für die abwesenden Zuschauermassen vier Gebührensender genauer angeschaut. Eine Momentaufname der Nachrichtensendungen am Montag, 30. Januar.

La Télé: Mini-Généraliste zum Frösteln
Tele 1: Staatsnah und unkritisch
TeleBärn: Behäbiger Seniorensender
Tele Top: Service public auf dem Seegrund

La Télé: Mini-Généraliste zum Frösteln

La Télé ist keine Augenweide. Das Dekor wirkt kalt und schnell hingeworfen. Im weiss getünchten Raum, mehr eine Kammer, wo man bestimmt genausogut Rinderhälften kühlen könnte, formen zwei weisse Stehtische ein L. Vom Barhocker aus moderiert an diesem Abend Gabriel de Weck im schwarzen Sakko und schwarzem Pullover durch die Sendung, meist in Close-up. Hinter ihm wuseln Filmfetzen der Beiträge über fünf hastig an die Wand gezimmerte Flachbildschirme, die wohl im Supermarché gerade zu greifen waren und stören die Konzentration auf das, wovon de Weck soeben berichtet. Er hingegen macht seine Sache gut, unaufgeregt, locker und ohne Animationsgetue. Und klar, es geht um Inhalt und den präsentiert La Télé mit unambitioniertem und leidlich solidem journalistischem Handwerk.
La Télé versteht sich als kleine Generalistin und Chronistin der Ereignisse an Lokalschauplätzen in der Waadt (bis ins Vallée de Joux) und Fribourg. So beleuchtet der längste Beitrag die Stimmung in St. Sulpice ein Jahr nach dem Verschwinden der beiden Zwillinge Alessia und Livia mit Stimmen von Nachbarn, Passanten und dem DirektorderKantonspolizei.WeiterforschendieJournalisteninden Gassen von Bulle nach den Vorbereitungen der Leute auf die erwarteten minus 22 Grad Celsius. Im Studiointerview befragt de Weck den anwesenden Lausanner Kulturchef Fabien Ruf, ob die Kulturveranstalter auch die Bedürfnisse von Menschen in der dritten Lebenshälfte berücksichtigen. Der Moderator sitzt dabei um Tischlänge von Ruf entfernt, verwunderlich, dass beide einander ohne zu brüllen verstehen.Ein Kurzbeitrag berichtet vom Entgiften des Boxel-Areals in Fribourg und in der Serie vor den Grossratswahlen am 11. März schreibt SP-Kandidatin Nuria Gorrite ihren Wählern vor laufender Kamera eine Postkarte. Nach den Fribourger Basketballern sind schliesslich die Kältetoten in Rumänien und Serbien sowie Sarkozys Rede Thema. Das wars dann auch schon. Muss man gesehen haben? Nein, auch nicht, wer in St. Sulpice oder Bulle wohnt.

Tele 1: Unkritisch und staatsnah

Im Konzessionsgesuch von «Tele 1» steht: «Der Sender ist einem kritischen, aber ausgewogenen und fairen Journalismus verpflichtet, der dem Publikum die Meinungsbildung erleichtern soll.» So lautet die Theorie. Die Praxis des Zentralschweizer Fernsehens müsste man dagegen so beschreiben: «Der Sender bietet einen unkritischen und staatsnahen Journalismus, der dem Publikum die Meinungsbildung nicht einfach macht.» Und das geht so: Joachim Eder (FDP) verlebt nach 19 Jahren im Kantonsrat und 10 Jahren im Regierungsrat seinen letzten Arbeitstag als Gesundheitsdirektor des Kantons Zug – weil er in den Ständerat gewählt wurde. Dem zwischen Heiterkeit (Eder findet einen Essensgutschein in der Höhe von 200 Franken, der noch nicht abgelaufen ist) und Wehmut (die Sekretärin: «Es tut schon sehr weh.») angesiedelten Beitrag folgt ein zehnminütiges «Fokus»-Gespräch, in dem Tele1-Chefredaktor Oliver Kuhn dem scheidenden Regierungsrat einen wunderschönen Teppich zur Selbstentfaltung auslegt. Nicht eine kritische Frage muss der Politiker beantworten, stattdessen erinnert ihn Kuhn daran, dass er doch mutig als Erster die Impfungen gegen die Schweinegrippe angeordnet hatte und dass es zu seinem Abschied langen Applaus gab. Die erste Frage an Eder lautet ungelogen: «Ein grosser Abschied?» So fällt Bescheidenheit leicht.
In den beiden anderen Hauptbeiträgen der Nachrichtensendung darf zum einen der Finanzdirektor von Luzern die Details einer Steuererhöhung kommunizieren. Zum anderen geht es um das Kinderatelier Akku, in dem Kinder im Primarschulalter mit Farben experimentieren («Freiräume für kreative Kinder», «Die Kinder geniessen den kreativen Raum ohne Leistungsdruck.»). Die hinter dem Atelier stehende Stiftung Akku ist zwar als gemeinnützige Organisation anerkannt – doch das kann nicht der Grund sein für diesen glattpolierten Bericht, der ein PR-Unternehmen nicht besser hingekriegt hätte. Finanziert wird sie von verschiedenen Sponsoren und Gönnern, rund 200’000 Franken pro Jahr kamen in den letzten vier Jahren von der Gemeinde Emmen.

TeleBärn: Behäbiger Seniorensender

Inzwischen wirbt TeleBärn nicht mehr mit dem Slogan. Das ist auch besser so. Denn ein «CNN für die Region» war der Berner Regionalsender beim besten Willen nie. Das Einzige, was mit viel Fantasie einem Vergleich mit dem Nachrichtenpionier aus Atlanta standhält, ist das Studiodekor. Da ist Telebärn stets mit der Zeit gegangen und sendet heute aus topmodernen Räumlichkeiten. Der regionale Service public, den der Sender von Gesetzes wegen zu liefern verpflichtet ist, präsentiert sich als solides und behäbiges Handwerk: Ereignisse des Tages aus Politik, Gesellschaft, Kultur und Sport aus der Region. Dem Themenmix haftet oft etwas Zufälliges an. Nichts Zwingendes, kein Knüller, einfach Nachrichten aus der Region. So auch an diesem Montagabend im Januar.
Als Aufmacher ein kompakter und kompetenter Bericht zum Auftakt der Gerichtsverhandlung gegen einen Solothurner SVP-Kantonsrat wegen der Veruntreuung von Firmengeldern. Der Berner Zuschauer fragt sich: Was geht mich das an? Doch dann kommt er auf seine Rechnung: ein Nachzieher zu den tags zuvor veröffentlichten Plänen des Islamischen Zentralrats für den Bau einer Moschee in Bern. Mehr als die Sonntagspresse bringt aber auch TeleBärn nicht heraus. Viel Sendezeit widmet TeleBärn schliesslich einer Lesung von Endo Anaconda. Der Autor und Sänger von Stiller Has musste sich einer Tumoroperation unterziehen und trat erstmals wieder vor Publikum auf. Bei diesem Beitrag lässt die Tonqualität zu wünschen übrig, dafür erfährt man allerlei Lebensphilosophisches aus dem Mund des Berner Originals. Zusammen mit Sport, Wetter und den Börsenkursen der Bank EEK ergibt das einen soliden Infoblock von rund 20 Minuten. Besonders gut kommt dieses Programm beim älteren Publikum an: Zwei von fünf TeleBärn-Zuschauern sind älter als 60 Jahre. Einen besonders fitten Eindruck für die Zukunft hinterlässt der Sender nicht. Das hat sich wohl auch Tamedia gedacht, als sie den Berner Sender kürzlich in den Aargau verkaufte. Nun dürfen die AZ Medien ihr Glück versuchen.

Tele Top: Service public auf dem Seegrund

Die Wetterfee soll sich bei den Miss-Schweiz-Wahlen anmelden und die Nachrichtenmoderatorin soll sich bei SF bewerben. Das wäre die beste Lösung für diesen traurigen Sender, bis 2019 konzessioniert mit einem Leistungsauftrag für die Region Zürich-Nordostschweiz. Tele Top ist gelb. Und mit einem Blitz durchzogen. Das Corporate Design wirkt kindlich, fernab vom zeitgenössischen Dogma «reduce to the max». Das Logo will auch nicht zum modernen Studio in Winterthur passen. Dieses ist hell, mit einer massiven Holzplatte und einer charmanten Nachrichtenmoderatorin aus- gestattet. Die junge Frau strahlt mit Präsenz, hat eine prägnante Aussprache, trägt einen schwarzen Blazer und wurde mit blonden Locken gesegnet. So sollte das sein. Stil- und niveauvoll. Nur leider muss sie über Kälte-Tipps, chinesische Alternativmedizin und eine geklaute Hafenglocke in Altnau berichten. Altnau? Am Bodensee. Der längliche Hafenglocken-Beitrag dauert mehrere Minuten, der Hafenmeister weint schier in die Kamera und in der Off-Moderation heisst es, dass diese goldige Glocke die «einzigartige, idyllische Atmosphäre» am Altnauer Hafen geschaffen habe. Was der Zuschauer sieht, ist ein Holzsteg im Nebel. Hierfür sollte niemand Empfangsgebühren zahlen müssen. Service public? Auf dem Seegrund. Oder noch tiefer unten. Im Konzessionsgesuch von Tele Top steht, dass die Nachrichtensendung die «journalistische Visitenkarte» des Senders ist. Dieses Versprechen wird an diesem Montagabend immerhin mit einem Beitrag zur Kulturförderung des Kantons Zürich eingelöst. Ein hübsches Ensemble: schmunzelnder Opernhaus-Pereira, schlechtgekleidete SVP, übermotivierte CVP und adrette FDP. Nach den Nachrichten das Wetter. Das ist schlecht. Präsentiert von einer jungen Dame in Leggings, ihre BH-Träger sind sichtbar. Und dann sagt sie zum Auftakt «Hallöchen», später dann: Es wird «flöckle» und «eiszapfenkalte minus 14 Grad.». Und auch am Bildschirm war es an diesem Abend kalt und düster.

Leserbeiträge

Silvio Lebrument 10. Februar 2012, 15:17

Liebe Redaktion

Bei der Beurteilung von Regionalsendern werden in der Regel immer dieselben Fehler gemacht. Es wird vergessen, dass die Sendungen in Stundenschleifen ausgestrahlt werden. Daher haben Sehdauer und Marktanteile wenig Aussagekraft. Ein Vergleich mit der SRG ist unter diesem Aspekt gar völlig falsch.

Freundliche Grüsse, S.L.

Nick Lüthi 12. Februar 2012, 22:16

Besten Dank für den Hinweis. Unser Ziel war es ja nicht, Äpfel mit Birnen zu vergleichen, sondern darauf aufmerksam zu machen, dass die Quoten im regionalen Service public in der öffentlichen Diskussion keine Rolle spielen, während sie bei der SRG – zurecht – als Seismograph für Erfolg oder Misserfolg gelten.
Gibt es denn Zahlen der Privaten, die sich mit jenen der SRG vergleichen lassen?

Oliver Kuhn 27. Februar 2012, 09:54

Lieber Nick
Du stellst für mich genau die Frage, die ich erwartet habe: „Gibt es denn Zahlen der Privaten, die sich mit jenen der SRG vergleichen lassen?“. Allerdings hättet ihr euch diese Frage stellen müssen, bevor ihr diesen Artikel verfasst habt.

Wie wärs mit folgenden Vergleichen:
-Auf Platz Zürich arbeiten fürs Fernsehen (ohne Radio) gut 1000 Personen. Die meisten Privaten bewegen sich zwischen 30 und 50 Mitarbeitenden.
-Die SRG wirbt in eigener Sache während 14 Tagen auf dem Bundesplatz (Treffpunkt Bundesplatz Herbst 2011) mit einem Budget, dass den Privaten für anderthalb Jahre reichen muss.
Schweiz Aktuell beschäftigt mehr Personen (technische Berufe nicht eingeschlossen), als die meisten Privaten für ihr gesamtes Programmangebot zur Verfügung haben.
Und: die Privaten liegen in Bezug auf den Marktanteil in ihrem Sendegebiet zwar niemals in Reichweite von SF, doch immerhin noch vor einem wesentlichen Teil der Deutschen.

Kurz: Deine Frage ist so passend, wie entlarvend. Entlarvend nämlich, dass ihr euch kaum ein Bild gemacht habt, wie es um die Verhältnisse steht. Wer käme sonst auf die Idee, einen Sender aufgrund einer einzelnen Ausstrahlung zu beurteilen – selbst wenn er dies auch noch im Lead deklariert.

Dieser Artikel hat wohl mehr eigene (journalistische) Schwächen an den Tag geliefert, als Erkenntnisse, wie der Szene geholfen werden könnte. Den eines ist klar: es gibt noch grosses Potential.

Liebe Grüsse, Oliver